«der arbeitsmarkt» 12/2006

Kopieren geht über studieren

Immer mehr Studierende schreiben ihre Arbeiten aus dem Internet ab. Nun haben auch die Schweizer Unis das Problem erkannt.

Eine Semesterarbeit schreiben geht heute schneller denn je. Man gibt im Internetsuchprogramm Google die wichtigsten Begriffe ein, und schon scheinen zehntausende Seiten zum Thema auf. Nun braucht man nur noch die wesentlichen Aufsätze zu kopieren und sie zu einer neuen Arbeit zusammenzusetzen. Fertig ist das Werk.
Dieses Copy & Paste-Verfahren verstösst zwar gegen die wissenschaftliche Redlichkeit und ist eine strafrechtlich relevante Urheberrechtsverletzung. Aber das kümmert viele Studierende nicht. Immer mehr tun es. «Ja, die Fälle nehmen zu», bestätigt Gian Martin, Rechtsanwalt und Sekretär des Disziplinarausschusses der Universität Zürich. Der Ausschuss hatte diesen Frühsommer vier Fälle zu behandeln. So viele wie noch nie.

Abgeschrieben wird an allen Fakultäten

Was ans Licht kommt, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wie viele Studierende ihre Arbeiten nicht selber schreiben, bleibt im Dunkeln. Untersuchungen gibt es hierzulande keine. Im Gegensatz zu Deutschland oder Österreich. An der Universität Salzburg kam im letzten Juni bei einer Stichprobe heraus, dass 11 von 13 Arbeiten nicht koscher waren. In Leipzig befragte der Journalistikstudent Sebastian Sattler im Rahmen seiner Abschlussarbeit seine Mitstudierenden, ob sie Texte kopieren würden. 90 Prozent sagten ja. Diese Erhebungen sind zwar nicht repräsentativ – solche gibt es im deutschen Sprachraum keine –, aber sie zeigen, dass das Problem flächendeckend ist. Studenten aller Fakultäten und Abteilungen plagiieren. Auch bei uns. Ob Frauen oder Männer die grösseren Schummler sind, bleibt offen. Hardy Notter, Rechtsanwalt und seit 26 Jahren Präsident der Disziplinarkommission der Universität St.Gallen (HSG), schätzt, dass «die Männer eindeutig überwiegen, im Verhältnis von mindestens 2:1». In Zürich ist es umgekehrt. Martin: «Innerhalb des letzten Jahres hatte der Disziplinarausschuss deutlich mehr Verfahren, die Frauen betrafen als Männer.»

Hochschulen bangen um ihre Glaubwürdigkeit

Im Gegensatz zu Europa wird das Problem in den USA schon seit Jahren genauestens untersucht. Einer der führenden Forscher ist Donald McCabe, Professor für Organisationsmanagement an der Rutgers Universität in New Jersey. In den vergangenen 15 Jahren hat er über 100000 Studierende an mehr als 150 Colleges und Universitäten in den USA und in Kanada befragt. In seiner neusten Untersuchung gaben 56 Prozent der MBA-Studenten zu, bei Prüfungen einen Spickzettel zu gebrauchen oder Aufsätze aus dem Netz zu laden. Damit sind die Betriebsökonomen die grössten Mogler. Bei den Sozial- und Humanwissenschaftern waren es 39 Prozent. Was McCabe am meisten überrascht, ist nicht die Tatsache, dass es so viele tun, sondern «dass sie es so freimütig zugeben», wie er der «Financial Times» sagte. Worüber die Studie jedoch keine Auskunft gibt: Vielleicht sind die Betriebsökonomen auch nur ehrlicher im Zugeben ihrer Unehrlichkeit.
Die Unis hierzulande haben das Problem lange bagatellisiert. Aus Angst, Plagiatsfälle könnten ihrem Ruf schaden oder es könnte der Eindruck entstehen, die Dozierenden hätten es nicht im Griff. Unterdessen sieht man es umgekehrt. Die Glaubwürdigkeit der Hochschulen und von deren Exponenten steht auf dem Spiel. «Der Wissenschaftsstandort droht diese zu verlieren, wenn man die krassen Fälle nicht konsequent verfolgt und ahndet», sagt Martin. Notter von der HSG ergänzt: «Es geht letztlich um die ethische Kompetenz der angehenden Akademiker.» Sie sei ebenso wichtig wie die Fach-, Führungs- und Sozialkompetenz. Die Schweizer Unis regeln und sanktionieren das Problem in ähnlicher Weise. Pionierhaft war die Universität St.Gallen. Sie hat als eine der ersten im Dezember 2004 ein Merkblatt eingeführt, worin die Studierenden vor den Folgen des Plagiierens gewarnt werden. Den Übeltätern droht der Ausschluss von sämtlichen Lehrveranstaltungen und Prüfungen für mehrere Semester, in schweren Fällen maximal bis zu drei Jahre inklusive Geldstrafe. «In ganz schwerwiegenden Fällen, also beispielsweise bei einem Dissertationsplagiat, ist vor Jahren auch schon der Ausschluss von der Uni ausgesprochen worden», sagt Notter. Der Ausschluss ist gesetzlich auf maximal drei Jahre befristet.

Erschwindeltes Diplom ist schnell wieder weg

Auch die Uni Zürich hat kürzlich ein entsprechendes Merkblatt herausgegeben, auf dem alles Wichtige von der Zitiertechnik bis zu den möglichen Sanktionen aufgeführt ist. Ein Manko hat die Sache allerdings: Es ist nicht für die gesamte Universität gültig. «Es wäre sinnvoll, wenn es als allgemeinverbindlich erklärt würde», sagt Martin. Das ist bis anhin nicht geschehen. In Zürich werden Ersttäter zwischen zwei und vier Semester von der Uni verbannt. Die «Höchststrafe», der unbedingte Ausschluss, ist selten, wurde aber Anfang Jahr in einem Fall beantragt.
Man will zudem die Verfahren raffen: Der Universitätsanwalt, für Bagatellsachen zuständig, soll gewisse Fälle im Schnellverfahren selber erledigen können, der Disziplinarausschuss nur noch die wirklich gravierenden Fälle behandeln. Also dann, wenn jemand eine ganze Arbeit oder grosse Teile davon abschreibt. Noch fehlt aber die Rechtsgrundlage.
In Basel ist die Plagiatsproblematik in der Studienordnung geregelt. Die Handhabung liegt in den einzelnen Fakultäten. «Sünder» sollen wie an den andern Unis für ein oder mehrere Semester exmatrikuliert werden. Wie viele Fälle insgesamt in Basel behandelt wurden oder werden, lässt sich nicht beziffern. «Es besteht keine Meldepflicht gegenüber dem Rektorat», sagt Hans Syfrig, Leiter Öffentlichkeitsarbeit. Ein für die Sache typischer Fall wurde vor einiger Zeit bekannt: Einem Studenten im Europainstitut wurde das Diplom aberkannt. Er flog auf, weil ein Wissenschafter bei Recherchen auf grosse Teile seiner eigenen Arbeit stiess.

