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Gut akzeptiert, besser integriert

Ressourcen statt Defizite: Unter diesem Blickwinkel erfolgt die Neuausrichtung der Schweizer Integrationspolitik. Im Mittelpunkt stehen dabei die Stärken und Talente von Zugewanderten. Gemäss einer neuen Studie können Unternehmergeist und selbständige Erwerbsarbeit der Integration von Migranten förderlich sein.

Sie sind nicht mehr wegzudenken aus unseren Städten, die italienischen Pizzerien, thailändischen Restaurants und türkischen Gemüsehändler. In spanischen Delikatessenläden gehen wir Spezialitäten kaufen, und wir holen uns von Zeit zu Zeit asiatische Zutaten aus dem chinesischen Shop. Wir sind vertraut – mal mehr, mal weniger – mit den lukullischen Spezialitäten anderer Länder, sprechen – mal besser, mal schlechter – die eine oder andere Fremdsprache. Aber wir wissen so gut wie nichts über die Migranten und Migrantinnen, die als Kleinstunternehmer und Kleinunternehmerinnen uns die Produkte und Dienstleistungen verkaufen.
Und in der Tat ist in der Eidgenossenschaft im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern nur wenig bekannt über das Leben Selbständiger ausländischer Herkunft. Aber dieses Dunkel wird sich bald lichten. Zumindest in einigen Bereichen. Ende September erscheint der Schlussbericht zur selbständigen Erwerbstätigkeit von Migranten und Migrantinnen in der Schweiz, der Teil des Nationalen Forschungsprogramms 51 (NFP 51) ist. Im gesamten Forschungsprojekt geht es darum, unter verschiedenen Blickwinkeln abzuklären, wie
es zur Ausgrenzung oder Integration gesellschaftlicher Gruppen kommt. Im Programmmodul zur Selbständigkeit von Migrantinnen und Migranten wird deshalb schwergewichtig der Frage nachgegangen, warum sich Menschen aus diesen Bevölkerungsgruppen selbständig machen und ob so die Integration in die Schweizer Gesellschaft gefördert oder behindert wird.

Immer mehr Zugewanderte machen sich selbständig

Ähnlich wie in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden ist auch in der Schweiz der Anteil an selbständigen Migrantinnen und Migranten in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen. Waren 1990 laut Volkszählung lediglich 4,7 Prozent der erwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländer unternehmerisch tätig, arbeiteten im Jahr 2000 bereits acht Prozent dieser Bevölkerungsgruppe oder 65000 Personen auf
eigene Rechnung. Dies entspricht nahezu einer Verdoppelung innerhalb von zehn Jahren. Nimmt man noch die Zahl der eingebürgerten Landsleute hinzu, erhöhte sich der Personenkreis auf rund zehn Prozent und nähert sich damit immer mehr der Selbständigenquote der Einheimischen von knapp 5 Prozent.

Die Gruppe der Selbständigen mit ausländischen Wurzeln wird wie die gesamte ausländische Bevölkerung in der Schweiz immer multikultureller. Um die Forschungsergebnisse für Politik und Interessengruppen nutzbar zu machen, wurde der ersonenkreis der NFP-51-Studie auf die zahlenmässig am stärksten vertretenen Migrantengruppen beschränkt. Neben den klassischen ehemaligen Gastarbeitern wurden «migrant entrepreneurs» aus der Türkei und Sri Lanka näher untersucht.

