«der arbeitsmarkt» 10/2013TEXT: Patrick_Herger
Dresscodes

Mit Stil ans Vorstellungsgespräch

Sich auf das nahende Bewerbungsgespräch vorzubereiten, bedarf einer guten Planung, Zeit und ein wenig Fingerspitzengefühl. Eine gründliche Organisation – vom Scheitel bis zur Sohle und darüber hinaus – erhöht die Chancen auf einen unterschriebenen Arbeitsvertrag.

Das Hemd ist gebügelt, der Sitz der Krawatte noch einmal überprüft, die Schuhe poliert. Aus dem Spiegel lächelt dem Stellensuchenden eine aufgestellte, engagierte und zuversichtliche Persönlichkeit entgegen – frisch rasiert selbstverständlich. Kein Dreitagebart, der den Gesamteindruck schmälern könnte. Den hochwertigen Kugelschreiber und die Aktenmappe beschafft er extra für diesen Anlass. Der Anzug passt wie angegossen, dunkle Socken bilden einen tadellosen Übergang zu den schwarzen Lederschuhen. Die Fragen an den zukünftigen Arbeitgeber sind vorbereitet, die Haltung wirkt natürlich und weltoffen. Dem Gang zum Vorstellungsgespräch steht nichts mehr im Wege. Oder doch?

Ein Lächeln, das Türen öffnet

«Um einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen, sind drei Dinge entscheidend: der Gesichtsausdruck, die Haltung und die Kleidung des Bewerbers.» Chantal Heller ist in ihrem Element. Als Image- und Lifestyleberaterin sowie Persönlichkeits-Coach unterstützt sie seit 2002 Firmen wie Privatpersonen in Image- und Stilfragen und kennt sich mit dem modernen Business-Knigge bestens aus. «Die Bewerber sollten immer mit positiven Gedanken und einem Lächeln ins Vorstellungsgespräch gehen. Bei Unsicherheiten üben sie besser zuerst vor dem Spiegel und schauen sich die eigene Haltung ganz genau an.» In vielen Restaurants, verrät die gelernte Kauffrau, hängen Spiegel in den Fluren. Nicht etwa für die Gäste, sondern für das Personal, um zu überprüfen, ob das Lächeln sitzt. Überhaupt sei eine positive und freundliche Ausstrahlung das Wichtigste – besonders im Bewerbungsgespräch.

Bei der passenden Kleidung scheiden sich die Geister. Hier sind besonders die Branche und der Dresscode des Unternehmens entscheidend. Im Bankgewerbe sind eine helle Bluse mit passendem dunklem Jupe oder ein Hosenanzug für die Frau sowie ein dunkler Anzug für den Herrn immer noch Pflicht. Abhängig von Kanton, Stadt oder Land können Abweichungen von der Norm auftreten. 

In anderen Branchen wie dem Baugewerbe hingegen wirkt ein Anzug schnell hochnäsig und ist daher eher unangebracht. Grundsätzlich ist der Bewerber am Vorstellungsgespräch besser over- als underdressed. Zur Not kann er dem zukünftigen Arbeitgeber den Fehlgriff erklären und ihn zum Dresscode des Unternehmens befragen. Bei zwei gleich qualifizierten Bewerbern entscheidet oft das Erscheinungsbild über die Zu- beziehungsweise Absage. Trotzdem rät Chantal Heller davon ab, sich mit der Wahl der Businesskleidung besonders hervorzutun. «Bei Banken und Versicherungen sollte auf ein originelles Outfit zum Interview verzichtet werden, auf jeden Fall aber sollte es stilvoll sein. Im Mediensektor hingegen darf der Stellensuchende ruhig etwas kreativer sein.»

Auch die Webpräsenz, entsprechende Fachliteratur oder ein kurzer Besuch der Firma während der Mittagspause können Aufschluss über den Dresscode eines Unternehmens geben. Modebewusste Persönlichkeiten besitzen hier eventuell einen Vorteil.

Kleider machen Leute

Dresscodes entwickeln und verändern sich mit der Mode und über einen weitläufigen Zeitraum. Der heutige Trend weist laut Heller strengere Tendenzen auf als noch vor fünfzehn Jahren. Dies sei besonders in Zürich zu beobachten – morgens zum Beispiel, wenn eine schiere Armee aus Anzugträgern auf dem Vormarsch zur Arbeit ist.

Auch für Lehrpersonen ist Arbeitskleidung ein aktuelles Thema. In früheren Zeiten war die Wahl des Outfits für Lehrerinnen vergleichsweise einfach. Damals, als weibliche Pädagogen überwiegend Nonnen waren, gab die Religion den Ton an. In der heutigen Zeit bestimmen die Lehrerinnen und Lehrer selbst, wie sie sich kleiden. Zwar gibt es in der Schweiz keinen schriftlich festgehaltenen Dresscode für Lehrkräfte. Da diese aber eine Vorbildfunktion gegenüber ihren Schülern besitzen, gelten in den Institutionen auch ungeschriebene Regeln. Bei Missachtung derselben gefährden sowohl Schulen als auch deren Lehrpersonen Glaubwürdigkeit und Respekt. «Grundsätzlich kann jeder selbst über seine Garderobe entscheiden. Die Schulleitungen sind jedoch berechtigt, falls nötig, Weisungen zu erteilen», sagt Franziska Peterhans vom Zentralsekretariat des Dachverbands der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer.

