«der arbeitsmarkt» 11/2014TEXT: Claudia Kuhn
Home Office

Noch wenig verbreitet, aber mit Potenzial

Zwei Drittel der Schweizer Arbeitnehmenden wünschen sich eine flexible Gestaltung ihrer Arbeit, doch nur wenige haben die Möglichkeit. Trotz unbestreitbarer Vorteile harzt die Einführung von flexiblen und mobilen Arbeitsmodellen. 

Gemütlich mit der Familie frühstücken, danach von zu Hause aus arbeiten, anstatt ins Büro zu fahren. Die Kleine zum Musikunterricht bringen, am Nachmittag bei schönem Wetter einen Spaziergang machen, später an einer virtuellen Konferenz teilnehmen, mit der Familie abendessen und danach die 
E-Mails lesen. So könnte ein zukünftiger Arbeitstag aussehen. Flexibel-mobile Arbeitsformen, wie das Home Office, werden als Arbeitsmodelle der Zukunft gehandelt. Doch bis jetzt ist örtlich flexible Arbeit in der Schweiz nicht weit verbreitet. Das Home Office hat gerade einmal einen Anteil von 0,9 Prozent an der geleisteten Arbeitszeit. Laut einer Studie der Universität St. Gallen aus dem Jahr 2010 könnte das Modell viel verbreiteter sein: 450 000 Arbeitnehmende könnten mindestens einen Tag pro Woche im Home Office arbeiten.

In der Region Zürich ist räumlich flexible Arbeit am stärksten verbreitet, am wenigsten im Tessin und um den Genfersee. Ausländische Unternehmen bieten mehr flexibles Arbeiten an als inländische, so das Ergebnis einer Studie des Bundesamtes für Energie (BFE) von Januar 2014. Vor allem wissensintensive und büroorientierte Tätigkeiten können vom Home Office aus erledigt werden.

Home Office macht Sinn

Flexible Arbeitsformen wie das Home Office bringen Vorteile für Mitarbeitende, Unternehmen und Umwelt, so die Befürworter. «Mitarbeiterbefragungen zeigen klar, dass die Möglichkeit, selbstbestimmt zu arbeiten, die Zufriedenheit erhöht und den Stress reduziert. Die höhere Flexibilität bringt eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie. Beide Punkte führen zu einer höheren Leistung», sagt Danny Schweingruber, Leiter Zentrum für Architektur und Arbeitskonzepte bei Witzig The Office Company. Die Firma gehört zu den Mitinitiantinnen des Home Office Day. Aktuell können bei Witzig über 70 Prozent der Wissensmitarbeiter das Home Office nutzen. Das sind diejenigen, die nicht eine manuelle, sondern eine intellektuelle Leistung erbringen. Dass es einen direkten Zusammenhang zwischen mobilem Arbeiten und Arbeitsproduktivität gibt, unterstützt die Studie des BFE. Aber: «Das gilt nicht für die Einführung von Prozessinnovationen und nicht für den Erfolg der Innovationen gemessen am Umsatz.» Das heisst, für Denk- und Projektarbeiten ist Home Office geeignet, nicht aber für die Umsetzung. Hier ist die Anwesenheit in der Firma nötig.

Durch räumlich flexible Arbeitsformen kann zudem Energie eingespart werden. Mitarbeitende legen weniger Pendlerwege zurück, durch das Teilen von Arbeitsplätzen sinken die Kosten für Heizung und Beleuchtung im Unternehmen. Nach der BFE-Studie beträgt die direkte Einsparung durch räumlich flexibles Arbeiten heute rund 136 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr. Sie umfasst Treibstoffe, Wärme und Strom. Das entspricht rund 0,06 Prozent des heutigen Energieverbrauchs der Schweiz. Allerdings verweist die Studie auch auf sogenannte Kompensationseffekte. Die Energieeinsparung verringert sich immer dann, wenn zu Hause zusätzliche Wohnfläche für ein Büro benötigt wird oder wenn der Arbeitnehmende von zu Hause aus zusätzliche Autokilometer fährt. Auch besteht die Gefahr, dass Mitarbeitende durch flexible Arbeitsformen immer längere Wege zwischen Wohn- und Arbeitsort in Kauf nehmen und so die Mobilität weiter steigt.

Der Mix macht’s

Der durchschnittliche Büromitarbeiter wird alle elf Minuten unterbrochen. Bis er sich wieder auf seine Aufgabe konzentrieren kann, vergehen rund acht Minuten. Ihm bleiben noch drei Minuten effektive Arbeitszeit bis zur nächsten Unterbrechung. Home Office bietet die Chance, diese Unterbrechungen zu reduzieren. Es eignet sich besonders für Arbeiten, bei denen es um hoch konzentrierte Einzelarbeit geht oder um in Ruhe Pendenzen abzuarbeiten. Für ein Mitarbeiter-Brainstorming, für ein Kunden- oder Mitarbeitergespräch ist die persönliche Anwesenheit im Büro nach wie vor notwendig. Die Herausforderung für Unternehmen und Mitarbeitende ist, ein angemessenes Verhältnis zwischen Präsenzzeiten und Home Office zu finden. Der Kaufmännische Verband Schweiz empfiehlt bei einem 100-Prozent-Pensum ein bis zwei Tage Home Office pro Woche. Des Weiteren plädiert er wegen der grösseren Rechtsunsicherheit, die das flexible Arbeiten mit sich bringt, für klare Regeln. Zu regeln sei unter anderem, wann und unter welchen Umständen die Mitarbeitenden zu Hause arbeiten können, wann sie erreichbar sein müssen, wie lange ihre Antwortzeiten sein dürfen und die Art, wie die Arbeitszeit dokumentiert wird.

