«der arbeitsmarkt» 04/2005

Loch im Sozialnetz

Arbeitslosen kann eine Krankheit finanziell zum Verhängnis werden. Ihren Erwerbsausfall können sie nämlich nur schwerlich versichern. Im Wallis laufen nun Bestrebungen für eine obligatorische Krankentaggeldversicherung.

«Bei Unfall ist alles klar, aber krank sollten Sie nicht werden. Jedenfalls nicht länger als 30 Tage. Eine Taggeldversicherung bieten wir nämlich nicht, und privat ist sie für die meisten zu teuer.»
Das ist die Auskunft, die neu angemeldete Arbeitslose in ihrem RAV gewöhnlich erhalten. Falls sie sich trotzdem mit der Angelegenheit befassen, erfahren sie, dass nicht nur die Kosten ein Problem darstellen. Erstens akzeptieren viele Krankenkassen und Versicherungen keine Arbeitslosen. Zweitens sind die Prämien unverhältnismässig hoch (siehe Kasten). Drittens kann sich nicht versichern, wer nicht vollständig gesund ist. (Ausnahme: Wenn man beim letzten Arbeitgeber versichert war, kann man den Schutz ohne Unterbrechung und zu schlechteren Konditionen weiterführen.) Und viertens bezahlen Arbeitslose zwar die volle Prämie, können die Leistung aber nur teilweise beanspruchen. Die Taggelder versiegen spätestens am Ende der Rahmenfrist und nicht nach 720 Tagen, wie sonst üblich.
Wenig hilfreich ist in dieser Sache die Broschüre der Arbeitslosenversicherung. Ihre Tipps gelten nur für die Personen, die eine etwaige Versicherung des Arbeitgebers lückenlos weiterführen möchten. Das Kapitel «Krankenversicherungen» schliesst nach ein paar allgemeinen Hinweisen mit dem Satz: «Bedenken Sie, dass die Prämien hoch sein können.»
All diese Schwierigkeiten führen dazu, dass viele Arbeitslose den Erwerbsausfall nicht versichern. Bei Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit bleibt ihnen nach 30 Tagen nur der Zugriff auf Erspartes oder der Gang zur Fürsorge. Im Falle einer Invalidität müssten sie auf diese Weise die 720 Tage Wartezeit überbrücken, die für Bezüge aus der Invaliditätsversicherung gilt.

Krankheit und Unfall werden gleichgestellt

Die Christlichen Gewerkschaften des Kantons Wallis (SCIV) haben nun eine kantonale Initiative «für ein gesichertes Einkommen im Krankheitsfall» lanciert. Diese sieht eine Änderung des kantonalen Krankenversicherungsgesetzes vor. Die Krankentaggeldversicherung würde damit obligatorisch, Krankheit und Unfall würden grundsätzlich gleich behandelt. Die Finanzierung würde durch rund drei Lohnprozente
sichergestellt, wovon der Arbeitnehmer oder der Arbeitslose höchstens die Hälfte bezahlen soll. Bertrand Zufferey, Generalsekretär der SCIV, meint: «Es ist inakzeptabel, dass Versicherte für dieselbe soziale Leistung je nach Alter und Beschäftigungssituation monatlich zwischen nichts und mehreren hundert Franken bezahlen.»
Die Lücke im Sozialsystem betrifft nicht nur Arbeitslose. Auch viele Angestellte sind ungenügend abgesichert. Das Gesetz schreibt den Arbeitgebern nur eine minimale Lohnfortzahlung bei Krankheit vor.
So bekommt eine nicht versicherte Mitarbeiterin, die nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit krank wird, den Lohn in den meisten Kantonen nur einen Monat lang. Im Wallis sind nach Zufferey etwa 30 Prozent der Arbeitnehmer von solch einer Minimalvorsorge betroffen. Gesamtschweizerische Zahlen dazu gibt es nicht.
Die SCIV sind überzeugt, dass das gegenwärtige System nicht nur ungerecht ist, sondern auch die Prämien unnötig hoch hält. So würden sich jüngere und gesunde Menschen selten gegen Erwerbsausfall versichern. Den Versicherungen blieben damit die so genannten schlechten Risiken. Eine flächendeckende Regelung würde das
gesamte Prämienvolumen erhöhen, die Prämien senken und eine soziale Verteilung der Kosten ermöglichen.
Schon 1998 hatte der Christlichnationale Gewerkschaftsbund CNG (heute Travail Suisse) eine Volksinitiative für eine obligatorische Krankentaggeldversicherung lanciert. Mangels Unterschriften kam diese aber nicht an die Urne. Für die kantonale Abstimmung, die spätestens 2007 stattfinden soll, ist Zufferey zuversichtlich: «1998 kamen allein im Wallis 25000 Unterschriften zusammen. Wir wissen also, dass das Obligatorium einem Bedürfnis entspricht.»

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