«der arbeitsmarkt» 02/2006

Die Müllfahnder

Abfall Tonnenweise Müll wird in der Stadt Zürich illegal entsorgt. Die Fahnder des Kontrolldienstes von Entsorgung + Recycling Zürich versuchen, die Sünder aufzuspüren. Sie schrecken nicht davor zurück, bis zu den Ellenbogen in Müllsäcken zu wühlen. Und sie werden fündig.

Im Minutentakt schlitzt das Messer schwarze Säcke auf. Erbarmungslos greift der Mann im orangefarbenen Anzug hinein und wühlt im Inneren. Da – er hat gefunden, was er sucht: einen Kassenbon. Fein säuberlich packt er das Corpus Delicti in einen durchsichtigen Plastikbeutel. Er protokolliert den Fundort und packt ein sauber ausgeschnittenes Stück des Sackes als Beweismittel dazu. Die Zürcher Güselpolizei ist im Einsatz. Sie kontrolliert Tag für Tag illegal entsorgten Müll im Stadtgebiet. 245 Tonnen pro Jahr.
Bei ihrem Einsatz im Langstrassengebiet, den wir begleiten dürfen, werden die Männer schnell fündig. In einem Hinterhof stehen drei 770-Liter-Abfallcontainer. Aus einem ragt ein kaputter Bürostuhl. Auch die anderen beiden sind so voll, dass der Deckel nicht mehr schliesst. Der Müll ist fein säuberlich in Säcken verpackt. In schwarzen Säcken ohne Sackgebühr. Ganz normaler Hausmüll aus den umliegenden Wohnungen. Nur ein einziger weisser Züri-Sack ist darunter.

Stammkunden sind selten: Die Leute lassen sich bekehren oder lernen schnell

In einer Dreiviertelstunde haben die beiden orange gekleideten Männer alle drei Container geleert. Sack für Sack landet auf dem Tisch im weissen Lieferwagen mit der Aufschrift «Kontrolldienst – Schwarz entsorgen ist nicht fair». Dort wird er mit zwei sich kreuzenden Schnitten geöffnet. Enthält der Sack keine Hinweise auf seinen Besitzer, landet er in der eingebauten Müllpresse. Werden die Kontrolleure jedoch fündig, archivieren sie die Beweisstücke sorgfältig. Danach sind der Bezirksstatthalter und die Wasserschutzpolizei zuständig. Letztere, weil sie sich um alle Umweltdelikte kümmert. Langsam verbreitet sich ein unangenehmer
Geruch. Die Männer arbeiten unbeeindruckt weiter.
Nach und nach versammeln sich auf der Strasse Leute aus den umliegenden Wohnungen. Eine Frau mit glasigem Blick kommt vom gegenüberliegenden Hauseingang herüber und starrt reglos auf die Container. Der Blitz der Fotografin hat sie angelockt. Aus dem «An- und Verkauf von Gold und Schmuck», vor dem der Kontrolldienst auf dem Trottoir parkt, kommen Neugierige, die das Geschehen verfolgen. Ein tätowierter Weissbärtiger mit schwarzer Strickmütze flachst extra laut mit einem Kollegen: «Häsch wider din Güsel in falsche Sack gläärt?» Dieser wehrt sich in gespielter Empörung. Bald erlahmt das Interesse. Man kennt das hier.
Der Kontrolldienst, wie sich die Güselpolizei offiziell nennt, kommt regelmässig vorbei. Der Lieferwagen des Kontrolldienstes fasst 500 Kilogramm Abfall. Drei- bis viermal mal pro Tag fahren die Männer zur Kehrichtsammelstelle. Dort laden sie täglich zwischen einer und eineinhalb Tonnen illegal entsorgten Abfall ab.
Der Grossteil des illegal entsorgten Mülls liegt jedoch nicht ordentlich in Hausmüllcontainern, sondern an den 162 Wertstoffsammelstellen im Stadtgebiet. Leute lassen dort andere Wertstoffe wie PET oder Karton einfach stehen, weil der passende Container fehlt. Oder sie bringen nicht nur ihr Altglas, sondern gleich auch noch einen Beutel Müll mit zur Sammelstelle, um zwei Franken Sackgebühr zu sparen. Irgendjemand wird ihn schon einsammeln.
Beim ersten Mal beträgt die Busse 250 Franken, danach werden es von Mal zu Mal 50 bis 100 Franken mehr. 1100 Franken zahlte beispielsweise die Frau, die mit ihrem Güselsack eine Saftspur von ihrer Wohnungstür durch das Treppenhaus über die Strasse bis zum Abstellort hinterliess. Dennoch bestritt sie hartnäckig, dass es sich um ihren Sack handle. Allerdings gibt es nur wenige «Stammkunden». Entweder lassen sie sich zu weissen Züri-Säcken bekehren. Oder sie lernen schnell, was man auf keinen Fall in einen schwarzen Müllsack stecken darf. Etwa Briefumschläge mit Adresse oder Kreditkartenbelege.
In der Stadt Zürich fallen jährlich 60000 Tonnen Hausmüll an. 97 Prozent davon verpacken die Bürger fein säuberlich in die weissen Züri-Säcke und stellen sie wie vorgeschrieben am Abfuhrtag vor sieben Uhr morgens auf die Strasse. In den Kehrichtheizkraftwerken Hagenholz und Josefstrasse gehen die eingesammelten Säcke dann in Flammen auf oder, fachsprachlich korrekt, werden «thermisch behandelt» und heizen die städtischen Haushalte. Etwa 1800 Tonnen Müll werden illegal entsorgt. Nur einen Bruchteil davon kann die Güselpolizei kontrollieren, gerade mal ein Achtel. Mehr schaffen die zwei Männer nicht, die dafür abgestellt sind.

