«der arbeitsmarkt» 04/2005

Ich-AG: der Modellbauer und die Hundebetreuerin

Die Region Hof ist die strukturschwächste Region im Freistaat Bayern. Direkt an der Grenze zur ehemaligen DDR und zu Tschechien gelegen, profitierte sie bis zur Grenzöffnung von der Grenzlandförderung; heute fliessen die Fördergelder in die benachbarten neuen Bundesländer. Die Arbeitslosenquote lag 2004 mit 11,8 Prozent zwar nur knapp über dem deutschen Durchschnitt (10,8 Prozent), aber gewaltig über dem bayerischen Schnitt von 7 Prozent. Im vergangenen Jahr bezogen in der Region Hof 305 Personen die Existenzgründungsförderung im Rahmen der Ich-AG, 380 das nur ein halbes Jahr lang gewährte Überbrückungsgeld. «der arbeitsmarkt» hat zwei Jungunternehmende besucht, die den Schritt aus der Arbeitslosigkeit in die Selbständigkeit wagten.

Sabine Müller, Hundesalon Merlin und Tier-Reiki

Sabine Müller wagte den Schritt in die Selbständigkeit im Oktober 2003. Sie entschied sich für eine Ich-AG, da es ihr sicherer erschien, drei Jahre zumindest eine geringe Förderung zu bekommen, als nur ein halbes Jahr lang vom Staat unterstützt zu werden.
Als sie arbeitslos wurde, besuchte sie die Hundecoiffeurschule und holte sich dort das nötige Know-how vom richtigen Hundebaden über Ohrenpflege, Behandlung von Problemhaut bis hin zu den verschiedensten Hundefrisuren. Dann machte sie sich mit ihrem «Hundesalon Merlin» selbständig. «Früher war ich Nachtschwester, jetzt habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht», denn das Fell ihres eigenen, heiss geliebten Schnauzers habe sie schon immer selbst getrimmt, erzählt die fröhliche 29-jährige Hundecoiffeuse.
Ohne Eltern und Grosseltern wäre der Schritt trotz des Zuschusses durch das Ar-beitsamt nicht möglich gewesen. «Allein die Einrichtung vom Schertisch und der Hundebadewanne bis hin zur Fönbox kostet eine Menge», rechnet Sabine Müller vor. Dazu kommen Ladenmiete, Fixkosten, Werbung und Fortbildungen. «Anfangs braucht es schon Sitzfleisch», erinnert sie sich. «Da denkt man sich dann: Nun habe ich all das viele Geld ausgegeben und jetzt kommt keiner. Aber wenn sich die ersten Kunden gut bedient fühlen, spricht sich das langsam herum.»
Sie ist ständig daran, neue Kunden zu finden, schaltet Werbung in der Lokalzeitung, fragt bei Tierärzten, ob sie ihren Flyer auslegen darf, geht zu Züchtern. «Und in der Mittagspause führe ich meinen Hund an den Orten aus, wo viele Hundebesitzer unterwegs sind. Da kommt man ins Gespräch, und ich verteile Visitenkarten.»
Heute lebt sie vor allem von Mund-zu-Mund-Propaganda, hat etwa 150 feste Kunden, die in regelmässigen Abständen mit ihrem Liebling vorstellig werden. «Da kennt man dann auch die Wehwehchen der vierbeinigen
Kunden. Gerade bei meinen ‹Rentnern› weiss ich, wer Probleme mit dem Ischias hat, mit der Prostata. Die Hundebesitzer schätzen es, wenn ich ihnen Ratschläge geben kann.»
