«der arbeitsmarkt» 12/2005

Silberstreifen am Horizont

Deutschland fördert per Gesetz erneuerbare Energien und schaffte damit 130000 Arbeitsplätze. In der Schweiz beschloss der Nationalrat ein ähnliches Regelwerk. Doch die etablierten Stromproduzenten schmollen, die Axpo will gar ihren Ökostrom abstellen.

Deutschland ist Weltmeister. «Dieser Tage hat Deutschland Japan überholt. Ein Drittel des Windstroms der Welt wird hier in der Bundesrepublik produziert», freute sich der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin Anfang des Jahres an einer Tagung in München. Der Grüne Trittin frohlockte: «Wir sind im letzten Jahr auch Spitzenreiter bei der installierten Fotovoltaik-Leistung geworden. Die deutsche Solarbranche setzte zwei Milliarden Euro um und schuf allein im letzten Jahr 5000 neue Arbeitsplätze.»
Möglich machten dies das so genannte Erneuerbare-Energien-Gesetz und ein Marktanreizprogramm. Damit schaffte die rot-grüne Regierung Investitionssicherheit für die Branche der erneuerbaren Energien. Laut Bundesumweltministerium beschäftigt diese schon jetzt 130000 Menschen. Bleiben die günstigen Rahmenbedingungen erhalten, arbeiten laut einer Umfrage im Jahr 2020 über 500000 Menschen in diesem Bereich. Trittin triumphierte: «Die erneuerbaren Energien haben ihren Anteil am Strom von 4 Prozent (1998) auf mehr als 10 Prozent gesteigert. Unser Ziel sind mindestens 20 Prozent des heutigen Strombedarfs bis 2020.»
Die Branche sorgt aber nicht nur für neue Arbeitsplätze und ökologischen Strom. Auch die Frankfurter Börse ist auf den Geschmack gekommen. «Zu der bereits beachtlich hohen Zahl kleiner Hersteller von Solartechnik gesellen sich in diesen Wochen weitere hinzu, die jeweils mit fulminanten Eröffnungsgewinnen an der Börse starten», schrieb die NZZ im Oktober. Vom Boom profitieren auch Firmen, die bereits an der Börse kotiert sind. Der deutsche Branchenleader Solarworld etwa versechsfachte seinen Aktienkurs im letzten Jahr. Auch die Windenergiebranche erlebte in den vergangenen Jahren einen vergleichbaren Aufschwung.
Der staatlich geförderte Wind- und Solar-Boom in Deutschland liess auch Schweizer Betriebe aufblühen. Die Bieler Firma Sputnik Engineering verdreifachte im Jahr 2004 ihren Personalbestand. Das Unternehmen stellt Wechselrichter für Solaranlagen her. Ihre Geräte wandeln den Gleichstrom von Solaranlagen in netztauglichen Wechselstrom um. Im europäischen Markt sind die Bieler Nummer drei. Seit 2001 vertreibt eine Tochterfirma die Produkte in Deutschland, woher der grösste Teil des Umsatzes stammt. Eine Expansion nach Übersee ist geplant. So weit hat es die Winterthurer Maag Gear noch nicht gebracht. Sie testet derzeit zusammen mit dem deutschen Windturbinenbauer Nordex in Schottland ein Getriebe für Windgeneratoren.
Der Boom der erneuerbaren Energien in Deutschland hat sich auch unter den Schweizer Politikern herumgesprochen. Bis weit ins bürgerliche Lager liess man sich von den Zahlen aus dem «grossen Kanton» beeindrucken. Die Umweltverbände konnten Werner Messmer, FDP-Nationalrat und Präsident des Baumeisterverbandes, sowie Hansjörg Walter, SVP-Nationalrat und Präsident des Bauernverbandes, für die Einführung eines ähnlichen Gesetzes wie in Deutschland gewinnen.

