«der arbeitsmarkt» 08/2005

Groove, Sound und Fans – überall im Schweizerland

Nirgends gibt es so viele Open Airs wie in der Schweiz. Das schafft Arbeitsplätze auf Zeit – und Bindungen fürs Leben.

Der Sommer in der Schweiz ist kurz. Vielleicht weil die warmen Tage so selten sind, will jeder Moment im
Freien genossen werden. Zum Beispiel mit anderen Menschen, Bier oder Red Bull und viel Musik.
Über 600 Open Airs finden allein diesen Sommer in der Schweiz statt. Nahezu jede Region möchte mit einem oder mehreren Open Airs glänzen. Die Anforderungen der Künstler, des Publikums und der Behörden stellen die einzelnen Veranstalter vor ständig wechselnde Probleme in finanzieller und organisatorischer Hinsicht. Hinzu kommt die Flut der Vorschriften und Auflagen seitens staatlicher und halbstaatlicher Institutionen. Michael Breitenmoser, Chef der Swiss Music Promoters Association (SMPA), sieht hier seine Hauptaufgabe, als
offizieller Ansprechpartner Hilfestellung zu bieten.
Zudem bietet die SMPA den kleinen und grossen Konzertveranstaltern eine Plattform für den wichtigen Erfahrungs- und Ideenaustausch im Dschungel der 600 Open Airs. Die Tatsache, dass so viele Festivals existieren, beweise nur ihre enorme Beliebtheit. Der Vorverkauf für die Open Airs laufe sehr gut. Der grosse Andrang auf die unzähligen Musikfestivals beweise, dass beim Publikum ein echtes Bedürfnis bestehe, hält Breitenmoser fest.
«Es muss und wird eine Flurbereinigung geben», meint dagegen Olivier Imboden vom Open Air Gampel. Es sei
ja nicht «normal», dass inzwischen jedes Dorf ein eigenes Musikfestival habe. Die etablierten Open Airs jedoch, egal ob kleine, mittelgrosse oder Mega-Events, werden weiterhin Erfolg haben, ist er überzeugt. Das Open-Air-Publikum sei extrem treu und würde über Jahre hinweg «seinem» Festival die Treue halten.

4,3 Millionen Franken für drei Tage Musik

Das Open Air Gampel, das im August über die Bühne gehen wird, gilt als das grösste Deutschschweizer Open Air. Der Vorverkauf laufe auch jetzt wieder sehr gut, erklärt Medienchef Olivier Imboden, der seit Jahren zu den Organisatoren des mittlerweile zwanzigjährigen Open Airs gehört. «Allein dieses Jahr rechnen wir mit
ungefähr 80000 Besuchern.» Budgetiert ist das dreitägige Grossereignis mit 4,3 Millionen Franken. «Rund
eine Million berechnen wir für die Gage der Künstler, den Rest benötigen wir für die ganze Infrastruktur,
die Werbung, Personalkosten und so weiter.» Insgesamt werden nicht weniger als 3500 Personen am Open Air
beschäftigt. Von der «Infra-Crew», den Gerüstebauern, welche die Bühne aufstellen, bis hin zu Spezialisten,
die das Licht-, Ton- und weiteres Technikequipment installieren. Hinzu kommen das «Catering-Personal», sprich Mitarbeiter im Food- und Getränkebereich, sowie eine hundertköpfige Putzequipe.
«Einen eigentlichen Stellenvermittlungsmarkt für Open Airs gibt es nicht», erklärt Imboden. Für Bühnenaufbau und die ganze «Licht-und-Ton-Geschichte» gebe es spezialisierte Firmen. Die seien leider im Wallis nicht zu finden. Rund 500 Arbeitsplätze, welche allein der Bar- und Foodbereich biete, können jedoch mit Leuten aus der Region abgedeckt werden, und darauf wird laut Imboden auch Wert gelegt. Im Security-Bereich wiederum hätten sie bis anhin immer mit Leuten aus dem Umfeld des Berner Motorradclubs «Broncos» gearbeitet und gute Erfahrungen gemacht.

