«der arbeitsmarkt» 01/2015FOTO UND TEXT: Kathrin Fink
Ursula Weilenmann

Mein Tag als Kulturvermittlerin und Coach

«Ich habe kein festes Morgenritual. Einzig die vier starken Espressi, die ich im Verlauf des Vormittags trinke, bleiben gleich. Als teilselbständige Kulturvermittlerin mache ich die Termine mit meinen Kunden aus und kann mich nach ihnen richten. Je nachdem, was für eine Beratung ansteht, brauche ich mehr oder weniger Vorbereitung. Ich begleite zum Beispiel ein spanisches Paar, das seit zwei Jahren in der Schweiz ist. Beide arbeiten und sind integriert, aber vor allem sie hat Probleme mit der Sprache. Hier brauche ich nicht so viel Zeit im Vorfeld, da die beiden einmal die Woche zu mir kommen und ich weiss, wo sie gerade stehen.

Geht es um ein erstes Bewerbungscoaching, gebe ich den Klienten kleine Hausaufgaben im Voraus. So sollen sie zuhause Stelleninserate aus dem gewünschten Arbeitsbereich studieren. Ich mache dasselbe, und dann vergleichen wir. Spannend ist, wie Klienten oft zu eng in ihrem alten Berufsfeld suchen. Ihnen sind ihre verschiedenen Ressourcen nicht immer bewusst.

Interkulturelle Vermittlung ist viel mehr als sprachliche Unterstützung. Ich kann gut Spanisch, was im entsprechenden Fall hilft, aber es steckt viel administrative Arbeit und eben kulturelle Übersetzung dahinter. Das spanische Paar etwa hatte diesen Sommer grosse Schwierigkeiten mit seiner Wohnung – diese blieb nach einer Renovation mehrere Wochen lang ohne Fensterscheiben. Die beiden schrieben einen Brief an die Verwaltung. Mit Mühe verfassten sie den Text über ein Online-Übersetzungsprogramm auf Deutsch, aber die Formulierungen waren übertrieben höflich, etwas unterwürfig und «schwülstig» – so, wie man es in Spanien machen würde. Ich habe ihnen erklärt, dass man in der Schweiz einen förmlichen Brief anders schreibt, und verfasste mit ihnen einen neuen. 

Weil sich die Frau kaum getraut, frei deutsch zu sprechen, sammle ich Bilder und Zeitungsausschnitte, die mit ihrem Heimatland zu tun haben. So kann sie etwas beschreiben, das sie kennt, zu dem sie etwas zu sagen hat. Oder wir kochen zusammen, und sie erklärt mir die Zubereitung auf Deutsch.

Für die interkulturelle Vermittlung habe ich keine spezifische Ausbildung, diese Tätigkeit ist aus meinen Ausbildungen und beruflichen Erfahrungen hervorgegangen. Angefangen habe ich in einem anderen Bereich: mit einer kaufmännischen Lehre. Danach arbeitete ich zehn Jahre lang bei einer Gewerkschaft. Irgendwann wollte ich direkter mit Menschen zu tun haben und stiess per Zufall auf ein Projekt der Notschlafstelle Kaserne in Zürich. Damals, Mitte der 1980er-Jahre, kamen armenische Iraner auf der Durchreise in die USA und tamilische Flüchtlinge in die Schweiz. Die Kaserne suchte Profis und Laien, die mithalfen, 120 Asylsuchende zu beherbergen. Ich war zuständig für den «Ämtli»-Plan, also Putz- und Kochdienste organisieren, und betreute die Kinder tagsüber. Es war mir aber schnell klar, dass ich für eine feste Anstellung in dem Bereich zu wenig Erfahrung mitbrachte; ich war überfordert. Allerdings kam ich über diesen Einsatz mit dem Roten Kreuz Zürich in Kontakt und erhielt eine Stelle als Sekretärin. Nach drei Monaten wurde ich zur Abteilungsleiterin befördert. Eine Freundin brachte mich auf die Idee, mich zur Erwachsenenbildnerin schulen zu lassen. So konnte ich beim Roten Kreuz Bildungskonzepte erarbeiten und das Team der freiwilligen Helferinnen führen.

Ich bin schon immer viel und gerne gereist. Speziell die spanischsprachigen Länder haben es mir angetan, zum Beispiel Kuba oder Peru. Da wird man nicht so auf die Arbeit reduziert wie bei uns. Dort sind auch gut ausgebildete Leute oft ohne Job. Mir ist die Erfahrung, arbeitslos zu sein, nicht fremd. Darum wollte ich mir mit 46 Jahren noch einmal einen entscheidenden Vorteil auf dem Arbeitsmarkt verschaffen. 2009 schloss ich ein Fachhochschulstudium in Sozialer Arbeit in Luzern ab. In meiner Bachelor-Arbeit befasste ich mich mit der transkulturellen Kommunikation und mit Humor in der Sozialen Arbeit. 

Bis Ende Jahr bin ich noch in Teilzeit als Beiständin angestellt. Nebenher baue ich meine selbständigen Tätigkeiten aus. In meiner spärlichen Freizeit gehe ich besonders gerne auf dem Üetliberg spazieren – drei bis vier Stunden bin ich mindestens unterwegs! Ausserdem lese ich alle zwei Wochen ein Buch. Zum Beispiel Biografien oder Werke des israelischen Autors Amos Oz.

Da ich selbst keine geradlinige Laufbahn hatte, liegen mir Menschen mit ähnlichem Schicksal sehr am Herzen. Ich kann mich gut für andere wehren, manchmal sogar besser als für mich selbst.»

 

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