«der arbeitsmarkt» 11/2007

Mit den Klischees aufräumen

Schweizer Frauen weisen im europäischen Vergleich eine der höchsten Erwerbsquoten auf. Ursula Renold, Direktorin des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT), sagt, wieso es trotzdem nur wenige in die Teppichetage eines Unternehmens schaffen. Zudem erklärt sie, warum gemischte Teams erfolgreicher sind und weshalb das BBT eine Vorreiterrolle spielt.

Frau Renold, 74,4 Prozent der Frauen in der Schweiz sind erwerbstätig. Auffallend viele arbeiten Teilzeit, nämlich 57,9 Prozent. Sollten Frauen nicht die gleichen Chancen haben, Vollzeit zu arbeiten wie Männer?
Ursula Renold: Ja, bestimmt. Dennoch sehe ich durchaus die positiven Aspekte im Trend zu mehr Teilzeit arbeitenden Frauen. Diese Entwicklung lässt sich überdies seit längerem beobachten. Sie macht mir Freude, denn sie zeigt, dass Frauen Familie, Freizeit und Beruf vereinbaren wollen und können. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Buchhaltung war traditionell ein Beruf mit einem geringen Anteil an Teilzeit Arbeitenden und einem geringen Frauenanteil. Heute ist das anders. Es ist sehr gut möglich, als Buchhalterin Teilzeit zu arbeiten, weil zum Beispiel Telearbeit möglich ist.

Sollten Frauen also mehrheitlich Teil-zeitarbeit leisten, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen?

Es stellt sich die Frage, ob es ein gesellschaftliches Ziel ist, dass Frauen einen grossen Teil der Familienarbeit übernehmen. Die gesellschaftlichen Strukturen in der Schweiz lassen diese Vermutung zu. Frauen möchten jedoch, aufgrund ihrer Ausbildung, einen Beruf ausüben. Insofern beurteile ich Teilzeitarbeit für Frauen als positiv. Hinzu kommt, dass wir in Zukunft mit einem Arbeitskräftemangel konfrontiert sein werden. Das Potenzial der Frauen aus-zuschöpfen, wird deshalb immer wichtiger. Im Moment ist der Arbeitsmarkt in fast allen Branchen und Bereichen ausgetrocknet, weil die Konjunktur günstig ist.

Dann sollte es ja auch Männern möglich sein, Teilzeit zu arbeiten. In der Schweiz sind aber nur 19 Prozent der Teilzeit-erwerbstätigen Männer.

Für Männer gibt es einen Nachteil: das gesellschaftliche Ansehen. Nicht nur Teilzeitarbeit ist hier ein Karrierehindernis, sondern auch Telearbeit. Wer als Mann von zuhause aus arbeitet, hat schlechtere Karriereaussichten. Das ist nicht meine persönliche Meinung, sondern das Ergebnis einer Studie zu diesem Thema. Meine These ist: Die gesellschaftliche Wertigkeit ist immer noch sehr traditionell. Männer, die nicht 100 Prozent arbeiten, gelten als Softies. Es braucht modernere Familienformen, die mit diesen Klischees aufräumen, wie dies in anderen Ländern bereits der Fall ist.

Wo gibt es bereits solche Strukturen?

In Amerika, in den nordischen Staaten Schweden, Dänemark, Island und Finnland. Dort gibt es modernere Familienformen.

Was ist denn in der Schweiz anders als in diesen Staaten?

Vergleiche aus Studien bezüglich der Stellung der Frau in der Schweiz zeigen: Die Frau hat historisch schon immer eine schlechtere Stellung gehabt. Das beeinflusst Generationen. Es braucht deshalb Druck,
damit sich etwas ändert. Druck von der Wirtschaft her, vom Arbeitsmarkt her. Und dieser Druck wird wegen der fehlenden Arbeitskräfte kommen, das zeichnet sich ab.
 
Es fehlen bereits heute qualifizierte Arbeitskräfte in technischen Berufen. Derzeit sind über 1500 Ingenieurstellen vakant, trotzdem steigt die Begeisterung bei den Jugendlichen für eine naturwissenschaftliche Ausbildung nicht markant. Wie erklären Sie sich das?

Das Projekt EVAMAR (Evaluation der Maturitätsreform) zeigt die Tendenz, dass ein grosser Teil der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten in die neusprachliche Richtung geht. Das heisst: Sie ziehen die Sprachen den Naturwissenschaften vor.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Es gibt verschiedene Erklärungen: Der gesellschaftliche Wertewandel oder die hohe Bedeutung der Dienstleistungswirtschaft und deren Ansehen spielen eine Rolle.

