«der arbeitsmarkt» 07/2005

Sag mir, was du spielst, ich sag dir, was du wirst

Wer als Kind gerne seinen Fantasien nachhängt, wird später eher einen kreativen Beruf ergreifen. Draufgängerische Kinder werden eher Manager oder Politiker. Claudia Schellenberg, Assistentin an der Abteilung Angewandte Psychologie der Uni Zürich, erklärt, warum sich schon in jungen Jahren abzeichnet, wohin sich jemand beruflich entwickeln wird.

«der arbeitsmarkt»: Früher haben die Menschen ihr ganzes Berufsleben lang den gleichen Job ausgeübt. Heute erfordert die schnelllebige Arbeitswelt flexible Arbeitnehmer: Umschulungen, Weiterbildungen und Neuorientierungen gehören zum Beruf. Besteht noch ein Zusammenhang zwischen dem, was man einmal gelernt hat, und dem Beruf, den man 20 Jahre später ausübt?
Claudia Schellenberg: Ja, es besteht ein grosser Zusammenhang. Ich kann jedoch nur aus der Vogelperspektive reden. Wir untersuchen die Laufbahn von Menschen nicht auf der Ebene einzelner Berufe, sondern auf der Ebene psychologisch verwandter Berufsgruppen oder -felder: Berufe, die sich durch eine psychologische Verwandtschaft auszeichnen, werden zu einer Gruppe zusammengefasst. Der Laufbahnpsychologe John L.Holland unterscheidet zwischen der künstlerischen, sozialen, handwerklichen, unternehmerischen, konventionellen und forschenden Berufsgruppe. Studien haben gezeigt: Die Menschen wechseln ihren Beruf oft nicht grundlegend. Die meisten bleiben dem Berufsfeld, in das sie eingestiegen sind, treu. Hat eine Person etwa Krankenschwester gelernt, ist sie nach 20 Jahren mit grosser Wahrscheinlichkeit noch immer in einem Beruf tätig, der mit Menschen zu tun hat.

Warum ist das so?
C.S.: Weil man den Beruf auch nach seiner Persönlichkeit auswählt. Und die bleibt in den Grundzügen relativ stabil. Für unsere Langzeitstudie haben wir bei knapp 400 15-jährigen Mädchen und Knaben mittels verschiedener Adjektive die Persönlichkeit und die beruflichen Interessen erhoben. Sie wurden anhand der Persönlichkeit den sechs Holland-Typen zugeteilt (siehe Kasten). Bei der Theorie von John L.Holland wird die Persönlichkeit analog zu den Berufsgruppen nach denselben sechs Typen beschrieben. Später, als die Jugendlichen 19 Jahre alt waren, hat man untersucht, welchen Ausbildungsberuf sie gewählt haben. Weitere
17 Jahre später wurde erhoben, in welchem Beruf sie sich nun, mit 36, befinden. Die Studie zeigt: Man kann anhand des Persönlichkeitstyps mit 15 Jahren bis zu einem gewissen Grad voraussagen, wo eine Person später tätig sein wird. Die Interessen und die Persönlichkeit haben eine Prognosekraft für den späteren beruflichen Weg. Am stärksten war der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und späterem Beruf beim unternehmerischen Typ. Aktiv, draufgängerisch, zielstrebig, dynamisch und kontaktfreudig sind ein paar Adjektive, die diesen Typ auszeichnen. Viele Jugendliche, die diese Eigenschaften besassen, waren später tatsächlich in einer Führungsposition.

Wird also, wer schon mit 15 ein Unternehmertyp ist, später Manager?
C.S.: Die Daten zeigen in diese Richtung. Jugendliche, die sich mit 15 Jahren als «aktiv», «schnell», «unabhängig» und «selbstbewusst» beschreiben, sind später häufiger in einem Beruf mit Führungsaufgaben tätig. Sie nehmen vermutlich ihre Karriere mehr in die Hand, haben das Gefühl, sie schaffen das – und
können es dann auch.
Wenn der Berufstyp gewechselt wird, dann sind die Diskontinuitäten häufig durch einen beruflichen Aufstieg begründet. So führt der Wechsel am häufigsten in einen unternehmerischen Beruf. Im Laufe der Karriere steigt man auf, übernimmt mehr Verantwortung und arbeitet nachher in einer Tätigkeit, die zum unternehmerischen Berufstyp gezählt wird. Dazu gehört zum Beispiel der Maler, der sich selbständig macht und ein eigenes Geschäft eröffnet.

