«der arbeitsmarkt» 02/2010

Trudy Müller-Bosshard

Mein Tag beginnt früh, etwa um halb sieben. Weil ich zuhause arbeite, brauche ich viel Selbstdisziplin. Am Morgen lese ich als Erstes die Zeitung. Dafür brauche ich etwa eine Stunde, weil ich immer mit einem zweiten Blick lese und nach kurligen Wörtern oder Begriffen suche, die sich für das Kreuzworträtsel eignen. Am liebsten sind mir Wörter mit sechzehn Buchstaben, weil das die maximale Länge eines waagrechten Wortes ist, senkrecht sind es maximal neun. Da die Gefahr gross ist, dass ich schrullig würde, wenn ich fünf Tage die Woche daheim sitze, in meinem Kopf herumwühle und nach Assoziationen suche, arbeite ich einmal wöchentlich auf der «Magazin»-Redaktion. Dort bringe ich zwar nichts auf die Reihe, bin aber jeweils wieder aufgetankt, auch mit neuen Ideen.
Pro Woche schaffe ich ein Rätsel, meis­tens sind es etwa 45 Begriffe. Das Erstellen des Rätselgitters ist für mich das Dessert. Mittlerweile habe ich Übung und einen Blick dafür, welche Wörter noch in die Lücken passen. Zu Beginn platziere ich nach Möglichkeit immer zwei lange Wörter. Aus Platzgründen ist es wichtig, dass ich nicht zu viele und deshalb möglichst viele lange Wörter drin habe. Das geht recht schnell, etwa vier bis fünf Stunden.
Die harte Arbeit sind die Clues, also das Definieren der Begriffe. Das muss ich am Vormittag machen, wenn der Kopf noch frei ist. An einem ganz guten Tag schaffe ich zwanzig Clues, an einem recht guten vielleicht siebzehn, und an einem normalen Tag sind es maximal fünfzehn. Danach herrscht Chaos im Oberstübchen.
Nach einem kleinen Mittagessen mache ich einen Powernap und arbeite von halb zwei weiter bis vier oder halb fünf, dann gehe ich Snooker spielen, drei- bis viermal pro Woche. Snooker ist meine grosse Leidenschaft. Das Schöne daran ist, dass ich es mein ganzes Leben lang spielen kann, und es wird immer bergauf gehen. Ich werde nie wirklich gut sein, aber ich werde immer besser. Und es ist unglaublich beruhigend. Schon beim allerersten Stoss habe ich gemerkt, dass Snooker das perfekte Gegengift für all den Müll in meinem Kopf ist.
Am schwierigsten sind Fragen aus meinen Spezialgebieten. Da muss ich aufpassen, dass ich nicht etwas als selbstverständlich voraussetze - etwa, wenn es um Fussball geht oder um Rockmusik. Ich bin eine alte Rockerin, mag alles, was brachial ist: Speedrock, Punk, Bands wie die Ramones oder Motörhead. Die Rock-Revolution in den Sechzigern habe ich als Befreiung erlebt, weil ich in einer sehr repressiven Zeit aufgewachsen bin. Damals war es noch einfach, die Alten zu schockieren. Heute ist das schwieriger. Meine Tochter könnte mich heute nur noch schocken, wenn sie zu einer Sekte ginge - oder zur SVP.
Zwölf Jahre lang arbeitete ich als Rockjournalistin, zuerst beim «Pop», danach bei der Zeitgeistzeitschrift «Magma». Als der Verlag das «Magma» auflöste, haben wir mit dem «Aha» ein neues Spielmagazin gemacht, das bald zum Satireblatt wurde. Der Spielteil aber blieb, und wir wollten ein Um-die-Ecke-gedacht-Kreuzworträtsel drinhaben, wie es das damals schon in der «Zeit» gab. Weil ich diese Rätsel selbst immer gerne löste und wir keine Autoren fanden, versuchte ich es schliesslich selbst. Nachdem der Verlag das «Aha» eingestellt hatte und meine Assistentin zum «Magazin» des «Tages-Anzeigers» gewechselt hattee, schlug sie mich dem damaligen Chefredaktor als Rätselautorin vor. Zunächst reagierte er noch ablehnend, ein Jahr später änderte er aber seine Meinung. Das war etwa 1993, so hat das alles angefangen mit dem Rätsel im «Magazin».
Weil ich oft auf das Rätsel angesprochen werde, habe ich manchmal das Gefühl, nur darauf reduziert zu werden. Ich rede auch nicht gerne mit meiner «Kundschaft» über ihre Schwierigkeiten mit meinem Rätsel, weil ich dann eine Schere im Kopf habe. Einer meiner grössten Fans war der verstorbene Alt-Nationalrat Ernst Mühlemann, der mich unbedingt kennen lernen wollte. Ich habe mich zunächst dagegen gesträubt, mich dann aber umstimmen lassen. Bald hat sich mit ihm und seinem Löser-Kollegen ein vierteljährliches Mittagessen ergeben. So lustig das immer war - Ernst wurde auch zum Gespenst, zur Schere in meinem Kopf. Wenn ich im Rätsel etwas über Rock oder Kino machte, dachte ich an Ernst und daran, dass er das wieder nicht wissen würde.
Es gibt immer Begriffe, die ich an der Aktualität ausrichten kann. Das kann aber auch gefährlich sein. Zu Basejumping habe ich kürzlich eine ziemlich flapsige Frage formuliert, die ich dann, Gott sei Dank, noch rechtzeitig abschwächen konnte, denn kurz vor Erscheinen des Rätsels war ein tragischer Unfall passiert. Am meisten Rückmeldungen gibt es, wenn mir ein Bock passiert - oder wenn einmal kein Rätsel erscheint. Da haben schon Leute beim Portier an der Werdstrasse reklamiert.
Wer mein Rätsel macht, merkt, dass ich eher eine Linke bin. Natürlich gibt es auch Löser, die rechts der Mitte stehen - da gibt es dann auch schon mal Beschwerden, ich solle doch bitte den sehr geehrten Herrn Doktor Blocher endlich aus dem Spiel lassen.
Den Tag beschliesse ich mit Lesen. Aber ich kann nicht schon um acht Uhr abends lesen, da ist noch zu viel Restmaterial vom Tag im Kopf. Am liebsten lese ich schottische Krimis. Ich verbringe auch meine Ferien regelmässig in Schottland, in North Berwick, einer kleinen Küstenstadt. Das ist mein zweites Zuhause geworden, auf meinem Pult steht auch ein Bild von North Berwick. Wenn es bei der Arbeit einmal nicht läuft, schaue ich das Bild an und sage mir, dass ich jetzt vorwärts machen muss, weil ich sonst nicht nach North Berwick in die Ferien kann.

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