Wie steht es mit dem persönlichen Interesse der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten an modernen Sprachen und den damit verbundenen Möglichkeiten?

Das ist sicher eine Erklärung für diese Tendenz. Der Trend zur neusprachlichen Richtung besteht seit Jahren. Irgendwann werden dem naturwissenschaftlich-technischen Bereich diese Kräfte fehlen. Dabei spielt der Gender Gap – die Lücke in der Gleichstellung von Mann und Frau – eine wichtige Rolle: Es geht darum, diese Lücke zu füllen und Frauen für technische Berufe zu motivieren.

Wie soll das geschehen?

Vorbilder spielen eine tragende Rolle. Wenn Frauen in den obersten Führungsgremien sitzen, besteht die Chance, dass mehr Frauen auf allen Ebenen des Unternehmens gefördert werden. Diese Vorbildfunktion für andere Frauen ist sehr zentral. Frauen sprechen andere Themen an, verhalten sich anders. Ich bin keine Feministin, keine Anhängerin dieses Diskurses. Aber von mir wird verlangt, dass ich Antworten gebe, wie wir sachlich etwas bewegen können.

Was stört Sie am feministischen Dialog?

Die heute 20-Jährigen verhalten sich anders. Diese jungen Frauen und Männer finden die Feminismusdiskussion müssig. Für sie ist das kein Thema mehr. Das verstehe ich. Ausgeprägter Feminismus kann hinderlich und defizitorientiert sein. Wer anderen Vorwürfe macht, stösst in der Regel nicht auf Akzeptanz oder setzt Anreize, dass sich etwas ändert. Ich glaube vielmehr, dass es wichtig ist, über die Motivation zu gehen und Anreize zu setzen. Man sollte zum Beispiel die Frage diskutieren: Was bringt es, wenn mehr Frauen eingestellt werden?

Was bringt es?

Ich bin eine Anhängerin gemischter Teams. Hier versuche ich eine Vorbildfunktion einzunehmen. Der Erfolg gemischter Teams lässt sich zwar nicht wissenschaftlich belegen, aber sie wirken. Ihre Leistungen sind besser. Es gibt ein anderes Klima, wenn wir gemischtgeschlechtliche Teams haben. Dies bestätigen auch viele Männer, die diese Erfahrung gemacht haben. Vorbilder spielen also auch hier eine sehr bedeutende Rolle. Deshalb sollte die Wirtschaft Anreize setzen, um mehr Frauen für die obersten Führungsgremien zu gewinnen.

Nochmals: Frauen in technischen Berufen sind heute noch eine Rarität. Welche Massnahmen gibt es, um Frauen vermehrt für eine naturwissenschaftliche, technische Ausbildung zu gewinnen? Gibt es zum Beispiel spezielle Praktika auf Sekundarstufe?

Es gibt viele Aktivitäten. An den pädagogischen Hochschulen lehrt man, wie man Kindern einen spielerischen und lustvollen Zugang zu technischen Themen vermitteln kann. Das Paul Scherrer Institut bietet zum Beispiel Lehrerseminare an, die Lehrkräfte in dieser Förderungsthematik schulen. Oft ist es bei jungen Menschen ein Schlüsselerlebnis, das sie zu einer Entscheidung führt. Es ist sehr wichtig, derartige Schlüsselerlebnisse zu produzieren. Dieselben Bemühungen gibt es auf Stufe Gymnasium, in Didaktik und Methodik. An der ETH gibt es Schnuppertage für Gymnasiastinnen, dann gibt es eine Werbekampagne für Frauen in den Berufen. Oder das «Rent a Stift»-Projekt.

Was ist das für ein Projekt?

Ein Lehrling, ein «Stift», geht in eine obligatorische Schule und erklärt den Schülerinnen und Schülern, wie es in seinem Beruf ist. Das ist eine hochwirksame Massnahme. Die Jugendlichen haben keine Hemmschwelle. Sie wagen sich, zu fragen, was sie einen Lehrmeister nicht fragen würden. Dies unterstreicht erneut die dominante Bedeutung von Vorbildern und Schlüsselerlebnissen. Sie schaffen eine starke intrinsische Motivation bei den Jugendlichen, geben ihnen das Gefühl: «Ich kann das auch!»

Wer können solche Vorbilder sein?

Lehrpersonen, Verantwortliche in den Betrieben oder Führungskräfte sind sehr wichtige Leute im Leben der Jugendlichen. Sie begleiten sie lange und tragen eine grosse Verantwortung. Viele Menschen sind von
negativen Erlebnissen aus ihrer eigenen Schulzeit geprägt. Sei es, weil man ihnen einredete, schlecht in Mathematik oder Französisch zu sein. Bis sie einmal ein Schlüsselerlebnis haben und realisieren: «Ich kann es doch!»

