«der arbeitsmarkt» 11/2005

Frische Früchte und Massagen sparen Kosten

Stress verursacht in der Schweiz Kosten von 4,2 Milliarden Franken im Jahr. Das belastet die Wirtschaft enorm. Immer mehr Unternehmen entscheiden sich deshalb für eine betriebliche Gesundheitsförderung.

Regelmässig auftretender Stress ist ungesund. Er beeinträchtigt Leistungsfähigkeit und Produktivität der Arbeitenden. Die in einer seco-Studie von 2003 bezifferten Kosten von 4,2 Milliarden Franken verteilen sich auf die Löhne bei Fehlzeiten und Produktions-ausfall (2,4 Milliarden Franken), die medizinische Versorgung (1,4 Milliarden Franken) und die Selbstmedikation der Betroffenen (0,4 Milliarden Franken).

Motivationsschub und Produktivitätssteigerung

Diese horrenden Kosten können massiv verringert werden. Wissenschaftliche Studien bestätigen, dass sportliche Aktivitäten, soziale Unterstützung und Entspannungstechniken gute Methoden sind, um den
negativen Auswirkungen von Stress vorzubeugen. Dieser Erkenntnisse bedient sich auch die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF). In der Luxemburger Deklaration zur BGF in der Europäischen Union (Europäisches Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung ENWHP) sind die Grundsätze der BGF (Partizipation, Integration, Projektmanagement und Ganzheitlichkeit) in Form von Leitlinien definiert.
Die Unternehmen sind grundsätzlich verpflichtet, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren vorzubeugen. Das fordern das Arbeitsgesetz, das Gesetz über die Sicherheit von technischen Einrichtungen und Geräten sowie das Unfallversicherungsgesetz. Sinnvoll ist es deshalb, wenn eine BGF ins Firmenleitbild integriert wird und im Betriebsalltag fest verankert ist. Sie soll körperliche Gesundheit (wie rauchfreier Arbeitsplatz) und mentales Wohlbefinden (wie Konflikt-Management) thematisieren, kann aber auch die Umwelt (beispielsweise  ein Erholungsraum im Freien) und soziale Aspekte (etwa Kindertage in der Firma) mit einbeziehen. Dadurch lassen sich die Kosten für krankheitsbedingte Absenzen und Nichterscheinen am Arbeitsplatz senken, Motivation und Produktivität steigen an.
Im Jahr 2004 wurde ein von der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz finanziertes Pilotprojekt für BGF abgeschlossen. Ziel des Projekts war es, BGF-Instrumente für KMU zu entwickeln. Gemeinsam geleitet und durchgeführt wurde es vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Uni Zürich (ISPMZ) sowie vom Institut für Arbeitsmedizin in Baden (Ifa). Zusammengefasst in Form von Modulen, entstand der Werkzeugkasten KMU-vital. Unter dem Link www.kmu-vital.ch steht er Unternehmen kostenlos zur Verfügung.
Eingesetzt wird KMU-vital zum Beispiel bei der Firma Max Schweizer AG. Der Maler- und Gipserbetrieb beschäftigt an drei Stand-orten im Kanton Zürich 150 Mitarbeitende, davon 20 Lehrlinge. Die Firma hat als KMU-Betrieb am Pilotprojekt mitgearbeitet. Am Einstiegsworkshop nahmen alle Mitglieder der Geschäftsleitung und deren Stellvertreter teil. Dies wirkte sich positiv auf die Umsetzung der weiteren Module aus.
Ein Zirkel zur Aufnahme und Verarbeitung von Problemen, Wünschen und Anregungen des Personals, die «Triple-A-Gruppe» des Betriebs, bestand bereits. Darin integriert wurden die Module Management- und Mitarbeitendenbefragung sowie Gesundheitszirkel. Die Geschäftsleitung entwickelte zudem eine Suchtmittelpolitik und nahm sich des Themas Ernährung an. So verteilt jetzt der Abteilungsleiter persönlich einmal pro Woche frische Früchte auf der Baustelle.