Alkohol und Ecstasy halten Sanität auf Trab

Joe, der an einem Juni-Wochenende am Open Air Uster für die Sicherheit sorgt, ist kein «Bronco», aber ein erfahrener Security-Mann. Der 39-Jährige ist seit 22 Jahren im Geschäft. Er hat mit einigen Kollegen vor ein paar Jahren eine Sicherheitsfirma gegründet und lässt sich von diversen Konzertagenturen für Konzerte und Open Airs in der ganzen Schweiz anheuern. Ruhig steht der Hüne – tätowiert und mit obligater schwarzer
Sonnenbrille – am Eingang des Stadions Buchholz und kontrolliert die Billette. Die werden ihm ausnahmslos und ohne spezielle Aufforderung gezeigt. Joe ist eine Erscheinung, die einem Respekt einflösst – oder Angst auslöst. Schon als Jugendlicher hat er mit Karate, Kick- und Thai-Boxen angefangen. Durch den Kampfsport ist er in sein jetziges Metier «reingerutscht». Wie erlebt er die Besucher der Musikfestivals? Allgemein
seien Open Airs etwas vom Angenehmsten in seinem Job, erklärt Joe, der im Winter als Türsteher vor Clubs oder bei Konzerten in Hallen arbeitet. Bei Konzerten in einer Halle oder einem Club – egal, ob in der Stadt oder auf dem Land – sei dies anders. Die Aggressivität habe in den letzten zehn Jahren massiv zugenommen.
Doch ganz so idyllisch ist es auch unter freiem Himmel nicht. Kein Open Air kommt heute ohne Ärzte- und Sanitätsteam aus. «Drogen und Alkohol sind ein Problem», weiss Erika Altherr, die zusammen mit ihrer Kollegin Monika Bünter als Samariterin am Ustermer Open Air im Einsatz steht. Ohnmachtsanfälle, Erbrechen, stecknadelgrosse Pupillen – Bünter, im normalen Leben Hausfrau, kennt sich mit den Symptomen mittlerweile bestens aus. «Ecstasy», hat sie erfahren, «ist die Droge Nummer eins.»
Über Positives spricht es sich leichter. Matthias Kuratli ist Pressesprecher der Event-Agenur «Apalooza Productions», die seit Jahren das Gurtenfestival bei Bern organisiert. Auch hier läuft der Vorverkauf ausgezeichnet. Die Veranstalter rechnen für das viertägige Festival mit rund 15000 Besuchern pro Tag. «So um die 1500 bis 2000 Personen können wir auf dem Gurten anstellen», erklärt Matthias Kuratli. Immer noch laufe bei der Rekrutierung auch bei den grossen Festivals sehr viel über Mund-zu-Mund-Propaganda. Es gebe in allen Arbeitsbereichen Leute, die seit Jahren jeden Sommer auf den Open Airs dabei seien. Über die Jahre entstünden enge Bindungen, man kenne zum Beispiel Elektriker, die man immer wieder kontaktieren könne. Fällt jemand aus, empfehle dieser einen Kollegen. Allein elf Köche werden am Gurten für das leibliche Wohl der Gäste sorgen. Wenn das Festival vorbei ist, arbeiten die wieder in ihren Beizen in Bern.
Die Security, 120 Mann, stellen wie in Gampel die «Broncos» aus Bern. Auch die «Trash Heroes», wie die beim Gurtenfestival 100 Personen starke Putzequipe genannt wird, setzen sich aus Lehrlingen und Studenten aus der Umgebung zusammen. Extra für den Grossanlass wird auch die Agentur selbst personell verstärkt. Künstlerbuchungen, die ganzen Verträge, auch hier könne man auf Sekretärinnen, Juristen und Buchhalter zurückgreifen, die man seit Jahren kenne. Spezialfirmen übernehmen die Installation für Licht, Ton und die
übrige Technik sowie den Bühnenaufbau.

