«der arbeitsmarkt» 11/2004

Steife Brise – voll ins Gesicht

Sie suchten eine Lebensstelle, jetzt bangen sie um ihren Job: Die Beamten trifft die Wirtschaftskrise in der heutigen Zeit besonders hart.

Am vergangenen 23. September erlebte die Schweiz einen «Volksaufstand» der besonderen Art: Bundes- und Kantonsbeamte demonstrieren in Bern mit Transparenten und Fahnen gegen den Abbau im öffentlichen Dienst. In den meisten grösseren Städten und in vielen Ortschaften schliessen sich städtische, kommunale und kantonale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Protesten an. Sie drücken dabei nicht nur ihre Entrüstung über den Abbau des Service public aus, sondern vor allem die Sorge um den Arbeitsplatz. Den Bund nennen sie den «grössten Arbeitsplatzvernichter der Schweiz».
Unbegründet ist die Angst vor dem Verlust der Arbeitsstelle keineswegs. In den nächsten sechs Jahren sollen beim Bund gegen 5000 Stellen gestrichen werden, rund die Hälfte allein im Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), wovon 1100 im Bereich Verteidigung. Laut neuesten Meldungen werden in den kommenden Wochen insgesamt 18 Zeughäuser aufgehoben und sieben teilweise geschlossen. Betroffen sind unter anderem Bulle und Wangen an der Aare. In Bulle verlieren 24 Mitarbeiter ihren Job, es kommt allenfalls zu Frühpensionierungen. Im Zeughaus in Wangen an der Aare, das ins Eidgenössische Zeughaus in Bern integriert wird, werden bis Ende 2004 16 Stellen abgebaut.
Das ist für die Betroffenen nicht nur hart, für viele bedeutet es einen eigentlichen Schock. Denn es ist noch nicht lange her, da galt die Wahl zur Beamtin oder zum Beamten eines Bundesbetriebs als Lebensstelle – für manchen Arbeitnehmer noch immer das erstrebenswerteste berufliche Ziel. Beamte mussten sich im Gegensatz zu ihren Berufskolleginnen und -kollegen in der Privatwirtschaft keine Sorgen um den Arbeitsplatz
machen und wurden von den Mitmenschen ihrer Stellung wegen oft beneidet. Sie unterstanden einem besonderen Disziplinarrecht und waren für die Amtsführung zivil- und strafrechtlich verantwortlich. Ein Streikrecht wurde ihnen nicht oder nur sehr beschränkt eingeräumt.
Doch vor gut zehn Jahren wurde der Beamtenstatus aufgehoben, die Unkündbarkeit des Arbeitsplatzes gibt es seitdem nicht mehr. Verstärkt wurde der Druck auf die Staatsangestellten durch die schlechte Finanzlage der öffentlichen Hand, aber auch durch das Schüren alter Vorurteile. Über «faule Beamte» zu lästern, ist am helvetischen Stammtisch derzeit äusserst populär.
So bläst dem Beamtenheer ein rauer Wind ins Gesicht. «Ich denke, dass es erlaubt sein sollte, heute über Stellenabbau auf kantonaler und Bundesebene zumindest nachzudenken, ohne dass man gesteinigt wird», meint etwa der Aargauer SVP-Nationalrat Hans-Ulrich Mathys. Handlungsbedarf ortet er vor allem im höheren Kader: «Es herrscht noch immer die Unsitte, die Stäbe aufzublasen. Da wäre bestimmt noch etwas an Abbau möglich.» Vor übereilten Beschlüssen rät Mathys allerdings ab: «Viel Sinn macht es nicht, einerseits Arbeitsplatzreduktionen vorzunehmen, um dann externe Berater beizuziehen, die ein Mehrfaches kosten und auch nicht bessere Arbeit leisten.»
Auf die Problematik eines überhasteten Stellenabbaus verweist man auch im linken Lager. So meint etwa André Daguet, SP-Nationalrat, Vizepräsident der Gewerkschaft SMUV und ab Januar 2005 Mitglied der neugegründeten Gewerkschaft Unia: «Gerade von der öffentlichen Hand erwarte ich, dass sich die Verantwortlichen bei jedem Umstrukturierungsprojekt sehr genau überlegen, ob es praktikable Alternativen zu
allfälligen Entlassungen gibt. Es darf auch nicht noch einmal der Fehler passieren, dass nach einer Phase des Stellenabbaus plötzlich dringend wieder neues Personal gesucht werden muss.» Dass beim Bund überhaupt Stellen abgebaut werden müssen, ist für den Gewerkschafter zum Teil «Folge unsinniger Sparübungen, die zur Demontage des Service public führen».
Während der öffentliche Diskurs weitergeht, sucht man in der Bundesverwaltung nach Lösungen und Hilfestellungen für die Betroffenen. Ein Hilfsmittel ist die in diesem Sommer erlassene Verordnung «Umbau mit Perspektiven». Sie erlaubt die Einstellung eines externen Bewerbers erst nach dreimonatiger erfolgloser Suche innerhalb des Verwaltungsapparats. Zudem arbeitet das Eidgenössische Personalamt (EPA) an
einer eigenen Datenbank, die auf dem Personalinformationssystem basiert. Betroffene können sich dort selber eintragen, worauf ihr Profil mit offenen Jobs verglichen wird. Seit Ende September wird das System getestet und steht, sollte die Testphase positiv verlaufen, den Arbeitsuchenden Ende dieses Jahres zur Verfügung. (Erica Kunz)