Welche Bedeutung hat das Gender Mainstreaming in den Ämtern?

Im EVD einen sehr hohen.

Weil eine Frau an der Spitze des Depar-tements steht?

Sehen Sie, das ist wie das Qualitätsmanagementsystem in einem Unternehmen – wenn es die oberste Hierarchiestufe nicht trägt, dann funktioniert es nicht. Bei uns ist es dasselbe.

Wie sieht denn die Umsetzung im BBT aus? Wie merken dies die Mitarbeiter des EVD?

Wir sind in der Stellenbesetzung sehr streng. Im BBT gehen wir aber noch etwas weiter als der Gender-Ansatz. Wir versuchen, auch die Sprachkulturen zu berücksichtigen, im Sinne eines Diversity Management.

Was bedeutet das?

Diversity Management ist ein Konzept der Unternehmensführung, das die Heterogenität der Beschäftigten beachtet und zum Vorteil aller nutzen möchte. Wir legen Wert darauf, dass wir Lehrlinge aus verschiedenen Nationen haben. Wir wollen hier eine Vorbildrolle unter den Ämtern einnehmen.
Und wir beschäftigen Behinderte. Auch das gehört zum Diversity Management.

Und wo sind die Frauen zu finden?

In unserer sechsköpfigen Geschäftsleitung haben wir ein Drittel Frauen. Auf Kaderstufe sind es fast 40 Prozent. Insgesamt wollen wir den Frauenanteil stetig erhöhen, bis alle Teams ausgeglichen sind.

Was gehört noch ins Diversity Management?

Die Sprachgleichheit. Wenn wir zum Beispiel in einem Team keinen Romand hätten, aber bereits genügend Frauen, dann stünden die Chancen bei gleicher Qualifikation für den Romand gut, dass er die Stelle kriegt.

Wer stellt sicher, dass diese Probleme erkannt werden?

Das Bewusstsein für diese Fragen ist in meinem Amt generell sehr hoch. Wir haben aber auch eine Personalkommission, in der eine Gleichstellungsbeauftragte sitzt. Sie bringt Probleme «bottom-up» auf den Tisch, wenn es um die Geschlechtergleichstellung geht, und kann uns sofort darauf aufmerksam machen, wenn etwas nicht stimmt, etwa ein Grundsatz verletzt wird.

Wir sprechen hier vom Gender Mainstreaming in den Ämtern. Wie sieht es in der Privatwirtschaft aus?

Bundesrätin Leuthard hat im Rahmen einer Tagung in Horgen zur Konferenz potentiELLE 200 Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Kaderleute eingeladen. Zehn CEOs von grossen Schweizer Konzernen, wie zum Beispiel Marcel Rohner von der UBS, oder Georges Portmann, der CEO der CSS, referierten zur Frauenförderung in Chefpositionen.

Wie haben Ihnen die Referate der Firmenbosse gefallen?

Sie waren wenig ambitiös. Das Commitment schien mir gering. Tatsache ist: In den meisten Geschäftsleitungen sitzen immer noch wenig Frauen.

Wie sieht es im EVD aus?

Unsere Chefin hat ihr Ziel klar formuliert: Bis 2015 soll der Frauenanteil in allen Geschäftsleitungen des EVD 25 Prozent sein. Im Kaderbereich als nächste Priorität will sie 30 Prozent. Das meine ich mit Commitment: Es ist ambitiös, aber sie steckt sich ein Ziel, und das wird wirken.

Kann es sich ein CEO leisten, sich in dieser Diskussion nicht mehr zu engagieren?

Der Druck auf dem Arbeitsmarkt ist noch nicht genügend gross, damit man realisiert, dass man das Frauenpotenzial abholen muss. Es hat auch mit Loslassen zu tun. Und es hat mit ökonomischen Rationalitäten zu tun. Auch heute wird bei Bewerbungsgesprächen immer noch die Frage gestellt, ob eine Frau Kinder will oder nicht. Wichtiger wäre für mich, dass Unternehmen betriebliche Rahmenbedingungen schaffen, die es erlauben, Beruf und Familie in Einklang zu bringen.

Frauen mit Kindern und Familie sind Managerinnen. Kennen Sie Unternehmen, die dieses Potenzial erkennen und fördern?

