«der arbeitsmarkt» 10/2004

Drinks, Sounds und coole Jobs

Statt seine Zeit in Vereinen, Parteien oder Verbänden zu verbringen, knüpft und pflegt der junge Mensch von heute dort Kontakte, wo Bier aus der Flasche getrunken wird und der Bass dröhnt: an der Afterwork-Party.)

«Die Consultants kommen erst gegen 22 Uhr», weiss der jungdynamische Typ im hellgrauen Anzug. Im Moment seien vor allem Banker und Leute aus dem IT-Bereich hier. Sein Kollege aus der Versicherungsbranche nickt zustimmend und streicht immer wieder mit der Hand durch sein Haar. Dann prosten sich die beiden betont lässig zu. Diskutiert wird jetzt über tolle Motorboote und die Formel 1.
Es ist 20 Uhr. Wir befinden uns an der weit über Zürichs Stadtgrenzen hinaus bekannten Afterwork-Party im «Carlton».
Seit über drei Jahren verwandelt sich das Restaurant, das nahe am Paradeplatz liegt, jeden Dienstag um «5 nach 6» zum lauschigen Club. Mit beständigem Erfolg. Auch heute Abend ist der Ort Treffpunkt und Kontaktbörse zugleich. Die Sitzecken mit abgewetztem Zebrafell sind fast leer – wer Kontakte knüpfen will, kann es sich nicht leisten, im Sofa zu «versacken». Zirkulieren heisst das Gebot der Stunde. Prüfend lassen die Leute ihre Blicke schweifen, allzeit bereit für das nächste «Hallo», den nächsten Small Talk.
Sogar die Tanzfläche ist mit schwatzenden, stehenden Grüppchen übersät.

Karierte Hemden und Hosenanzug

Die Krawatten werden nicht nur gelockert, sondern ganz abgelegt. Ansonsten geben die Herren im Raum einen Überblick über das gesamte Sortiment an karierten Hemden, die es in der Stadt Zürich zu kaufen gibt. In der Nähe der Bar hält sich eine Frau mit bauchfreiem Oberteil kichernd an ihrem Gegenüber fest und leert dabei fast ihren Caipirinha über den Designeranzug ihres Kollegen. Doch nicht alle Damen zeigen so viel Haut. Viele präsentieren sich im businessgerechten Hosenanzug oder im schicken Deuxpièces.
Der Businesslook gepaart mit einem Cocktailglas in der Hand: An der Afterwork-Party verwischen sich die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit. «Die meisten tauchen so wie ich direkt nach Büroschluss hier auf, wollen ‹networken› und dabei gemütlich ein Bier trinken», meint ein Anzugstyp namens Stefan. Nur wer extra vorher noch nach Hause gehe, um zu duschen und sich umzuziehen, sei hier auf der Jagd nach dem anderen Geschlecht.
Der Begriff Networking hat bei uns Hochkonjunktur. Laut Heinz Knellwolf, Unternehmensberater und Dozent für Betriebswirtschaftslehre, bedeutet Networking das systematische Aufbauen und Pflegen eines Beziehungsnetzes, das helfe, sich im Beruf gut zu entwickeln, als Unternehmer erfolgreich zu sein oder Freunde zu gewinnen. Die Afterwork-Party im «Carlton» ist sicher kein schlechter Platz, um sein Beziehungsnetz zu erweitern. Das Völkchen, auf das wir hier treffen, ist ziemlich homogen: Die meisten sind jung und wirken so, als wollten sie Karriere machen – ohne dafür auf eine gute Party zu verzichten.

