«der arbeitsmarkt» 10/2006

Ein lockeres Verhältnis

Die Schweizer Wirtschaft ist in hohem Mass vom Ausland abhaängig. Dennoch ist die Verbindung zwischen der Starke des Frankens und der Situation auf dem Arbeitsmarkt lockerer als gemeinhin angenommen.

«Dieses Jahr kam mir Rimini viel teurer vor als beim letzten Besuch vor drei Jahren», sagt nach dem Ferienende der eine. «Dafür hat meine Frau im Big Apple die Schnäppchenfreude gepackt», stöhnt der andere. «Ja, er feste Euro schmälert mein Frankenportemonnaie in Europa, während ihm der schwächere US-Dollar in den USA gut tut», weiss der dritte Kollege. «Ein schwächerer Franken ist halt positiv für die Exporte und den Arbeitsmarkt. Mit einem festen Franken sinken die Exporte und es werden Arbeitsplätze eingespart oder ins Ausland verlagert», sinniert er weiter.

Mit dieser Aussage würde er bei Ökonomen kaum auf spontane Zustimmung stossen. Sie diskutieren lieber vielschichtiger. Die Konjunktur ist der wichtigste Einflussfaktor für den Arbeitsmarkt, meint Janwillem Acket, Chefökonom der Julius Bär Gruppe. Alois Bischofberger hingegen, oberster Prognostiker der Credit Suisse, stellt differenzierter die unterschiedliche Auswirkung des Frankens auf einzelne Branchen in den Vordergrund (siehe Interviews auf den Seiten 8–10). Einig sind sich die beiden auch über die Aussichten für den Arbeitsmarkt nicht. Der eine sieht Gewitterwolken aufziehen, der andere bleibt zuversichtlich.

Schwacher Franken lockt Touristen in die Schweiz

Dagegen tönt die als übervorsichtig bekannte Schweizerische Nationalbank (SNB) ungewohnt optimistisch. «2007 wird mit einer Arbeitslosenrate von unter 3 Prozent die Vollbeschäftigung erreicht sein», erklärte Jean-Pierre Roth, Direktoriumspräsident, in einem Referat in Genf Ende August. Das Konjunkturwetter sei nahezu wolkenlos und das starke Wirtschaftswachstum von gut 1,5 Prozent im laufenden und 2 Prozent im kommenden Jahr komme dem Arbeitsmarkt zugute.

Dass Franken und Arbeitsmarkt überhaupt in einem derart engen Verhältnis gesehen werden, hängt mit der starken Auslandsabhängigkeit der Schweiz zusammen. Hier wird fast jeder zweite Franken im Export verdient. Grösster Hauptabnehmer on Schweizer Produkten ist die EU mit knapp zwei Dritteln. Knapp ein Fünftel der schweizerischen Ausfuhren kaufen Deutsche, 10 Prozent Amerikaner. Aus der EU stammen vier Fünftel der Einfuhren und knapp 5 Prozent aus den USA. Deshalb richtet sich auch das Augenmerk der Unternehmen auf die Entwicklung von Euro und S-Dollar gegenüber dem Franken.

Die Schweizer Exportwirtschaft kann sich bessere Absatzchancen ausrechnen, wenn sie ihre Produkte im Ausland günstig verkaufen kann. Sie begrüsst also eher einen schwachen Franken. Steigt der Frankenkurs, müssen sich die Exporteure nämlich fragen: Kaufen meine Kunden noch meine Produkte, wenn sie dafür mehr in ihren Landeswährungen bezahlen müssen? Muss ich also meine Preise in Franken senken, um die Kunden nicht zu vergraulen? Oder muss ich mit einer kleineren Marge leben oder produktiver, im Zweifelsfall also mit weniger Personen, arbeiten oder sogar Arbeitsplätze ins kostengünstigere Ausland verlagern?
Ist der Franken hingegen schwach, kosten die exportierten Waren in fremden Währungen weniger und die internationale Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Produkte steigt tendenziell. Dann können die Unternehmen mit mehr Gewinn rechnen und ihren Aktionären mehr ausschütten. Auch das Tourismusland Schweiz wird mit einem schwachen Franken für Besucher attraktiver. «Dann fahre ich halt doch in die Schweiz statt nach Österreich oder Italien», denkt sich der Skifahrer, der sein Euro-Budget in Franken umrechnet.

