«der arbeitsmarkt» 02/2005

Erzwungene Bescheidenheit

Den Werbeagenturen bläst ein rauer Wind um die Nase. Statt auf Partys sich selbst und neue Millionenbudgets zu feiern, müssen sie heute um jeden Rappen ihrer Kunden ringen. Der Konkurrenzkampf wird immer härter, die Auswüchse werden immer grotesker.

«Wer nicht wirbt, stirbt», heisst eine der Binsenweisheiten des Marketings. Noch vor kurzem galt die Werbebranche als hip, Werber erkannte man an edlen schwarzen Rollkragenpullovern, schnittigen Autos und prallen Brieftaschen. Bis Ende 2001 die Wirtschaft im Nine-Eleven-Schock ihre Marketingbudgets einfror. Seitdem findet man die Spezies Werber statt auf aufwändigen Events in möglichst ausgefallenen Locations in neuer Bescheidenheit mit aufgekrempelten Ärmeln an ihren Schreibtischen. Statt Kreativität zählen Kosten.
Die Umsätze der Werbebranche brachen 2002 massiv ein und haben sich bis heute nicht erholt. «Der Kostendruck auf die Agenturen ist noch nie so hoch gewesen wie heute», erklärt Kurt Schmid, CEO der Werbeagentur Lowe mit 80 Mitarbeitenden. Um wie viel enger die Werber ihre Gürtel Jahr für Jahr schnallen müssen, weiss jedoch niemand. Wurden in den Boom- und Börsenblasenjahren eifrig Erfolgsmeldungen verbreitet, so halten sich die Werbeagenturen so weit als möglich bedeckt, seit sich die Spirale wieder abwärts dreht. Seit drei Jahren ist zudem der «Sarbanes Oxley Act» in Kraft, der allen Agenturen, die auch in den USA kotiert sind, untersagt, ihre Zahlen überhaupt noch öffentlich zu machen. Das betrifft fast alle grossen Schweizer Agenturen. Genaue Zahlen zum Umsatzrückgang gibt es darum für die Schweiz nicht – aber er ist gewaltig.

Personalabbau und verbreitete Arbeitslosigkeit

Branchenkenner Kurt Schmid meint: «Wenn ich die Werbebranche weit definiere, schätze ich den Ertragseinbruch seit 2002 auf etwa 30 bis 40 Prozent.» Er vermutet, dass etwa ein Drittel der Mitarbeitenden einen Job ausserhalb der Kommunikationsagenturen suchen mussten. Auch Geri Aebi, Geschäftsführer von Wirz Werbung, schätzt den Rückgang auf ein Viertel bis ein Drittel. Er fügt hinzu: «Entsprechend dürfte auch Personal abgebaut worden sein. Es gibt erstmals verbreitete Arbeitslosigkeit in unserer Branche und damit viele Leute, die auch über längere Zeit erfolglos eine Stelle suchen.»

