«der arbeitsmarkt» 12/2006

Echt profitieren

Die Allee 11 consulting ist die einzige Übungsfirma der Schweiz, die auch Projekte realisiert. Ein Augenschein in einem speziellen Bieler PvB.

Karg, aber zweckmässig eingerichtet. Hohe Räume im romanischen Baustil. Irgendwo im Grossraumbüro steht eine gemütlich eingerichtete Küche. Vor dem Chefbüro gibt es Süssigkeiten für 1.50 Franken zu kaufen. In Selbstbedienung, versteht sich.
An der Bieler Rue de l’Allée 11 sind aber vor allem neue Jobs begehrt. Hoch qualifizierte Stellensuchende finden hier, auf dem ehemaligen Mikron-Firmengelände, ihr Sprungbrett. Die Allee 11 consulting ist eine Übungsfirma, die eine innovative Position innerhalb des schweizerischen Übungsfirmennetzes einnimmt. Das SVOAM-zertifizierte Büro realisiert reelle Projekte für andere Übungsfirmen. Zum Beispiel Konzeption und Entwicklung von Firmenprospekten und Informatiklösungen. Michael Renaudin, Geschäftsleiter der Allee 11 und Coach der Stellensuchenden: «Wir haben praktisch aus allen KV-Berufen gut qualifiziertes Personal bei uns. Vor allem Kaderleute.» Dazu kommen Spezialisten aus dem Bereich IT. «Informatiker und Webdesigner beschäftigen wir auch.»
Die Teilnehmenden erwerben durch die Arbeit zusätzliche Qualifikationen in ihrem Fachgebiet oder in anderen Bereichen. «Hauptsache, sie können ihr CV aufwerten», klärt Michael Renaudin auf. Schliesslich soll das Beziehungsnetz ausgeweitet und der Austausch von Wissenspotenzial gefördert werden.
Eine der derzeitigen Programmteilnehmenden ist Coco Anderegg – und sie schwärmt: «Ich profitiere echt hier. Mit meiner KV-Ausbildung kann ich wirklich viel mehr machen, als ich je gedacht habe.» Ähnliche Töne schlägt Ivan Ceraso an. Er kommt aus dem Gastgewerbe und ist seit Ende August in der Übungsfirma. «Ich war schon lange nicht mehr in einem Büro tätig. Für mich ist klar, dass meine berufliche Zukunft in einem Office sein wird.» Die Informatik hat es ihm angetan.

Teilnehmende präsentieren sich mit selbst entwickelter Software

An der Allee 11 im Madretsch-Quartier, ein paar Gehminuten hinter dem Bieler Kongresshaus, werden Printprodukte wie Broschüren oder Imageprospekte gefertigt, aber auch Übersetzungsarbeiten in Deutsch oder Französisch. «Was wir im Softwarebereich machen, ist zum Beispiel ein Zeiterfassungsprogramm für andere Übungsfirmen», erklärt Michael Renaudin. «Die klassische Stempeluhr wird damit abgelöst. Die Arbeitszeit wird zukünftig mit dem Ein- und Ausschalten des Computers gemessen.» Es werden aber auch Websites und Lösungen im Bereich Applikationen und Datenbanken angeboten. «Wir liefern zielorientierte Beratungsleistungen und Marketingkonzepte», so der Stadtberner Renaudin. Und dies meist für die Schweizer Übungsfirmenzentrale in La Chaux-de-Fonds. Für die Zentrale wird auch die jährliche nationale Zusammenkunft der Übungsfirmenleiter organisiert.
Schwergewicht der Softwareentwicklung ist «Swiss Profile». Darüber können Unternehmungen die Profile aller Übungsfirmen-Teilnehmenden im Web abrufen. Das Programm soll nächstes Jahr zur Verfügung stehen. Eine andere Entwicklung ist das Projekt Plattform. Alle Übungsfirmen können darüber ihr Know-how mit anderen Programmen teilen und zum Beispiel Kursmaterial anbieten. Michael Renaudin erklärt: «Wer zum Beispiel einen Excel-Kurs sucht, findet auf der Plattform sofort entsprechendes Material. Das Rad muss niemand mehr neu erfinden.»
Das übergeordnete Ziel von Allee 11 consulting ist die konsequente Wiedereingliederung von Teilnehmenden in den Arbeitsmarkt. «Die Leute sind drei Monate bei uns. Danach hoffentlich wieder unter Vertrag bei einer Firma.» Der 32-jährige Michael Renaudin gibt gerne Auskunft über sein Programm. Nur über die Vermittlungsquote schweigt sich der ausgebildete Ethnologe aus. «Wir geben die Zahlen nicht bekannt.» Die Quote bei den Informatikern dürfte dank der arbeitsmarktlichen Massnahme bei hundert Prozent liegen. Wenn jemand nach drei Monaten immer noch ohne neue Arbeit sein sollte, «ist irgendetwas nicht koscher. Meistens ist es die Sprache. Eine zweite Landessprache sollte man im zweisprachigen Biel schon vorweisen können.»

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