Fester Franken sorgt für schönen Zinsbonus

Allerdings sind tiefe Wechselkurse kein Allheilmittel. Sie bedeuten nicht zwangsläufig grössere Exportchancen. Im Vordergrund stehen die Qualität des einzelnen Produkts und seine spezielle Nachfrage. Nur im Idealfall kauft der Kunde ein Produkt, weil er einfach kein anderes haben will. Doch auch dann bestimmt die ausländische Konjunktur über Kauf oder Nichtkauf. Wenn der ausländische Kunde weniger Absatzchancen für seine Waren sieht, bestellt er weniger, egal zu welchem Preis. Auch der schwächste Franken setzt die Aussage des Volkswirtschaftlers Günther Schmölders nicht ausser Kraft: «Man kann die Pferde zur Tränke führen, doch trinken müssen sie alleine.» Fatal wäre, wenn der Kunde schon bei der kleinsten Preiserhöhung auf ein Produkt verzichtet, sich lso extrem preissensibel verhalten würde.

och macht uns eine Frankenschwäche wirklich stark? Sichert sie unsere Jobs oder schafft sogar neue? Alles, was wir im Ausland kaufen, wird dann nämlich teurer. Das tangiert die Zulieferungen für die Industrie, aber auch den Konsum der Arbeitnehmer. Öl wird beispielsweise in US-Dollar gehandelt. Steigt der Ölpreis und das Verhältnis Franken/Dollar bleibt unverändert, steigt der Preis ebenso deutlich wie auf den internationalen Märkten. Festigt sich der Franken, schlägt der internationale Preisanstieg nicht voll auf unser Preisniveau durch. Machen wir eine Milchmädchenrechnung, dann kann man sagen, dass eine Abschwächung des Frankens um 10 Prozent unseren Warenkorb um 4 Prozent verteuert, weil unsere Importquote bei 40 Prozent liegt. Mit einem schwachen Franken sinkt also auch die inländische Kaufkraft. Es werden nicht automatisch mehr Stellen geschaffen.

in fester Franken heisst dagegen, Vorprodukte aus dem Ausland kosten weniger und wir dürfen mit geringerer Inflation und tieferen Zinsen rechnen. Schweizer Unternehmer konnten sich im Durchschnitt
der vergangenen 20 Jahre kurzfristig 1 bis 1,5 Prozentpunkte und langfristig 2,5 Prozentpunkte vorteilhafter finanzieren als die deutschen. Doch nicht nur Unternehmen profitieren vom sogenannten Zinsbonus, auch Mieter und Eigenheimbesitzer spüren ihn in ihrem Portemonnaie. Denn über den Daumen gepeilt kann man sagen, ein Prozent mehr Teuerung bedeutet einen ähnlich hohen Anstieg der Zinsen.
Auf eine Gesetzmässigkeit ist allerdings Verlass: auf die angeheizte Diskussion, wenn der Franken steigt. Da wächst der Druck auf die Nationalbank, die Zinsen zu senken. Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften jammern unisono, Arbeitgeber und Arbeitnehmer reagieren für einmal harmonisch. Fast übereifrig meldet sich jeweils die Maschinenindustrie als Erste zu Wort. Aber sie gehört auch zu den Branchen, die eine starke Frankenaufwertung am deutlichsten trifft. Selbst Uhrenpatron Nicolas Hayek griff 2002 kräftig ins Klavier: Es sei 5 vor 12 für unsere Exporte, meinte er medienwirksam im «Blick». Nachdem die Nationalbank schneller und deutlicher als ihr europäisches Pendant die Zinsen gesenkt und damit auch für einen schwächeren Franken gesorgt hat, ist die Währungsdiskussion etwas in den Hintergrund gerückt.

Stabiler Franken als Vertrauensbeweis in den Standort

Die Kursbewegungen haben seit der Einführung des Euro abgenommen. Gegenüber dem US-Dollar legte der Franken mässig zu und verlor gegenüber dem Euro an Terrain. Für Gewerkschaftsökonom Serge Gaillard hat sich der Franken mit einem Kurs von 1.58 je Euro sogar positiver entwickelt, als er sich 2002 bei einem Kurs von 1.45 Franken gewünscht hatte, nämlich ein Niveau von 1.53 bis 1.55 Franken je Euro. Im internationalen Vergleich blieben die Schwankungen des Euro-Franken-Kurses damit aber klein. Das sehen die Exporteure gerne, denn bei stabileren Währungsverhältnissen müssen sie sich weniger um die Absicherung von Wechselkursrisiken kümmern, verringern sich also ihre Transaktionskosten.

