«der arbeitsmarkt» 09/2007

Im Dienste der Gesellschaft

740 Millionen Stunden werden in der Schweiz pro Jahr an freiwilliger Arbeit geleistet, rund 1,5 Millionen Menschen führen mindestens eine unbezahlte Tätigkeit aus. Beliebt sind vor allem kurzfristige Engagements.

Ehrenamtliche Fahrer bei Tixi Taxi, Mitarbeit beim WWF oder bei Pro Natura, Köchinnen für Sommerlager, Schulbegleitung mit pädagogischer Ausbildung, reisefreudige Begleitperson, Beistände, Vorstände, Helfer für ein internationales Hilfswerk oder Sterbebegleiterin im Zürcher Hospiz Lighthouse: Freiwilligenarbeit ist äusserst vielfältig – und unterschiedlich begehrt. Laut Peter Künzle, Geschäftsführer der BENEVOL St.Gallen, einer Dienstleistung des Schweizerischen Roten Kreuzes Kanton St.Gallen, erklären sich die Unterschiede jedoch nicht mit der Tätigkeit, sondern mit den Arbeitsbedingungen. So fänden sich für kurzfristige und nur wenige Stunden dauernde Engagements viel leichter Freiwillige als für langfristige und zeitintensive Freiwilligenarbeit. Es meldeten sich zwar weniger Leute als noch vor einigen Jahren, die Zahl derer, die sich für einen ausgeschriebenen Einsatz eigneten, sei aber nicht gesunken. Den Grund sieht Künzle darin, dass die Freiwilligenarbeit heutzutage professioneller kommuniziert wird. Das geschieht in der Ostschweiz zum Beispiel mit Hilfe von Stellenanzeigern. Dreimal pro Jahr liegt dem «St.Galler Tagblatt», der «Südostschweiz» und der «Linth-Zeitung» ein mehrseitiger Anzeiger mit Angeboten in der Freiwilligenarbeit bei. Als Pendant dazu ist eine Online-Stellenplattform für Freiwilligenarbeit in der Deutschschweiz im Aufbau (www.freiwilligenjob.ch).
Bei der Fachstelle für Freiwilligenarbeit in Schaffhausen beob-achtet man einen ähnlichen Trend. Hier melden sich derzeit sogar mehr Freiwillige als in den vergangenen Jahren. Elsbeth Fischer-Roth von BENEVOL Schaffhausen schreibt dies der Unterstützung seitens der Tageszeitung «Schaffhauser Nachrichten» zu. Dank dem regelmässigen Erscheinen der Inserate melden sich auch Leute, die bereits seit einiger Zeit mit der Freiwilligenarbeit liebäugeln. Vielen, weiss Elsbeth Fischer-Roth, sei es ein Bedürfnis, sich zunächst einmal zu informieren – oft auch mehrmals. Etwa 30 Prozent entscheiden sich schliesslich für einen «Aktivdienst».
«Die Betreuung der Freiwilligen hat sich vor allem dank der Unterstützung durch die Fachstellen stark verbessert», betont Fischer-Roth. Eine Professionalisierung der Freiwilligen im Sinne einer Ausbildung sei allerdings nur bei einem Teil der Einsatzgebiete gefragt, etwa bei der Vorstandsarbeit oder bei Beiständen. In den Bereichen Begleiten und Besuchen seien Fähigkeiten wie Einfühlungsvermögen, Geduld und Freundlichkeit erwünscht. Allesamt Fähigkeiten, welche Leute, die sich in solchen Bereichen engagieren, ohnehin schon mitbringen würden.

