«der arbeitsmarkt» 04/2015FOTO UND TEXT: Annekatrin Kaps
Kommunikationstrainer

Manche Roboter wollen Streicheleinheiten

Eine interaktive Plüschrobbe unterstützt in einem Schweizer Pflegeheim die Kommunikation mit Demenzkranken. Ob Roboter positive Gefühle wecken können, interessiert nun auch die Wissenschaft.

Max fiept herzerweichend und will gestreichelt werden. Das kuschelweiche, schneeweisse Fell der Plüschrobbe verlockt regelrecht zum Kraulen. Unvermutet öffnet sie ihre grossen, schwarzen Kulleraugen und blickt mit einer Mischung aus Unschuld und Neugier umher. Das künstliche Robbenbaby ist von den Schnurrbartspitzen bis zur Schwanzflosse mit Sensoren ausgestattet. Auf jegliche Berührung reagiert es mit Bewegungen und Lauten. Allerdings mag Max, wie ihn die Bewohner des Betagtenzentrums Viva Luzern Rosenberg nennen, es überhaupt nicht, wenn er an seinen langen Schnauzhaaren gezogen wird; dann dreht er den Kopf weg. Dafür ruckelt er ihn sofort zurück, wenn ihn jemand beim Namen ruft.

«Geht es dir heute nicht so gut?», fragte ihn einmal eine Bewohnerin. Dass die betagte Dame überhaupt mit der Robbe sprach, war für Ruth Wyss, eine der vier Aktivierungstherapeutinnen des Heims, das eindrücklichste Erlebnis. Die Demenzkranke hatte sich schon länger in ihre eigene Welt zurückgezogen, sass oft teilnahmslos umher und beantwortete keine Fragen. Noch erstaunter waren die Angehörigen der Betagten, dass ihre Mutter noch reden konnte, hatten sie doch oft genug die leeren Blicke und die Apathie erlebt.

In der Vorstellung der älteren Dame war Max das Hündchen, das sie bei den regelmässigen Besuchen der Therapeutin auf den Arm nahm. Dem Plüschroboter erzählte sie manchmal in einfachen Sätzen, wie es ihr selber ging. Doch funktioniere die Kommunikation über Max nicht bei jeder Therapiestunde, sagt Ruth Wyss, die seit siebzehn Jahren im Rosenberg arbeitet. Die 60-Jährige unterstreicht, dass die künstliche Robbe nur eines der zahlreichen Hilfsmittel sei.

Diese können, wie das Kochen oder Gärtnern, einen Zugang zu den Demenzkranken eröffnen. In Einzeltherapien arbeitet Ruth Wyss bei verwirrten und an ihrer Unruhe leidenden Betagten auch mit Materialien. «Wolle aufwickeln kann das Chaos im Kopf auflösen.» Bei einer Bewohnerin las sie nach einer Stunde emsigen Wickelns die Entspannung förmlich am Gesicht ab.

Alle zwei Wochen kommt zudem ein Therapiehund zur Visite auf eine von vier Abteilungen. Doch manche mögen keine Tiere oder haben Angst davor. Max finden viele niedlich, selbst in der Sing- oder Sinnesgruppe ist er dabei. Dort geht es vor allem um das haptische Begreifen. Das dicke, seidige Fell von Max ist dafür bestens geeignet.

Plüschtier ist Therapeut

Worauf die Betagten ansprechen, kann sehr unterschiedlich sein. Die Therapeutinnen setzen die Plüschrobbe nur gezielt und nach Absprache mit den Angehörigen ein. Sie habe noch von keinem eine negative Reaktion wegen Max erhalten, betont Ruth Wyss. In der über jeden Heimbewohner angelegten Pflegedokumentation tragen die Therapeutinnen interaktive Beobachtungen mit dem kleinen Plüschroboter ein. Neu eingestellte Aktivierungstherapeutinnen werden zuerst im Umgang mit Max geschult. Sie sollen sich das Wissen und die Sicherheit im Gebrauch aneignen, sagt Ruth Wyss. Sonst übertrage sich möglicherweise die Unsicherheit auf die Betagten. 

Das Pflegepersonal arbeitet nicht mit dem künstlichen Tier, besteht doch die Gefahr, dass ein Bewohner mit der Robbe auf dem Schoss alleingelassen wird, weil ein anderer Hilfe benötigt. Schon kleinere Sachen können bei Demenzkranken Ängste auslösen. Doch sind öfters Pflegende bei der Therapie dabei und manchmal über den Erfolg erstaunt. Bei Unruhezuständen geht Ruth Wyss auch mit der Plüschrobbe im Zimmer des Bewohners vorbei, «der Therapiehund ist im Gegensatz zu Max nicht so einfach verfügbar». 

Nach der Anschaffung der Plüschrobbe im März 2012 setzte ein wahrer Medienrummel ein, erinnert sich die Aktivierungstherapeutin, denn «für viele Leute ist die Vorstellung von Robotern in der Pflege beängstigend». Kommentare in der Art von «Was machen Sie nur mit den Leuten?» waren die noch harmloseren Reaktionen, die es auf den Online-Plattformen hagelte. Um die Würde der Bewohner und deren Recht am eigenen Bild zu schützen, erlaubte die Betriebsleitung weder Fotos noch Videos, selbst das Schweizer Fernsehen wurde abgewiesen.

Ursprünglich hatte eine der Pflegenden Ruth Wyss vor vier Jahren auf einen Zeitungsartikel über die künstliche Robbe aufmerksam gemacht. Die Solothurnerin setzte sich daraufhin mit einem deutschen Anbieter von Paro, wie die Robbe von ihrem japanischen Konstrukteur getauft wurde, in Verbindung. Ein Benefiz-Weihnachtsmarkt erbrachte die nötige Summe für den Kaufpreis von 5000 Franken.

Anfänglich äusserten die Pflegefachpersonen Vorbehalte, doch «man müsse sich auch mit anderen Formen unserer heutigen Zeit auseinandersetzen», verteidigt die Initiantin den Einsatz von Max. Das Robbenbaby könne die Kommunikation unterstützen. Das helfe, um der Grundaufgabe der Aktivierung – das, was die Menschen noch könnten, möglichst lange zu erhalten – nachzukommen.

Beschützerinstinkt fördert Kommunikation

Die gleiche Robbe liegt auch im Regal des «Demenzladens» in Basel. Im geräumigen Eckgeschäft mit der breiten Fensterfront sind noch andere Utensilien für Pflegebedürftige, wie beispielsweise einfarbige Urinflaschen, ausgestellt. Paro hat einen rosafarbenen Schnuller im Maul, über den die Schnur zur Steckdose führt und seine Batterie auflädt. Bis zu zwei Stunden ist er dann einsatzbereit.

«Paro ist kein Plüschtier zum Herumtragen, dafür ist er schon mal viel zu schwer. Die Interaktion findet anders statt», sagt Helmut Mazander, der Inhaber des Demenzladens. Der Erwachsenenbildner, der als Coach Personen im Umgang mit Demenzkranken unterstützt, kennt die anfangs skeptischen Reaktionen. Er sieht Paro ebenfalls als Türöffner in der Kommunikation. Diese müsse nicht nur verbal sein, das Robbenbaby sei auch für demente Menschen im fortgeschrittenen Krankheitsstadium geeignet, die ihre Sprache verloren hätten. Manche quittieren den herzigen Augenaufschlag der Robbe mit einem Lächeln, die noch Sprachfähigen kommentieren das weiche Fell. Dieses ist antibakteriell und soll durch die schneeweisse Farbe Sauberkeit vermitteln.

