«der arbeitsmarkt» 12/2006

«Im Zentrum stand immer der Mensch»

Nach 16 Jahren im Dienst der Eidgenossenschaft tritt Jean-Luc Nordmann Ende Januar 2007 in den Ruhestand. Der «arbeitsmarkt» unterhielt sich mit dem Direktor für Arbeit im SECO über seine Erfolge, Enttäuschungen und seine Karriereplanung.

der arbeitsmarkt: Herr Nordmann, wie haben Sie ihre Arbeit beim Bund erlebt?
Jean-Luc Nordmann: Sehr abwechslungsreich! In den vergangenen sechzehn Jahren habe ich die unterschiedlichsten wirtschaftlichen und politischen Situationen erlebt. Sehr gute, aber auch sehr schlechte. Ein Tiefpunkt war die EWR-Abstimmung, die wir verloren, aus der wir aber auch Lehren gezogen haben. Deshalb haben wir später bei der Personenfreizügigkeit die flankierenden Massnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping eingeführt. Erfolg hatten wir auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Flexibilisierung des Arbeitsrechts. Wir konnten unter anderem das Nachtarbeitsverbot für Frauen in der Industrie aufheben, begleitet von den nötigen Schutzbestimmungen.

Gab es auch andere Schwerpunkte in Ihrer Funktion?
Ein Meilenstein war die Umwandlung der Schweizerischen Verkehrszentrale in Schweiz Tourismus, eine moderne Marketingorganisation. Ein weiterer Schwerpunkt war die nicht einfache Einführung der Berufsmaturität und der Fachhochschulen. Damit erfolgte die Öffnung der Lehren «nach oben». Ich wollte, dass eine Lehre nicht das Ende, sondern der Anfang der Aus- und Weiterbildung ist. Bei Projekten in jüngster Zeit denke ich an die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und das neue Schwarzarbeitsgesetz, das 2008 in Kraft gesetzt wird. Wir waren also sehr stark beschäftigt, und bei alldem stand immer der Mensch im Zentrum.

Was war der interessanteste Aspekt Ihrer Tätigkeit?
Am interessantesten war bestimmt der Dialog mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – aber auch das Suchen und Finden von Lösungen für die anstehenden Probleme, unter anderem mit dem Departementschef Joseph Deiss und seit August mit der neuen Chefin Doris Leuthard. Und natürlich war ich immer im Gespräch mit Parlamentariern, Sozialpartnern und den Verantwortlichen der Kantone.

Die grösste Enttäuschung?
Am meisten enttäuscht haben mich die persönlichen Angriffe im Zusammenhang mit der EWR-Abstimmung – und natürlich das negative Ergebnis der Volksabstimmung.

Welche Fortschritte gab es im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit?
Wir hatten im Februar 1997 rund 206000 Arbeitslose. Jetzt sind es noch etwa 122000 Personen. Die manchmal schweren Schicksale haben mich immer bewegt, weil nicht jeder wieder aus dieser Situation herauskommt – aber die meisten schaffen es. Das Ziel ist, Instrumente bereitzustellen, die den Wiedereinstieg erleichtern. Mitte der neunziger Jahre, als die Arbeitslosenzahlen stiegen, haben wir deshalb im Zuge der Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes die Arbeitsvermittlung professionalisiert. So gibt es die RAV heute schon seit zehn Jahren.

Wie kamen Sie auf die Idee, die RAV zu gründen?
Ich war früher KIGA-Chef im Kanton Baselland. Dort hatten wir Gemeindearbeitsämter, wie es schweizweit rund 3000 solcher Ämter gab. Diese waren zum Teil nur milizmässig organisiert, so dass bei Anfragen an die Gemeinde manchmal die Antwort kam, die gewünschte Person sei gerade am Heuen und komme erst abends wieder. Mit solchen Leuten, die zwar persönlich engagiert sind, aber nur zeitweise zur Verfügung stehen, kann man Arbeitsvermittlung nicht effektiv durchführen. Deshalb wollten wir die Abläufe professionalisieren, und das ging nur durch eine Regionalisierung. Das rief zum Teil erhebliche Widerstände hervor, weil es auch Gemeinden gab, die ihre Arbeit sehr gut gemacht hatten.