Zwischen 10000 und 20000 neue Stellen bis zum Jahr 2015

Die Bauwirtschaft erhofft sich davon ebenso neue Impulse wie die Bauern eine neue
Erwerbsmöglichkeit. Erstere würde wohl vermehrt Solaranlagen montieren, Letztere aus Biomasse Ökostrom produzieren. So votierte im September der Nationalrat mit grossem Mehr für das Gesetz. Einer der
feurigsten Verfechter der kostendeckenden Einspeisevergütung (gesetzlich garantierte Mindestpreise für Strom aus erneuerbaren Energien) ist der Umweltökonom Adrian Stiefel, Leiter Klima und Energie bei WWF Schweiz.
Stiefel erklärt die Regelung: «Auf jede verkaufte Kilowattstunde Strom werden 0,3 Rappen geschlagen. Aus diesen Einnahmen werden maximal 165 Millionen Franken jährlich in erneuerbare Energien investiert.» Damit nur profitable Anlagen Unterstützung erhalten, werden erst Normanlagen der verschiedenen Technologien (Windkraft, Solarenergie, Erdwärme, Biomasse) erstellt. Anhand ihrer Kosten wird die Vergütung
pro ins Netz gespeiste Kilowattstunde für alle Anlagen derselben Technologie errechnet. Jährlich wird die Vergütung gesenkt. Nach 20 Jahren Betrieb sollen die Anlagen ohne Unterstützung wirtschaften können.
Dieses Fördermodell soll die derzeit noch hohen Produktionskosten für Ökostrom auf ein verträgliches Niveau senken. «Investitionen fördern Forschung und Entwicklung und senken die Preise. Wird die Branche
konkurrenzfähig, boomt sie und wird zum Selbstläufer», sagt Stiefel und rechnet vor: «Mit der kostendeckenden Einspeisevergütung könnten bis 2015 rund 10000 bis 20000 Arbeitsplätze entstehen.» Diese Zahlen sind laut Stiefel Erfahrungswerte. Sie basieren auf Daten aus Ländern, die bereits ein vergleichbares Gesetz kennen. Eine Studie des WWF und eine des Bundes liefern ähnliche Schätzungen. Derzeit arbeiten laut WWF etwa 3000 Menschen in diesem Bereich.
Nun liegt es am Ständerat, grünes Licht zu geben. Stiefel gibt allerdings zu bedenken, dass fast jeder dritte Ständerat in einem Verwaltungsrat eines Kernkraftwerkbetreibers sitzt. Und er ahnt Böses: «Schickt
die kleine Kammer die kostendeckende Einspeisevergütung bachab, bedeutet dies das Ende der erneuerbaren Energie in der Schweiz.» Laut Wirtschaftszeitung «Cash» teilen in der Schweiz die fünf grössten Produzenten Axpo, die Oltner Atel, die Bernischen Kraftwerke, die Westschweizer EOS und das Elektrizitätswerk Zürich den Markt unter sich auf. Sie liefern 95 Prozent des hiesigen Stroms. Das Gesetz würde neuen Playern Zugang zum Markt verschaffen. Die Axpo als grösste Stromproduzentin investiert in den nächsten fünf Jahren 100 Millionen Franken in erneuerbare Energien. «Mit solch im Verhältnis zum Gewinn winzigen Beträgen bleibt die Technologie in der Nische. Anderen Investoren ist sie zu riskant. Die Stromproduzenten fördern sie für ihr Image», findet Stiefel. Im Jahr 2004 hat die Axpo 5,8 Milliarden Franken Umsatz und rund 500 Millionen Franken Gewinn gemacht.

Katerstimmung bei der Axpo

Die neuen erneuerbaren Energien (ohne Wasserkraft) lieferten 2004 gerade 1,57 Prozent an die gesamte Schweizer Stromproduktion. Doch laut Stiefel könnten die erneuerbaren Energien dereinst gar die Atomkraft ersetzen. Das bestreitet die Axpo. In ihren Stromperspektiven 2020 sagt das Unternehmen für das kommende Jahrzehnt eine Versorgungslücke voraus, die mit einem neuen Atom- oder Gaskraftwerk geschlossen werden soll. Für Adrian Stiefel ist das Angstmacherei: «So will man nur einen Grundsatzentscheid für den Bau eines neuen Atomkraftwerks erzwingen.»
Bei der Axpo herrschte am Tag nach dem Nationalratsentscheid Katerstimmung.Pressesprecher Hansjörg Schnetzer bedauert die Haltung der Politiker: «Wenn dereinst die Kernkraftwerke Leibstadt und Mühleberg vom Netz gehen, brauchen wir jede Menge Strom.» Im Gegensatz zu den Kernkraftwerken lieferten Wind- oder Solaranlagen nicht konstant Strom. «Deshalb setzen wir bei den neuen erneuerbaren Energien unter anderem auf Erdwärme.» Die Axpo unterstützt ein Projekt in Basel mit sechs Millionen Franken. Schnetzer weiter: «Die Axpo fördert Projekte, die zu sinnvollen Preisen marktgängig gemacht werden können.» Das Unternehmen bietet auch ökologische Stromprodukte wie Naturstrom an. Naturstromkunden finanzieren zudem mit dem Förderrappen, den sie pro Kilowattstunde entrichten, einen Fonds für erneuerbare Energien. Daraus werden Projekte und Studien für eine umweltschonende Stromerzeugung unterstützt.
Wie lange das Unternehmen aber seinen Naturstrom noch anbietet, ist offen. Dazu Schnetzer: «Es fragt sich, ob die Kunden bereit sind, zum Zuschlag von 2 bis 24 Rappen pro Kilowattstunde – je nach Produktionsmix – noch draufzuzahlen.» Derzeit kauft die Axpo von rund 60 Produzenten Öko-strom im Umfang von rund 70 Gigawattstunden. Sie entschädigt diese mit rund 1,3 Millionen Franken. Und das zusätzlich zu den heute schon vorgeschriebenen 15 Rappen Einspeisevergütung pro Kilowattstunde, welche die Ökostromproduzenten erhalten. Die 15 Rappen reichen eben oft nicht aus, um die Kosten zu decken. Mit der kostendeckenden Einspeisevergütung würden alle Kosten einer Anlage gedeckt und via Netz auf alle Stromkunden verlegt. Für die Axpo entfallen so «die in den letzten Jahren aufgebauten Produkte wie Axpo Naturstrom». Zudem dürften bei Annahme des vom Nationalrat beschlossenen Gesetzes die Produzenten der Strombranche kaum mehr interessiert sein, selber Anlagen aufzustellen. «Nur die unabhängigen Stromproduzenten haben Anrecht auf die
kostendeckende Einspeisevergütung. Somit wird dieses Gebiet für die «etablierten» Elektrizitätswerke mit öffentlich-rechtlichem Versorgungsauftrag wirtschaftlich uninteressant», sagt Schnetzer. Für ihn ist klar: «Wir sind nun aus dem Spiel. Nun sollen die Befürworter beweisen, dass mit der kostendeckenden Einspeisevergütung so viele Arbeitsplätze geschaffen werden können.»