Kostendruck erzeugt gnadenlose Kunden

Wer heute noch einen Job hat, muss mehr leisten als früher. Denn die Budgets sind bei weitem nicht mehr so grosszügig bemessen wie in den Börsenboomzeiten. Die Kunden fordern wesentlich mehr für weniger Geld. So entwickelt sich die Branche immer mehr zum Haifischbecken, in dem es ums nackte Überleben geht. Zimperlichkeiten sind fehl am Platz. Und Erholung ist nicht in Sicht. Schmid: «Erstaunlich ist, dass die Kunden die Gelder nicht einfach auf andere Kanäle oder Marketinginstrumente umgelagert haben. Sie haben dem Marketing und der Kommunikation substanziell Mittel entzogen und auf Verteidigungsmodus umgeschaltet. Den Angriff haben sie eingestellt.»
Die Kunden kennen keine Gnade. Jeder Rappen, der überhaupt noch in die Werbung fliesst, soll so gut wie möglich angelegt sein. Für heisse Luft, hyperaktive Kreativität und aufwändige, schillernde Events wird kein Geld mehr ausgegeben. «Unsere Kunden stehen unter einem enormen Kostendruck. Fast die ganze Intelligenz eines Unternehmens geht heute ins Cost Management. Noch nie waren die Kosten ein derart bedeutender Fokus des Unternehmertums wie heute.» Das sei an sich gut so, aber ungesund, wenn daher zu wenig Energie in Innovationen fliessen könne, in Ideen und Zukunft, bedauert Kurt Schmid.
Folge des Krampfens um jeden Werbefranken ist ein Konkurrenzkampf unter den Agenturen, der bisweilen groteske Formen annimmt. So bot eine Agentur dem Autovermieter Sixt an, drei Jahre für ein Butterbrot
seinen Werbeetat zu betreuen. Das musste die seit zwölf Jahren für den Vermieter tätige deutsche Agentur Jung von Matt von Firmeninhaber Erich Sixt erfahren. Es kam zum Eclat. Beschuldigungen flogen hin und her,
Juristen wurden aufgeboten. Am Ende blieb Sixt dann doch bei Jung von Matt. Nur: Das Angebot, fast gratis zu arbeiten, kam nicht etwa von einer verzweifelten kleinen Agentur, die den Autovermieter um jeden Preis als Referenzkunden gewinnen wollte, sondern von einer der grössten deutschen Agenturen überhaupt.
Versuche, sich gegenseitig Kunden abzujagen, gab es schon immer. Neu sind jedoch die Dimensionen, in
denen sie stattfinden. Gilbert Fisch, Geschäftsführer von Fisch.Meier.Direkt, erklärt: «Auch in guten Jahren kam es vor, dass andere Agenturen zum Kunden gingen und sagten: ‹Wir können das besser.›» Nur hatten sie seltener Erfolg, da ihnen die Hintergrundinformationen fehlten, um wirklich fundierte Kampagnen zu erstellen. Heute dagegen wird schon mal lieber aufs Geld als auf die Qualität geschaut.
Es gibt immer weniger zu verteilen. Logische Folge: «Kleinerer Kuchen gleich mehr Kampf um die besten Stücke», so Geri Aebi, «es wird mit härteren Bandagen gekämpft. Um die Kunden und die Chance, überhaupt präsentieren zu können. Inklusive der Unsitte, gratis zu präsentieren oder gleich beim Kennenlerntermin mit konkreten Konzepten vorzusprechen.» Diese Gratispräsentationen, von Werbern «Pitches» genannt, sind ein zunehmendes Problem. Denn die Erarbeitung eines Konzeptes für einen potenziellen Neukunden kann eine Agentur 100000 bis 150000 Franken kosten. Gewöhnlich wird den abgelehnten Agenturen dann ein Teil der Kosten, meist um die 20000 Franken, erstattet. Aber selbst das sparen sich manche potenzielle Auftraggeber mittlerweile mit Billigung von Agenturen, die um jeden Preis einen Auftrag brauchen und gratis pitchen.
Dazu kommt, dass gewöhnlich drei bis vier Agenturen zu solch einem Pitch eingeladen werden. Die
verzweifelte Lage mancher Agenturen nutzen Auftraggeber zunehmend aus, indem sie die doppelte Anzahl einladen. Jede davon arbeitet mit ganzen Teams ein Konzept aus. Am Ende erhält eine den Vertrag, die anderen können die investierten Arbeitsstunden abschreiben.
«Eine gigantische Wertvernichtung», so Gilbert Fisch. «Jeder verlorenene Pitch ist für eine Agentur eine Katastrophe, damit sind vier bis fünf Wochen Arbeit verloren.» Denn selbst wenn die Agentur dafür eine kleine Pauschale erhalte, werde das schnell zur Existenzfrage.
Auch die Konkurrenz ausserhalb der Schweiz schläft nicht. Kam früher ab und an Post mit Dumping-Angeboten aus Deutschland oder Frankreich, so ist Osteuropa zunehmend Konkurrent für einheimische Agenturen.
Sie sparen sich die Briefmarke und gehen mit E-Mail-Aktionen auf Kundenfang. Und diesen ist es oft genug egal, wo der Designer sitzt, der das neue Logo oder Briefpapier entwirft.
Wer wirklich hinter den Billigangeboten sitzt, ist selten herauszufinden. Diese Anbieter nennen sich
«logozine», «ars-logo-design» (Logo für 125 Euro, Briefpapier, Visitenkarten und Faxbriefkopf für 150 Euro) oder «Logoshaker». So bietet «Logoshaker» auf seiner Website an, ein Logo für einen «Aktionspreis» von
490 Franken zu entwerfen. Später einmal soll die gleiche Leistung 990 Franken kosten. Selbst ein freischaffender Schweizer Grafiker, der keinen Agenturapparat mitfinanzieren muss, müsste mindestens das Doppelte in Rechnung stellen, um auf seine Kosten für zwei Tage Arbeit zu kommen. Briefpapier, Visitenkarte, Faxkopf und alles, was sonst noch zum visuellen Erscheinungsbild einer Firma gehört, soll im Paket sogar nur 249 Franken («später 408 Franken») kosten.
Zwar gibt Logoshaker eine Adresse in Dietlikon an. Viel mehr als ein Briefkasten ist das jedoch nicht. Alle
Anfragen, wie man in der Schweiz so billig anbieten könne, versickern im Call Center – mit der Versicherung, man werde baldmöglichst einen Rückruf erhalten. Irgendwann kommt wenigstens Antwort auf die E-Mail mit der Frage, wie diese Preise möglich seien. Originaltext: «Unsere Preise sind ja niedrig und dass Grund dafür ist dass wir mit sehr gute Designers von Osteuropa seite mehr als 5 Jahre arbeiten. Wir sind zufrieden und
unsere Kunde auch. Vielen Dank für Ihre Interessen, ich warte auf Ihre Bestellung. Freundliche Grüsse, Elena.» (Wir haben keine Rechtschreib- oder Grammatikfehler eingefügt.)