Was wurde konkret unternommen?
Wir haben bei den RAV zuerst die ganze Finanzierung übernommen und reine Leistungsvorgaben gemacht. Dabei schrieben wir vor, wie viel Zeit eingesetzt werden muss oder auch wie viele arbeitsmarktliche Massnahmen eingesetzt werden sollen. Wurden diese Leistungen nicht erbracht, war dies mit einem Malus verbunden. Aus diesem System entstand dann die wirkungsorientierte Messung, wie sie heute vorgenommen und weit herum als vorbildhaft verstanden wird. Natürlich wird nicht alles gemessen, wie etwa die interinstitutionelle Zusammenarbeit. Das ist ein qualitativer Faktor, der sich quantitativ nur in der Zahl der vermittelten Stellen bemessen lässt.

Sind Sie mit der Arbeit der RAV zufrieden?
Ich bin mit der Gesamtleistung der RAV zufrieden, weiss aber, dass die Arbeit weitergeht. Wenn ich schaue, was in den letzten zehn Jahren an Ausbildung, an Engagement und an Erarbeitung neuer Möglichkeiten geschehen ist, so haben wir Wesentliches erreicht. Darauf können alle Beteiligten stolz sein. Doch wir dürfen uns nicht ausruhen, der Prozess muss weitergehen.

Was kann in Zukunft noch verbessert werden?
Beim Einsatz arbeitsmarktlicher Massnahmen sehe ich noch Verbesserungsmöglichkeiten. Doch auch die interinstitutionelle Zusammenarbeit und die Arbeitgeberbeziehungen dürften in Zukunft noch vertieft werden.

Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung wurden in den letzten Revisionen gekürzt. Entspricht dies dem allgemeinen Trend zum Sozialabbau oder gab es andere Gründe?
Die Leistungen waren zuvor immer wieder verlängert worden. So startete die Arbeitslosenversicherung mit 150 Taggeldern, die später bis auf 520 Tage ausgeweitet wurden. Dies erschwerte die Finanzierung. Dann haben wir die Vermittlung verbessert und die arbeitsmarktlichen Massnahmen geschaffen. Deshalb konnten wir die Bezugsdauer reduzieren. Heute geben wir rund eine Milliarde Franken für Arbeitsvermittlung und die arbeitsmarktlichen Massnahmen aus, die zuvor von den Gemeinden übernommen worden waren. Die Leistung wurde insgesamt also nicht gekürzt, sondern umgelagert.

Gibt es in der Schweiz allgemein zu viel oder zu wenig Sozialstaat?
Zu viel oder zu wenig ist für mich nicht die richtige Frage. Die Frage ist vielmehr, ob die Sozialleistungen, die ausgerichtet werden, zielgerichtet und angemessen sind, ob genügend Anreize und Massnahmen geboten werden, damit die Einzelnen wieder aus ihrer Situation herauskommen, und wie versucht wird, solche Situationen überhaupt zu verhindern. Letzteres ist ja auch Sache jedes Einzelnen. Die Arbeitslosenversicherung jedenfalls, wo ich selber verantwortlich zeichne, ist heute in einer Situation, die zwar noch gewisse Korrekturen bedingt, deren Grundrichtung aber in Ordnung ist.

In die 16 Jahre Ihres Wirkens ist der Aufstieg der SVP in der Bundespolitik gefallen. Wie haben Sie ihn erlebt und welchen Einfluss hatte er auf Ihre Arbeit?
Ich würde nicht den Aufstieg der SVP, sondern die Polarisierung als Problem sehen. Die Auseinandersetzung wurde teilweise härter – wobei ich an sich nichts gegen die Härte habe. Aber es wird zum Teil zu stark auf Positionen beharrt. Beide Seiten sind heute in geringerem Mass bereit, Kompromisslösungen zu finden, als das früher der Fall war. Wenn wir mit dem heutigen System fortfahren wollen, müssen wir daran arbeiten, wieder Lösungen zu suchen. Dass man sich sagt, wir sind gewählt, um Lösungen zu finden, und nicht, um sie zu verhindern.

