«der arbeitsmarkt» 01/2006

Traumberufe und die brutale Realität

Die neu gestaltete Berufsmesse Zürich 2005 zeigte zweierlei: Schon Vierzehnjährige sind realistisch
punkto Berufswahl. Und vorwiegend Berufsverbände aus dem handwerklichen Bereich kämpfen um Lehrlinge und Image.

«Mit siebzehn hat man noch Träume», sang Peggy March 1965. «Junge Leute fragen nicht, was man darf und kann. Junge Leute sehen die Welt mit eigenen Augen an», trällerte die Amerikanerin weiter und sah «Bäume, die in den Himmel der Liebe wachsen».
Vielleicht träumen die Jugendlichen auch im Jahr 2005 von grosser Liebe. Punkto Berufswahl sind aber schon Vierzehnjährige auf dem harten Boden der Realität gelandet. Wer Schüler der achten Klasse nach ihrem Traumjob fragt, erhält als Antwort eine Gegenfrage: «Meinen Sie jetzt alle Berufe oder die möglichen?», um darauf so unspektakuläre Berufe wie Coiffeuse oder Koch zu nennen. Stellvertretend für die nüchterne Selbstanalyse der Teenager vor der Berufswahl kann die Antwort von Astrit Ajredini gelten. «Mein Traumberuf ist Elektromonteur. Es gibt schönere Berufe. Aber mit meiner Schulbildung liegt nicht mehr drin», sagt der Besucher der im Oktober zum ersten Mal abgehaltenen Berufsmesse Zürich.
Die Messe löst die Ausstellung «Berufe an der Arbeit» ab, die jeweils im Rahmen der Züspa stattfand. Laut dem Kantonalen Gewerbeverband Zürich, Mitorganisator der Ausstellung, konnten so auf einem Viertel mehr Fläche rund fünfzig Prozent mehr Aussteller um die Jugendlichen buhlen. In absoluten Zahlen: 43 Berufs-
und Weiterbildungsorganisationen orientierten über 70 Berufe. 15684 Schüler aus 827 Klassen verschiedener Kantone nutzten das Informationsangebot. Die Messe baut «den Jugendlichen die Brücke von der Schule ins Berufsleben». So drückte sich Hans-Ulrich Bigler, Präsident Bildungskommission des Zürcher  Gewerbeverbandes, an der Eröffnung der Messe aus. Gemäss Konzept der Kommission steht der ideale Besucher der Messe am Anfang des «Berufsfindungsprozesses» und ist im achten Schuljahr. Nach der Messe wird er seine «Interessenschwergewichte verfeinern», um diese «in Schnupperlehren und Eignungstests» zu konkretisieren.
Die Halle 3 der Zürcher Messe platzt am Donnerstagnachmittag, 27. Oktober, aus allen Nähten. Die Teenager stehen sich an einzelnen Ständen auf den Füssen herum. Hoch im Kurs ist der Bäcker-Konditormeister-Verband mit seiner für die Messe aufgebauten Kleinbäckerei. Bis zu eine halbe Stunde gedulden sich die Jugendlichen, um unter Anleitung von Bäckerlehrlingen und Berufsleuten ihr Zöpfchen zu backen. Die Liebe zum Beruf soll offenbar durch den Magen gehen. Auch die Gastronomen versuchen so Jugendliche zum Stand zu locken. Unter den prüfenden Augen eines Kochlehrlings backen Teenager Nutella-Crêpes.

Metzger neben Sattelschleppern und Bäckern

Allerdings interessieren sich wenige für die Süssspeise. Vielleicht liegt das am Standort. Bis die Buben und Mädchen sich zum Stand von Hotel & Gastro Formation Zürich durchgezwängt haben, konnten sie sich schon bei einigen anderen Ausstellern mit Süssem eindecken. Da wäre der Fleischkäse am Stand der Metzger eine willkommene Abwechslung. Doch die zwei, zeitweise gar vier Mitglieder des Metzgermeistervereins Zürich müssen mit ansehen, wie sich die Jugendlichen vis-à-vis um die in Weiss gehüllten Auskunftspersonen des Stadtzürcher Gesundheitsdepartements scharen. Dort erklärt gerade Ausbildnerin Beatrice Huber anhand einer anatomischen Puppe, wie ein Herzinfarkt entsteht. Daneben drehen Mädchen an einem Glücksrad.
Zu gewinnen gibt es an der Messe nämlich einiges mehr als nur neue Eindrücke über alte und neue Berufe. Die Aussteller versuchen mit Wettbewerben auf sich aufmerksam zu machen. Beim Verband Schweizer Reinigungsunternehmen lockt ein Media-Markt-Gutschein für 400 Franken, die Metzger verlosen
eine Digitalkamera. Darüber kann Nicole Ackeret, im vierten Lehrjahr zur Drogistin, nur lachen: «Bei uns gibts nichts gratis.
Wir sind einfach sympathisch.» Tatsächlich, der Stand des Drogistenverbands gehört zu den besser besuchten am Donnerstag. Vielleicht liegt das an der Nachbarschaft. Gegenüber bewältigen die Bäcker ihren Ansturm. Daneben steht der Sattelschlepper, den der Autogewerbeverband in die Halle gestellt hat. Der zieht für
einmal nicht 40 Tonnen hinter sich, sondern die verklärten Blicke junger Männer auf sich. Der Renner beim Autogewerbe ist aber der Fahrsimulator. In einer Drehkabine werden die Teenager gehörig durchgeschüttelt, wenn sie auf der Rennstrecke die Herrschaft über ihren Wagen verlieren.
Man könnte also zum Schluss kommen, die Teenager erleben einen spassigen Nachmittag. «Los, los, wir sind nur zwei Stunden hier», scheucht Lehrerin Zulu Katulu aus Otelfingen ein Grüppchen ihrer Achtklässler auf. In der Hand halten sie ein Frageblatt. Aufgabe ist, Informationen über einen selbst ausgewählten Beruf für einen Vortrag zu beschaffen. An der Messe kommen die Schüler zum ersten Mal mit Lehrmeistern in Kontakt. Eine
spätere Aufgabe wird ein Interview mit einem Lehrmeister sein. «So machen die Teenager erste Erfahrungen mit der Berufswelt.»

Lehrlinge berichten über ihre Erfahrungen

Katulu beginnt schon in der siebten Klasse mit dem Thema. «Dann dürfen die Schüler noch träumen und schwärmen. Anhand ihrer Vorlieben und Abneigungen führe ich sie langsam zum Möglichen.» Die Lehrerin liefert damit eine Erklärung für den Realismus der Teenager punkto Berufswahl. Während des Gesprächs kommen zwei ihrer Schüler vorbei: «Frau Katulu, unser Beruf wird hier nicht gezeigt.» «Ihr habt drei aufgeschrieben, sucht die anderen zwei», sagt die Lehrerin. «Die gibt es auch nicht.» «Dann geht zum Stand der Berufsberatung.» 70 Berufe an einer Messe sind zwar viel, das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie listet aber in seinem Verzeichnis knapp 700 Berufe auf. Entsprechend ausgelastet ist an der Messe das Personal der Zürcher Berufsberater.
Von den 43 anwesenden Berufsverbänden stammen geschätzte zwei Drittel aus dem handwerklichen Bereich. Der Trend hin zu Ausstellern aus diesen Branchen habe im Laufe der vergangenen Jahre zugenommen, sagt Oberstufenlehrerin Zulu Katulu. «Diese lassen sich eben einfacher demonstrieren als Büroberufe», sagt sie. «Berufe wie Autolackierer sind nicht gerade modern. Doch der Anreiz, einen 600er-BMW zu bestaunen, ist eben grösser, als sich über Berufe zu informieren.» Sarina Steiger und Anja Gut aus Stadel bei Niederglatt stört das nicht. «Auch wenn hier nicht alle Berufe vertreten sind, die Messe bringts», sind sich die beiden Achtklässlerinnen einig. Sarina Steiger will Primarlehrerin werden und informiert sich bei den Berufsberatern. Danach gehts zum Stand der Gastronomen, denn Anja Gut will in diesem Bereich tätig sein. «Spannend ist vor allem, von Lehrlingen zu hören, wie es ihnen im zweiten oder dritten Lehrjahr geht», sagt Anja Gut. Das neue
Konzept der Berufsverbände, dass auch Lehrlinge an Messen und Schulen über ihre Erfahrungen berichten, kommt an.

Abwanderung nach der Ausbildung

Das massierte Auftreten von Berufsverbänden aus dem handwerklichen Bereich mag auch daran liegen, dass solche Firmen Mühe bekunden, Lehrlinge zu finden. Laut dem Winterthurer Verband der kleinen und mittleren Betriebe sind Berufe wie Bäcker, Metzger oder der Baubranche kaum gefragt. Zugeben wollen das an der Messe weder die Metzger noch die Dachdecker, noch die Strassenbauer. Am Stand der Metzger bestätigt Stiftin Martina Thoma nur, dass eine Lehre als Charcuterieverkäuferin für viele erst zweite oder dritte Wahl sei. Die Strassenbauer sind überzeugt, dass das Image des Berufes mit der Erhöhung des Lehrlingslohnes gestiegen sei. Einzig Dachdeckermeister Robert Erne aus Wiesendangen redet offen von einem Nachwuchsproblem. «Lehrlinge finden wir genug. Nach der Ausbildung wechseln aber viele in einen anderen Beruf.» Der Bäcker-Konditormeister-Verband kann immerhin hoffen, dass der eine oder andere Teenager beim
Zopfbacken auf den Geschmack gekommen ist.

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