Wer selbständig wird, ist schon ziemlich gut etabliert

Der Wunsch, sich selbständig zu machen, ist bei den einzelnen Migrantengruppen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das Verlangen, als eigener Chef, als eigene Chefin zu schalten und zu walten, ist bei Italienern und ürken mit einer Selbständigenquote von nahezu 12 Prozent am stärksten vorhanden. Spanier und Portugiesen hingegen verspüren mit einem Anteil von 8 und 4 Prozent weitaus seltener dieses Bedürfnis.
Risikobereitschaft und Selbstverantwortung alleine genügen in der Schweiz llerdings nicht, um sich als Ausländer oder Ausländerin selbständig zu machen. Erst wenn die Hürde der Niederlassungsbewilligung erfolgreich überwunden wurde, rückt das eigene Geschäft in greifbare Nähe. Personen aus Nicht-EU-/-EFTA-Staaten haben ohne Niederlassungsbewilligung nur in Ausnahmefällen eine Chance. Wer sich in der Eidgenossenschaft also selbständig macht, versucht nicht, sich zu etablieren, sondern ist bereits in einem ansehnlichen Masse in der Gesellschaft verankert und setzt diesen Weg fort.
Differenzen sind auch zwischen den enerationen auszumachen. Der Anteil der «migrant entrepreneurs» ist in der zweiten Generation eindeutig höher als in der rsten. Befriedigten die ersten ausländischen Unternehmen in der Schweiz noch stark die Bedürfnisse der eigenen ethnischen Gruppe oder waren im Reparaturgewerbe tätig, arbeiten Angehörige der
zweiten Generation mittlerweile auch in
Bereichen wie Informatik, Immobilien und Vermietung, auf Gebieten also, die eine relativ hohe Ausbildung erfordern. Für die
Autorinnen und Autoren der Studie wird das
Erklimmen der sozialen Leiter als Integrationserfolg gewertet.
«Im Gegensatz zu früher ist die Selbständigkeit von Migrantinnen und Migranten heute auch nicht mehr gleichzusetzen mit Familienunternehmen und entsprechender Selbstausbeutung», erläutert Raphaela Hettlage, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschaftsforschung der ETH Zürich und Mitautorin der Studie. «Zwar gibt es diese nach wie vor, doch sind mittlerweile alle anderen Unternehmensformen auch vorzufinden.» So führen 37 Prozent der Unternehmer mit ausländischen Wurzeln einen
Einpersonenbetrieb, und knapp 16 Prozent haben einen Angestellten. 3,6 Prozent der Zugewanderten managen ein Unternehmen mit 100 und mehr Personen.
Um in Erfahrung zu bringen, warum Migranten und Migrantinnen das Risiko der selbständigen Erwerbsarbeit eingehen, wurden persönliche Interviews durchgeführt. Bei aller Vielfalt der Motive – meist gibt es nicht nur einen Beweggrund – sucht die Mehrheit der Interviewten Handlungsautonomie und soziale Anerkennung. Das Streben nach gesellschaftlichem Ansehen ist umso stärker, je intensiver Diskriminierungen erlebt wurden. Durch Selbständigkeit sollen diese Erfahrungen kompensiert werden. Aber auch fehlende Arbeitsmarktperspektiven und drohende Arbeitslosigkeit sind Triebfedern, um das persönliche Glück im Unternehmertum zu suchen. Wer sich nicht nur ausgeliefert sehen möchte, ergreift die Initiative.

Imageproblem kann Erfolg der Selbständigkeit beeinträchtigen

«Nicht immer sind es jedoch Diskriminierungserfahrungen, die den Wunsch reifen lassen, der eigene Boss zu sein. Wie bei allen anderen Selbständigen auch stehen hinter diesem Schritt unternehmerischer Wille und das Ziel, eine eigene Idee zu verwirklichen, etwas Eigenes zu schaffen. Ethnische Herkunft spielt dabei keine Rolle. Es ist – nicht mehr und nicht weniger – der nächste Schritt der sozialen Mobilität», führt Anne Juhasz aus, Mitautorin der Studie und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut de sociologie der Universität Neuenburg tätig. Nicht zuletzt geniesst Selbständigkeit in vielen Kulturen hohes Ansehen. Nicht allen «migrant entrepreneurs» elingt es allerdings, sich durch die Selbständigkeit besser in die Schweizer Gesellschaft zu integrieren. Integration ist ungeachtet ller Eigenanstrengungen nicht ohne das Wohlwollen der Aufnahmegesellschaft möglich. Und dieses Wohlwollen ist in der Eidgenossenschaft ungleich verteilt. Italiener, Spanier, Portugiesen und Tamilen können darauf zählen, in etwas geringerem Umfang auch die Türken. Mit einem schlechten mage haben jedoch Kleinunternehmer aus Ex-Jugoslawien zu kämpfen. Dieses Imageproblem trägt nicht unwesentlich dazu bei, dass ihren Integrationsbemühungen kein oder nur sehr mässiger Erfolg beschieden ist. Gemeinsam ist allen befragten Migrantengruppen jedoch, dass ihnen die Selbständigkeit mehr Chancen eröffnet hat als eine
abhängige Erwerbstätigkeit.

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