Schuften, von acht Uhr morgens bis weit nach Mitternacht

Was machen diese Profis, wenn die Open-Air-Saison vorbei ist? Das Bedürfnis nach Live-Musik höre nach dem Sommer nicht auf, meint Kuratli. Die Leute werden an Konzerten und allen möglichen Events arbeiten. Er weiss zum Beispiel, dass hoch spezialisierte Bühnenbauer, im Fachjargon Stagehands genannt, vor kurzem im Atomkraftwerk Gösgen in schwindelerregender Höhe ihre Fertigkeiten unter Beweis stellten.
Sybille, 37 Jahre alt, macht am Open Air Uster ausnahmsweise die Abendkasse. Sie hat «schon immer»
bei Open Airs gejobbt. Vom Bühnenaufbau bis hin zum Backline, also dem gesamten Equipmentaufbau. Aber auch Instrumente verkabeln, «den Ton aufziehen», wie sie es nennt, und die Mitarbeit bei der Installation der Lichtanlage gehörten zu ihren Tätigkeiten. Eine abgeschlossene Lehre hat sie nicht, die nötigen Kenntnisse hat sie sich selber erarbeitet, Learning by doing sei immer ihre Maxime gewesen. In England und den USA habe diese Art der Arbeit bei Musikfestivals einen ganz anderen Stellenwert, es sei ein eigentliches Berufsbild. Das durfte sie erfahren, als sie vor Jahren mit Andreas Vollenweider auf Tour in den USA gewesen sei, erzählt Sybille. Auch in der Schweiz habe sich das in den letzten paar Jahren geändert, man werde ernst genommen
und nicht mehr als «Freak» angesehen. Wegen der Musik mache sie den Job nicht. Im Gegenteil, nach so vielen Jahren habe man vom Sound allein genug. Was ihr gefalle, sei etwas ganz anderes: Die grossen Bands
bringen ihre eigenen Teams mit. Die müssen mit den Leuten vor Ort – wie Sybille – zusammenarbeiten. Man kennt sich nicht und muss unter enormem Zeitdruck ein Resultat erbringen. Das sei die eigentliche Herausforderung. Dabei werde Tag und Nacht geschuftet, von acht Uhr morgens bis weit nach Mitternacht. Seit sie ein Kind hat, liegen ausgedehnte Konzerttouren jedoch nicht mehr drin. Sybille will aber auf jeden Fall
auch weiterhin an Open Airs arbeiten. «Ein NullachtfünfzehnJob kommt für mich nie in Frage», meint sie
bestimmt.
Das gilt auch für Mike. Der unermüdliche Rockfreak arbeitet seit 1984 für die Konzertagentur «Free and
Virgin». Zeltbau, Tribünenbau, die ganzen Absperrungen, die das Festgelände umzäunen: Der Vierzigjährige ist ein erfahrener Stagehand. Ist die Open-Air-Saison vorbei, arbeitet er an Konzerten in der ganzen Schweiz. «Die Bands werden heute viel stärker abgeschottet als noch vor 20 Jahren», hält er fest. Früher sei es nach
den Konzerten schon mal möglich gewesen, mit den Musikern «abzufeiern». Heutzutage ist das anders, «die
geben sich nicht mehr mit dem Fussvolk ab». Campino, der Sänger der Punk-Band «Die Toten Hosen», sei da eine Ausnahme. Der sei «normal» geblieben und habe sich einmal sogar für den reibungslosen Bühnenaufbau für das Konzert der Band im Volkshaus bedankt, erklärt Mike stolz. Im Gegensatz zu seiner Kollegin Sybille liegt ihm die Musik immer noch am Herzen. Er begeistere sich immer noch an den Konzerten, nur mit einem Unterschied zu früher: Ohne Ohrenstöpsel geht nichts mehr. Rund 20 Jahre donnernde Rockmusik haben sein Gehör in Mitleidenschaft gezogen. Eines aber hat er mit Sybille gemein: Er kann sich nicht vorstellen, als «normaler» Handwerker zu arbeiten. «Niemals!»

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