«der arbeitsmarkt» 01/2005

Dumpingsaläre im Visier

Jean-Luc Nordmann, stv. Direktor und Chef der
Direktion für Arbeit im seco, über Personenfreizügigkeit und tiefe Löhne

«der arbeitsmarkt»: Das Abkommen mit der EU über die Personenfreizügigkeit ist in Kraft. Bei Kontrollen wird vermehrt festgestellt, dass Arbeiter aus der EU zu zum Teil massiv tieferen Löhnen in der Schweiz arbeiten. Hat Sie das Ausmass dieses Lohndumpings überrascht?
Jean-Luc Nordmann: Man muss sich vor Augen halten, dass bis vor einem halben Jahr keine derartigen Kontrollen durchgeführt wurden! Dass man jetzt Missbrauchsfälle entdeckt, ist deshalb wenig erstaunlich.
Darunter gibt es aber auch eine grosse Anzahl von Fällen, die mit der Personenfreizügigkeit eigentlich gar nichts zu tun haben. Missbrauch wurde schon vorher betrieben. Denken Sie beispielsweise an die Schwarzarbeit! Nicht alles, was jetzt zum Vorschein kommt, ist also neu – nur wird es jetzt eben entdeckt. Je besser aber die Kontrolle ist, desto weniger neue Fälle wird es geben. Wir erwarten von den Kantonen und von den paritätischen Kommissionen der Sozialpartner allgemein verbindlicher Gesamtarbeitsverträge einen konsequenten Vollzug.

Die tripartiten Kommissionen sollen die flankierenden Massnahmen gegen Lohndumping umsetzen. Effektiv funktioniert dies aber erst in wenigen Kantonen. Was läuft schief?
J.-L.N.: Für die Kantone brachte die Personenfreizügigkeit mit der EU am 1. Juni eine riesige Umstellung. Bisher wurde ihnen jeder Arbeitsvertrag eines Ausländers zur Kontrolle vorgelegt, denn sie mussten ihn bewilligen. Jetzt braucht es diese Bewilligung nicht mehr. Um festzustellen, ob orts- und branchenübliche Löhne bezahlt werden oder ob Dumping betrieben wird, muss jetzt an Ort und Stelle kontrolliert werden. Das ist ein Paradigmenwechsel, mit dem man da und dort noch Mühe hat. Zurzeit sind wir daran, diese Anlaufschwierigkeiten zu beheben.

Ist die Umsetzung der flankierenden Massnahmen überhaupt realistisch?
J.-L.N.: Auf jeden Fall! Wenn es sich um Spiegelfechterei handeln würde, wären diese Massnahmen bei den Sozialpartnern gar nicht durchgekommen! Zudem haben nicht nur die Arbeitnehmer ein Interesse daran, sondern auch die Arbeitgeber: Sie brauchen bei den Kosten gleich lange Spiesse, wenn sie am Markt bestehen wollen.

Wird sich das Problem mit der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Mitglieder verschärfen?
J.-L.N.: Nein, denn bis dahin werden wir die flankierenden Massnahmen und deren Durchsetzung weiter professionalisiert haben.

Joseph Deiss, Vorsteher des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements, hat eine Task Force eingesetzt, um die Kantone und tripartiten und paritätischen Kommissionen beim Vollzug zu unterstützen. Sie stehen dieser Task Force vor. In welche Richtung werden die Vorschläge gehen?
J.-L.N.: Das Wichtigste ist im Moment, dass wir den gegenseitigen Informationsfluss zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Kantonen verbessern. Es reicht nicht, wenn man Missbräuche feststellt. Man muss diese auch weitermelden. Zweitens haben wir den Kantonen und den paritätischen Kommissionen klar gesagt, was wir von ihnen erwarten: dass sie ihre Kontrollfunktionen wahrnehmen. Und drittens haben wir Vollzugslücken identifiziert und suchen jetzt nach Möglichkeiten, diese zu schliessen. Ein Bericht im Februar nächsten Jahres wird weitere Anhaltspunkte liefern.

Welche Auswirkungen wird die Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes langfristig auf unser Lohnniveau haben?
J.-L.N.: So paradox es klingen mag: In Zukunft wird es dank der Personenfreizügigkeit weniger Lohndumping geben! Wenn wir die Verbesserungen des Vollzugs für die EU-Erweiterung wie vorgeschlagen erreichen und zusätzlich auch bald das Gesetz gegen die Schwarzarbeit in Kraft tritt, werden wir das Problem viel besser als früher im Griff haben. Das ist ein wichtiger Schritt. Man schätzt beispielsweise, dass in der Schweiz rund 40 Milliarden Franken im so genannten informellen Sektor erwirtschaftet werden. Ein Grossteil davon entfällt auf Schwarzarbeit. Wenn wir 10 Milliarden davon regulär abrechnen, bringt das den Sozialwerken eine Milliarde Franken jährlich ein. Dass das ein Fortschritt ist, müssen alle anerkennen.

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