Ökonomen glauben an das Potenzial der Branche

Das Bundesamt für Energie (BFE) bestätigt, dass nach heutigem Recht Energieunternehmen der öffentlichen Versorgung keine privilegierte Einspeisevergütung erhalten. «Der Nationalrat will diese Einschränkung aufheben», sagt Martin Renggli, Leiter der Abteilung Energiewirtschaft. Zudem soll die bereits bestehende Einspeisevergütung für existierende Stromproduktionsanlagen, die erneuerbare Energien nutzen, erhalten
werden. Das BFE ist der Auffassung, dass bei einer Einführung der kostendeckenden Einspeisevergütung Kunden nicht doppelt belastet werden sollen. Falls Produzenten auf die Vergütung verzichten, wäre eine direkte Vermarktung ihres Ökostroms weiterhin möglich.
Wer soll denn nun mit Investitionen zum Schweizer Boom in der Branche der erneuerbaren Energien beitragen, wenn sich die grossen Stromproduzenten – wie in Deutschland – daraus zurückziehen? Bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB) gibt man sich betreffend Kreditvergabe an Unternehmen aus dem Bereich erneuerbare Energien eher zurückhaltend. «Die ZKB erachtet erneuerbare Energien als wichtige Träger in der zukünftigen Energieversorgung», sagt Robert Hauser von der Research-Abteilung. Firmen, die ihre Kosten unter Kontrolle hätten, seien «sicherlich zukunftsträchtig». Nicht zuletzt ist die Unterstützung einer umweltverträglichen Entwicklung im gesetzlichen Leistungsauftrag als Ziel festgeschrieben. Die Kreditvergabe erfolge aber «unabhängig von der aktuellen politischen Konstellation. Die ZKB wendet eine individuelle Kreditprüfung mit branchenunabhängigen Bewertungskriterien an», so Hauser.
Dennoch: Auch bei der grössten Schweizer Kantonalbank glauben die Ökonomen an das Potenzial der Branche. «Die neue Gesetzeslage könnte sehr wohl einen Investitionsschub auslösen», sagt Hauser. Da der Wettbewerb etwa bei den Solarstromanlagen-Anbietern jedoch schon spiele, dürfte der Schweiz eher als Ab-nehmerin denn als Produzentin eine grosse Rolle zukommen. Die Mehrheit neuer Arbeitsplätze würde wohl im KMU-Bereich (etwa Installationen) geschaffen. Gerade Installationsdienstleistungen seien aber nicht wertschöpfungsintensiv, gibt Hauser zu bedenken.
Auf eine Schätzung, wie viele Stellen neu entstehen könnten, lässt sich die ZKB nur indirekt ein. Die Zahl von 130000 neu entstandenen Stellen in Deutschland würde auf hiesige Verhältnisse umgerechnet 10000 bis 20000 Arbeitsplätze ergeben. Dass in der Schweiz noch eine grössere Solar- oder Windturbinenfirma entsteht, glauben die Zürcher Banker nicht. Die Schweiz habe die Entwicklung im Solarbereich verpasst und sei für den Windbereich nicht geeignet. Und Hauser warnt: «Bei Erdwärme und Biomasse könnte Ähnliches passieren,
wenn sich die Schweiz nicht bemüht, die richtigen Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen.»

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