Ein stabiler, fester Franken ist auch ein Beweis des Vertrauens in den Standort Schweiz als Werk- und Finanzplatz. «Es gibt kein Dilemma zwischen der Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Finanzplatz einerseits und den Werkplatz andererseits», antwortete 2002 der Bundesrat auf eine parlamentarische Interpellation der Sozialdemokratischen Fraktion. «Beide stehen in internationaler Konkurrenz und müssen auf Rahmenbedingungen zählen, die ihnen ein Bestehen im globalen Wettbewerb erlauben.» Eine internationale Standortkonkurrenz liege im volkswirtschaftlichen Interesse der Schweiz.
Denn das Stichwort Produktionsverlagerungen ins Ausland geht vielen unter die Haut. Jede Verlagerung von Arbeitsplätzen tangiert den hiesigen Arbeitsmarkt sofort. Tiefere Produktionskosten, neue Märkte und grössere Kundennähe locken viele Schweizer Firmen ins Ausland. Nicht nur in China beispielsweise kommen «locally produced»-Produkte besser an. Doch nach einer Studie der Hochschule für Wirtschaft in Luzern aus dem Jahre 2005 ist die Produktionsverschiebung keine Einbahnstrasse: Auf drei Firmen, die auslagern, kehrt eine wieder zurück. Viele Firmen hofften, mit einer Produktionsverlagerung in Billiglohnländer ihre Fertigungskosten zu senken. Sie unterschätzten aber oft den Zusatzaufwand, den vermehrte Koordination und Kommunikation sowie Qualitäts- und Flexibilitätsüberwachung auslösen.

Wechselwirkung zwischen Franken und Finanzplatz

Auch der Finanzplatz ist nicht standortgebunden, wie die Schweizer Börse virt-x in London demonstriert. Der Finanzplatz Schweiz profitiert aber vom Bild eines stabilen bis festen Frankens. Umgekehrt bestimmt die Bedeutung des Finanzplatzes aber auch den Stellenwert des Frankens. Mit einem Anteil von 35 Prozent sind die Schweizer Banken nämlich führend im internationalen Vermögensverwaltungsgeschäft. Die langjährige Wertbeständigkeit des Frankens stärkte das Vertrauen ausländischer Anleger in unsere Währung. Preisbereinigt und mit der Entwicklung gegenüber den wichtigsten Handelspartnern gewichtet, liegt der Aussenwert des Frankens heute in etwa auf dem gleichen Niveau wie vor 20 Jahren.

Für diese Wertbeständigkeit sind Anleger sogar bereit, kleinere Renditen auf Frankenanlagen in Kauf zu nehmen. Der Franken ist für sie allerdings nicht die Hauptanlagewährung, sondern eine Möglichkeit zur Diversifikation. Damit werden die Gelder auf verschiedene Länder, Währungen und Branchen verteilt, um das Gesamtrisiko des Portefeuilles zu senken. Der etablierte Euro ist inzwischen eine starke Konkurrenz für den Franken. Dafür wird die Schweiz in Krisenzeiten nicht mehr mit Geldern angstgeplagter Anleger überschwemmt. Einige mögen sich noch erinnern: Um den übermässigen Kapitalzufluss aus dem Ausland und eine weitere Stärkung des Frankens abzuwehren, gab es in den 60er- und 70er-Jahren Phasen, in denen die Geldanlagen ausländischer Anleger in Franken negativ verzinst wurden, sie also für Frankenanlagen sogar etwas zahlen mussten.

In einer globalisierten Wirtschaft verliert der Charakter eines ‹sicheren Hafens› eines einzelnen Landes wie der Schweiz zwangsläufig an Bedeutung», erklärte Philipp Hildebrand, Mitglied des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank, Ende Juli 2006 in einem Interview mit «Finanz und Wirtschaft». Doch die Neigung, in Krisenphasen bestimmte Währungen und Vermögensklassen vorzuziehen, bliebe bestehen.