Der Pflegefachmann betreut auf Wunsch von Angehörigen Demenzkranke und unterstützt damit Erstere, wenn sie eine Pause von der oftmals emotional schwierigen Betreuung brauchen. Paro nutzt er dabei als eine Möglichkeit unter vielen, um den Zugang zur verwirrten Person zu finden. Die piepsenden Laute der Robbe regen den Beschützerinstinkt an. Helmut Mazander ist überzeugt, «dass die Robotik einen grossen Teil in der zukünftigen Pflege einnehmen wird». Die emotionale Berührungsarbeit müsse aber den Menschen überlassen bleiben, «ein Roboter kann das nicht übernehmen». Er unterscheidet nicht zwischen der Robbe und dem Therapiehund, sondern entscheidet je nach Situation, was nützen könnte.
Zu 95 Prozent wird der Gerontologe von Privatpersonen angefragt, bei den Spitälern und Pflegeheimen besteht weniger Bedarf. Das Kreisspital Muri hatte in einem zweiwöchigen Versuch Paro ausgeliehen, die Reaktionen darauf waren geteilt. Die Hälfte der Pflegenden, welche für den Einsatz Verständnis zeigte, beurteilte den Roboter positiv. Die anderen argumentierten, dass sie schon zu wenig Zeit hätten, und erlebten die zeitaufwändige Interaktion mit Paro als belastend. Die Anschaffung wurde vorläufig verworfen.

Helmut Mazander weiss, dass viele Pflegende befürchten, Roboter nähmen ihnen die Arbeit weg. In Japan, wo Paro schon seit einigen Jahren in Pflegeheimen getestet wird, sind die Berührungsängste kleiner, und die Akzeptanz von Robotern ist deutlich grösser. Das mag mit der Shintô-Religion zusammenhängen, die neben der Natur auch Gegenstände verehrt, aber auch mit der Technikbegeisterung Nippons.

Die Studie über Max und seine Kollegen

Ob Roboter positive Emotionen bei Menschen stimulieren können und wofür Demenzkranke Roboter halten, erforscht seit eineinhalb Jahren das Projekt EmoRobot der Fachhochschule (FHS) St. Gallen gemeinsam mit deutschen Hochschulen. Zum Forschungsteam gehören Gesundheitswissenschaftler, Soziologen und Ingenieure. In einem Pflegeheim für Demenzkranke im deutschen Wiesbaden interagieren Personen mit Erkrankungen unterschiedlicher Ausprägung mit verschiedenen Robotertypen. Neben dem Serviceroboter Johnny, der Essen oder Getränke anbietet, wird ein Roboterkind namens Zeno eingesetzt. Dann gibt es noch Double, eine humanoide Gestalt auf Rädern, die über einen Bildschirm kommuniziert.

Zwanzig Demenzkranke sind in die Studie EmoRobot involviert, dazu kommen Angehörige und Bezugspflegende. Bevor ein Mensch mit Demenz an der Studie teilnimmt, tagt eine Ethikkommission unter Einbezug aller Beteiligten. Sind alle einverstanden, entwickeln die Forscher anhand von Gesprächen und Beobachtungen der Angehörigen und des Pflegepersonals zwanzigminütige Alltagsszenen. Diese bilden die Grundlage für die Interaktion zwischen Proband und Roboter, welche per Video aufgezeichnet wird. Die zuständige Bezugspflegende ist dabei jederzeit anwesend.
Das Roboterkind Zeno verwickelte beispielsweise eine ältere Dame in ein Gespräch über ihre hessische Heimat. Diese zeigte sich anfangs irritiert und «ordnete den Roboter nach einer gewissen Zeit als sprechende, durchaus interessante Puppe ein», sagt Thomas Beer, der an der FHS St. Gallen Pflege und Pflegewissenschaften lehrt und zum Forschungskonsortium gehört. Der gut siebzig Zentimeter grosse Zeno verfügt über eine ausgeprägte Gesichtsmimik und fünfzehn verschiedene Emotionen wie Lachen oder Ärger. Diesen Apparat zu erkunden, finden die Demenzkranken anscheinend unterhaltend und sinnvoll. «Dass es sich um eine künstliche Puppe handelt, die keinesfalls real ist, haben alle erkannt», unterstreicht Thomas Beer. «Was die heutzutage alles machen können», sei oft die Reaktion, berichtet der Pflegewissenschaftler.

