«der arbeitsmarkt» 01/2006

Sicherheit ist eine individuelle Angelegenheit

Über Neujahr hat der Tourismus Hochsaison. Doch die Branche ist krisenanfälliger denn je. Wie gehen die Veranstalter damit um? «der arbeitsmarkt» befragte Roland Schmid, Leiter Krisenstab der TUI Suisse.

«der arbeitsmarkt»: Vor bald zwei Jahren stürzte in Sharm el Sheikh ein Flugzeug der Flash Airlines ab. Wegen des starken Buchungsrückganges haben TUI und andere Veranstalter später Kurzarbeit eingeführt…

Roland Schmid: Mit Flash Airlines sind wir nie geflogen. Die Kurzarbeit im Sommer 2003 hat einen anderen Hintergrund. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 in New York, auf Djerba und Bali 2002, dem Irak-Krieg und der Ausbreitung von Sars 2003 sank die Reiselust spürbar. Die wirtschaftliche Krise in der Schweiz verstärkte den negativen Trend zusätzlich. Die Reiseunternehmen verloren zwischen dem 11. September 2001 und 2004 zwischen 20 und 30 Prozent Umsatz.

Müssen Personen, die in der Reisebranche arbeiten, weiterhin um ihre Stelle fürchten?
Der globale Reisemarkt verzeichnet trotz aller Unsicherheiten und den einzelnen negativen Ereignissen eine positive Entwicklung. Im Tourismus werden nach wie vor mehr Stellen geschaffen als reduziert. Doch das Reiseverhalten der Gäste verändert sich. Damit wechseln auch die Anforderungen an die Mitarbeitenden.

Sie sind also optimistisch?
Ja. Es geht langsam wieder aufwärts. Noch nicht überall, doch TUI hat letztes Jahr ein Plus von 9 Prozent erreicht. Bis jetzt haben wir für 2005 etwa 10 Prozent Umsatzwachstum. Ich denke, das hat damit zu tun, dass sich unsere Pauschal- und Individualangebote stärker an den Wünschen unserer Gäste orientieren.

In seinem neuen Buch «Das Risiko fährt mit» vergleicht der Aviatikexperte Tim van Beveren die Flugsicherheit mit dem Emmentaler Käse und erwähnt vor allem Einsparungen und Personalabbau als Hauptgründe für deren Verschlechterung. Wie reagiert TUI auf diese Entwicklung?
Als Reiseunternehmen inspizieren wir die Flugzeuge am Flughafen nicht selbst mit Taschenlampe und Schraubenzieher. Wir machen es eigentlich wie mit den Autos: Die Motorfahrzeugkontrolle prüft ein Auto und entscheidet, ob ich damit fahren darf oder nicht. Wenn das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) uns sagt, ein Flugzeug habe Lande- und Starterlaubnis, dann ist das für uns okay. Wir halten uns an eine offizielle Stelle.

Das ist alles?
Dadurch, dass wir international vernetzt sind, nutzen wir auch andere Kanäle und fragen sofort nach, ob die eine oder andere Fluggesellschaft auch in Deutschland, Holland oder England über ein Bewilligung verfügt. Allein im Konzern haben wir etwa 100 Flugzeuge, demzufolge auch konzerneigene Spezialisten. Wir arbeiten nicht mit Gesellschaften, die zweifelhaft sind oder irgendwo keine Zulassungsbewilligung haben. Die Auswahl an seriösen Airlines ist gross genug.

Eigentlich sind Sie besser vernetzt als der Bund.
Ich kenne die Informationskanäle und das Netzwerk des Bundes nicht. Am 4. Oktober hat der Ständerat einem Beitritt zur Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) zugestimmt. Ausstehend ist noch der Entscheid des Nationalrates. Wir sind der Meinung, dass die Schweiz der EASA beitreten muss, um ihre Interessen im europäischen Umfeld wirksam wahrnehmen zu können. Der grosse Vorteil der EASA-Normen wird sein, dass sie in ganz Europa gültig sein werden. Ein Fall wie Flash Airlines – in der Schweiz verboten, in anderen europäischen Ländern zugelassen – wäre nicht mehr möglich.