Spannende Umbruchzeiten in der Werbebranche

Sicher, bei reinen Designaufträgen kann es dem Kunden egal sein, wo der ausführende Grafiker sitzt. Nur: Sieht so irgendwann die Zukunft der Schweizer Werbung aus? Manche beschreiten bereits den umgekehrten Weg. Geschäftssitz in der Schweiz, Kreation in der Schweiz, aber Outsourcing in den Osten. In der IT-Branche sind Auslagerungen – Programmierung in Russland oder Indien – seit Jahren Standard. Nun entdecken auch erste Werber diesen Weg. Maurice Codourey, umtriebiger Inhaber der Zürcher Agentur «FishWhishion», nennt dies «Kooperation statt Konkurrenz». Er gibt seit Jahren Aufträge nach Osteuropa, zur Zeit lagert er gewisse Printproduktionen nach Polen aus, nachdem die Preise der schweizerischen und deutschen Druckereien stark angezogen haben. Künftig gibt er auch Aufträge für Webservices in die Ukraine. 2005 wagt der quirlige Unternehmer den Schritt über die Grenze und will ein Büro in Warschau eröffnen. Realistische Zukunftschancen hat ein solcher Schritt nur bei guten persönlichen Kontakten und Kenntnissen vor Ort. Codourey glaubt, wie man es von einem Werber kaum anders erwartet, fest an den Erfolg: «Der Initialisierungsaufwand liegt längst hinter uns, darum arbeitet dieser Geschäftsbereich bei uns auch profitabel.»
Kein Zweifel: In der Schweizer Werbebranche herrscht keineswegs Untergangsstimmung, aber Umbrüche sind im Gange. Spannende Zeiten.

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