Hat die zunehmende Polarisierung Ihre Arbeit erleichtert oder erschwert?
Natürlich wurde meine Arbeit damit schwieriger, aber nicht unmöglich. Es bedingt einfach eine andere Methode. Man muss eher versuchen, die Repräsentanten im direkten Gespräch zu überzeugen. Früher geschah dies vor allem in den Kommissionen, heute muss man hie und da ausserhalb Mehrheiten suchen und finden. Dabei versuche ich, die betreffenden Exponenten im persönlichen Gespräch zu überzeugen.

Wahrscheinlich hätten Sie mit Ihrer Ausbildung und Ihren Fähigkeiten in der Privatwirtschaft mehr Geld verdienen können als beim Bund. Reut es Sie nicht?
Nein, ich konnte eine faszinierende Tätigkeit ausüben. Übrigens hätte ich mich vor drei Jahren mit der gleichen Rente pensionieren lassen können, doch das wollte ich nicht. Natürlich habe ich keine Freude daran, dass es Arbeitslosigkeit gibt – aber Freude an der Aufgabe, etwas dagegen zu tun, Lösungen zu finden oder Konzepte zu erarbeiten. Diese Gestaltungsmöglichkeit entschädigt einen ja auch. Ausserdem ist die Befriedigung bei der Arbeit wichtig. Nur mit Geld allein ist bekanntlich niemand glücklich – auch wenn ich weiss, dass diese Aussage nur dann gemacht werden kann, wenn ein gewisses Niveau erreicht ist.

Haben Sie Ihre Karriere so geplant gehabt?
Nein, das waren lauter Zufälle. Als Jurist habe ich meine Sporen am Gericht abverdient und bin dann von einem Kollegen aus dem Militärdienst für eine Stelle in der Personalberatung angefragt worden. Von dort wurde ich zum Vorsteher des KIGA Baselland gewählt. Später war ich Präsident des Verbandes der Arbeitsämter und hatte viel mit dem Bund zu tun. Als mein Vorgänger beim BIGA, Klaus Hug, zurücktrat, schlug man mir vor, mich für seine Stelle zu bewerben.

Sind Sie neben Ihrer Arbeit auch ehrenamtlich engagiert?
Ja, wobei ich neben meinem Amt relativ wenig Zeit habe. Im Moment bin ich Präsident des Fördervereins Uni Basel. Dort haben wir das Ziel, den Kanton Baselland voll an der Universität zu beteiligen. Das heisst, dass Baselland die gleiche Verantwortung tragen soll, wie dies jetzt der einzige Trägerkanton Basel-Stadt tut, aber auch die vollen finanziellen Verpflichtungen. In beiden Parlamenten ist die Vorlage auf gutem Weg; im nächsten Jahr wird wahrscheinlich die Abstimmung stattfinden. Als Präsident will ich mit dem Verein erreichen, dass die Vorlage auch vom Volk überzeugend angenommen wird. Das tue ich auch, weil ich immer noch im Baselbiet verwurzelt bin; hier in Bern bin ich nur Wochenaufenthalter.
 
Was tun Sie in Zukunft, wenn Sie nicht mehr arbeiten müssen?
Vor März will ich nichts Neues annehmen. Zuerst reise ich mit meiner Frau nach Südamerika. Dann habe ich verschiedene Angebote zu prüfen. Im Übrigen will ich mich verstärkt meinen Freunden, meiner Familie und vor allem meinen Enkelkindern widmen. Ausserdem möchte ich wieder vermehrt Opern besuchen, in der Schweiz und im Ausland, und mehr Bücher lesen, die nicht Fachbücher sind. Auch mehr Sport steht auf dem Programm: Neben Tennis spiele ich auch Golf. In Zukunft möchte ich mehr trainieren, als nur zu spielen wie bis anhin. Aber es wäre falsch zu sagen: «Jetzt hört er auf und spielt mehr Golf.» Es ist einfach eine von verschiedenen möglichen Beschäftigungen.

Was raten Sie Ihrem Nachfolger Serge Gaillard?
Er sollte sich selber bleiben und das Amt führen, wie es seiner Person entspricht. Doch er soll nie ausser Acht lassen, dass es dabei um Menschen geht. Und er soll sich bewusst sein, dass der liberale, flexible schweizerische Arbeitsmarkt ein Trumpf unseres Wirtschaftsstandortes ist. 

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