Lässt man sich mit 15 nicht von seiner Umwelt – von den Freunden, den Eltern – beeinflussen?
C.S.: Die familiäre und schulische Sozialisation beeinflusst die Berufswahl sicher entscheidend. Nichtsdestotrotz zeigen die Daten, dass es für die Wahl der beruflichen Tätigkeit wichtig scheint, dass diese gut zur eigenen Persönlichkeit passt. Dies sieht man unter anderem darin, dass die Vorhersagekraft des Persönlichkeitstyps bis ins mittlere Erwachsenenalter bestehen bleibt. Auch wenn man sich beeinflussen lässt, sei es durch Arbeitserfahrungen und das soziale Umfeld, ändert man die Persönlichkeitseigenschaften nicht grundlegend und interessiert sich immer noch für ähnliche Dinge wie damals in der Jugendzeit.

Wegen des Lehrstellenmangels haben Jugendliche heute weniger Wahlmöglichkeiten als früher und müssen unter Umständen auf einen anderen als den Traumberuf ausweichen. Geraten einige dadurch in ein Berufsfeld, das ihrer Persönlichkeit weniger entspricht?
C.S.: Ja, heutzutage ist es schwierig, den Wunschberuf erlernen zu können. Die Top-Ten-Liste der Lehrstellen bei Jugendlichen wird bei den Knaben angeführt vom Automechaniker, bei Mädchen von der KV- oder Coiffeurlehre. Hier gibt es eine begrenzte Anzahl Lehrstellen, die besetzt werden können. Viele Jugendliche müssen auf eine andere Lehre ausweichen oder eine Zwischenlösung suchen. Sie suchen meistens nach
Alternativen, die nahe beim ersten Berufswunsch liegen: Statt Automechaniker lernt ein Junge dann vielleicht Autolackierer. Und ein Mädchen, das eigentlich Coiffeuse lernen möchte, weicht höchstwahrscheinlich nicht auf einen mathematischen Beruf aus, sondern lernt einen interessensverwandten Beruf wie beispielsweise Kosmetikerin. Für viele Jugendliche ist die Arbeitssuche mit extremer Frustration verbunden. Ein Schulabgänger muss heute bis zu 80 Bewerbungen schreiben, bis er bei der Lehrstellensuche erfolgreich ist. Andererseits gibt es Lehrstellen, die nicht besetzt werden, weil sich nur wenige dafür interessieren.

Wollen alle dasselbe lernen?  
C.S.: Nicht ganz. Zunächst einmal entscheiden sich etwa 80 Prozent der Jugendlichen für eine Lehre und rund 20 Prozent für eine weiterführende schulische Ausbildung. Dann muss zwischen Mädchen und Knaben unterschieden werden. 80 Prozent aller Knaben wählen einen handwerklich-technischen Beruf. Mädchen starten am häufigs-ten – zu je rund 25 Prozent – in einem sozialen Beruf und werden beispielsweise Primarlehrerin oder Kindergärtnerin, oder sie wählen einen konventionellen Beruf wie kaufmännische Angestellte.

Ist der Unterschied zwischen Mädchen und Knaben gross?
C.S.: Ja. Frauen wählen beispielsweise häufig typische «Frauenberufe» wie Kranken-schwester, Coiffeuse oder Dentalassistentin. Männer wählen typische «Männerberufe» wie Mechaniker, Schreiner oder Elektroniker. Ab einem einseitigen Geschlechteranteil von ungefähr 80 Prozent redet man von einem frauen- respektive männerdominierten Beruf. Beide Geschlechter – aber insbesondere die Frauen – wählen ausserdem aus einem sehr kleinen Berufsspektrum aus: Unter den zehn häufigst gewählten Berufsausbildungen befinden sich 80 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer – wobei alleine das KV von knapp der Hälfte der Frauen und 18 Prozent  der Männer gewählt wird. Das ist eine augenfällige Konzentration auf wenige aus rund 400 Berufen.

Was steckt dahinter?
C.S.: Ein zentraler psychologischer Faktor für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern scheint in den Interessen zu liegen. Der Psychologe Dale J.Prediger unterteilt die sechs Berufstypen in personen- und
sachorientierte Berufe. Sachorientiert sind die konventionellen, untersuchenden, handwerklichen Berufe, personenorientiert die sozialen, kreativen und unternehmerischen. Frauen sind bedeutend interessierter an
personenorientierten Berufen, Männer an sachorientierten. Frauen bevorzugen klar Tätigkeiten, bei denen sie mit Menschen zu tun haben, Männer solche, in denen die Auseinandersetzung mit Dingen im Vordergrund steht. Frauen verhalten sich auch in anderen Bereichen im Laufe ihrer Karriere anders. Obwohl das Ausbildungsniveau bei Männern und Frauen heute angeglichen ist, besetzen sie zum Beispiel weniger Kaderstellen oder arbeiten seltener Vollzeit.

