«der arbeitsmarkt» 05/2006

Genial einfach

Erneuerbare Energien Dies ist die Geschichte einer zündenden Idee: Der Schweizer Unternehmer Walter Schmid gewinnt aus Küchenabfall Gas und hat damit weltweit Erfolg.

Vor etwa 15 Jahren ereignete sich auf dem Balkon eines Hauses im Flughafenvorort Glattbrugg eine heftige Detonation. Die Flamme schoss bis zum Dach, und eine Sekunde später bedeckten in Stücke gerissene Küchenabfälle den ganzen Balkon mit einer stinkenden Schicht. Der unschöne Anblick versetzte den Balkoninhaber und lokalen Bauherrn Walter Schmid jedoch in helle Freude. Seine Theorie hatte sich bestätigt: Wenn man einen Topf, den man vor einigen Tagen mit Küchenabfällen gefüllt und hermetisch abgeschlossen hat, öffnet, darf in seiner Nähe kein Zündholz brennen. Die faulende und im Fachjargon «gärende Biomasse» erzeugt Gas, das qualitativ um keinen Deut anders ist als jenes aus den Tiefen der Erde. Die Entdeckung bedeutete für Walter Schmid auch, einen neuen Leidensweg einzuschlagen. Bereits früher konnte er als Bauunternehmer unzählige die Umwelt entlastende Ideen realisieren, etwa mit Sonnenkollektoren, Solarfassaden an seinen Neubauten oder Holzschnitzelheizungen – alles Pionierprojekte, welche am Anfang nicht überall auf Gegenliebe gestossen waren. Es galt jeweils, Überzeugungsarbeit zu leisten, und ohne Rücksicht auf Rückschläge die Experimente fortzusetzen.
Die Gasexplosion auf dem Balkon deutete Walter Schmid instinktiv als Sternstunde seines Lebens. Unverzüglich baute er auf einem Lagerplatz in Rümlang mit Hilfe von Spezialisten die erste experimentelle Vergärungs-Kompogasanlage zur Gewinnung von CO2-neutralem Gas. Und wie schon früher waren auch diesmal die einen begeistert – Gas aus Küchenabfall als Treibstoff, cool! Die anderen belächelten ihn unverhohlen, sprachen von einem Spinner, der unnötig Zeit und Geld verschwende. «Aber wir kompostierten weiter, ohne die Überzeugungsarbeit ausser Sicht zu lassen. Ich war fast Ökopfarrer geworden und schleppte unverdrossen neue Gemeindepräsidenten, Firmendirektoren, Geschäftsleute, potenzielle Interessenten wie auch mögliche Nutzniesser der neuen Technologie zur Anlage heran», erzählt Walter Schmid.
 

Am Anfang stand die Frage: Fleisch oder Gemüse?

Derweil galt es technische Schwierigkeiten zu meistern. Die Testgärungsanlagen mussten abermals abgebrochen, wieder grösser gebaut und erneut abgerissen werden. 
Walter Schmid: «Und dann gesellten sich noch biologische Probleme hinzu. Niemand wusste genau, bei welcher Temperatur, unter welchen Bedingungen und mit welchen Stoffen optimale Gärungsresultate erzielt werden konnten. Nur mit Gras? Nur mit Fleisch, mit Küchenabfall schlechthin oder mit anderer Biomasse?»
Herbe Pannen, schlaflose Nächte und x Millionen Franken kosteten die endlos erscheinenden Experimente in Rümlang. Jeder andere hätte an seiner Stelle das Ganze längst an den Nagel gehängt. Hatte er nie Zweifel an seinem Tun? Walter Schmid lacht: «Oh doch. Aber ich glaubte zu hundert Prozent an die Richtigkeit der Vergärungsidee. Sie musste funktionieren! Und sie funktioniert. Einwandfrei. Heute können wir auf dem Computer jede noch so geringe Unstimmigkeit beim Gärungsprozess ablesen und sofort reagieren. So wurde das Kompogas zur Selbstverständlichkeit, ja zum Alltag.» 
 

