«der arbeitsmarkt» 02/2006

Tandem sucht Lehrstelle

Im Kanton Aargau unterstützen Mentoren seit kurzem Jugendliche bei der Lehrstellensuche. Im Rahmen des «Junior Mentoring»-Projekts geben sie Tipps für Bewerbungsunterlagen oder beraten beim Vorstellungsgespräch. Von der Zusammenarbeit profitieren die Mentoren auch selber.

«Mein Traum ist es, einmal eine eigene Apotheke zu führen.» Um ihrem Ziel ein Stück näher zu kommen, möchte die 15-jährige Cigdem Erol eine Lehre als Pharmaassistentin machen. Dass das nicht so einfach ist, hat die Sekundarschülerin aus dem aargauischen Möriken in den letzten paar Monaten erlebt: Fünf Schnupperlehren hat sie seit dem Frühjahr 2005 gemacht und rund 30 Bewerbungen geschrieben, bislang aber nur Absagen erhalten. Oft ohne Begründung. Woran das liegt, kann sie nur vermuten: «Wenn ich bessere Noten hätte, wären meine Chancen sicher grösser», glaubt Cigdem. Vielleicht gebe es aber noch andere Gründe für die vielen Absagen.

Notfalls sollen Jugendliche von Tür zu Tür gehen

«Es gilt vor allem, den richtigen Zeitpunkt für eine Bewerbung zu erwischen», meint Miriam Koch, seit kurzem Mentorin der Schülerin. Die 40-jährige Mutter von zwei kleinen Kindern muss es wissen, ist sie doch gelernte Personalfachfrau und war lange in der Lehrlingsbetreuung tätig. Seit Sommer 2004 selber arbeitslos, kann sie sich in die Situation von Cigdem hineinversetzen. Sie hat ihrem Schützling auch geraten, potenzielle Lehrbetriebe zuerst telefonisch zu kontaktieren, da deren fremdländischer Name einen Lehrmeister abschrecken könne. «Wenn eine Bewerberin am Telefon gut Schweizerdeutsch spricht, kann damit schon einmal ein Vorurteil umgangen werden.»
Die Zusammenarbeit der beiden Frauen basiert auf dem im Sommer 2005 im Kanton Aargau angelaufenen «Junior Mentoring»-Projekt, das zum kantonalen Massnahmenpaket gegen die Jugendarbeitslosigkeit gehört. Ein ehrenamtlich tätiger Mentor bildet mit einem Jugendlichen zusammen ein sogenanntes «Tandem» und hilft unter anderem bei der Erstellung der Bewerbungsunterlagen oder der Suche nach einer geeigneten Lehrstelle. Eine «Tandem-Vereinbarung» ist Grundlage der Zusammenarbeit und bestimmt etwa, dass die Mentoren aussteigen können, wenn sich die von ihren Berufsberatern angemeldeten Jugendlichen nicht an die Abmachungen halten. Cigdem Erol war die erste eingeschriebene Teilnehmerin, Miriam Koch eine Mentorin von 15, die sich beworben und das zweitägige Einführungsseminar durchlaufen haben. Was hat sie dazu bewogen? Koch: «Hauptgrund ist, dass ich meine Erfahrungen weitergeben und Jugendlichen helfen möchte.»
In einem ersten Treffen hielt sie die Schülerin dazu an, ihr Bewerbungsdossier aufzuarbeiten, in einem nächsten Schritt soll diese im kantonalen Lehrstellenverzeichnis nach offenen Lehrstellen suchen. Diese werden dann systematischer, als das Cigdem bisher getan hat, mit Bewerbungsunterlagen angegangen. Einer der avisierten Orte ist Baden: «Ich kann mir vorstellen, dass das Mädchen dort mit einer Hand voll Bewerbungsdossiers von Apotheke zu Apotheke geht und sich damit gleich selber vorstellt», erklärt die Mentorin das weitere Vorgehen. Ziel sei es, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Ist ein solches vereinbart, bereitet sie die Schülerin darauf vor, berät sie bei der Kleiderfrage oder hilft ihr bei der Beschaffung von Informationen über den Lehrbetrieb. In der momentanen Anfangsphase haben die beiden vereinbart, sich einmal pro Woche zu treffen; laufen die Bewerbungen, könne man sich auch telefonisch oder per E-Mail verständigen. Die Mentorin wirkt unterstützend, die nötigen Schritte muss Cigdem aber selber machen. Koch: «Ich greife erst ein, wenn sich Probleme ergeben und das Mädchen auf eine Bewerbung beispielsweise keine Antwort erhält.»