Beamte – die Belastungsgrenze ist erreicht

Interview mit Judith Bucher, Zentralsekretärin vom Verband des Personals öffentlicher Dienste

«der arbeitsmarkt»:  Bund und Kantone wollen in den nächsten Jahren rund 9000 Stellen streichen. Was kann der vpod gegen den geplanten Abbau tun?
Judith Bucher: Wir wehren uns selbstverständlich dagegen. So führten wir am 23. September in der ganzen Schweiz einen grossen Aktions- und Protesttag durch, über den ausführlich berichtet wurde. Werden die Leistungen der öffentlichen Hand massiv gekürzt, bekommt das ja auch die Bevölkerung zu spüren. Geschlossene Kliniken, immer grössere Schulklassen – da hat der Stellenabbau direkte Auswirkungen.

Wird man Beamte, die der Volksmund gerne als träge oder gar faul bezeichnet, bald schmerzlich vermissen?
J.B.: Erstens hat dieses Klischee noch nie gestimmt, zweitens gibt es «die Beamten» in der Schweiz eigentlich gar nicht mehr.

Sie haben heute den Status von Angestellten. Wer arbeitet denn für die öffentliche Hand?

Das sind zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer, Pflegepersonal und Feuerwehrleute. Sie alle definieren sich über ihren Beruf, nicht über «Beamtentum», und haben als Berufsleute in der Öffentlichkeit auch kein schlechtes Image.

In der aktuellen Personalbefragung des Bundes zeigt sich, dass die Zufriedenheit abnimmt und Resignation weit verbreitet ist.
J.B.: Wenn man sich bei der Arbeit für etwas einsetzen will und trotzdem Jahr für Jahr nur mit Abbau konfrontiert wird, ist die Stimmung logischerweise nicht gut. Das betrifft aber nicht bloss den Bund.
Auch bei den Kantonen steht es mit der Zufriedenheit nicht zum Besten. Das ist mit ein Grund, dass mittlerweile Zehntausende aus dem öffentlichen Dienst auf die Strasse gehen.

Stellen bei Bund und Kantonen galten lange Zeit als krisensicher. Was geht in Angestellten vor, die jetzt entlassen werden und «ihre Amtsstelle» abgeben müssen?
J.B.: Eine Entlassung ist immer etwas Einschneidendes. Insofern ist das für alle dramatisch.