90 Prozent weniger Schadstoffausstoss

Die Meinung, alles sei genial, was einfach ist, passt haargenau zur Schmid’schen Idee der umweltgerechten Verwertung von Bioabfällen zur Erzeugung von Kompogas. An sich stellt sie einen geschlossenen Ökokreis dar: Die Garten- und Küchenabfälle (die Biomasse) werden vorerst zerkleinert, dann sorgfältig sortiert und über den so genannten Biogutzwischenbunker, dem Herzstück der Anlage, dem Fermentierungstank, zugeführt. Unter Sauerstoffausschluss und bei 
einer Temperatur von 55 bis 60 Grad wird das Biogut durch Mikroorganismen innert 15 bis 20 Tagen – der eigentliche Gärungsprozess – in CO2-neutrales Kompogas, flüssigen Naturdünger und hochwertigen Kompost umgewandelt. Für Rolf Kettler, Biologe beim Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), ist das eine gute Sache: «Bei der Verwertung durch Vergärung und Kompostierung bleibt im Gegensatz zur Verbrennung wichtige organische Substanz erhalten. Die Bioabfälle dienen als Dünger und zur Bodenverbesserung, bleiben also im natürlichen Kreislauf.» Lobend äussert sich auch der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS). In seiner Umweltliste 2003 stellte er fest, dass die mit Kompogas betriebenen Autos zu den umweltfreundlichsten motorisierten Fahrzeugen zählen. So belegten die Plätze 1 bis 8 der Top-Ten-Liste ausschliesslich Autos mit Kompogasantrieb. An sich kein Wunder, wenn man das mit Kompogas betriebene Auto mit einem anderen vergleicht: Es stösst bis zu 90 Prozent weniger Schadstoffe aus.
Der aus dem Kompogas in den firmeneigenen Blockheizkraftwerken (BHKW) erzeugte elektrische Strom wird ins öffentliche Stromnetz des Kantons Zürich eingespeist. Das Interesse der anderen Kantone an günstiger und für Mensch und Umwelt unschädlicher CO2-neutraler Energie wächst. Ihr Anschluss an die neue Technologie ist nur eine Frage der Zeit. Rolf Kettler: «Die anderen Energieträger stehen nicht in direkter Konkurrenz. Das ist einfach eine weitere Form der erneuerbaren Energie, deren Nutzen unbestritten ist.» 
Walter Schmid, den Bundesrat Moritz Leuenberger einmal als «Vordenker, der anderen voraus ist, weil er nachdenkt», bezeichnete, erreichte sein Ziel nach vielen Entbehrungen: Seine Erfindung fasste weltweit Fuss. Bereits 15 Vergärungsanlagen wurden im Ausland gebaut – in Deutschland, Österreich, Japan und auf Martinique. Ende 2005 wurde ein weiteres Vergärungswerk in Betrieb genommen, diesmal im spanischen Weinanbaugebiet Rioja, welches mit 75000 Tonnen Jahresleistung zu den weltgrössten Kompogasanlagen gehört. Bei der Kompogas AG beschäftigen sich einige Personen mit der Aufgabe, Lizenznehmer im Ausland zu finden. Jetzt geht es Richtung USA, Grossbritannien, Neuseeland und Australien, wo neue Lizenznehmer bereits gewonnen wurden. In der Schweiz hat die Kompogas-Gruppe neun Anlagen in Betrieb, drei weitere sind im Bau. Durch die Innovation der Kompogas AG sind rund 300 Arbeitsplätze entstanden. Tendenz steigend.
 

Als Stromproduzent an der Hand eines grossen Partners

Die Perspektiven sind also gut. Walter Schmid, 2003 vom Fachmagazin «auto illustrierte» zum «Mann des Jahres» gewählt, will die Kompogas AG in die Hände eines verlässlichen Partners übergeben. Dieser soll den Bestand der Firma sichern, wobei die Kompogas AG auch weiterhin ein unabhängiges Unternehmen mit eigenem Marktauftritt bleiben wird. Doch wie heisst dieser starke und sichere Partner? Sein Name ist Axpo Holding AG, der führende Stromlieferant der Schweiz. Walter Schmid: «Im Moment bin ich CEO der Kompogas AG, aber die Axpo ist mit 49 Prozent an dieser beteiligt ist. Dies ermöglicht uns, weiter zu wachsen.» Derzeit produziert die Kompogas AG rund 14 Millionen Kilowattstunden Elektrizität pro Jahr.
Was verspricht sich die Axpo-Gruppe von dieser Allianz? Mediensprecher Thomas Hegglin: «Die im vergangenen Jahr durchgeführte Axpo-Studie ‹Stromperspektiven 2020› bestätigte die Vermutung, wonach in der Schweiz um 2020 oder sogar früher eine Stromlücke entstehen könnte. Das Ende der älteren AKW in der Schweiz ist absehbar. Zudem laufen auch die Energieverträge mit ‹Energie de France› sukzessive aus, während der Stromverbrauch um 23 Prozent zunehmen wird. In diesem Zusammenhang kommt den erneuerbaren Energien entscheidende Bedeutung zu. So baut die Axpo das Geschäftsfeld für diese wetterunabhängigen, so genannten Bandenergien aus. Aus unserem Fokus heraus ist das ein Mix von Geothermie, Wasser-  und eben der Bioenergie, sprich Kompogas.»
Schon vor der Detonation auf dem Balkon seines Hauses in Glattbrugg zierte ein grünes Blatt die Autos von Walter Schmid. Es symbolisierte damals die Photovoltaik-Energie, welche diese Testfahrzeuge antrieb. Schmid träumte davon, ein Elektro-Solar-Auto zu konstruieren, dessen Leistung einem «Benziner» ebenbürtig sein sollte. Ohne Erfolg. Schuld dafür sei unser viel zu niedriges technologisches Niveau punkto Solarenergieausbeutung überhaupt, resümiert Walter Schmid. «Aber ich muss mich immer mit anderen messen.» Und so steuert er heute noch bei Autocrossrennen in Italien, Spanien oder Portugal seinen bewährten Ford Focus, bestückt mit einem 500 PS starken Benzinaggregat.
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