Sie sprechen die schwarzen Listen an. 2003 hiess es noch, eine solche Liste könne aus Datenschutzgründen nicht publiziert werden.
Wir begrüssen es, wenn solche Listen veröffentlicht werden. Die renommierten Schweizer Veranstalter schreiben in ihren Katalogen, mit welchen Gesellschaften jeweils geflogen wird. Zu Recht. Die Kundinnen und Kunden können sich unter einem bestimmten Namen etwas vorstellen und sich selbst ein Bild über die Zuverlässigkeit einer bestimmten Airline verschaffen.

Der Bund kann nur Stichprobenkontrollen machen – 2004 waren es etwa 250 bei über 100000 Flügen.
Ein Restrisiko besteht bei Stichproben immer. Eine Fluggesellschaft fliegt meist nicht nur die Schweiz an. Sie wird erstens durch die staatliche Behörde im Heimatland kontrolliert. Zweitens benötigt sie von allen Ländern, die angeflogen werden, die entsprechenden Zertifikate, und drittens können Stichproben an allen Flughäfen durchgeführt werden, die ein Flugzeug anfliegt. Die Frage ist, wie viele Proben es braucht und wie intensiv diese gemacht werden.

Stichwort Reorganisation des BAZL: Im Juni 2003 wurde eine Studie veröffentlicht, die erhebliche Mängel im Sicherheitsmanagement des BAZL feststellt. Anfang 2005 folgte eine Pressemitteilung, wonach diese Mängel behoben worden seien. Nur zwei Monate später förderte SP-Nationalrat Hans Widmer zutage, dass ausgerechnet jenes Team, das für das Verbot der Flash Airlines verantwortlich gewesen war, verwaist sei und über Weihnachten nicht mehr operationell war. Wie können Sie unter solchen Umständen die Sicherheit der Passagiere gewährleisten?

Aus der Sicht eines Reiseveranstalters kann ich Folgendes sagen: Wenn der Katalog publiziert ist, haben wir die Sonderflüge für eine Saison oder ein Jahr eingekauft. Das heisst, dass eine Fluggesellschaft für uns regelmässig von A nach B fliegt. Wir haben deshalb nicht ausgerechnet an Weihnachten das Bedürfnis, mit einer Gesellschaft neu in Verhandlungen zu treten. Wenn wir Hinweise haben, die nahe legen, nochmals eine Kontrolle durchzuführen, veranlassen wir diese umgehend.

Wie steht es mit dem Verursacherprinzip?
Wenn wir eine Fluggesellschaft unter Vertrag nehmen, muss sie die international vorgeschriebenen Bewilligungen vorlegen. Im Flugpreis sind die Kosten für den sicheren Betrieb der Flugzeuge enthalten. Wir erwarten, dass die Flüge nach den geltenden Sicherheitsstandards durchgeführt werden. Dazu gehören unter anderem die technische Betriebssicherheit und die Ausbildung des Cockpit- und Kabinenpersonals. Das ist bei den Hotels ähnlich.

Mir scheint, beim Hotel läuft es einiges besser.
Es ist weniger komplex. Flugverkehr ist ein staatliches Metier. Klar: In der Verantwortung sind wir schon, wenn etwas eschieht. Da müssen wir uns die Fragen gefallen lassen, nach welchen Kriterien wir die Leistungserbringer ausgewählt und kontrolliert haben. Diese unternehmerische Pflicht ist uns auferlegt.

Da hat sich im Rahmen des Beitritts der Schweiz zum Montrealer Übereinkommen einiges geändert. Können Sie das ein bisschen ausführen?
Das Montrealer löst das langjährige Warschauer Abkommen ab. Da sind die Haftungsfragen bei Flugunfällen neu geregelt. Dem Warschauer Abkommen wurde immer wieder vorgeworfen, es enthalte zu niedrige Entschädigungen. Das hat man korrigiert. Neu dazugekommen sind auch die Vorauszahlungspflicht und die Möglichkeit, im eigenen Land zu klagen.

Auf der Homepage ciao.de finden sich regelmässig Informationen und Berichte über nahezu alle Airlines. Solche Foren entstehen eindeutig, weil die Leute zu wenig Informationen erhalten oder diesen misstrauen. Was halten Sie von einem solchen Angebot?
Alles, was zur Sicherheit, zur Aufklärung und zur Information des Publikums beiträgt, ist wertvoll. Man muss jedoch versuchen, die Beurteilung zu objektivieren. Viele Forumsinformationen enthalten subjektive Eindrücke, persönliche Einschätzungen, Wertungen. Fliegen ist ein sehr emotionales Thema. Viele Frauen und Männer, Buben und Mädchen fühlen etwas Besonderes, wenn sie ein Flugzeug sehen. Die einen haben Angst, die anderen Freude. In den Reisebüros geben wir den Kunden meist auf Anfrage die Informationen, die ihnen helfen, das emotionale Erlebnis Flugreise geniessen zu können.