Der «falsche» Schulabschluss kann Killerkriterium sein

Das Projekt «Junior Mentoring» ist laut Projektleiterin Bettina Beglinger vor allem für Jugendliche gedacht, die sich um eine Lehrstelle oder Grundausbildung mit eidgenössischem Attest bemüht haben und über gute Sozialkompetenz verfügen, bisher aber aus unterschiedlichen Gründen erfolglos geblieben sind. Sei es, dass sie die Sache falsch angepackt haben, sei es, dass sie sich aus anderen Gründen wie etwa mangelnder Unterstützung von zuhause, schwierigen Familienverhältnissen, sprachlichen oder schulischen Schwierigkeiten schwer tun. In einem ersten Gespräch werden von der Projektleiterin als geeignet angesehene «Tandem-Paare» zusammengeführt, die dann über ein weiteres Zusammengehen entscheiden. Neun Paare haben mittlerweile ihre Arbeit aufgenommen, fünfzehn Mentoren sind für den nächsten Einführungskurs
vorgemerkt. Die ersten Mentoren wurden per Newsletter gesucht, die an Bildungs-, Beratungs- und Sozialinstitutionen gingen. Zusätzlich nutzte Beglinger ihr persönliches Beziehungsnetz und hat Berufsbildungszentren informiert. Nach wie vor werden Mentoren gesucht. Bis Herbst 2006 sollen es rund 50 sein. Sie müssen laut Projektleiterin über ein gut funktionierendes berufliches und privates Beziehungsnetz sowie Kenntnisse aus dem Erwerbsleben verfügen. Wichtigste Voraussetzung sei aber: «Sie müssen Freu-
de an der Arbeit mit jungen Leuten haben.»
Diese Voraussetzungen bringt Mentor Kurt Jenni zweifellos mit. Der im kantonalen Sozialdienst als juristischer Mitarbeiter tätige Familienvater war früher Schulpfleger und hat sich in seinem Amt mit Erfolg dafür eingesetzt, dass die Verwaltung Lehrlinge einstellt. Da er eine besondere Affinität zum asiatischen Raum hat, konnte er sich die Zusammenarbeit mit dem 17-jährigen Vietnamesen Hungtrung Voong sofort vorstellen. Der Jugendliche ist als Kleinkind in die Schweiz gekommen und spricht den einheimischen Dialekt perfekt, hat jedoch als Absolvent einer Kleinklasse – der untersten Schulstufe im Kanton Aargau – erhebliche Schwierigkeiten bei der Lehrstellensuche. Im Moment absolviert er ein Werkjahr. Auch er hat erfolglos eine Anzahl Bewerbungen geschrieben und Schnupperlehren als Autolackierer, Bäcker und Koch gemacht. Am meisten interessiert ihn eine Lehre als Koch, in Frage käme aber auch Verkäufer und eventuell Gärtner. «Ich mag den Umgang mit Lebensmitteln und das Zubereiten von Gerichten», meint er dazu.
Für Jenni ist der Schulstatus Hungtrungs das grösste Handicap bei der Suche nach einem Lehrbetrieb. Auf Grund der eigenen Erfahrungen als Schulpfleger ist er jedoch zuversichtlich: «Mit einigem persönlichem Einsatz finden auch Jugendliche mit schlechteren schulischen Voraussetzungen eine Lehrstelle.» Zwar sei ein Bezirksschüler für einen Arbeitgeber sicher pflegeleichter, Hungtrung verfüge aber über Sozialkompetenz, sei höflich und kommunikativ – «lauter Dinge, die ein Lehrbetrieb durchaus zu schätzen weiss».

Die Jugendlichen sollen Eigeninitiative entwickeln

Ziel des «Tandem-Paares» ist es, bis Herbst 2006 eine Lehrstelle zu finden, da der junge Vietnamese keine Möglichkeit hat, ein weiteres Zwischenjahr einzuschalten. Jenni sieht sich jedoch unter Zeitdruck, da eine erste Lehrstellenselektion auf Herbst 2006 schon abgeschlossen ist. Ganz allgemein betrachtet er die zunehmende Tendenz zur Verschulung vieler Berufsausbildungen als ausgesprochen negativ: «Schulisch schwache Kinder haben dadurch kaum noch Möglichkeiten, einen Ausbildungsplatz zu finden.»
Im Moment stellt sich für Hungtrung die Frage nach einer zusätzlichen Schnupperlehre als Verkäufer. Gesucht werden Betriebe, die gleichzeitig Lehrlinge ausbilden. Wie steht es mit der Charcuterieabteilung eines Grossverteilers? Der Schüler nickt. Auf der Agenda steht ausserdem das Herausschreiben der Adressen von drei oder vier Restaurants und Heimen, die Kochlehren anbieten. Jenni: «Ich kann mir den Jugendlichen in einem kleineren Familienbetrieb vorstellen, in einem Nobelhotel hätte er hingegen kaum Chancen.» Absicht sei es, dass der Jugendliche Eigeninitiative entwickle, signalisiere, dass er sich auch tatsächlich für einen Beruf interessiere, und Bewerbungen schreibe. Sollte ein Betrieb Interesse zeigen, wird sich der Mentor persönlich einschalten. «Allerdings nur mit Einwilligung des Jugendlichen», wie er betont. Zu Anfang sei es
wichtig gewesen, Hungtrung im Sinne einer Hinwendung zum «beruflich Machbaren» zu beraten. So habe er ihm den Berufswunsch «Journalist» zwar nicht ausreden wollen; es sei jedoch notwendig gewesen, diesem auf
einer Skala des Möglichen einen anderen Platz zuzuweisen.
Im Gegensatz zu anderen Kantonen, wo ähnliche Initiativen nur partiell laufen, ist der Aargau der erste Kanton, in dem das «Junior Mentoring»-Projekt gesamtkantonal durchgeführt wird. Neben dem zweitägigen Einführungsseminar sind vier Abendveranstaltungen pro Jahr dazu da, die Mentoren zu schulen und ihnen die Möglichkeit zum Informationsaustausch zu geben. Kurt Jenni und Miriam Koch bestätigen, dass sie aus ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit durchaus auch Nutzen ziehen können: So findet Jenni, dass ihm die Tätigkeit einen Praxisbezug vermittelt, der ihm in seiner sonstigen beruflichen Arbeit manchmal fehlt. Miriam Koch demgegenüber sieht Vorteile für ihre eigene Situation als Arbeitslose: «Durch die neuen Kontakte kann ich mir ein Netzwerk erarbeiten, das mir beruflich weiterhelfen kann.» Oberstes Ziel ist aber ganz klar die Hilfe bei der Lehrstellensuche. Sollte es bei Cigdem nicht klappen, hat sie noch die Möglichkeit, ein zehntes Schuljahr zu besuchen. Daran möchte sie aber im Moment nicht denken. «Ich finde etwas», ist sich die Schülerin vollkommen sicher.

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