«der arbeitsmarkt» 07/2008

Karriere am Herd

Spitzenköchinnen trifft man in der Schweiz nur selten. Vreni Giger hat es in einer Männerwelt bis ganz nach oben geschafft. In ihrer Küche ist der machomässige Befehlston verpönt.

«Es gab eine Zeit, da wollte ich meinen Beruf an den Nagel hängen. Aber mir kam nichts anderes in den Sinn. Ich stellte fest, dass kochen das Einzige war, was ich konnte.» Vreni Giger, Spitzenköchin und Mitinhaberin des «Jägerhofs» in St. Gallen, erinnert sich an ihre Anfänge. Nach der Kochlehre im appenzelli­schen Teufen wollte sie beruflich etwas anderes machen. Sie hatte mit ihrem Lehrmeister nicht so gute Erfahrungen gemacht. Dann jedoch bekam sie eine Stelle in einem anderen Restaurant angeboten und nahm diese an. Es war ein Neuanfang mit einem tollen Chef, der sie forderte und mit seinen innovativen und kreativen Ideen beeindruck­te. Dort nahm Vreni Gigers steile Karriere ihren Anfang. Damals, mit zwanzig, hätte sie nie gedacht, dass sie eines Tages selbst Küchenchefin sein könnte und wollte. Der Weg dahin hat sich einfach so ergeben.

Neugierige Gäste können beim Kochen zuschauen

Das Restaurant und Hotel Jägerhof liegt etwas versteckt am Ende einer kleinen Strasse in der St. Galler Altstadt. Von weitem sieht man die efeubewachsene Fassade und erkennt erst auf den zweiten Blick, dass sich dahinter ein Restaurant versteckt. Protzig ist anders. Ebenso heimelig wie das Äussere ist die Atmosphäre im Inneren. Der Gästesaal ist elegant eingerichtet, viel Weiss hellt das dominierende Holz des Gebäudes auf. Skulpturartige Wandleuchten werfen ein schönes, indirektes Licht in den Raum, der nicht mit Tischen vollgepackt ist. Hier lässt es sich gut verweilen.
Danach dürfen wir einen Blick in die Küche werfen. Auf den ersten Blick erscheint diese recht klein und auch etwas eng. Die Decken sind niedrig, und um die Kochinsel herum gibt es nicht viel Raum. Hier sollen mehrere Personen gleichzeitig Mehrgänger zubereiten, vom Amuse-Bouche bis zum Dessert? Als die Küchenmannschaft inklusive Vreni Giger um 18.30 Uhr zu arbeiten be­ginnt, erkennt man, dass die Küche vielleicht nicht riesig ist, das vorhandene Raumangebot aber sehr gut genutzt wird. Die Wege sind kurz, und es müssen nicht sinnlose Extrarunden gedreht werden.
In der Küche steht auch ein Tisch, den Gäste mieten können. Diese erhalten dann von Vreni Giger persönlich ein Menu Sur­prise serviert und können gleichzeitig das Kochgeschehen verfolgen. Das Konzept des «Kitchentable» hat Vreni Giger von ­Charlie Trotter in Chicago und Philippe Chevrier in Satigny übernommen. Von eben diesem Tisch aus können auch wir beobachten, wie allerlei Köstlichkeiten zubereitet werden.

Trotz 17 Gault-Millau-Punkten sind ihr Starallüren fremd

Es ist, als würde man in einer Kochsendung sitzen. Was hält Vreni Giger von den zahlreichen Kochsendungen, die im Fernsehen laufen? «Bei jedem Sender, den man einschaltet, läuft gerade eine Kochsendung.» Im Gegensatz zu Kochbüchern, die ein Bildungselement besitzen, von denen auch sie lernen kann, sind Kochsendungen ihrer Meinung nach pure Unterhaltung. Nur gut gemachte und wirklich unterhaltsame Sendungen schaue sie sich auch selber an und lasse sich manchmal inspirieren. ­Unnatürlich sei an diesen Sendungen, dass nie etwas schief­gehe. Die Realität sei schon anders. Innerhalb von zehn Minuten ein Top-5-Gang-Menü auf den Tisch zaubern - im Fernsehen kein Problem, in der Realität schon eher.
Auch der gegenwärtigen Kochbuchmode steht Vreni Giger skeptisch gegenüber. Obwohl sie eines Tages selbst ein Kochbuch herausgeben möchte, will sie auf der aktuellen Welle nicht mitreiten. «Das ist mir too much. Jeder, der das Gefühl hat, er könne einigermassen kochen, gibt ein Kochbuch heraus.» Dieser Hype werde bis in einem halben, spätestens einem Jahr abflauen. Wenn sie eine Idee für ein Buch habe, bei dem sie sagen könne: «Jawohl, das ist Vreni Giger», dann würde sie das machen.
Durch die aktuelle Mode sei das Renommee des Kochberufs enorm gestiegen. Heute gibt es Köche und Köchinnen, die richtige Stars sind. «Manchmal ist mir das fast peinlich. Man wird beinahe ehrfürchtig und wie ein Halbgott behandelt.»
Währenddessen wird in der Küche das Abendessen zubereitet. Hektik? Davon ist nichts zu spüren. Vreni Giger bereitet ein Fischfilet vor, die anderen zwei Köche kümmern sich um die Vorspeisen. Jeder scheint genau zu wissen, was er zu tun hat, so dass die Küchenchefin lediglich die hereinkommenden Bestellungen («Bon neu!») vorzulesen braucht. Es herrscht offensichtlich kein Befehlston in Vreni Gigers Küche, und die ­Küchenchefin ist auch einem gelegentlichen Scherz nicht abgeneigt. Vreni Giger siezt ihre Mitarbeitenden konsequent, und es scheint schwer vorstellbar, dass hier je herumgeschrien wird. Eines der Klischees, die man von der Atmosphäre in Restaurant­küchen kennt, ist, dass ein grober, machomässiger Umgangston herrscht. «Ich habe auch erlebt, dass mein Chef laut herumschrie und dass sogar Pfannen und Teller herumgeworfen wurden. Das will ich in meiner Küche nicht haben.» Viele Küchenchefs würden dem enormen nervlichen Druck nicht standhalten. Sie achte auf einen anderen Ton. Weshalb sie als Küchenchefin immer ihre Ruhe bewahren kann, weiss Vreni Giger nicht. Vielleicht habe sie einfach ein besseres Nervenkostüm als andere.
Wollte sie schon immer Köchin werden? In einer sehr traditionellen Bauernfamilie aufgewachsen, musste Vreni Giger schon früh im Haushalt mithelfen. Während ihre drei älteren Brüder im Stall arbeiteten, ­kochte sie für die Familie. Indem sie ständig neue Kuchen- und Tortenrezepte von Dr. Oetker und Betty Bossi ausprobierte, wurde das Backen zu einem Hobby. Als sie noch sehr jung war, habe sie schon gewusst, dass sie Köchin werden wollte. «Ich habe eigentlich auch nie etwas anderes in Betracht gezogen.» So begann sie eine Kochlehre. Wollte sie nie in der Landwirtschaft tätig sein wie die restlichen Familienmitglieder? Nein, dazu habe sie nie einen Bezug gehabt.
Heute ist Vreni Giger 34 Jahre alt, und ihre Kochkunst hat ihr bisher 17 Gault-Millau-Punkte eingebracht. Sie lebt mit ihrem Ehemann in Teufen AR, in einem umgebauten Appenzellerhaus.