Mit Software auf die Jagd nach Plagiaten

Die Schweizer gehen mit ihren fehlbaren Studierenden im Vergleich zu den USA geradezu behutsam um. Dort fackelt man nicht lange. «Bei uns fliegen Abschreiber beim Erstversuch summarisch von der Universität. Kein Wenn und Aber», schrieb etwa Michael Franz von der University of California, Irvine, schon im Jahr 2002 in einem Internetforum von Debora Weber-Wulff, Professorin für Medieninformatik an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und einschlägig bekannte «Plagiatorjägerin».
Spezielle Software kann Plagiate aufspüren, indem sie die fraglichen Texte mit bereits vorhandenen vergleicht. Dieses Instrumentarium hat die Universität St. Gallen erfolgreich eingeführt. Den Studienanfängern wird im Merkblatt klargemacht, dass ihre schriftlichen Arbeiten stichprobenweise überprüft werden. Notter glaubt, dass das Merkblatt wahrscheinlich eine gewisse abhaltende Wirkung zeigt, «denn die Zahl der entdeckten und disziplinarrechtlich behandelten Fälle ist in letzter Zeit zurückgegangen».
Es gibt dutzende solcher Programme. Über deren Nutzen ist die Fachwelt geteilter Meinung. Debora Weber-Wulff ist skeptisch. «Man kann kein soziales Problem mit Software lösen», sagt sie. Mit etwas Übung seien Plagiate auch ohne diese aufzuspüren. Die wichtigsten Hinweise, dass etwas nicht stimmt, sind Stilbrüche mitten in der Arbeit, Rechtschreibefehler, die plötzlich auftauchen oder verschwinden, und Formatierungswechsel. «Oder wenn beispielsweise ein Student im 2. Semester eine geschliffene Sprache verwendet, wie sie gewöhnlich Personen eigen ist, die seit 30 Jahren regelmässig publizieren», sagt Martin von der Uni Zürich.
Viele Studierende betrachten das Kopieren als Kavaliersdelikt. Als Kinder der Generation Google sind ihnen die Inhalte des Internets Allgemeingut und es fehlt ihnen das Bewusstsein für individuelle Autorschaft. Daher ist es «notwendig, auf breiter Ebene zu sensibilisieren, um das Unrechtsbewusstsein zu schärfen», sagt Martin. Das heisst, den Studienanfängern die Spielregeln wissenschaftlichen Arbeitens, unter anderem das richtige Zitieren, zu vermitteln. Hier sind die Dozierenden und Assistenten gefordert.
In früheren Zeiten hätten die «Wikipedianer» mit ihrem Tun keine Probleme gekriegt. Da war es in der Wissenschaft gang und gäbe, sich von den Arbeiten von Kollegen nicht nur inspirieren zu lassen, sondern diese wörtlich zu übernehmen. Erst Ende des 18. Jahrhunderts tauchte die Idee des Urhebers auf und damit der Gedanke, dessen Schöpfung als geistiges Eigentum zu schützen. Es dauerte nochmals hundert Jahre, bis 1886 die «Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst» in Kraft trat. Dieser völkerrechtliche Vertrag regelte das erste Mal die Urheberrechtsfrage zwischen Staaten. Die Übereinkunft ist noch heute gültig. 162 Staaten gehören ihr an.

Angebote für Volksschule und Gymnasium

Für Studierende, die ihre Zeit nicht mit Googeln verschwenden möchten, gibt es eine elegantere Lösung. Man sucht sich seine Semester- oder Diplomarbeit aus speziellen Websites wie Hausaufgaben.com oder Fundus.org heraus. Diese haben in ihren Archiven hunderte von fertigen Arbeiten, auch für das Gymnasium und die Oberstufe der Volksschule – wohl nach dem Motto «Früh übt sich». Die meisten sind gratis. Die Betreiber verstehen ihre Websites als Wissensdatenbanken. Sie warnen die Benutzer ausdrücklich vor Urheberrechtsverletzungen und führen auch Zitierregeln auf. Doch in der Realität werden sie eifrig als Selbstbedienungsladen benutzt.
Wer noch weniger plump vorgehen möchte und etwas mehr Taschengeld zur Verfügung hat, lässt sich seine Arbeit von professionellen Schreibern machen. Natürlich via das weltweite Netz. Hausarbeiten24.com oder Acad-write.com erstellen nicht nur wissenschaftliche Texte, sondern auch Präsentationen, Interpretationen und statistische Analysen, wie man sie etwa in den sozialwissenschaftlichen Fächern braucht. Fixfertig gedruckt und geliefert. Eine Seite kostet 45 Franken. Braucht man das Werk innerhalb von 48 Stunden, verdoppelt sich der Preis. Aber aufgepasst: Auch Ghostwriting ist eine Plagiatsform.
Auch Professoren erliegen der Versuchung, zu schummeln. Sie erfinden Messreihen oder veröffentlichen Arbeiten ihrer Studierenden und setzen ihren eigenen Namen darunter. Wenn die Sache auskommt, riskieren sie, nicht nur ihren Ruf, sondern auch ihre Stelle zu verlieren, und verbauen sich so ihre wissenschaftliche Karriere.

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