«der arbeitsmarkt» 03/2006

Nächtelang auf der Lauer

An LAN-Partys treffen sich hunderte Jugendliche und frönen gemeinsam während mehrerer Tage und Nächte PC-Spielen. Was fasziniert sie an dieser Form der Freizeitgestaltung?

Deutsche Soldaten rotten sich zusammen. Kleine Nebelschwaden ziehen durch ein zerbombtes Dorf. Auf ein Kommando schwärmen die Wehrmachtsoldaten, mit MG44 oder MP40 ausgerüstet, bis in die hintersten Winkel der stehen gebliebenen Häuserzeilen aus. Plötzlich ein Knall, Rauch, Explosionen: Die Alliierten sind da. Sie werfen Granaten. Gewehrsalven erschallen. Ein deutscher Soldat liegt seelenruhig auf der Lauer. Er schaut um eine Ecke. Da, ein Amerikaner! Der Wehrmachtsoldat beginnt zu zielen. Sein Scharfschützengewehr vom Typ Mauser 98K ist durchgeladen und schussbereit. Durch das Zielfernrohr hat er einwandfreie Sicht. Routiniert wartet er auf den entscheidenden Moment. Nur Bruchteile von Sekunden sind verstrichen. Der amerikanische Soldat hat den Deutschen entdeckt. Ein Schuss fällt!

Treffen auf dem virtuellen Spielplatz

Was sich wie ein Auszug aus einem 2.-Weltkrieg-Buch anhört, ist eine Szene aus einem Computerspiel. Diese Spiele sind mittlerweile so geschickt konzipiert, dass der Spieler in ihre Welt eintauchen kann. Realistische Geräuscheffekte, eine immer besser werdende Grafik und beklemmende Atmosphäre lassen den Spieler den Alltag für eine Weile vergessen. So auch Marco.
Der 16-Jährige spielt gerne am PC. Für den Automonteurlehrling ist es ein Ausgleich, am Feierabend und am Wochenende für ein paar Stunden abzuschalten. Da er meist den ganzen Tag stehen muss, bietet ihm das Hobby im Sitzen auch Erholung. Marco Bützbergers Lieblingsspiel nennt sich «Call of Duty» oder kurz CoD. Darin schlüpft er in die Rolle eines deutschen oder alliierten Soldaten im Zweiten Weltkrieg und hat in fiktiven Szenarien, so genannten Maps, vorbestimmte Missionsziele zu erfüllen.
In CoD ist Marco aber nicht alleine unterwegs. Über das Internet ist er mit anderen Spielern verbunden. Man trifft sich virtuell. Neben der Wahl einer Partei kann er sich für einen von je vier Spezialisten (darunter etwa ein Scharfschütze oder ein leichter Infanterist) entscheiden. Gespielt wird aus der Subjektiven, der Ich-Perspektive. Marco sieht am unteren Bildrand nur seine aktuelle Waffe und nicht seine Figur. Die Missionsziele sind unterschiedlich. So gilt es zum Beispiel, eine Stellung zu halten oder eine Bombe zu platzieren.
Marcos Eltern haben gegen das Spielen nichts einzuwenden. So sagt sein Vater: «Solange unser Sohn in der Lehre konzentriert bleibt und die Noten in der Berufsschule stimmen, haben wir nichts gegen das Spielen.» Seine Mutter ergänzt: «Er übt beim Spielen seine Reflexe und die Beobachtungsgabe. Ausserdem gibt er sich, seit er regelmässig spielt, in Gesprächen offener als früher.» Manchmal müssen sie ihren Sohn allerdings ein bisschen bremsen: «Es kommt ab und zu vor, dass ich Marco spätabends zum Schlafengehen auffordern muss, weil er am nächsten Tag arbeiten muss», ergänzt Mutter Bützberger.

Physische Präsenz an LAN-Partys

Marco versteht das Spiel trotz Gewalthandlungen nicht als Ballerspiel: «Es hat sehr viel mit taktischem Geschick und guten Reflexen zu tun. Wildes Herumballern führt nicht zum Ziel. Natürlich macht auch hier Übung den Meister.» Und Übung hat der in Kaiseraugst wohnhafte junge Mann. An der letztjährigen «lan-vision», einer LAN-Party in Emmenbrücke, ist er mit seinem Team Zweiter geworden. In seiner Truppe, die er selbst gegründet hat, sind zum Teil Kollegen, die er auch in der realen Welt kennt. Aber: «Es sind auch welche dabei, die ich noch nie gesehen habe.» So sind auch zwei Deutsche und ein Österreicher im Team, das als UnAsCo bekannt ist.
«Ich spiele jetzt nur zum Spass. Trainieren werde ich nach dem Abendessen», erklärt Marco. Immer wieder drückt er eine Taste, um den aktuellen Zwischenstand anzuzeigen. Ein Spieler namens K4Pri hat das beste Verhältnis zwischen Kills (geschlagene Gegner) und Deaths (verlorene Duelle). K4Pri ist Marcos Pseudonym. «Den Namen habe ich mit meinem Bruder ausgeheckt, als wir über eine Insel namens Capri gelesen haben.» Aus dem C wurde ein K, die 4 steht für A.
Bei einer LAN-Party treffen sich zwischen zehn und tausend Spieler. Der Veranstalter hält neben der Infrastruktur (Tische, Stühle und Stromversorgung) auch Gewinne bereit. Bei den meisten Veranstaltungen stehen Schlaf- und Verpflegungsmöglichkeiten zur Verfügung. Der Begriff LAN ist eine englische Abkürzung und steht für Local Area Network (lokales Netzwerk). Die Teilnehmenden spielen also vernetzt mit den anderen im Raum. Dieser kann ein Büro, eine Turnhalle oder eine Industriehalle sein. Den Computer und die Spiele nimmt jeder selbst mit. In verschiedenen Games (Sport-, Strategie- oder Actionspiele) gibt es nun Wettkämpfe. Der Anlass dauert zwei bis vier Tage. Einige Spieler halten sogar ohne Schlaf durch. Marco gehört nicht dazu: «Wenn man Ambitionen auf den Turniergewinn hat, hält man regelmässig Pausen ab. Sobald ich merke, dass ich nicht mehr so gut spiele, gehe ich schlafen.»
An der zweiten Ausgabe der «lan-vision» in Emmenbrücke LU, die zwischen dem 3. und 5. Februar stattfand, hatte Marco seinen Spass: «Es ist besser als letztes Jahr!», freute er sich. Auch einer der drei Organisatoren, Roger Infanger, gibt sich sehr zufrieden: «Es macht Spass, so einen Anlass zu organisieren. Alle Teilnehmenden benehmen sich friedlich; es ist eine tolle Atmosphäre.» Das liegt sicher auch daran, dass der Altersdurchschnitt bei etwa 23 Jahren liegt. Marco zählt zu den Jüngsten. Statt der möglichen 40 Teilnehmer sind nur 28 anwesend. Für Infanger zählt jedoch nicht die Quantität, sondern die Qualität. So wird jeden Abend eine selbstgekochte Mahlzeit aufgetischt, um die hungrigen Spieler zu verköstigen. Infanger, der beruflich im CAD-Bereich arbeitet: «Wir verdienen nichts. Wenn wir Glück haben, können wir die Ausgaben gerade decken. Es geht vielmehr darum, den Jugendlichen einen Ort zu bieten, wo sie sich treffen und austauschen können.»

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