«der arbeitsmarkt» 03/2006

Mit Herzschmerz gegen die Härten des Lebens

Buchmarkt Telenovelas und Soap Operas im Vorabendprogramm setzen dem guten alten Heftroman zu. Aber so schnell geben sich «Dr. Norden», «Jerry Cotton» oder «Der Bergpfarrer» nicht geschlagen.

«Henrik, bald wirst du Vater», gesteht Silvina von Beuren im «Fürsten-Roman» «Lügen in der Hochzeitsnacht» ihrem Verlobten Prinz Henrik von Cappenburg. Und ist damit nur noch rund zwanzig Zeilen vom Happy End an der Seite ihres zukünftigen Gatten entfernt. Dieser Stoff, aus dem die Träume sind, ist 64 Seiten lang, an jedem Schweizer Kiosk erhältlich und kostet 2.70 Franken. Er gehört zu den von den Verlagen Bastei und Kelter im deutschsprachigen Raum herausgegebenen Frauenserien, die mit stilvoll fotografierten Paaren auf der Titelseite Leserinnen anlocken sollen. In einer Welt, die immer kälter und härter werde, treffe die Konsumentin in Frauenromanen oder Telenovelas auf ein Umfeld, das Geborgenheit vermittle, meint Nicole Amrein, bekannteste Schweizer Arztromanautorin. Greift also die Schweizer Hausfrau, Sekretärin oder Bewohnerin eines Altersheims häufiger zu «Dr. Stefan Frank», wenn die Arbeitslosenrate wächst, die Zusatzleistungen der AHV gekürzt werden oder die Ölpreise wieder steigen? Die Oltner Rentnerin Ilona von Allmen, 69, jedenfalls erinnert sich, dass es «die Ablenkung von den täglichen Sorgen» gewesen sei, die sie eine Zeit lang zur «Jerry Cotton»-Leserin gemacht habe. Heute lese sie allerdings lieber die Zeitung.

Schreiben für eine aussterbende Leserschaft

Die Absatzzahlen für Romanhefte sind riesig. Rund 11 Millionen Exemplare haben Bastei und Kelter im Jahr 2005 in die Schweiz geliefert. Der Keltaer-Verlag verkaufte im gesamten deutschsprachigen Raum rund 50 Millionen Romantitel, 1,5 Millionen gingen in die Schweiz. Gegenüber dem Vorjahr macht das einen Anstieg von ungefähr 2,5 bis 3 Prozent aus. Der Verlag konzentriert sich auf Frauenromane, die mit Titeln wie «Dr. Norden», «Leni Behrendt», «Fürstenkinder», «Der Bergpfarrer» oder «Sophienlust» mindestens 80 Prozent der Verkäufe ausmachen. Der mit Abstand beliebteste Titel ist die Arztroman-Serie «Dr. Norden», auf die annähernd ein Drittel der Verkäufe entfallen. Der Verlag hat sein Romanprogramm in den letzten vier Jahren vorrangig auf die weibliche Käuferschaft ausgerichtet und konnte sich gegen die elektronischen
Medien «gut behaupten», wie Verlagsleiter Gerhard Melchert sagt.
Erheblich vager sind die Äusserungen beim Bastei-Verlag: Die Verkaufszahlen 2005 seien im Vergleich mit dem Vorjahr «erfreulich stabil», gibt Pressereferentin Miriam von Chamier bekannt. Bei einer Auflage von rund 46,8 Millionen Romanheften beträgt der Anteil der in die Schweiz gelieferten Exemplare rund 20 Prozent. Auch Bastei-Leserinnen bevorzugen Arztromane, insbesondere «Dr. Stefan Frank». Bei den Männern liegen «Jerry Cotton» und die Westernserie «G.F.Unger» in der Beliebtheitsskala ganz oben.
Zahlen wie diese sind nach Meinung von Nicole Amrein mit Vorsicht zu geniessen. Die Verlagsleiter würden sich seit Jahren positiv zum Absatz der Romanhefte äussern, sie misstraue aber solchen Angaben: «Fragen Sie einmal nach, wie viele Romanhefte die Schweizer Kioske jährlich retournieren», regt sie an. Eine entsprechende Anfrage bei Valora, Betreiberin der K-Kiosk-Verkaufsstellen, wird mit der Begründung abgelehnt, man gebe keine Auskunft über Rücksendungsquoten. Angesichts der dürftigen Informationspolitik insbesondere des Bastei-Verlags spricht deshalb einiges für die Vermutung der Schweizer Autorin. Amreins Ansicht nach hat das Romanheft eine Zukunft, müsste aber modernisiert werden. «Den Verlagen sterben die Leserinnen weg», meint sie. Die Hefte seien zu langfädig, hätten zu viele Dialogpassagen und zu wenig zeitgemässe Charaktere. Sie selber hat für den Kelter-Verlag einen Heimatroman und eine «Nullnummer» über eine Reporterin geschrieben. Mit der Ärztin Katja König hat sie zudem eine Figur geschaffen, die modern ist und als alleinerziehende Mutter im Berufsleben steht. Die 35-jährige Autorin legt Wert auf den Unterschied zwischen ihren Arztromanen, die als Taschenbücher erscheinen, und denjenigen in Heftform: «Meine Geschichten sind differenzierter, da ich durch das Taschenbuch-Format mehr Gestaltungsmöglichkeiten habe.»