Freiheit bedingt Selbstverantwortung

Nicht jeder Mitarbeiter will und kann von zu Hause aus arbeiten, und einige Mitarbeitende arbeiten tendenziell zu viel. Dies bestätigt auch Danny Schweingruber von Witzig The Office Company. «Die Rahmenbedingungen müssen im Büro zu Hause in jeder Beziehung gut sein, und die Mitbewohner und der Heimarbeiter müssen aufeinander Rücksicht nehmen. Sicher ist, dass diese Art des Arbeitens nicht für alle geeignet ist. Sei es, dass sie mit der gewonnenen Selbstbestimmung nicht umgehen können oder weil sie Mühe haben, sich abzugrenzen, und viel zu viel arbeiten. Alles in allem ist das ein Lernprozess, der eine gewisse Selbständigkeit erfordert.» Das Gelingen des Heimarbeitmodells habe viel mit Eigenverantwortung und Führung zu tun, sagt Barbara Josef, Projektverantwortliche Home Office Day von Microsoft Schweiz, und weiter: «Ein Unternehmen kann nicht von einem Tag auf den anderen von einer Präsenzkultur auf eine Netzwerkkultur umstellen. Dann wäre die Gefahr von Burnouts, von Überarbeitung und Überforderung sicher sehr gross. Es handelt sich um Prozesse, die begleitet werden müssen.» 

Von der Präsenz zur Mobilität

Um Unternehmen eine Orientierung zu geben, entwickelte die Hochschule für Angewandte Psychologie, Fachhochschule Nordwestschweiz, das Flexwork- Phasenmodell. Anhand verschiedener Faktoren wie Mensch, Raumgestaltung und Technologie zeigt das Modell fünf unterschiedliche Stufen mobil-flexibler Arbeit. Phase 1 ist die traditionelle ortsgebundene Arbeit. Die Vorgesetzten führen über Anwesenheit, Auftrag und Ausführung. Mobil-flexibles Arbeiten ist nicht möglich, da die Unternehmensleitung einen Verlust der Kontrolle, einen gestörten Informationsfluss, aber auch Schlendrian und Nichtstun befürchtet. Das Netzwerkunternehmen – Phase 5 des Modells – ist das genaue Gegenteil. Der offizielle Arbeitsort und der tatsächliche stimmen nicht überein, Arbeits- und Privatleben haben sich vermischt – z.B. Besprechung am Telefon am späteren Abend, dafür Sporttreiben tagsüber. Es gibt feste Offline-Zeiten im Unternehmen, mobil-flexibles Arbeiten ist die Regel, und die Beteiligten gehen Probleme in Bezug auf Kommunikation und Zusammenarbeit aktiv an. Aufgrund der grossen Erfahrung mit mobil-flexibler Arbeit sind kaum noch formale Regeln nötig. Die Hierarchie ist flach, Vorgesetzte führen über Ziel und Ergebnis. Die Phasen 2 bis 4 zeigen die Zwischenstufen der Entwicklung von der ortsgebundenen Arbeit bis zum Netzwerkunternehmen mit den jeweiligen Herausforderungen. «Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben lösen sich über die Phasen hinweg auf, das hat auch tief greifenden Einfluss auf das Wertesystem. Im Grundsatz braucht es eine Erreichbarkeitskultur, die auf Unternehmens- und Mitarbeiterpräferenzen gleichermassen Rücksicht nimmt», so die Studie. 

Flexibles Arbeiten
Home Office
Die Arbeitnehmenden arbeiten zu Hause. Sie haben über einen Computer Zugriff zum Server der Firma und können Dokumente bearbeiten und speichern sowie die E-Mails lesen. Sie sind per Telefon erreichbar. Zu Hause haben sie entweder ein Bürozimmer oder arbeiten in einem anderen Wohnraum.
Mobile Office
Die Arbeitnehmenden arbeiten an einem anderen Ort als der zentralen Betriebsstätte oder der Wohnung. Sie haben dank Mobile-Internet-Anschluss überall Zugriff zum Server der Firma, können Dokumente bearbeiten und speichern sowie die E-Mails lesen.
Home Office Day
Microsoft Schweiz, SBB, Swisscom und Witzig The Office Company riefen vor fünf Jahren den nationalen Home Office Day ins Leben. Einmal im Jahr bieten sie mit Partnern aus Politik, Wirtschaft und Umwelt in der ganzen Schweiz Experimentier- und Mitmachmöglichkeiten rund ums Home Office. Die Initianten machen damit auf das Potenzial von flexiblen Arbeitsformen und Home Office aufmerksam und möchten Unternehmen inspirieren, flexible Arbeitsformen einzuführen.

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