770 Liter Müll werden in einer Viertelstunde durchwühlt

Seit 1993 die Sackgebühr eingeführt wurde, gibt es den Kontrolldienst. Er besteht aus einem Team von fünf Leuten. Davon wühlen nur zwei im Abfall. Alle paar Monate werden sie abgelöst. Die anderen drei koordinieren die Einsätze, halten Kontakt zu den Verwaltungen und erledigen die anfallenden Büroarbeiten. Der Job trifft jeden der zwölf Müllmänner reihum. Natürlich ist es nicht die angenehmste Arbeit, aber die Männer erledigen sie routiniert und systematisch. Für einen 770-Liter-Container voller schwarzer Müllsäcke brauchen sie nicht mehr als eine Viertelstunde. Sie sind froh, etwas gegen den illegal entsorgten Müll unternehmen zu können. Aber bei der Arbeit fotografiert werden wollen sie dann doch nicht. Sie befürchten Anfeindungen, falls man ihre Gesichter in der Zeitung erkennt.
Andererseits werden sie während ihrer Einsätze oft angesprochen und gelobt, dass sich jemand um den «Saustall» kümmert und die Verursacher sucht. Passanten wollen wissen, wie sie blaues Glas korrekt entsorgen können (im Grünglascontainer) oder wo die nächste Wertstoffsammelstelle ist.
Urs Bachmann, Leiter Logistik Dienstleistungen bei ERZ (Entsorgung + Recycling Zürich), koordiniert die Einsätze des Kontrolldienstes. Es ist unmöglich, aus ihm herauszubekommen, was die Güselsünder am häufigsten verrät. «Wir wollen auf keinen Fall eine Anleitung gedruckt sehen, wie man sich nicht erwischen lässt. DNA-Tests machen wir aber noch keine», scherzt er. Die Gefahr, erwischt zu werden, ist ohnehin gering. «Wir wollen vor allem gesehen werden, damit die Leute wissen, dass sich jemand um die illegalen Kehrichtsäcke kümmert.» Die meisten entsorgten ja korrekt, drei Prozent eben nicht. Warum manche ihr altes
Sofa einfach auf die Wiese fahren, versteht er nicht: «Dazu muss man es ja sowieso ins Auto laden. Da könnte man es genauso gut legal zur Kehrichtverbrennung oder zu den zwei Recyclinghöfen fahren.» Jeder Zürcher Haushalt bekommt jährlich einen Gratis-Entsorgungsgutschein zugeschickt. Wer sein Sperrgut bei der Wertstoffsammelstelle entsorgt, erhält dort sofort einen neuen. Der Müllsünder spart also nicht einmal Geld.
Dass Bachmann seine Aufgabe liebt, zeigt die Antwort auf die Frage, warum die Stadt Zürich letztes Jahr die grauen Züri-Säcke durch weisse ersetzte. «Weiss steht für Sauberkeit. Wenn man jetzt am Abfuhrtag durch die Strasse geht, ist das einfach schön zum
anschauen. So hell und sauber!»

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