Unfall- und Krankheitsabsenzen sinken

Seit Sommer 2004 arbeiten alle Abteilungen der Firma Max Schweizer AG mit KMU-vital. Wird die Mitarbeiterbefragung vor der Einführung von BGF mit derjenigen nach der Einführung verglichen, ist die positive Veränderung klar ersichtlich. Die ganzheitliche Unterstützung und Motivation der Mitarbeitenden durch die Vorgesetzten steigerte ihre Zufriedenheit wesentlich.
Statistisch erwiesen ist der Rückgang der Absenzen, vor allem der Kurzabsenzen infolge Krankheit und Unfall. Es zeigt sich aber auch, dass die einzelnen Abteilungsvorgesetzten BGF unterschiedlich pflegen. Und wie rechnet sich KMU-vital? «Betriebswirtschaftliche Resultate sind erst nach längerem Einsatz aussagekräftig», erklärt Geschäftsleitungsmitglied Joe Studer.
Ein eigenes BGF-Konzept hat man bei Swissport International in Zürich entwickelt. Das Unternehmen betreibt mit 2000 Mitarbeitenden die gesamte Bodenabfertigung des Flughafens Zürich. Noch von der Swissair konnte Know-how zu Themen wie Belastung am Arbeitsplatz, Betriebssicherheit und Prävention übernommen werden. Im Firmenleitbild steht: «Wir wollen die Zufriedenheit unserer Mitarbeitenden steigern, Ärgernisse abbauen und die Gesundheit fördern.»

Familiäre Geborgenheit für 2000 Mitarbeitende

2003 lancierte Swissport das neue Programm «Fit on Ground». Dabei handelt es sich um ein Ausbildungsprogramm für Mitarbeitende, die körperlich besonders anstrengende Arbeiten verrichten müssen. Im Kampf gegen die auf einem Flughafen herrschende allgemeine Hektik wird in einem Trainingsprogramm der Umgang mit schwierigen Situationen und Kunden geübt. Wer das Bedürfnis hat, kann sich nach den Strapazen des Tages auch bei einer Massage oder einer anderen Therapie in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes entspannen. Je nach Aktualität und Bedarf werden zudem jährlich vier bis fünf  Kampagnen durchgeführt, beispielsweise zum Thema «Heben und Tragen».
Ein «Betreuungsteam im Personaldienst» kümmert sich bei Swissport um Mitarbeitende, die temporär nicht mehr fähig sind, ihre Arbeit auszuführen. Für diese Menschen wird innerhalb der «Filiale» Zürich nach einem anderen Arbeitsplatz gesucht. Betreut werden die Leute von der «Personal Care»-Mitarbeiterin, die ausgebildete Sozialarbeiterin ist. Die ärztliche Betreuung erfolgt durch den Vertrauensarzt. Durch das Rückkehrgespräch mit dem Chef wird dem betroffenen Mitarbeitenden das Gefühl vermittelt, dass Vorgesetzte und Kader «Personal Care» vorleben und unterstützen.
Die Kosten, die anfallen, wenn Mitarbeitende nicht zur Arbeit erscheinen und Ersatz aufgeboten werden muss, wurden intern untersucht. Jetzt soll ein Prämiensystem Anreize für weniger Ausfalltage schaffen. Bei der Teambildung wird darauf geachtet, dass sich die Mitglieder in ihren Fähigkeiten möglichst optimal ergänzen. Die Mitarbeiterzufriedenheit stieg dank der getroffenen Massnahmen stark. Die Fluktuationen gingen auf ein Minimum zurück.
Doch es gibt auch Unternehmer, die sich ohne Projekte, Module und BGF-Instrumente um das Wohl ihrer Mitarbeiter kümmern. So setzt man etwa bei der 1936 als Fuhrunternehmen gegründeten Planzer Transport AG in Dietikon trotz der stattlichen Zahl von 2000 Mitarbeitenden nach wie vor auf familiäre Geborgenheit. Nils Planzer, Patron in dritter Generation, macht wie schon sein Vater und Grossvater jeden Abend seine Runde durch den Betrieb. «Zu den Leuten und zum Betrieb schauen», wie er es nennt.

Der Chef zahlt Spesen persönlich aus

Die Geschäftsprozesse der Firma sind im «Planzer Qualitätsmanagement» (PQM) definiert. Darauf aufgebaut wurde eine nachhaltige Schulung in regelmässig wiederkehrendem Turnus. Bei Bedarf werden  Gesundheitsthemen wie Alkohol, Medikamente oder Fitness zusammen mit einem Arzt besprochen. Dabei wird an die Mitverantwortung der Mitarbeitenden appel-liert. Sie sollen die Angebote nutzen und das Gelernte anwenden. Sichtbarer Erfolg dieser Schulung: Schadenfälle sind auf den Promillebereich gesunken.
Planzer ist daran interessiert, den Kontakt zu den Mitarbeitenden nicht abreissen zu lassen. So wird das Spesengeld jeden Freitag von den Vorgesetzten bar ausbezahlt. Man trifft sich, erzählt von den Erlebnissen der Woche und isst zum Schluss gemeinsam eine Wurst. Als Treffpunkt dient das Betriebsrestaurant, wo die Gross-mutter früher belegte Brote strich. Dort versammelt sich die Belegschaft – im Winter am Kaminfeuer – jeweils schon zum Frühstück. Die Fahrer möchten dieses Ritual heute nicht mehr missen.

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