«der arbeitsmarkt» 12/2005

Hauptsache gesund

Das Amt für Arbeit in St.Gallen will die gesundheitlichen Folgen von Erwerbslosigkeit nicht länger tabuisieren. Gesundheitsförderung soll gezielt als Instrument eingesetzt werden, um Betroffene in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

«Früher wurde Krankheit gefeiert. Heute wird man wegen ihr gefeuert», kommentiert Komiker Urs Welter den Wandel der Zeit.
Mit Ironie stellt er fest, wie früher die Lücke zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit von Scheininvaliden in Beschlag genommen wurde. Heute könne die Lücke wenigstens mit echten Kranken gestopft werden, meint der Unterhaltungskünstler mit todernster Miene und skurriler Stimme. Welters Auftritt an der diesjährigen AM-Tagung in St.Gallen ist kein Zufall.
Auf witzige Art und Weise versucht er den Zuschauern klar zu machen: Trotz der Ernsthaftigkeit der Lage sollte der Humor nicht auf der Strecke bleiben. Dies gelingt ihm auch. Das Publikum, hauptsächlich RAV-Mitarbeitende, bricht immer wieder in lautes Gelächter aus. Ein guter Einstieg zum diesjährigen Schwerpunktthema «Arbeitslosigkeit und Gesundheit».
Die gesundheitlichen Folgen von Arbeitslosigkeit werden oft pauschalisiert oder nur am Rande erwähnt. Die Betroffenen sind überfordert oder schweigen. Tatsache ist, dass der Gesundheitsförderung während der Stellensuche nicht genügend Beachtung geschenkt wird. Dabei schätzen sich Arbeitslose selbst oft gesünder ein, als sie es tatsächlich sind. Das geht aus dem Referat von Jürg Schiffer hervor. Der Soziologe und Autor aus Bern weist darauf hin, dass Gesundheit nicht nur über die individuelle Befindlichkeit zu definieren sei. Sie betreffe das persönliche Beziehungsnetz genauso wie die gesamte Gesellschaft. Er warnt davor, sich auf
das «Naturgesetz» liberaler Wirtschaftsideologien zu berufen. Das Recht des Stärkeren sei untauglich, wenn es um konstruktive Lösungen für soziale Probleme gehe.
Der zweite Referent der Tagung, Peter Kuhnert von der Universität Dortmund, teilt diese Auffassung. Er betont, wie wichtig individuelle Bewältigungsstrategien während der Arbeitslosigkeit seien. Am besten
würden diejenigen abschneiden, die auf vorhandene Ressourcen zurückgreifen und sich trotz schwieriger Situation eigene Strukturen schaffen könnten. Kuhnert setzt daher auf stabilisierende Beratungskonzepte in Gruppen. Seit Einführung von Hartz IV in Deutschland sei arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung notwendiger denn je. Er meint, das Problem gewinne europaweit an Brisanz und könne nicht länger ignoriert werden.
Unter dem Motto «Hilfe zur Selbsthilfe» wurde am Nachmittag in Workshops über weitere Massnahmen der Gesundheitsförderung diskutiert. Anklang fand ein Gesundheitsleitfaden, der von Arbeitslosen in Selbsthilfegruppen erarbeitet und verteilt werden könnte. Selbsthilfegruppen wurde grosses Gewicht beigemessen: Der gegenseitige Austausch über Freizeitgestaltung und Stressbewältigung wirke sich positiv auf das gesundheitliche Befinden aus. Auch die Vernetzung sowie die Selbst- und Fremdwahrnehmung würden dadurch gestärkt. Wichtig wäre es, das Erfahrene festzuhalten und an andere Gruppen weiterzugeben. Vorschläge wie wöchentliche Wanderaktivitäten, Tandem-programme und gemeinsame Kochkurse wurden als konkrete Lösungen genannt. Originell war auch die Idee eines Einsatzprogramms unter dem Motto «Gesundheit und Sport».
Am Ende der Veranstaltung war allen Beteiligten klar: Gesundheit ist mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit und betrifft Stellensuchende genauso wie Erwerbstätige. Gesund zu sein, ob mit oder ohne Arbeit, bleibt für alle eine Herausforderung. Eine Herausforderung, der man sich mit einer guten Portion Humor stellen sollte.

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