«der arbeitsmarkt» 01/2006
Dora Schilliger-Makausz

Mein Tag als Chefin Projekte/Spezialaufgaben im Staatssekretariat für Wirtschaft 

Während meiner Schulzeit wollte ich Archäologin werden. Ich weiss zwar nicht mehr warum, aber das war damals eine spannende Sache für mich. Nationalökonomie habe ich dann studiert wegen der Zusammenhänge; weil es mich interessiert hat, wie man Dinge beeinflussen kann, indem man Rahmenbedingungen anders setzt. Meine jetzige Arbeit beim seco reizt mich aus zwei Gründen: Zum einen sind die Sozialversicherungen mein spezielles Interessengebiet. Zum anderen mag ich die Abwechslung, die die verschiedenen Projekte und Spezialdossiers mit sich bringen.
An einem normalen Arbeitstag stehe ich um sechs Uhr auf und wecke meinen fünfjährigen Sohn András. Nach dem Frühstück bringe ich ihn ins «secolino», die Krippe des seco. Ins Büro gekommen, sprinte ich zuerst zum PC, wo wir abstempeln. Nachher schaue ich die Unterlagen und die Post durch. Ich bin alleinerziehende Mutter und arbeite 70 Prozent. Dienstag, Mittwoch und Donnerstag den ganzen Tag, die restlichen 10 Prozent sind flexibel. Es vergeht kein Tag ohne mindestens eine Sitzung. An meinen freien Tagen bin ich mit meinem Sohn unterwegs – sei es, um ihn morgens in den Kindergarten zu bringen oder mit ihm nachmittags etwas zu unternehmen.
Meinen Aufgabenbereich könnte man vielleicht so umschreiben: Ich betreue mit meinem Team von zwei, zeitweise drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Spezialdossiers wie «Heimarbeit», «Gleichstellung in der Arbeitswelt» oder konzeptionelle Fragen der Sozialversicherungen. Aber der Grossteil unserer Aufgaben liegt im Bereich «arbeitsmarktliche Massnahmen». Allerdings handelt es sich bei diesen Massnahmen nicht um die üblichen, von den Kantonen ergriffenen Massnahmen, sondern um spezielle, das heisst nationale Projekte und solche, die im Rahmen einer Massenentlassung erlassen werden. So habe ich beispielsweise im letzten Jahr am Fall Alstom gearbeitet. Eingreifen können wir in einer solchen Situation erst, wenn der betroffene Betrieb in Absprache mit dem Kanton um Unterstützungsmassnahmen bittet, die nicht schon durch einen Sozialplan finanziert werden.
Zusätzlich betreue ich die so genannten Pilotprojekte. Hier dürfen wir weitgehend vom Gesetz abweichen und neue Strategien ausprobieren. Dieses Jahr ist ein Projekt in Gang, das sich mit der Integration von älteren Arbeitslosen beschäftigt. Es richtet sich an Neuunternehmer, die an einem Punkt sind, wo sie eigentlich mehr Personal brauchen würden, es sich aber nicht leisten können. Wir sagen: «Okay, wir beteiligen uns eine Zeit lang an der Finanzierung des Lohns, wenn du bereit bist, einen solchen Arbeitnehmenden einzustellen.» Weil diese Neuunternehmer ohne unsere Hilfe niemanden anstellen würden, konkurrenzieren wir bestehende Arbeitsplätze nicht. Wenn wir ein Pilotprojekt als mehr oder weniger erfolgversprechend ansehen, bewilligen wir es, und daneben läuft die Evaluation.
Ursprünglich stamme ich aus Ungarn und kam im Alter von elf Jahren mit meiner Mutter und der jüngeren Schwester in die Schweiz. Damals waren die Zeiten noch anders: Als meine Mutter ihren Aufenthaltsantrag für die Familie stellte, begründete sie diesen nicht damit, politisch verfolgt zu werden, sondern mit dem Umstand, dass die Verwandten nicht mehr in Ungarn, sondern in der Schweiz lebten. Da erklärte man ihr, es sei schön, dass sie ehrlich sei, aber es gebe nichts anderes als den Status «politisches Asyl». Einen Monat später waren wir politische Flüchtlinge. Auf Grund dieses Status konnten wir bis zu unserer Einbürgerung nicht nach Ungarn zurück. Das dauerte neun Jahre. Ich selber fühle mich als Doppelbürgerin und beteilige mich auch an Abstimmungen in Ungarn. Wenn ich in die Ferien fahre und nach dem Grenzübertritt die flache ungarische Landschaft vor mir sehe, ist das für mich ein Nachhausekommen. Das Gleiche passiert mir aber auch bei meiner Rückkehr in die Schweiz.
Ich arbeite seit zehn Jahren beim seco, wohne aber erst seit drei Jahren in Bern. Vorher bin ich von Dübendorf her gependelt. Meine Ausbildung als Nationalökonomin habe ich in Zürich absolviert und wollte dann eigentlich in den Forschungsbereich. Schon während des Studiums merkte ich aber, dass mir die Praxisnähe fehlte. Mehr oder weniger zufällig bin ich dann beim damaligen BIGA gelandet. Obschon mir meine Arbeit gefällt, gibt es auch Dinge, die mich stören: Da ist zum einen, dass es im Arbeitsalltag immer mehr Administratives zu erledigen gibt und dadurch die eigentliche Arbeit auf der Strecke bleibt. Dann gibt es auch Entscheidungen, die ich nicht ganz nachvollziehen kann, wie etwa bei der letzten Revision des ALV-Gesetzes. Ich bin der Meinung, man hätte mehr in Sachen Prävention machen müssen. Einschreiten, bevor es überhaupt zur Arbeitslosigkeit kommt. Dies vor allem bei Arbeitnehmenden, die gefährdet sind, etwa weil sie einen schlechten Abschluss haben und schon seit zwanzig Jahren beim gleichen Arbeitgeber arbeiten. Dabei hätte das nicht automatisch Geldleistungen bedeuten müssen. Auch mit entsprechenden Informationskampagnen kann man viel erreichen.
Privat bin ich extrem harmoniebedürftig. Familie und Beziehungen sind mir wichtig, vor allem aber mein Sohn. Er wächst zweisprachig auf. Wenn ich mich mit ihm auf Ungarisch unterhalte, antwortet er mir zu 90 Prozent auf Schweizerdeutsch, versteht jedoch alles. Ich habe das Glück, einen sehr grosszügigen Chef zu haben. Solange meine Leistungen und der betriebliche Ablauf stimmen, kann ich mich auch einmal ausserhalb meiner üblichen Arbeitszeiten um meinen Sohn kümmern. Das ist wichtig, denn Kindergartenevents, die Schulzahnklinik und Ähnliches sind noch nicht kompatibel mit einer Erwerbstätigkeit. An normalen Arbeitstagen hole ich ihn um halb sechs im «secolino» ab. Meist ist spielen dann das Erste, was er zuhause möchte. Besonders aktuell sind zurzeit das Gänse- oder Leiterlispiel. Was mich betrifft, ist Lesen eine meiner Leidenschaften, und ich bin gespannt auf die ungarische Übersetzung von «Harry Potter und der Halbblutprinz».
 

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