«Ein Bauchnabelpiercing beispielsweise sollte nicht zur Schau gestellt werden, das Outfit darf nicht zu sexy sein. Kleidung ist immer auch Kommunikation. Die Lehrer sollten sich so kleiden, dass ihre Erscheinung Respekt gegenüber den Schülerinnen und Schülern, den Kollegen, aber auch den Eltern zum Ausdruck bringt.» Der Dresscode des Lehrers passt sich ein Stück weit dem Alter der Schüler an, so Franziska Peterhans. Besonders im Sportunterricht, aber auch bei jüngeren Klassenstufen – etwa an Kindergarten oder Unterstufe – müsse die Arbeitskleidung zudem praktisch sein.

Stilvoll ohne Worte

Auch in der IT- sowie der Industriebranche sind keine festen Dresscodes vorgeschrieben. «Bis auf spezielle Schutzkleidung im Produktionsbereich haben wir bei uns keine Kleiderordnung und auch keinen formulierten Dresscode», sagt Thomas Keller, Projektleiter und Personalmanager der B. Braun Medical, die in der Pharmaindustrie tätig ist.

Marcel Gamma, Kommunikationsbeauftragter des Informatikverbands swissICT, sieht das ähnlich: «Neben ein paar Faustregeln auf Kaderebene ist erlaubt, was gefällt. In vielen Unternehmen dürfen die Mitarbeiter ihr Auftreten selbst bestimmen, solange kein Kundenkontakt besteht. Allerdings gilt: Je grösser ein Unternehmen ist, desto strenger sind meist die Regeln.»

Bei Firmengrössen aus dem Versicherungssektor wie zum Beispiel der Allianz Suisse ist die Kleidervorschrift regionalen Unterschieden unterworfen. «Zurzeit sind wir dabei, unseren neuen Hauptsitz mit rund 1800 Mitarbeitenden in Zürich-Wallisellen zu beziehen. Begleitend dazu gehört auch ein Prozess, der sich mit den Werten und den Führungsleitsätzen beschäftigt», sagt Hans-Peter Nehmer, Leiter Unternehmenskommunikation der Allianz Suisse in Zürich. «In diesem Zusammenhang machen wir uns auch Gedanken zum Dresscode: Muss die Kleiderordnung unseres Unternehmens vereinheitlicht werden? Benötigen wir heutzutage überhaupt noch einen Dresscode? Welche Bedeutung hat die Arbeitskleidung für die Werte unseres Unternehmens, und inwieweit beziehen wir den Mitarbeitenden in diese Thematik mit ein?» In jedem Fall aber müsse sich der Stellensuchende vorab über den Dresscode der Branche informieren. Mit der Suche nach einem geeigneten Arbeits- oder Ausbildungsplatz stellt sich zudem eine andere Frage: Wie wichtig ist mir meine persönliche Freiheit? 

Unter die Haut

Tattoos und Piercings sind in den jüngeren Generationen kaum mehr wegzudenken. In zahlreichen Internetforen und Zeitschriften diskutieren junge Arbeitnehmer über das Thema Tattoo und Piercing in der modernen Arbeitswelt. Einige sind der Ansicht, dass die Arbeitgeber mittlerweile an diesen Körperkult gewöhnt sind und ihn bis zu einem gewissen Grad tolerieren. In Verbindung mit Kundenkontakt sei zwar Vorsicht geboten. Manche berichten allerdings von Kunden, die sogar recht positiv auf den besonderen Schmuck reagieren.

In sozialen oder kreativen Berufen sind unter die Haut gestochene Kunstwerke und Metall durch Ohr, Nase oder Lippe längst kein Problem mehr. In den Sektoren, wo Bluse, Hemd und Krawatte noch zum guten Ton gehören, rät Stilberaterin Chantal Heller dazu, für das Vorstellungsgespräch sichtbare Piercings aus dem Gesicht zu entfernen und Tattoos mit der Kleidung zu bedecken. Nach Stellenantritt kann der frischgebackene Mitarbeiter seinen Vorgesetzten auf den Körperschmuck hinweisen und nachfragen, ob dieser verdeckt bleiben sollte.

«Die Akzeptanz von Tattoos und Piercings im Unternehmen kann unter verschiedenen Filialen oder sogar von Abteilung zu Abteilung unterschiedlich sein. Jüngere Chefs sind in diesem Punkt meist toleranter. Dies gilt auch für Firmen, die neu auf dem Markt sind. Wichtig ist die offene Kommunikation.» Für Chantal Heller ist klar: Tattoos werden in Zukunft zusätzlich an Popularität gewinnen und auch in der Arbeitswelt ein aktuelles Thema bleiben.

Zur PDF-Version: