«der arbeitsmarkt» 03/2015TEXT: Leila ChaabaneFOTO: Stefan Zürrer
Ausländer mit F-Ausweis

Freude und Frust bei der Stellensuche

Viele Ausländer mit einem F-Ausweis wollen arbeiten. Doch nicht alle Arbeitgeber wissen, dass sie einen «vorläufig Aufgenommenen» anstellen dürfen, oder scheuen den Zusatzaufwand. Aussichtslos sind die Chancen einer Anstellung aber nicht.

Das Café ist laut. An nahezu jedem Tisch sitzen Menschen, die ihren Feierabend geniessen. Auch Serivan Eryilmaz kommt direkt von der Arbeit. «Hallo, mein Name ist Serivan, doch alle nennen mich Seri», sagt sie in fast perfektem Schweizerdeutsch. Ausgesprochen klingt die verkürzte Form ihres Namens wie das englische Wort für «Kirsche». Die schwarzen Augen der Kurdin glänzen und während sie mit freundlicher Stimme erzählt, leuchten sie noch mehr. Mal aus Freude und Stolz über das Erreichte, mal aus Trauer über den Verlust. 

Vor acht Jahren war die 19-Jährige mit ihrem Vater und ihren fünf Geschwistern aus der Türkei in die Schweiz geflüchtet. Während einer Demonstration gegen die Lebensumstände der Kurden in der Türkei bekam ihre Mutter starke Schläge auf den Kopf. Kurz darauf starb sie. Ehemann und Kinder konnten nicht an der Beerdigung teilnehmen, weil der Vater von Serivan Eryilmaz im Visier des Geheimdienstes war und eine Verhaftung riskiert hätte. Er beschloss, sich und seine Kinder in Sicherheit zu bringen.

Das Wort «vorläufig» schreckt ab

Anfangs ausgestattet mit dem N-Ausweis für Asylsuchende besitzt Serivan Eryilmaz seit zwei Jahren den F-Ausweis. Sie ist eine «vorläufig Aufgenommene». Eine abschreckende Aussage für viele, die nichts darunter verstehen. Diese Unwissenheit ist mitverantwortlich, dass Personen mit einem F-Ausweis kaum eine Arbeitsstelle finden. «Viele Firmen wissen nicht, dass sie einen Ausländer mit F-Ausweis anstellen dürfen», sagt Emine Braun, Sozialarbeiterin und Berufs- und Laufbahnberaterin. Bereits über zwölf Jahre betreut sie Migranten und hilft ihnen, mit Integrationsprogrammen den Schritt in den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. 2013 gründete sie die GmbH «Berufsgang» und ist Geschäftsführerin.

Unkenntnis alleine kann jedoch nicht die Ursache sein, dass 67,2 Prozent der erwerbsfähigen «vorläufig Aufgenommenen» ohne Anstellung sind (siehe Grafik). Selbst Arbeitgeber, die informiert sind, dass ein Ausländer mit F-Ausweis nur in seltenen Fällen in sein Heimatland zurückmuss – Emine Braun erlebte in den zwölf Jahren drei Wegweisungen –, schrecken oft zurück, sobald sie erfahren, mit welch zusätzlichem Aufwand die Anstellung verbunden ist.  

Beantragt der Vorgesetzte keine Arbeitsbewilligung beim Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA), würde die Person mit F-Ausweis illegal arbeiten. Die Gebühr von circa 100 Franken geht zu Lasten der Firma. Ist die anzustellende Person weniger als sieben Jahre in der Schweiz, aber im AHV-pflichtigen Alter, muss der Arbeitgeber monatlich eine Sonderabgabe vom Lohn abziehen (siehe Kasten). Wer eine Praktikantin oder einen Lernenden anstellen will, steht vor einer weiteren Hürde. Können Ausländer mit F-Ausweis noch ohne Papierkrieg zum Schnuppern eingeladen werden, benötigt die Praktikantin eine Arbeitsbewilligung. Diese bekommt sie jedoch nur, wenn der Arbeitgeber in einem ausführlichen Antrag bestätigt, dass er die Praktikantin in die Lehre aufnehmen oder ihr eine Festanstellung anbieten wird. «Das ist Blödsinn», sagt Emine Braun vehement. «Der Arbeitgeber muss doch die Möglichkeit haben, während des Praktikums zu sehen, ob sich die Person für die Tätigkeit eignet. Unabhängig davon, ob Ausländer oder Schweizer.» So wundert es nicht, dass gewisse Firmen strikte keine «vorläufig Aufgenommenen» anstellen wollen.

Sprachkenntnisse als Integrationshilfe

Nach ihrer Ankunft in der Schweiz begriff die damals 11-Jährige schnell, dass ihr beruflich und privat viele Türen verschlossen blieben, wenn sie sich nicht verständigen konnte. «Um Anschluss zu finden und die Schweizer Kultur zu verstehen, musste ich so schnell wie möglich die Sprache beherrschen.» Innerhalb von acht Monaten lernte sie Hochdeutsch und bald darauf Schweizerdeutsch. Mit den gewonnenen Sprachkenntnissen konnte sie in der Schule mithalten und sich einen Freundeskreis aufbauen.

Serivan Eryilmaz’ unermüdlicher Wille eine Lehrstelle zu finden, zahlte sich schliesslich aus. Nach einem Jahr erfolgloser Bewerbungen traf sie einen Entschluss. Sie wandte sich bei ihrer Gemeinde an die zuständige Sozialstelle und beantragte Unterstützung. Wie allen Stellensuchenden stehen auch «vorläufig Aufgenommenen» arbeitsmarktliche Massnahmen (AMM) und Integrationsprogramme zur Verfügung. Der Bund gibt dafür den Kantonen pro Person mit einem F-Ausweis eine Pauschale frei, mit der die Gemeinden deren Integration und wirtschaftliche Selbständigkeit fördern sollen. 

Unterstützt durch Emine Braun konnte die junge Kurdin kurze Zeit später eine einjährige Vorlehre als Kinderbetreuerin bei der «Villa Ninck» in Winterthur beginnen. «Das ist so üblich, weil die Sprachkenntnisse meist nicht ausreichen, um in der Berufsschule mitzuhalten», erklärt Emine Braun. «Während der Vorlehre können sie sich einarbeiten und zusätzlich ihre Deutschkenntnisse verbessern, damit sie an der Lehrabschlussprüfung eine Chance haben.» Serivan Eryilmaz ist jetzt im ersten Lehrjahr ihrer dreijährigen Ausbildung. Auch während der Lehre wird sie weiterhin im Auftrag der Gemeinde durch «Berufsgang» unterstützt.

Emine Braun hilft den Stellensuchenden bei ihren Bewerbungsunterlagen, kontaktiert mögliche Arbeitgeber und übernimmt nicht selten für diese auch gleich das Antragsschreiben für die Arbeitsbewilligung. Sie legt bei ihren Teilnehmenden jedoch grossen Wert darauf, dass diese die Sprachbarriere durchbrechen.

Keine Garantie für einen Job Nicht immer läuft die Stellensuche so unproblematisch wie bei Serivan Eryilmaz. Einer Migrantin aus Kongo hätte Emine Braun zwar zu einem sechsm onatigen Praktikum verhelfen können, doch das Amt für Wirtschaft und Arbeit ging davon aus, dass eine 43-Jährige kein Praktikum, sondern eine Festanstellung braucht. Es verweigerte ihr die Arbeitsbewilligung. «Aufgrund ihrer geringen Deutschkenntnisse und ihres Alters hatte sie kaum Chancen für eine Festanstellung. Jetzt sitzt sie depressiv zu Hause und ist von der Sozialhilfe abhängig», erzählt Emine Braun. 

Serivan Eryilmaz kann dies gut nachvollziehen «Wenn ich ständig meine Hand reichte und sie nicht genommen würde, hätte ich mit Sicherheit irgendwann aufgegeben.» Ihre Schwester Leyla Eryilmaz konnte nach vier Jahren erfolgloser Stellensuche ebenfalls mithilfe von «Berufsgang» eine Lehre als Assistentin Gesundheit und Soziales (AGS) beginnen. Die jüngeren Geschwister gehen noch zur Schule und ihr Vater hat seit einem Jahr eine Anstellung in einem Transportunternehmen.

Ein Wunsch bleibt noch unerfüllt

Serivan Eryilmaz ist glücklich und stolz, dass sie eine Lehre absolvieren darf. «Ich liebe die Arbeit mit Kindern, von ihnen lerne ich täglich Neues. Die Kleinen sind die besten Lehrer, auch für meine Deutschkenntnisse.» Sie will alles daransetzen, die Lehre erfolgreich abschliessen zu können, denn Serivan Eryilmaz möchte in der Schweiz bleiben, arbeiten und eine B-Aufenthaltsbewilligung bekommen. Mit dem F-Ausweis kann Serivan Eryilmaz die Schweiz nicht verlassen, ohne zu riskieren, dass sie die vorläufige Aufnahme verliert. Auch ein Kantonswechsel ist nur möglich, wenn wichtige Gründe, wie die Arbeitsstelle, vorliegen und das Bundesamt für Migration den Umzug gewährt.

Als die Kurdin für ihren Arbeitsweg ein Generalabonnement bei der Bahn kaufen wollte, hätte sie dieses nur bekommen, wenn sie nicht den Monats-, sondern den Jahresbetrag bezahlt hätte. Was für eine Auszubildende im ersten Lehrjahr schlicht unmöglich ist. Auch ein Handyabonnement kann sie mit dem F-Ausweis nicht abschliessen. Der B-Ausweis wird ihr voraussichtlich in ein bis zwei Jahren bewilligt. Dann kann sich die junge Frau ihren letzten grossen Wunsch erfüllen: «Ich möchte so gerne Familienangehörige in der Türkei besuchen und mich endlich am Grab meiner Mutter von ihr verabschieden können.»

Zur Kasse gebeten
F-Ausweis
Personen, die vorläufig aufgenommen werden und die aufgrund dreier Kriterien nicht zurückgeschickt werden können: unzulässig (Verstoss gegen das Völkerrecht), unzumutbar (im eigenen Land gefährdet) oder unmöglich (Herkunft unklar).
Erwerbstätigkeit
Vorläufig Aufgenommene dürfen mit einer Arbeitsbewilligung – die der Arbeitgeber beantragen muss – erwerbstätig sein.
Sonderabgabe
Personen mit einem F-Ausweis, die während ihres Aufenthalts in der Schweiz nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen können, werden vom Staat unterstützt. Sobald sie ein eigenes Einkommen haben, müssen sie sich mit 10 Prozent des AHV-pflichtigen Bruttolohnes an den verursachten Kosten beteiligen. Der Arbeitgeber zieht den Betrag direkt vom Lohn ab und überweist ihn auf ein Konto des Bundes. Ist der Maximalbetrag von 15 000 Franken erreicht, wird die Person von der Verpflichtung befreit. Ebenso entfällt die Sonderabgabe, wenn Ausländer mit F-Ausweis sieben Jahre nach Einreise oder drei Jahre nach Erhalt des F-Ausweises nicht berufstätig waren.
Vom F- zum B-Ausweis Nach frühestens fünf Jahren kann der vorläufig Aufgenommene bei der Ausländerbehörde des zuständigen Kantons ein Gesuch stellen, um den F- in einen B-Ausweis umzuwandeln. Die Behörde prüft Kriterien wie Integration, Sprachkenntnisse, Erwerbstätigkeit, soziale Unabhängigkeit. Ist sie mit dem Antrag einverstanden, leitet sie das Gesuch an das Bundesamt für Migration weiter.

 

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