Entertainment nicht ausgeschlossen   

Erwartungen an die Unterhaltung sind beobachtbar. Wenn Zeno zwei Minuten nicht agiert, verlieren die Demenzkranken das Interesse. Bei Parkinsonkranken mit ihrem typischen starren «Maskengesicht» zeigen sich die Grenzen der Robotik. Dann ist Zeno überfordert, da er die fehlende Mimik nicht deuten kann.

Der Serviceroboter Johnny und der Telepräsenz vermittelnde Double agieren ähnlich interaktiv. Über den Videobildschirm von Letzterem konnte beispielsweise die Kommunikation zu einer entfernt lebenden Angehörigen aufgenommen werden. Den Serviceroboter Johnny programmierten die Forscher einmal mit Schlagern der 50er- und 60er-Jahre. Der Roboter funktionierte als eine Art Jukebox, die sangeslustige Dame konnte sich von ihm Lieder wünschen und mit ihm gemeinsam singen.

Von Seiten der Angehörigen bekam das Forschungsteam durchgehend positive Kommentare. Einige der Demenzkranken hätten sich auf die Roboter gefreut, was mit der damit verbundenen Aufmerksamkeit zu tun haben könne, relativiert Thomas Beer.

Die Pflegekräfte begegneten dem Projekt interessiert, vereinzelt anfangs mit einer gewissen Skepsis. Ihre Beobachtungen ergaben jedoch eine grössere Präsenz und eine aufgewecktere Stimmung der Probanden, die teilweise bis zu zwei Tage anhielt. Die positivere Gemütslage liess sich auch bei Menschen im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit feststellen. «Trotzdem kann der Einsatz von Robotern die menschliche Zuwendung keinesfalls ersetzen», unterstreicht Thomas Beer den vorläufigen Erkenntnisstand. In den folgenden anderthalb Jahren des dreijährigen Projektes soll auch der Einfluss von Paro Gegenstand der Analyse sein.

Wofür Max im Betagtenzentrum Rosenberg gehalten wird, ist fast allen Beteiligten klar. Niemandem wird gesagt, dass die Robbe lebendig ist. Dafür allen immer wieder erklärt, dass Max ein Plüschtier mit Motor sei. «Das wird verstanden, aber trotzdem nicht immer wahrgenommen», sagt Ruth Wyss. Takanori Shibata, dem Konstrukteur von Max, sagte eine Bewohnerin bei dessen Besuch im Heim, «er könne die Robbe nicht gemacht, höchstens dressiert haben».

Gefragt, wo der weisse Seehund denn sei, wird übrigens nicht. Doch erscheint eine der Therapeutinnen mit ihm auf der Abteilung, hört sie öfters ein «Schau, da kommt er!» oder «Du warst aber schon länger nicht mehr hier!». Es passiere automatisch, dass man mit Max spreche, bestätigt Ruth Wyss. Sie stellt ihn stets der jeweiligen Gruppe vor, beim Singen ist er dabei und reagiert fiepend auf die Töne. Wird die Robbe länger nicht angesprochen, schaltet die Automatik in den Ruhezustand, was zu Nachfragen à la «Hat es dir nicht gefallen?» führe. Diese Kommunikation über Max ist gewünscht und gleichzeitig durch die Interaktion garantiert. Am Ende sagen dann die Therapeutinnen: «Wir müssen gehen. Max muss schlafen», bevor sie ihn im Körbchen versorgen, wo er über den Akku aufgeladen wird.

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