Angebot muss Lesegewohnheiten angepasst werden

Neue Ideen, was die Positionierung des Heftromans anbelangt, sind gefragt. Vor allem, nachdem mit «Leben für die Liebe» die dritte von ZDF, ORF und SF gemeinsam produzierte Telenovela erfolgreich angelaufen ist. Bei Kelter und Bastei haben die Verantwortlichen schon länger erkannt, dass die elektronischen Medien eine Konkurrenz darstellen, und entsprechende Massnahmen ergriffen. Der Kelter-Verlag kürzte den Bereich der Frauenromane (Arzt-/Heimatroman) seit Ende August 2005 um einen Drittel. Da er mit seinen Serien vermehrt auch jüngere Leserinnen ansprechen möchte, fördert er neben dem Romanheft auch das Format
Taschenbuch. Verfilmungen wie etwa des «Bergpfarrers» und diverse Lizenzausgaben von Romanen sollen ebenfalls dazu beitragen, das angestrebte Ziel zu erreichen. Auch beim Bastei-Verlag sind Bestrebungen im Gang, jüngere Leserschichten anzusprechen. Besonders gut sei der Markt nach der Wende gewesen, meint Cheflektorin Elfie Lingensa. Seit einigen Jahren sei sie sich aber bewusst, dass die neuen Medien den Romanheften den Rang ablaufen würden: «Wir arbeiten an einem neuen Internet-Auftritt und planen neue Zeitschriften, in denen beispielsweise ein Heimatroman in Fortsetzungen erscheint, ergänzt durch Rätsel und Informationen über Volksmusikanlässe.» Im Männerbereich könnten neue Leser allerdings nur durch mehr Action und Spannung gewonnen werden.