Umsichtige Währungspolitik seit hundert Jahren

Eine starke Währung hatten schon die Gründungsväter der Schweizerischen Nationalbank im Sinn, als sie eine Golddeckung von mindestens 40 Prozent des Banknotenumlaufs vorschrieben. Zwar gilt der Franken seit 1799 als offizielles Zahlungsmittel in der Schweiz, doch das Notenmonopol wurde erst 1907 mit der Gründung der SNB eingeführt. Die unabhängige, auf Stabilität gerichtete Geldpolitik der Schweizerischen Notenbank sorgt entscheidend für den sogenannten Zinsbonus. Sie hat sich mit ihrer über eine lange Zeit glaubwürdigen Geldpolitik eine hohe Reputation auf den Märkten erworben. Damit prägt sie die Erwartungen und auch die Reaktionen der Marktteilnehmer. Als junge Institution muss die Europäische Zentralbank (EZB) an dieser Reputation noch arbeiten.

2akt ist, dass der Franken bereits strukturell eine feste Währung ist. Dafür sorgen alleine schon die regelmässig und immer noch tendenziell steigenden Überschüsse im Verkehr mit dem Ausland. Die Inflation liegt in der Schweiz meistens tiefer als im Land mit der EU-weit geringsten Teuerung. Auch in Bezug auf den Arbeitsmarkt schlägt die Schweiz die Eurozone: Die Arbeitslosigkeit bewegte sich während der letzten sechs Jahre durchgehend am unteren Rand der entsprechenden Raten der Eurozone. Dagegen hat das Schweizer Wachstum des Bruttoinlandprodukts erst im letzten Jahr die wichtigsten EU-Länder überholt.
Die Rolle des Frankens im internationalen Zahlungsverkehr und als Anlageinstrument ist immer noch beachtlich, wenn auch nicht mehr ganz so bedeutend wie vor 20 Jahren. Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Schweiz gehört zwar zu den fünf höchsten in der Welt, macht aber absolut nur drei Prozent der USA oder vier Prozent der Eurozone aus. So sank der Anteil des Frankens am weltweiten Handel mit Devisen seit Ende der 80er-Jahre von 10 Prozent auf 6,1 Prozent. Damit belegt er aber immer noch Rang fünf auf der Weltrangliste hinter US-Dollar, Euro, dem japanischen Yen und dem englischen Pfund. Übrigens erreicht der in der Schweiz täglich gehandelte Devisenumsatz ungefähr 30 Prozent des Bruttoinlandprodukts.

Massnahmen gegen das Wechselkursrisiko bringen Geld in die Kasse internationale Anleihen, die auf Schweizerfranken lauten, machen heute nur noch 0,7 Prozent aller ausstehenden Bonds aus. In den 80er-Jahren waren es noch satte 20 Prozent. Statt Rang drei damals ist es heute Rang
fünf – noch, muss man da sagen. Dabei ist die Summe der ausstehenden Frankenobligationen immer noch höher als das Bruttoinlandprodukt.

Seit 1999 ist die Schweiz vom Euro eingekreist, auch wenn erst seit 2002 die Deutschen keine Mark, die Franzosen keinen Franc, die Italiener keine Lira und die Österreicher keinen Schilling mehr in der Hand halten. Umfragen zeigten damals, dass über den Röstigraben hinweg die Mehrheit der Schweizer nicht auf «ihren» Franken verzichten wollte. Er liess sich als Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel und Kreditwährung in der Schweiz und in Liechtenstein auch nicht verdrängen. Zwar nimmt der Euro den wichtigsten Platz unter den
in der Schweiz in fremden Währungen getätigten Geschäften ein, doch nicht deutlicher als zuvor der Korb der einzelnen Währungen. Für viele Geschäfte und Hotels gehört die Annahme fremder Währungen zur Praxis, sie geben das Wechselgeld aber in Franken heraus und schützen sich gegen Wechselkursrisiken durch eine Marge. Vor allem die Marge der Stadtpolizei Zürich springt dem Autofahrer geradewegs ins Auge: Eine halbe Stunde Parkzeit in der City kostet alternativ 50 Rappen oder 50 Cents.

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