Warum ist das so?
C.S.: Es gibt eine Vielzahl von Theorien, die sich mit dem oftmals tieferen Status der Frauen befassen. Vielfach wird der Grund darin gesehen, dass die typischen Frauenberufe andere Start- und Entwicklungschancen bieten: Männerberufe schneiden hinsichtlich Bezahlung, Prestige und Karrierechancen gegenüber den Frauenberufen in der Regel besser ab. Es gibt hierzu aber auch noch andere interessante theoretische Ansätze, welche die Unterschiede auf die Doppelorientierung von Familie und Beruf zurückführen. Die Idee dabei ist, dass Mädchen bei der Berufswahl häufig im Hinterkopf haben, dass sie einmal eine Familie wollen. Sie steigen deshalb seltener in einen Beruf ein, der mit jahrelanger Weiterbildung verbunden ist. Oder sie wählen einen Beruf nicht nach Interesse, sondern nach anderen Kriterien: Sie wollen vor dem Familienleben Verschiedenes ausprobieren oder vor allem Geld verdienen. Später haben die Frauen Kinder und reduzieren ihr Pensum oder steigen aus. Männer übernehmen die Ernährerfunktion, strengen sich auf der Karriereleiter mehr an und bilden sich laufend weiter. Die Bildungsschere wird so immer grösser. Die Möglichkeit, später das Arbeitspensum zu tauschen, wird immer kleiner, weil die Frauen vom Berufsleben weiter entfernt sind. Das zeigt sich auch in unserer Studie: Der Zusammenhang zwischen der Persönlichkeit mit 15 und dem Beruf mit 36 ist bei den Männern deutlich stärker als bei den Frauen.

Frauen wählen ihren Beruf also nicht nach ihrer Persönlichkeit?
C.S.: Männer wählen eher einen Beruf, der ihrer Persönlichkeit entspricht, als Frauen. Das heisst aber nicht, dass Frauen ihren Beruf nicht nach ihrer Persönlichkeit wählen. Um diese Frage aber abschliessend beantworten zu können, bedarf es weiterer Untersuchungen. Die Vermutung liegt aber wie gesagt nahe, dass Frauen teilweise aus anderen Gründen in einen Beruf einsteigen als Männer; zum Teil auch mit weniger ausgeprägter Langzeitperspektive und Karriereplanung. Dahinter stecken oftmals unterschiedliche Rollenvorstellungen bezüglich Familie und Beruf. Zudem sind viele Frauen mit 36 Jahren schon aus ihrem angestammten Beruf ausgestiegen, weil sie Kinder haben, und arbeiten in oftmals weniger qualifizierten Stellen Teilzeit.

Sie sagen, dass man die Berufsgruppe über die ganze Laufbahn hin gesehen kaum wechselt. Gibt es Berufsgruppen, die besonders stabil sind?
C.S.: Ja. Es zeigen sich je nach gelernten Berufen gewisse Unterschiede: Als besonders stabil haben sich Laufbahnen erwiesen, die in einem sozialen oder konventionellen Beruf begonnen haben. Am instabilsten scheint die handwerkliche Berufsgruppe zu sein: Ein grosser Teil wechselt irgendwann während des Arbeitslebens von einer handwerklichen zu einer unternehmerischen Berufstätigkeit: beispielsweise eben der
Maler, der sich selbständig macht.

Früher hat man sich über die Laufbahn kaum Gedanken gemacht. Man trat häufig in die Fussstapfen des Vaters und hatte keine Wahl. Hatte man es damals schwerer oder leichter?
C.S.: Das familiäre Umfeld ist heute noch immer sehr wichtig. Die Interessen der Eltern haben eine grosse Bedeutung und prägen einen stark. Ausserdem gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Ausbildungsniveau der Eltern und demjenigen der Kinder, wie Studien gezeigt haben. Heute will man sich in der Arbeit verwirklichen. Es hat ein Wertewandel stattgefunden. Die Arbeit hat an Bedeutung gewonnen, die Freizeit auch, aber nicht auf Kosten der Arbeit. Vielmehr hat eine Ausweitung der Lebensinteressen stattgefunden. Laufbahnberatung und Coaching boomen zurzeit stark, die Menschen wollen die Arbeit finden, die zu ihnen passt. Ob das nun ein Vorteil oder ein Nachteil ist, muss man wahrscheinlich individuell betrachten.

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