«der arbeitsmarkt» 02/2005

Stutenbissigkeit oder Solidarität

Zwei neue, von Frauen geschriebene Bücher räumen mit dem lange gehätschelten Klischee von der gelebten Frauensolidarität am Arbeitsplatz auf.* Weibliche Konkurrenzkämpfe gibt es sehr wohl, doch wie laufen sie ab? Neun Frauen und vier Männer geben Antworten.

Christiane Völlmy, Quality time Führungsschulung und Laufbahnberatung,

früher Ombudsfrau ehemals Ciba-Geigy  Eine Hauptwaffe, mit der sich Frauen bekämpfen, ist, sich in Sachen Beziehungen gegenseitig das Wasser abzugraben. Als kleine Mädchen haben sie sich schon die Freundinnen und Schulschätze ausgespannt. Ihre Taktik ist, perfide negative Bemerkungen fallen zu lassen mit der Absicht, die Rivalin zum Beispiel bei einem Vorgesetzten, einem Freund oder einer Freundin in Misskredit zu bringen. Das gilt sowohl im beruflichen wie auch im privaten Umfeld.

Julia Onken, Buchautorin

Frauen haben gelernt zu konkurrenzieren, wer die Schönste und Dünnste ist, um einen hohen Marktwert zu erzielen. Das Äussere macht Frauen bereits zu Rivalinnen, dies ist auch bei intellektuellen Frauen so. Viele konkurrenzieren über das Äussere und lästern auch über das Äussere. Bei Christiane Brunner sagte man, dass sie wie eine Serviertochter aussehe und die falschen Schuhe trage. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel ist eine intelligente Frau, aber man redet über ihre Frisur. Über Männer mit Ranzen spricht man anders. Da diskutiert man über Leistung. Frauen schiessen ihre Pfeile auch hinterrücks ab. Das tun sie, um Druck abzulassen und um die direkte Konfrontation zu meiden. Frauen sollten sich nicht konkurrenzieren, sondern sich zu Seilschaften zusammenschliessen, was ja auch ihre Stärke ist, da sie eher beziehungsorientiert sind als Männer.

Sonja A.Buholzer, Wirtschafts- und Politberaterin

(Wirtschaftsberatung VESTALIA VISION) und Buchautorin  Männer duellieren sich tendenziell frontal im Morgengrauen und gehen nachher gemeinsam ein Bier trinken.
Es war Wettbewerb, Kräftemessen. Frauen kämpfen subtiler, im gediegeneren Rahmen. Sie diskutieren herzlich miteinander beim Trinken einer Tasse Mokka und hoffen, dass ihr Gegenüber dabei Magenweh bekommt. Eine Frau, die es schafft, autonom, organisiert und strukturiert zu sein, betrachtet Konkurrenz als Motiv zum Noch-besser-Werden. Neid muss man sich nämlich erkämpfen.
4 Franziska Tschudi, CEO, WICOR Holding AG  Frauen stellen hohe Anforderungen an das eigene Geschlecht. Sie erwarten, dass frau solidarisch, gut und lieb ist. Sie mussten sich in ihrer Geschichte ja auch nicht als Jäger oder Kämpfer behaupten, sondern wurden dazu erzogen, zu beschützen und zu bewahren.
Ein Konkurrenzkampf ist jedoch ein natürlicher Prozess und sollte unter Frauen nicht als etwas Schlechtes bewertet werden.

Roland Grüter, Redaktor Savoir-vivre,

«Tages-Anzeiger», ehemals Ressortleiter Lifestyle «Annabelle»  Das Konfliktpotenzial in Frauenteams ist nicht grösser als unter Männern. Konflikte und Konkurrenzkämpfe werden einfach anders ausgetragen; bei Frauen emotionaler und persönlicher. Die Argumente der Frauen sind eher «bauchiger» Natur, was zu Irritationen führen kann, weil sie zum Teil schwieriger nachvollziehbar sind. Frauen kommen sich näher als Männer, und was sich nahe ist, beisst sich auch eher. Wie Konflikte oder Konkurrenzkämpfe ausgetragen werden, ob unter Männern oder Frauen, ist letztlich auch eine Sache der gelebten Unternehmenskultur.

Dr. Margret Bürgisser, selbständig, Sozialforscherin

Der Konkurrenzkampf unter Frauen findet eher auf tieferen hierarchischen Stufen statt – da, wo es um kleine Würste geht. Wo es aber um die grosse Wurst geht, konkurrenzieren nicht mehr Frauen untereinander. Da steht eine Frau meistens einem Mann gegenüber. Zudem sind Frauen im Konkurrenzkampf unerfahrener. Dass ein Mann sich in übergeordneten Funktionen befindet, erscheint mancher Frau normal. Dass eine Frau Chefin ist, ist dagegen eher unüblich. Frauen fragen sich dann: Was hat die, was ich nicht habe?

Emilie Lieberherr, ehemalige Stadträtin und Vorsteherin des Sozialamtes in Zürich

Früher spürte man die Solidarität unter Frauen. Man setzte sich gemeinsam für eine Sache ein.
Frauen in qualifizierten Berufen und höheren Positionen waren ein Mangel. Sie waren gesucht, und ein Konkurrenzkampf unter Frauen hat darum eigentlich auch nicht stattgefunden.
Heute treten Frauen weniger für Frauen ein. Sie verfolgen, wenn sie aufsteigen wollen, knallhart ihre egoistischen Berufsziele, was eher zu einem Gegeneinander führt.