Arbeit im Wert von 27 Milliarden Franken

Die Fach- und Vermittlungsstellen achten bei Anfragen genaues-tens darauf, ob sich eine Tätigkeit grundsätzlich für Freiwillige eignet, um dem Missbrauch vorzubeugen. BENEVOL Schweiz hat dazu Standards festgesetzt. Sie beinhalten unter anderem Fragen der Sicherheit und der Arbeitsbedingungen. Mit den Standards alleine ist es aber nicht getan. Man müsse weiterhin in die fachliche Beratung investieren und das Freiwilligenkonzept von Organisationen hinterfragen und verbessern, betont Peter Künzle von BENEVOL St.Gallen. Für anforderungsreiche Tätigkeiten würden zudem Eignungsprofile erarbeitet.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung von freiwilliger und ehrenamtlicher Arbeit ist enorm und wird für die Schweiz auf jährlich 27 Milliarden Franken geschätzt. Es sind 740 Millionen Stunden Arbeit pro Jahr, die hierzulande an freiwilliger Arbeit geleistet werden. Rund 1,5 Millionen Menschen führen mindestens eine solche unbezahlte Tätigkeit aus. Dabei sind die Schätzungen wahrscheinlich zu tief angesetzt, wie Peter Künzle festhält, weil viele ihre freiwillig geleistete Arbeit nicht angeben. Sie betrachten ihr Engagement nicht als Arbeit oder schätzen es als zu unbedeutend ein – wobei gerade die Aufsummierung zeigt, wie wichtig Freiwilligenarbeit doch ist. Die Gesellschaft ist auf diese Form der Arbeit ebenso angewiesen wie auf die Lohnarbeit.
Freiwilligenarbeit ist ein gesellschaftlicher Beitrag an Mitmenschen und Umwelt. Sie deckt meist Leistungen ab, die nicht erbracht würden, wenn sie bezahlt werden müssten. Doch zur Freiwilligenarbeit zählen nicht nur karitative und soziale Tätigkeiten. Auch die ehrenamtliche Arbeit für Vereine gehört dazu, und zwar vom Sportverein bis zum politischen Amt.

Vielfältige Tätigkeiten und Motive

Unterschieden wird bei der Freiwilligenarbeit zwischen der informellen und der institutionalisierten Form. Zur informellen Freiwilligenarbeit zählen unbezahlte Tätigkeiten wie Nachbarschaftshilfe, Pflege von Verwandten, Hüten der Kinder von Verwandten, Bekannten oder Nachbarn, Gartenarbeit, Zügelhilfe und Transportdienste. Frauen engagieren sich stärker in diesem Bereich, während Männer eher institutionalisierte Freiwilligen-arbeit leisten. Darunter fallen ehrenamtliche und freiwillige Tätigkeiten für Organisationen wie Sportvereine, kulturelle Vereine, kirchliche Institutionen, Parteien, Ämter und Interessenvereinigungen.
Freiwillige Arbeit ist in der Regel nicht bezahlt und in den die Regel bestätigenden Ausnahmen nur gering. Aber unbezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit ist nicht automatisch Freiwilligenarbeit. So gilt Arbeit, aus der sich ein konkreter Eigennutzen ergibt, nicht als freiwillig.
Die Motive für Freiwilligenarbeit sind vielfältig. Die einen sehen sie als Lernfeld an, in dem sie neue Erfahrungen machen und Kompetenzen einsetzen können, die sich in ihrem Beruf nicht einbringen lassen, oder ganz neue Stärken an sich entdecken können. Für andere ist Freiwilligenarbeit ein Ausgleich oder eine
Abwechslung zum Berufsleben, um auf andere Gedanken zu kommen. Wiederum andere schätzen daran, dass sie über die Freiwilligenarbeit neue Bekanntschaften und Freundschaften schliessen oder sich in eine Gemeinschaft integrieren können.
Viele Freiwillige verspüren Genugtuung darin, anderen Menschen zu helfen, und das Gefühl, gebraucht zu werden, spielt ebenfalls eine Rolle. So melden sich laut Elsbeth Fischer-Roth bei BENEVOL Schaffhausen zunehmend mehr Menschen, die krank sind, und Menschen mit Behinderung, vor allem mit psychischer Behinderung. Sie suchen nicht Freiwilligenarbeit im klassischen Sinn, sondern eine Aufgabe im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Aber auch ältere Menschen suchen gemäss Rosmarie Schneider, Geschäftsleiterin von BENEVOL Basel-Stadt, nach der Pensionierung eine freiwillige Tätigkeit, weil sie die Kontakte mit Menschen sehr schätzen.
Und schliesslich spielen auch ethische Motive eine wichtige Rolle. Rosmarie Schneider formuliert es so: «Man sagt sich: ‹Mir geht es doch so gut. Da möchte ich auch etwas davon weitergeben.›»

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