Visitenkarten für Opportunisten

Der Musikpegel ist so niedrig eingestellt, dass man sich ohne zu schreien über die aktuellen Börsenkurse oder die neueste Strategie der Geschäftsleitung unterhalten kann. «50 Prozent der unteren Bankkaderjobs werden hier verteilt», behauptet ein Schönling im weissen Hemd und Schuhen von Navyboot. Fast die gesamte Jungmannschaft der UBS, Credit Suisse und der Zürcher Kantonalbank versammle sich hier wöchentlich. Auf persönliche Bekanntschaften zurückzugreifen, ist jedoch nicht nur in der Bankbranche ein beliebtes Mittel, wenn es darum geht, einen Job zu ergattern. In einer Schweizer Umfrage aus dem Jahr 1998 nannten 30 Prozent der Befragten soziale Kontakte als wichtigste Informationsquelle bei der Stellensuche. Inzwischen ist es fast 22 Uhr. Ein schneidiger Typ mit Brille, der sich als Consultant zu erkennen gibt, erklärt uns den Grund
seiner Anwesenheit: Er habe heute Morgen von einem Freund, der bei einer Konkurrenzfirma arbeite, ein Mail mit dem Betreff «Afterwork-Party?» erhalten. Jetzt seien sie beide hier, zusammen mit drei anderen, mit denen er soeben Bekanntschaft geschlossen habe. Der Consultant tauscht mit ihnen fleissig Handynummern aus. «Wenn ich hier Leute kennen lerne, dann verteile ich bewusst keine Visitenkarten. Ich gebe ihnen lieber meine Nummer. Menschen, die Visitenkarten sammeln, sind Opportunisten.» Sein Kollege neben ihm widerspricht: «So ein Quatsch. Visitenkarten zu tauschen, ist einfach praktisch. Ich habe immer welche dabei.» Ein anderer aus der Gruppe mischt sich ein und lässt alle wissen, er habe es nicht nötig, seine Businesscard zu verteilen: «Was zählt, ist der Eindruck, den man auf andere macht.» In einem Punkt sind sich alle drei einig: Eine gewisse Sympathie brauche es, bevor überhaupt irgendwas den Besitzer wechsle.

Obligater Kater nur am Wochenende

Networking beruht auf dem Prinzip Geben und Nehmen. Ziel ist es, Informationen und Erfahrungen mit anderen auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen. Laut Unternehmensberater Knellwolf hat Networking bei jungen Leute oft noch ein negatives Image. «Es wird despektierlich von Vitamin B gesprochen. Die dramatischen Veränderungen im Arbeitsmarkt haben aber dazu geführt, dass immer mehr Menschen erkennen, dass ein gezieltes Networking neue Möglichkeiten eröffnet, da viele Stellen unter der Hand vergeben werden.»
Das scheinen auch die zwei jungen McKinsey-Typen zu wissen, die an der Hochschule St.Gallen studiert haben. Am Donners-tag hätten sie ein HSG-Alumni-Treffen – ein Zusammenkommen mit Ehemaligen – besucht, erzählt der eine, während er sich eine Zigarette anzündet: «Dort betreiben wir gezieltes Networking.» Auch hier an der Afterwork-Party pflege man Kontakte, erzählt uns der andere und begrüsst zwei Kollegen mit Handschlag und freundlichem Schulterklopfen. Eine Blondine mit einer schlecht geschnittenen Pagenfrisur stolziert zum dritten Mal innerhalb fünfzehn Minuten durch die Tür. «Die sehe ich an jeder ‹Hundsverlochete›», lästert einer der McKinsey-Typen.
Langsam wird die Lautstärke der Musik aufgedreht und die Tanzfläche voller, es herrscht ein regelrechtes Gedränge. Auch wenn inzwischen mehr Frauen dazugekommen sind, wird die Szenerie doch von biertrinkenden, plaudernden Männergrüppchen bestimmt. Ist Networking nach Büroschluss eine Sache unter Männern? Wir hören uns um. Eine junge, attraktive Blondine gibt an, sie sei zum Tanzen hier, ihre Freundin auf Partnersuche. Mehr Glück haben wir bei einer jungen Frau namens Lisa. Sie ist Ende zwanzig und in der Immobilienbranche tätig. Nach wenigen Minuten zückt sie ihre Visitenkarte. «Vielleicht mache ich mich
bald selbständig», sagt sie.
Die meisten Frauen scheuen sich immer noch, persönliche Kontakte für die eigene berufliche Entwicklung zu nutzen. Auch was das formelle Networking angeht, hat das weibliche Geschlecht noch einiges aufzuholen. Seit Jahrhunderten knüpfen und pflegen Männer Beziehungen in Netzwerken wie Studentenverbindungen, Zünften, Rotary Clubs oder im Militär. Weibliche Netzwerke dagegen sind erst seit den Achtzigerjahren im Aufwind. In der Schweiz existieren heute einige interessante Angebote für Frauen, die durch Networking beruflich weiterkommen wollen. Ein Beispiel ist das Forum Kaufmännischer Berufsfrauen Schweiz (FOKA). Das Forum organisiert monatlich Anlässe und bietet Kontakte zu kompetenten Berufskolleginnen an.
Die Uhr zeigt halb zwölf und viele der Consultants, Banker und Börsianer verabschieden sich langsam mit Küsschen links und Küsschen rechts. Disziplin ist angesagt, denn morgen früh im Büro müssen sie fit
genug sein, um den Chef kompetent über den aktuellen Projektstand zu informieren. Den nächtlichen Absturz mit dem obligaten Kater am Morgen zieht der junge Networker von heute am Wochenende ein.

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