Sandra Studer, TV-Moderatorin und Sängerin

Für einen erfolgreichen Arbeitsprozess ist es nötig, dass man sich aneinander reibt. Wenn es vermehrt Konkurrenzkampf unter Frauen gibt, dann hat das wohl weniger mit typisch weiblicher Dynamik zu tun als mit der Tatsache, dass Frauen zum Glück im Erwerbsleben immer häufiger auf Frauen treffen. Die direkte Konkurrenz ergibt sich erst auf ähnlicher Funktionsstufe. Leider gehen wir mit dieser Konkurrenz nicht offen genug um und sagen zu wenig, was Sache ist. Frauen sind stark vom Herz gesteuert. Das beschert uns zwar eine hohe Sozialkompetenz, macht uns aber auch verletzlicher. Ein Schub Selbstbewusstsein kann der Frau da wohl auch in Zukunft nicht schaden.

Christa Stutz, Inhaberin SPECIAL, Agentur für nichtprofessionelle Modelle

Ob ein Konkurrenzkampf unter Frauen stattfindet, ist auch eine Frage des Intellekts. Im Mode-, Werbebereich spielt das Äussere, die Schönheit, eine wichtige Rolle. Je älter Frauen in unserem Business sind – das ist meine Erfahrung –, desto missgünstiger und habgieriger verhalten sie sich. Frauen tragen ihren Konkurrenzkampf auch mit sich selber aus. Eine Frau, die älter wird, erhält eine andere Schönheit und Ausstrahlung. Sie entspricht vielleicht nicht mehr den kommerziellen Vorstellungen. Frauen werden dadurch unsicher, den Ansprüchen nicht mehr zu genügen. Sie neigen dazu, andere Frauen unterzubewerten. Somit wird jede Frau, die «vermeintlich» attraktiver ist, als Konkurrenz angeschaut. Dies gilt im privaten und vor allem im geschäftlichen  Bereich, in dem es um Erfolg und Anerkennung und sogar um Narzissmus geht.

Filippo Leutenegger, CEO Jean Frey AG

Frauen versuchen Konkurrenzkämpfe im Berufsleben und in der Politik eher zu vermeiden. Sie tun dies mit Schlichtungsgebärden, zum Beispiel mit Küsschen auf die Wangen. Wenn Konkurrenzkampf unter Frauen stattfindet, hat das oft eine sehr persönliche und emotionale Note. Frauen stützen sich auf ihre Beziehungen,
versuchen Gefühlsgemeinschaften zu bilden. Männer hingegen bilden in dieser Situation eher eine Interessengemeinschaft. Wenn eine Frau eine andere politische Meinung und Haltung vertritt, wirkt das aus meiner Beobachtung für die anderen oft enttäuschend, manchmal fast wie ein Verrat. Mädchen verarbeiten beispielsweise den Druck in der Schule in der Regel anders als Buben. Sie sind eher bedacht, Freude zu bereiten, bei den Lehrern beliebt und geliebt zu werden. Knaben verarbeiten schulischen Druck tendenziell mit Verweigerung und hörbaren Unterrichtsstörungen. Dieses Verhalten wiederholt sich auch im Arbeitsprozess. Karrierebewusste Frauen mit Sexappeal fallen negativer auf. Und je auffälliger eine Frau ist, desto eher wird sie von anderen Frauen misstrauisch beobachtet. Frauen in Toppositionen sind tendenziell kompromissloser, emotionell entschiedener. Sie stossen damit aber auch auf Widerstand im eigenen Lager.

Jörg Kressig, Fotograf, Mode-/Beautyexperte, ehemaliger TV-Moderator

Frauen mussten sich schon immer mit anderen Frauen messen. Junge Frauen gehen das Thema Konkurrenzkampf und Stutenbissigkeit mit einem Selbstverständnis, mit einer Leichtigkeit an. Stutenbissigkeit ist eine versteckte Meuterei im Hinter- und Untergrund. Nach aussen hin werden feine, nett gemeinte, fast undurchschaubare Mitteilungen platziert. «Sie ist ja schon eine wahnsinnig Nette und macht ihren Job gut, aber dort und dort…» Die Botschaft und somit die Meuterei ist verdeckt. Frau sagt nicht: «Du blöde Kuh.» Stutenbissigkeit ist denn auch kein Rosstritt, sondern ein Biss. Und dieser Biss ist in der Emotion gegärt.
Gewinnen würden Frauen, wenn sie anstelle von Stutenbissigkeit Solidarität zeigen würden.

Viktor Giacobbo, Kabarettist und Autor

Konkurrenzkampf unter Frauen ist weniger direkt erkennbar als bei Männern, die bei Konkurrenz die frontale Auseinandersetzung suchen, imponieren, das Alphatier spielen und bei Bedarf massiv werden können. Bei Frauen spielt sich das Ganze eher auf Nebenschauplätzen ab, es werden diskrete Stellvertreterkriege geführt.

Patricia Fässler, Kulturförderin, Miss Schweiz 93/94

Eine gut aussehende Frau hat es grundsätzlich schwerer unter Frauen, da sie sich mehr beweisen muss. Trotzdem kann persönliches Konkurrenzdenken inspirieren, denn es kann durchaus auch ein konstruktives Konkurrenzdenken geben. Frauen sind für die Zusammenarbeit, für solidarisches Denken gemacht. Der Körper der Frau ist im Unterschied zu Männern nach innen ausgerichtet. Es müsste möglich sein, dass Frauen auch anders weiterkommen, indem sie als werdende «Mütter» oder als bereits bestehende Mütter wichtige Wertvorstellungen vermitteln und originelle Ideen in die Welt setzen. Viva la donna!

Literaturhinweis:

Anja Busse: «Zicken unter sich – Konflikte und Lösungen im weiblichen Konkurrenzkampf», Orell Füssli Verlag (Zürich), 192 Seiten, CHF 39.80, ISBN 3-280-05091-X
Leora Tanenbaum: «Catfight», Verlag Ariston,
220 Seiten, CHF 36.10, ISBN 3-7205-2511-2

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