Ständig kümmert sie sich um ihre Weiterbildung. «Da muss man ständig dranbleiben, die Mode ändert sich. Früher hat man beim Pudel die Ohren oben ausrasiert, das käme heute nicht mehr in Frage.» Auch Tricks holt sie sich aus der Fortbildung, etwa wie man einen Hund so frisiert, dass dessen O-Beine nicht mehr auffallen. «Und wenn ein Hund im Alter einen Senkrücken bekommt, lasse ich halt oben die Haare länger, dann sieht man das nicht so.»
Zudem hat sie mittlerweile ein weiteres Angebot in ihrem Salon: Reiki für Tiere. Das soll Problemtiere beruhigen und die Selbstheilungskräfte fördern. Den Kurs zum ersten Grad hat sie von ihrem Lebensgefährten
geschenkt bekommen. Noch auf dem Weg zur Veranstaltung war sie nicht besonders überzeugt: «Ich hab gedacht, das kann wieder ein Schmarrn sein, und war skeptisch. Aber ich bin eines Besseren belehrt worden. Mittlerweile habe ich sogar den zweiten Grad erworben.» Noch ist Reiki nur ein Nebengeschäft. Die Leute hier im bayerischen Norden seien eben etwas konservativ, ein eher zurückhaltendes Völkchen. «Die junge Generation kann damit aber schon was anfangen. Die Leute kommen, weil das Tier ein Problem hat, und sehen, dass es tatsächlich hilft», hat sie erfahren. Darüber hinaus bildet sie sich über einen Fernlehrgang zur Bachblütentherapeutin weiter. «Ich versuche, mir nach und nach mehrere Standbeine aufzubauen, denn man weiss nie, was noch alles kommt in den nächsten Jahren.»
Ruhiger gelebt habe sie als Nachtschwester, aber dennoch will sie ihre Selbständigkeit nicht mehr missen. Sie hat ihren Traumberuf gefunden. Dafür hat sie keine festen Arbeitszeiten mehr, an Ferien ist nicht zu denken, Kalkulationen und Buchhaltung wollen ebenfalls erledigt sein. Ohne Steuerberater, der ihre Buchhaltung regelmässig überprüft, läuft nichts.
Ob sie den Schritt noch einmal wagen würde, wenn sie genau wüsste, was auf sie zukommt, weiss sie nicht. «Schon die ganzen Anträge auszufüllen, war mühsam, all das Beamtendeutsch, oft weiss man gar nicht, was die meinen», erinnert sie sich.
«Ich glaube wenn man selbständig ist, gibt es von der Wiege bis zur Bahre nur noch Formulare.»
Oft habe sie sich allein gelassen gefühlt bei all den unternehmerischen Entscheidungen, die sie als Angestellte ja nie habe treffen müssen, auf die sie nicht vorbereitet war. Sie musste eine passende Krankenkasse finden, sich selbst rentenversichern. Irgendwann erfuhr sie, dass sie auch Betriebshaftpflicht und Berufsunfähigkeitsversicherung abschliessen sollte, «denn man weiss nie, ob nicht doch mal ein Hund zubeisst». Gebissen worden sei sie bisher allerdings erst zweimal, und nie ernsthaft. «Scheinbar bin ich in
Hundekreisen eine ernst zu nehmende Persönlichkeit», ergänzt sie verschmitzt. 

Dieter Kalb, KD-Modelltechnik

Dieter Kalb verschickt jeden Tag ein gutes Dutzend Päckchen an seine Kunden, Modellbaufreaks in ganz Europa. Zur Selbständigkeit kam er «mehr durch Zufall», wie er sagt. Während er im bayrischen Hof die Technikerschule besuchte, entdeckte er die Liebe zum Modellfliegen. Ein schönes Hobby, aber ein Problem gab es: Gewisse Teile waren in der Gegend kaum zu bekommen, und irgendwann schlossen auch noch die letzten Spezialläden. «Die meist älteren Kollegen haben mir gesagt: Du bist doch jung und hast einen Computer. Geh doch mal online und schau, ob du da die Sachen nicht herkriegst», erzählt Kalb. So bestellte er seine ersten Kabel und Stecker, meist ein bisschen mehr, als er brauchte, denn dann gab es Mengenrabatt. Immer mal wieder verkaufte er ein paar Teile bei eBay und startete nebenbei irgendwann einen kleinen Online-Shop.
Im Juli 2004 machte er sich damit selbständig. Er nahm das Überbrückungsgeld in Anspruch und kam in den Räumen des Gründerzentrums Hof unter, wo er von güns-tigen Rahmenverträgen – etwa mit der Post – profitiert. Mittlerweile hat er knapp 850 Kunden, von denen die Hälfte regelmässig bei ihm bestellt. Bestellungen kommen aus ganz Europa, obwohl sein Katalog bisher nur auf Deutsch existiert. Ihn auf Englisch auszuweiten, hat er schon lange vor, aber er hat keine Zeit dazu.
14- bis 16-Stunden-Tage sind für Dieter Kalb heute der Normalfall, freie Wochenenden selten. Das war natürlich nicht immer so. «Anfangs sass ich manchmal vor dem PC und kam ins Grübeln, wenn tagelang
keine Bestellung kam», erinnert er sich. «Klar kam da der Gedanke: War das jetzt das Richtige? Aber dann bin ich halt fliegen gegangen, das bringt auf andere Gedanken.» Mit der Zeit kam er dahinter, warum sich manches nicht verkaufte: «Viele Teile nützen nur, wenn man sie in der Kombination mit anderen bekommt. Wenn der Kunde einen Motor will, braucht er dazu auch Motorsteller, Luftschrauben und Akkus. Er bestellt nur, wenn er alles aus einer Hand bekommt, schon wegen der Versandkosten.»
Anfangs verbrachte Kalb am PC viel Zeit in den verschiedenen Modellfliegerforen. Dort gab er Tipps, und mit der Zeit fanden so viele den Weg zu seinem Online-Katalog. «Klar schreibt man da nicht: Und das Teil kannst du dann bei mir bestellen, sondern gibt bei seinem Nutzernamen dezent die Webadresse an. Der Mensch ist ja klickfreudig, wenn er irgendwo einen Link sieht, kann er nicht widerstehen.» Zudem schickt er, wenn er neue Produkte hat, Infos und Bilder davon an Fachzeitschriften, die das gerne aufgreifen. Beides ist kostenlose Werbung, die hilft, sein Angebot bekannter zu machen – aber zeitaufwändig.
Den Grossteil seiner Zeit verbringt Kalb damit, spezifische Antriebsauslegungen für die speziellen Vorstellungen seiner Kunden auszuknobeln oder E-Mails mit Fragen zu beantworten, und ärgert sich manchmal: «Oft ginge es am Telefon schneller, aber man kann den Leuten ja nicht vorschreiben, wie sie ihre Infos einholen.» Zu seinem Service gehört auch CNC-Fräsen (Computer Numerical Control). Kunden können ihm Pläne von speziellen Teilen schicken, die sie nicht vorgefertigt beziehen können. Kalb fräst sie ihnen. Noch ist das nur ein kleines Nebengeschäft, «aber es zieht andere Verkäufe nach sich».
Buchhaltung und Kalkulation empfindet er als lästiges Übel, aber das gehöre eben dazu. In der Lagerhaltung ist er vorsichtig, mehr als einen Wochenbedarf hat er nicht vorrätig, Nachschub bekommt er ja innerhalb von vier Tagen. Teure Teile ordert er ohnehin nur, wenn ihm eine Bestellung
vorliegt. Und die Zahlungsmoral der Kunden? «Die ist ganz gut. Aber ich liefere sowieso nur gegen Bankeinzug, Vorkasse oder Nachnahme. Falls doch mal jemand nicht bezahlt, lege ich die Rechnung einfach aufs Fax und schicke sie dem Inkassobüro. Dann ist das aus dem Kopf», erklärt Kalb. Er habe bei Kollegen schon zu oft gesehen, wie diese sich selber abmühten, an ihre Ausstände zu kommen. Das koste enorm viel Zeit und Kraft. Mit dem Inkassobüro habe er bisher immer sein Geld bekommen, auch wenn es schon mal ein paar Monate dauern könne. Zudem koste ihn das nicht einmal Geld, die Gebühren hole sich das Inkassobüro vom säumigen Kunden.
Sein Ziel ist, in etwa zwei Jahren jemanden einstellen zu können, der ihm Routinearbeiten abnimmt. «Ich packe jedes Päck-chen selber, schreibe alle Rechnungen. In der Zeit würde ich lieber neue Artikel suchen und in den Shop einbinden. Und vielleicht treffe ich ja mal einen findigen Konstrukteur, der gern zeichnet und viel Zeit hat. Dann könnte ich mehr eigene Modelle anbieten, momentan gibt es nur ein einziges.» Und vielleicht hat er auch wieder irgendwann Zeit zum Fliegen.

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