Ein Beispiel ist die Firma Underberg: ein Familienunternehmen, in dem Frauen historisch immer eine starke Präsenz hatten. An der potentiELLE-Tagung hat Frau Underberg gesprochen. Bei ihrem Referat habe ich mich als Frau angesprochen gefühlt. Das wirkt mehr, als wenn ein Mann referiert.

Wieso?

Weil sie zum Beispiel sagt, wie sie neben ihrer Funktion noch den Haushalt organisiert, Kinder erzieht und so weiter. Die Managementleistung einer Frau in einer solchen Position ist sehr hoch. Das ist folglich auch spürbar. Sie erwähnt Aspekte, die ein Mann gar nicht anspricht. Weil sie sie aus eigener Erfahrung kennt. Sie hat sich zudem dazu geäussert, warum sie lieber eine Frau in einer höheren Position will.

Warum?

Aus denselben Gründen, die ich Ihnen auch nennen würde.

Die da wären?

Frauen sind sachorientiert, sehr effizient und haben eine hohe planerische Kompetenz. Sie beherrschen das Multitasking und denken vernetzt. Und Frauen in höheren Positionen sind Macherinnen, weil sie sich für nichts zu schade finden. Das sind für mich die Hauptaspekte.

Sind Frauen bessere Networker?

Gutes Stichwort. Ich sage ja. Frauen können sich sehr gut vernetzen, weil sie grundsätzlich besser Kontakte über Hierarchien hinweg knüpfen können. Sie haben kein Autoritätsproblem, sind weniger an Status und Prestige orientiert und in der Regel sehr praktisch veranlagt. Netzwerke bilden heisst ja immer, andere für eine Sache zu gewinnen, ihnen mitzuteilen, dass sie eine unentbehrliche Ressource darstellen, die für das Gelingen von Projekten oder Vorhaben wichtig ist. Das ist Wertschätzung an sich, und wer Wertschätzung sät, der erntet in der Regel wertvolle Beziehungen.

Networking ist das eine, aber wie steht es mit der Rolle im Team?

In der letzten Personalumfrage des Bundes hatten wir, verglichen mit den anderen Ämtern, den höchsten Wert in der Teamorientierung.

Was heisst das?

Teamorientierung heisst, wir arbeiten stark im Team und legen viel Wert darauf. Die Leistung eines Teams ist weit besser als die Addition der Einzelleistungen. In der Personalumfrage werden alle Mitarbeitenden aller Bundesämter zu verschiedenen Themen befragt, unter anderem zur Teamorientierung. Und dort sind wir im oberen Benchmark, das war vor zwei Jahren noch nicht so.

Als noch nicht Sie an der Spitze des BBT standen.

Ja. Wir haben dieses Defizit – die Zusammenstellung der Teams, die Geschlechterdurchmischung – entdeckt und daran gearbeitet. Die Zusammenarbeit ist unsere Stärke. In unseren zweiwöchentlichen Kadersitzungen lernen wir auch, wo wir die Ressourcen der anderen nutzen können. Das hat viel mit Führungslehre zu tun. Man muss wissen, wo die eigenen Stärken und jene der Kollegin und des Kollegen sind und wie man sie vernetzen kann.

Kommunikation ist also sehr wichtig. Kommunizieren Frauen Ihrer Meinung nach besser als Männer?

Frauen halte ich in diesem Punkt für sensibler. Sie müssen sich stärker bewähren und besser hinhören. Vielleicht ist es nicht nur die aktive Kommunikation, sondern die Fähigkeit, besser zuzuhören. Wer gut zuhören kann, schiesst nicht einfach drauflos, sondern überlegt, was der andere sagt, und kann darauf reagieren. Auch das hat viel mit Wertschätzung zu tun.

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der Gender-Debatte? Sehen Sie einen Trend?

An der potentiELLE-Tagung wurde diesbezüglich etwas Interessantes gesagt: Man stellt den Trend fest, dass immer mehr Kapital in der Hand von Frauen ist. Das ist für mich ein interessanter Frühindikator, den man verfolgen sollte. Warum ist das so? Hat das mit Erbschaften zu tun?
Warum kommen Frauen zu Kapital?

Was denken Sie?

Kapital war historisch immer schon ein sehr wichtiger Faktor. Oder anders gesagt: Geld regiert die Welt. Wenn diese Kapitalverlagerung nun tatsächlich ein Trend wäre, dann wäre das sehr positiv für die Frau. Dann könnten Frauen wichtigere Funktionen einnehmen, zum Beispiel in der Verwaltung des Kapitals, in nationalen und internationalen Behörden und Gremien. Und wenn der positive Effekt von gemischten Teams sich überall durchsetzt, können wir uns auf die Zukunft freuen.

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