Nur wenige Frauen stossen in die oberste Liga vor

Das nächste grosse berufliche Ziel ist die vollständige Übernahme des «Jägerhofs» im nächsten Jahr. Die jetzigen Mitinhaber, ­Simone und Johann Ulrich Lanz, werden aufhören. Vreni Giger möchte das Restaurant und die Hotelzimmer renovieren. Obwohl eine Vergrösserung des Angebots möglich wäre, will sie in erster Linie den jetzigen Standard weiter erhöhen.
Mit der Mitarbeiterstruktur ist sie sehr zufrieden. Sie beschäftigt zehn Mitarbeitende und will diese auf jeden Fall behalten. «Meine Zukunft ist hier.»
Bleibt bei der anstrengenden Arbeit noch Zeit für Nebenprojekte? Vreni Giger ist Schirmherrin der «Gastrosophinnen», einer Vereinigung von kochinteressierten Frauen, die gegenwärtig 450 Mitglieder zählt. Dieses Engagement sieht sie als Teil ihrer PR-Arbeit. Die Gastrosophinnen gehen in Spitzen­restaurants essen - sie sind auch Gäste im «Jägerhof» - «und geben dafür viel Geld aus». Einige von ihnen seien mittlerweile zu Freundin­nen geworden.
In Spitzenküchen sind Frauen nach wie vor selten anzutreffen. Der Gastroführer «Guide bleu» führt für die ganze Schweiz ­insgesamt 164 Spitzenköche auf. Davon sind gerade einmal zehn Frauen. Erklärungs­versuche dafür gibt es einige: Die Gourmetpäpste hielten lobbymässig zusammen und liessen den Spitzenköchinnen keine Chance, behaupten manche. Oder sind es die körperlich anstrengenden Tätigkeiten, die der Kochberuf mit sich bringt? Oft wird auch gesagt, dass die traditionellen Rollenbilder ein Weiterkommen für Frauen in diesem männerdominierten Beruf erschweren.

Kochen ist harte, körperliche und sehr belastende ­Arbeit

Immerhin absolviert ein Drittel Frauen die Kochlehre, doch ist deren Zahl in den weiteren Ausbildungsstufen schon sehr viel geringer. Die Fachprüfung zur Gastronomie­köchin legen nur noch 15 Prozent Frauen ab. Bei der Meisterprüfung zur Küchenchefin traten dieses Jahr gerade mal zwei Frauen an - bei 42 Teilnehmenden.
Für Vreni Giger ist der Fall sonnenklar. Kochen hält sie für einen handwerklichen Beruf wie Schreiner oder Zimmermann. ­Harte, körperliche Arbeit. Lange Arbeitszeiten, Hitze in der Küche, Stress und die starke nervliche Belastung sind ihrer Meinung nach die negativen Seiten ihres Berufs. Dies werde häufig unterschätzt. Ebenso gebe es nur wenig Kreatives daran. «Frauen wollen das nicht.» Aus Vreni Gigers Sicht gibt das klassische Rollenverständnis den Ausschlag, dass Frauen sich eher dem Partner anpassen als umgekehrt. Das bedeutet, dass lange Arbeitsstunden bis spätabends für Frauen häufig nur so lange in Frage kommen, bis sie mit ihrem Partner zusammenziehen. Was müsste sich an der Ausbildung oder dem Berufsumfeld ändern, damit sich die Situation für Frauen bessert? Nichts ­könne sich ändern, auch nicht an der Aus­bildung. «Ein Koch bleibt ein Koch.»
In ihrer eigenen Küche müssen weder sie noch ihre weiblichen Angestellten 25 Kilogramm schwere Töpfe heben, das hat sie angeordnet. Vreni Giger vertritt eine skeptische Sichtweise, was die Gleichstellung im Kochberuf angeht. Dennoch hat sie feststellen können, dass eine neue Garde von Köchen und Köchinnen im Anmarsch ist, die eine andere Küchenkultur lebt.

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