Müssen die verbleibenden Staatsangestellten mit massiver Mehrbelastung rechnen?
J.B.: Ja. Wir stellen schon seit Jahren fest, dass immer höhere Produktivität verlangt wird.

Steht es also mit dem Arbeitsklima auch bei jenen nicht zum Besten, die ihre Stelle behalten?
J.B.: Das ist ganz klar so. Umfrageergebnisse zeigen, dass die Arbeitsbedingungen die Belastungsgrenze erreicht haben. Ein gutes oder eben schlechtes Beispiel sind die Gefängnisse. Dort versucht man, mit massiven Überbelegungen Kosten zu sparen. Dabei ist die Arbeitsbelastung dort schon sehr hoch. Eine Zunahme des Stresses wirkt sich jedoch direkt auf Fluktuationsrate und Krankheitstage aus. Die Zahlen zu schweren Krankheiten bis zum Herzinfarkttod bei Angestellten im Strafvollzug sind dramatisch.

Schieben Bund und Kantone auch Angestellte in die IV ab?
J.B.: Der Druck in diese Richtung nimmt zu. Es ist aber generell so, dass es in wirtschaftlich schwierigen Zeiten vermehrt zu IV-Pensionierungen kommt. Da wird die öffentliche Hand bestimmt ihr Scherflein dazu beitragen. Es gibt allerdings auch gerechtfertigte IV-Pensionierungen.

Erleben Angestellte mit vielen Dienstjahren die Entlassung anders als solche, die noch nicht lange im Staatsdienst stehen?
J.B.: Entlassungen sind für ältere Personen generell schwieriger. Sie bekunden mehr Mühe, eine neue Stelle zu finden. Ausserdem werden mit langer Dienstzeit die Arbeit und der Betrieb zum wichtigen Teil des Lebens. Wenn dieser plötzlich fehlt, ist es psychisch schwierig, aus dem Loch herauszukommen und sich noch einmal aufzuraffen. Deshalb achten wir darauf, dass ältere Arbeitnehmer, die schon lange beim Arbeitgeber waren, nicht entlassen, sondern eher frühpensioniert werden. Dabei sind wir relativ erfolgreich.

Ändert es etwas für die Entlassenen, dass sie ihr Schicksal mit Tausenden teilen?
J.B.: Eine Entlassung ist für jeden Einzelnen ein schweres Schicksal. Jeder bleibt damit alleine, wie das auch in der Privatwirtschaft der Fall ist. Der einzige Vorteil ist, dass man im Arbeitskampf nicht alleine dasteht.
 
Was bietet der vpod seinen Mitgliedern, die von Entlassung bedroht sind?
J.B.: Zum einen kämpfen wir kollektiv vor Ort, um Entlassungen abzuwenden oder andere Lösungen zu finden. Wir bieten aber auch individuelle Beratung auf den kantonalen Sekretariaten. Bei schwierigen Fällen begleiten wir die Betroffenen zu den Vorgesetzten und suchen gemeinsam nach anderen Lösungen.

Und nach der Entlassung?
J.B.: Unseren Mitgliedern steht das Weiterbildungsangebot des gewerkschaftlichen Bildungsinstituts Movendo kostenlos zur Verfügung. Das sind vor allem persönlichkeitsbildende Kurse. Wir helfen ihnen aber auch, wenn sie Probleme mit dem RAV haben.

Fällt es ehemaligen Staatsdienern besonders schwer, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten?
J.B.: Da gibt es keine Unterschiede festzustellen. Alle müssen jeden Tag ihre Leistung bringen, ob sie jetzt bei einer grossen Firma oder beim Kanton arbeiten. Das funktioniert beim Staat genauso wie in der Privatwirtschaft.

Das Klischee ist auch hier deplatziert?
J.B.: So ist es. Mit dem Klischee vom faulen Beamten kann man wirklich und endgültig aufräumen. Es bringt nichts, zu sagen, Beamte seien so und so. Sie sind in erster Linie Berufsleute.    (Interview: Mike Niederer)

 

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