Die Antwort auf die Frage, ob es eine sichere Fluggesellschaft ist, wird bei jedem Reisebüro «ja» sein. Niemand wird sagen: «Wissen Sie, eigentlich nicht so, aber fliegen Sie einfach mal damit.»

Die Frage nach der Sicherheit ist häufig und stellt sich ähnlich auch für die Ferienorte: «Ist das Land A sicher?» Ich sage nicht, dieses oder jenes Land ist sicher. Ich weise auf die Reisehinweise des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten hin. Den Entscheid, ob es für Sie persönlich sicher oder unsicher ist, müssen Sie fällen. Nach den Anschlägen vom 23. Juli in Sharm el Sheikh registrierten wir neben Annullationen wieder Neubuchungen, primär von Personen, die den Ort schon kannten.

Sie sind seit 1997 Leiter des Krisenstabs bei Imholz/TUI. Ihr erster Job war die Bewältigung der Luxor-Tragödie. Sitzen Sie Krisen einfach aus?
Zum Sitzen bleibt uns keine Zeit. Als erste Lehre aus dem tragischen Ereignis Luxor im Jahr 1997 führte man in der Schweiz die Reisehinweise ein. Die gab es zuvor nicht. Nebst der durchgehenden telefonischen Erreichbarkeit an den Ferienorten und in der Schweiz betreibt die World of TUI in Deutschland eine Einsatzstelle, die 24 Stunden besetzt ist und die Entwicklungen rund um die Erde aufmerksam verfolgt. Wir haben auf diesen Winter das Krisenmanagement von Imholz (TUI Suisse), Deutschland und Österreich durch eine unabhängige Organisation prüfen und zertifizieren lassen. Wir haben einen Notfallordner mit vorgedruckten Formularen, Telefonnummern, Aufgaben- und Checklisten für den Krisenstab und spezifische Funktionen, Verhaltensregeln für Mitarbeitende, Prozessabläufen. Da steckt viel Arbeit drin – von Ruhe keine Spur.

Hand aufs Herz: Von aussen gesehen, könnte man sagen, der Herr Schmid ist ein armer Kerl. Der muss immer wieder die gleichen Geschichten durchmachen.
Es sind immer wieder andere. Wir beschäftigen uns nicht nur mit grossen Sachen, die in der Öffentlichkeit stehen. Die Sicherheit unserer Kunden müssen wir in  unterschiedlichsten Situationen jederzeit gewährleisten. Zum Beispiel wenn ein Waldbrand ein Hotel bedroht oder im Fall von Legionärskrankheit in einem Hotel, bei der man sich durch das Einatmen von Wassernebel anstecken könnte. Denken Sie auch an die tropischen Wirbelstürme in der Karibik: Da sind sofort ein paar hundert Kunden betroffen. Um die Sicherheit der Gäste zu gewährleisten, müssen wir Null Komma plötzlich entsprechende Massnahmen treffen.
 
Kommen Sie noch dazu, Weihnachten im Familienkreis zu feiern?
Ich habe eine verständnisvolle Familie – das muss so sein. Vor 20 Jahren musste ein Reiseveranstalter einen Ferienort erschliessen. Niemand fragte nach Sicherheit. Heute wollen wir Individualität, Komfort und Bequemlichkeit geniessen. Doch nur – ob ausgesprochen oder nicht – wenn alles abgesichert ist. Nach Sharm el Sheikh rief mich eine besorgte Mutter an und fragte, ob wir sie heimholen würden, wenn etwas passierte. Personen, die ihre Reise selbst organisieren und die Beratungs- und Serviceleistungen eines Reisebüros nicht in Anspruch nehmen, sind in ausserordentlichen Lagen auf sich gestellt. Darum macht es mir nichts aus, für die Kunden auch an Weihnachten bereit zu sein. Das ist meine Aufgabe, das ist unsere Aufgabe als Team, denn allein kann man das nicht tun.

Zur PDF-Version: