«der arbeitsmarkt» 12/2006

Hit-Recycling

Coverversionen gehören seit jeher zur Popmusik. Doch so viel – und so schamlos – wie heute wurde auf dem Musikmarkt noch nie recycelt.

«Alles nur geklaut», sangen die Prinzen schon 1993. Dieser Song ist zwar eine Eigenkomposition, aber geklaut wird auf dem Musikmarkt alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Und zwar nicht nur, weil das Revival-Karussell kontinuierlich vergangene Stilepochen zurückholt. Auch die heutigen Ohrwürmer wirken zunehmend vertraut. Kein Wunder: Akkorde, Töne, Harmonien und Gitarrenriffs werden kurzum oder ganz nachgespielt. Der Anteil von Coverversionen hat sich in den Schweizer Single-Charts in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht, schätzt John Bürgin, Musikredaktor von Virus.
Coverversionen sind kein neues Phänomen: Marilyn Mansons «Tainted Love» stammt nicht wie meist angenommen von den Synthiepop-Helden Soft Cell, sondern von der US-amerikanischen Soul-Künstlerin Gloria Jones. «Rock Around The Clock», ursprünglich von Sonny Dae & His Knights, wurde erst in der Version von Bill Haley zum durchschlagenden Erfolg. Dadurch ergibt sich ein qualitativer Unterschied: Statt ein Stück neu zu interpretieren oder lustvoll umzudeuten, wird es nur mehr recycelt. Pop-Königin Madonna coverte Teile von «Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)» von Abba (1979) und machte vergangenes Jahr daraus den Erfolgshit «Hung Up». Auch Madonna selbst wird immer wieder gerne nachgespielt. «Like A Prayer» wurde 18 Mal frisch produziert. «Holiday» gibt es in 17 Versionen auf dem Musikmarkt.
«La Isla Bonita» ein Mal weniger.

Maximaler Ertrag bei minimalem Aufwand

Diese Anzahl ist gegenüber «Yesterday» der Beatles gar nichts. Je nach Quelle wurde die melancholische Ballade aus den Swinging Sixties 2500 Mal nachgespielt! Der Nostalgiebonus ist praktisch eine Garantie, um die Charts zu erobern. Wer «Venus» (Tom Jones, Banamarama), «Killing Me Softly» (Lori Lieberman, Roberta Flack, Fugees) zum x-ten Male covert, hat schon halb gewonnen.
Doch ein Cover muss nicht zwingend Erfolg auf dem Musikmarkt haben. Ein jüngeres Beispiel im Stile von «Keine Garantie auf Erfolg» wurde am diesjährigen Eurovision Song Contest in Athen gesungen. Die belgische Sängerin Kate Ryan probierte es mit einer Version von Mylène Farmer. Die Liebeserklärung «Je t’adore» kam beim Publikum nicht an und schaffte es in der Schweizer Hitparade nicht über Platz 65. Es gibt wahrscheinlich tausende Covers, die nie in unseren Ohren klingen, die klammheimlich wieder verschwinden. Man denke nur an die ganzen Popsternchen à la Music Star, die ihre Celine-Dion-Stimme immer noch suchen …
Maximaler Ertrag, minimaler Aufwand. Den Kostenrechnern bei den grossen Plattenfirmen gefällt diese Praxis: Sie bringt maximalen Ertrag bei minimalem Aufwand – und treibt manchmal seltsame Blüten. John Bürgin vom Jugendradio Virus: «Es werden taktische und wirtschaftliche Gründe sein, die eine Plattenfirma dazu bewegen, solche Scheiben auf den Markt zu schieben.» In den wilden Achtzigerjahren war «Self Control» von Laura Branigan und dem Italiener Raff gleichzeitig in den Hitparaden. Der Sommerhit 2004 von O-Zones «Dragostea Din Tei» etwa wurde von «Haiducii» quasi in Echtzeit gecovert. Beide Tracks waren gleichzeitig in den Charts, und dies über Wochen.

Coverversionen aus der Hitfabrik

Auf dem Schweizer Markt wird ebenfalls gerne im Selbstbedienungsladen «Cover» eingekauft. DJ Bobo soll seinen ersten Hit «Somebody Dance With Me» (1992) nach dem Stück von Rockwell «Somebody’s Watching Me» (1983) geformt haben. Wiederum elf Jahre später wurde der Klassiker gleich nochmals von der britischen Formation Beatfreakz benutzt. Der Erfolg war im Vergleich zu DJ Bobo bescheiden. Die Engländer schafften es hierzulande gerade in das untere Drittel der Charts.
Der grösste Bobo-Hit «Chihuahua» wurde von Luis Oliveira & His Bandodalua Boys verfasst. Der nationale UNO-Botschafter gegen den Hunger machte daraus den weltweiten Sommerhit 2003.
Eine erfreuliche Ausnahme ist für Carlo Pozzi von EMI Music Schweiz ein Travis-Cover des Queen-Titels «Killer Queen». «Da spürt man die Begeisterung für das Original bei jeder Note», sagt der Head of Promotion vom Major-Label. Für Pozzi ist wichtig, dass ein Song nicht zerstört wird. «Eine Neuauflage kann erfrischend sein und das Original einem neuen Publikum wieder schmackhaft gemacht werden.» Er sagt aber auch, dass Ideenlosigkeiten nerven: «Schlechte DJs nehmen einen Track, mischen ein paar Takte dazu – und fertig ist der Schlamassel.» Doch Musikprofi Pozzi kennt auch bei DJs eine Ausnahme: «Einer meiner Lieblingscover ist
‹Another Chance› von Roger Sanchez.» Der New Yorker DJ coverte dafür die Ballade «I Won’t Hold You Back» von Toto. Die SanchezScheibe brachte es damit von null auf Platz eins in den englischen Charts.

Wer unrechtmässig covert, handelt sich Ärger ein

Einfach einen Teil eines Hits in das Rührwerk von Computer und Effektmaschinen zu werfen, geht nicht. Musik und Texte sind geschützt durch das Urheberrecht. Die Abgeltung wird in der Schweiz durch die Suisa vollzogen. Rechteinhaber des Originals werden bei einem Cover in der Regel am Erfolg beteiligt. Abänderungen eines Liedes müssen vorerst beim Verlag oder Komponisten abgeklärt werden. Bernhard Wittweiler, Leiter des Suisa-Rechtsdienstes: «Wenn eine Band einen Song covern will, muss erst der Verlag oder der Urheber einverstanden sein. Auch die Interpreten- und Produzentenrechte müssen eingehalten werden. Sonst wird es teuer.» In Franken einen Betrag zu nennen, ist jedoch schwierig. Auch Schätzungen bringen nichts. Beim Einkauf der Rechte zählt allein das Verhandlungsgeschick.
Einen wesentlichen Grund für die Schwemme von Coverversionen findet man bei den aktuellen Musikstilen selbst. Hip Hop basiert praktisch nur auf bestehenden Sound- oder Melodieschnipseln. In der Fachsprache heissen diese Schnipsel Samples. Es ist wie bei einem Kochrezept: Man nehme eine Schlagzeugspur davon, den Bass hiervon und die Gitarre von anderswo. Dazu noch ein grosses Stück Synthetisches aus der Konserve – gepaart mit einem im Ohr bleibenden Refrain, natürlich aus einem früheren Jahrzehnt – und fertig ist der Hit. «Man kann hier von einem Baukastensystem reden», erklärt John Bürgin. «Wenn ein Produzent das Feeling für den Musikmarkt hat, warum auch nicht?» Ein Produzent kann im Schlafzimmer heute mit seinem PC einen Hit produzieren. Das nötige Equipment dazu kostet etwa so viel wie ein Kleinwagen.

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