Mit modernen Themen und Figuren konkurrenzfähig bleiben

Geändert haben sich auch die Richtlinien, nach denen ein Heftroman abgefasst werden muss. Noch in den 80er Jahren hatten die Verlage klare Vorgaben, was Schreibstil und Themenwahl anbelangt. So hat sich die 85-jährige Gerty Schiede, die für den Kelter-Verlag unter dem Pseudonym «Patricia Vandenberg» über 700 Folgen der erfolgreichen Arztreihe «Dr. Norden» verfasste, lange dafür einsetzen müssen, über Themen wie Aids oder psychische Krankheiten schreiben zu dürfen. Marion Schmidt, die seit zehn Jahren für den Bastei-Verlag Heimat-, Arzt-, Fürstenromane und Krimis schreibt, meint demgegenüber, dass sie bezüglich Themenwahl nie Probleme gehabt habe. Sie habe Abtreibungen thematisiert, in einem Bergroman einen Schlepper auftreten lassen oder über die Praxis türkischer Eltern, ihre Töchter zu verheiraten, geschrieben. Auch das Klischee von den starren Rollenmustern treffe heute nicht mehr zu: «Es gibt wohl nirgends so viele allein erziehende Mütter wie in den Romanheften», merkt sie an. Im Übrigen achtet die Autorin darauf, das Alter ihrer Heldinnen nicht länger bei Anfang 20 anzusetzen. Ende 30 entspreche eher der Realität, meint sie.
Was ist nun aber ein guter Heftroman?
Andreas Schäfer, Cheflektor beim Kelter-Verlag, umschreibt das Ideal mit den wohlgesetzten Worten: «Das Heft muss eine romantische Spannung und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Erzähl- und Dialogpassagen enthalten.» Vielen Manuskripten, die er zugeschickt bekomme, mangle es an Herzblut. Der Verlag verfügt über rund 120 Stammautoren. Der Vorzeigeautor heisst Lothar Gräner und schreibt seit fünf Jahren die Heimatroman-Reihe «Der Bergpfarrer» (siehe Interview). Er verfasst in der Regel zwei Romane monatlich, im gleichen Zeitraum werden zwei alte neu aufgelegt. Kann er vom Verdienst leben? Er erhalte 800 Euro pro neuen Roman, zuzüglich einer Beteiligung an den wieder aufgelegten Romanen, meint er. Hinzu kämen die Rechte an Verfilmungen und eine Beteiligung an dem im Weltbild-Verlag erschienenen Hardcover der ersten sechs Folgen. «Von zwei Romanen kann man leben, aber um eine Familie zu ernähren, reicht es nicht», gesteht er ein.

Eine Adelsroman-Autorin kann nicht Müller heissen

Elfie Lingensa, die Cheflektorin des Bastei-Verlags, hat selber lange Jahre Romane geschrieben und kennt die Anforderungen an die Autoren. Wirklich wichtig sei bei einem neuen Autor die gute Idee – der Plot – meint sie. Ob dabei die Gesetze des Heftromans eingehalten würden, sei am Anfang zweitrangig. 100 Autoren arbeiten für Bastei, 30 davon schreiben regelmässig. Ihre Autoren seien in der Regel nicht jünger als 30, am stärksten vertreten sei jedoch die Alterskategorie der 40- bis 50-Jährigen. Unter den Jüngeren habe es viele Journalistinnen und Teilzeitarbeitende, die ein Kind zu versorgen hätten. Viele Autoren würden Pseudonyme verwenden, teils aus dem eigenen Wunsch heraus, anonym zu bleiben, teils weil sie einen zu wenig klangvollen Namen hätten. So habe sie beispielsweise zwei Autorinnen, die «Müller» hiessen und Adelsromane schreiben würden. Das gehe natürlich nicht, weshalb sich diese ein Pseudonym hätten zulegen müssen. Dann gebe es eine Freifrau Ursula von Esch, die zwar ihren richtigen Namen verwende, aber den Titel weglasse.
Da ein Grossteil der Heftroman-Autoren anonym bleiben will, ist unklar, wie viele Schweizer sich in dieser Art der Literatur versuchen. Selbst eine Insiderin wie Nicole Amrein ist hier um eine Antwort verlegen. «Ich kannte einen Journalisten bei der ‹Glückspost›, dessen Mutter Heftromane schrieb», ist das Einzige, was ihr dazu einfällt.
Wer auch immer die Herzschmerz-Geschichten verfasst – an Leserinnen und Lesern wird es den Literaten auch weiterhin nicht fehlen. «Ein ‹Jerry Cotton›, ‹John Sinclair› oder ‹Dr. Norden› ist für mich die ideale Zuglektüre», meint etwa der 46-jährige Pendler Romano Herzig aus Schaffhausen. «Die Hefte sind billig, in eineinhalb Stunden gelesen und man weiss nach fünf Minuten, wie sie ausgehen.» Und da ist ja auch noch die anonyme 27-jährige Lehrerin, die auf der Homepage des Bastei-Verlags zitiert wird: «Immer, wenn ich frustriert oder deprimiert bin, lese ich einen Liebesroman, weine manchmal sogar dabei. Aber danach fühle ich mich immer besser.»

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