«der arbeitsmarkt» 11/2014TEXT: Claudia KuhnFOTO: Simone Gloor
Der Paketshop

Die Finte mit der deutschen Adresse

Immer mehr Schweizer bestellen Produkte in Onlineshops und lassen sich die Pakete anstatt in die Schweiz an einen deutschen Paketshop an der deutsch-schweizerischen Grenze schicken. Lohnt sich das? Ein Augenschein in Waldshut-Tiengen.

Dienstag, kurz vor zehn in Waldshut-Tiengen, einer gemächlichen Doppelstadt im Südwesten Baden-Württembergs, unmittelbar an der Schweizer Grenze. Daniel Leuenberger öffnet seinen Paketshop. Das Lokal befindet sich mitten im Industriegebiet in guter Gesellschaft von Deichmann und Aldi. Der 53-jährige Schweizer ist Geschäftsführer von Euroretour, einem unter vielen Anbietern von Paketshops an der deutsch-schweizerischen Grenze.

Das Geschäft boomt. Daniel Leuenberger etwa betreibt drei Paketshops, wo Schweizer Kunden und Kundinnen Ware anliefern lassen, die sie online bestellt haben: einen in Weil am Rhein bei Basel, einen in Konstanz nahe Kreuzlingen und den Shop in Waldshut-Tiengen, der an den Kanton Aargau grenzt.

Dicht gedrängt

200 Stühle in 100 Paketen, mannshoch, drängen sich im ersten Raum, dazwischen stehen und liegen diverse Schachteln in allen Grössen, auf Paletten oder am Boden. Links befindet sich die Theke, wo Daniel Leuenberger auch Süssigkeiten verkauft. An den Wänden stehen Regale mit Stellplätzen, alphabetisch geordnet. Ein zweiter Raum folgt, auch dieser vollgestopft. Insgesamt 140 Quadratmeter gefüllt mit Paketen, so präsentiert sich Daniel Leuenbergers Shop.

Er zeigt auf einen Haufen Päckchen, die alle mit demselben Namen angeschrieben sind. «Viele Kunden lassen mehrere Sendungen hierherschicken und holen sie dann einmal im Monat ab. Andere nehmen die Ware von Bekannten mit.» Inzwischen ist Stefanie Zyska eingetroffen. Die 24-jährige Studentin, die ihren Master in Unternehmensführung macht, arbeitet während der Semesterferien für Daniel Leuenberger. Sie verdient 450 Euro (540 Franken) im Monat. In Deutschland ist das ein sogenannter «Minijob». «Das ist einmal etwas anderes, als im Service zu arbeiten. Es ist nett hier, ich überlege mir immer, was in den Paketen ist, und mit den Leuten komme ich gut aus.»

Der erste Kunde tritt ein. Thomas Koller aus Klingnau (AG) holt gebrauchte Autositze ab. Stefanie Zyska tippt seinen Namen in den Computer und druckt die Rechnung aus. Je nach Grösse des Pakets zahlen die Kunden einen Betrag für die Lagerung. Zwischen 4.90 und 12.50 Franken. 30 Tage können die Pakete im Shop liegen. Danach wird ein Aufpreis von 10 Prozent des Warenwertes fällig.

Thomas Koller ist rechtzeitig dran. «Ich spare 84 Franken», sagt er stolz. Da die Autositze gebraucht sind, muss er diese nicht verzollen. Kaum ist der Kunde draussen, kommt der Kurierdienst DHL mit der ersten Paketlieferung des Tages. Zwischen 70 und 90 Pakete bringen die Anlieferer täglich, während der Sommerferien weniger.

So funktionierts

Stefanie Zyska erfasst die Pakete im Computer. Jeder Kunde erhält eine automatisch generierte Benachrichtigung per E-Mail, sobald seine Lieferung im Shop eingetroffen ist. Es sei wichtig, dass der Kunde bei der Online-Bestellung neben der Lieferadresse, das ist diejenige des Paketshops, auch die eigene Adresse als Rechnungsadresse eingebe, so Stefanie Zyska: «Sonst erscheint auf dem Paketaufkleber nur unsere Adresse, und ich habe keinen Namen. Ausserdem braucht der Kunde eine Rechnung mit seinem Namen und seiner Wohnadresse, um die Mehrwertsteuer (MWST) zurückzufordern.»

Stefanie Zyska unterbricht ihre Arbeit, die nächste Kundin steht schon an der Theke. Susi Pallay aus dem Aargau holt ein Buch ab. Sie ist das erste Mal im Shop und verbindet die Fahrt mit einem Tag in Waldshut, wo sie zum Coiffeur geht und zu Mittag isst. Ausserdem wartet sie auf eine Lieferung aus Südafrika. Anhand der Tracking-Nummer, eines Codes, der jedem Paket zugeordnet ist, kann Stefanie Zyska via Computer dessen aktuellen Aufenthaltsort herausfinden. Sendungen aus Übersee landen manchmal beim deutschen Zoll und bleiben dort liegen. Normalerweise erhält die Empfängerin, der Empfänger dann eine Benachrichtigung vom Zoll.

Abfall gut versorgt

Stefanie Zyska schafft Platz, hat alle Hände voll zu tun. Die Post liefert mehrere Päckchen, ein privates Lieferunternehmen bringt eine volle Palette und nimmt im Austausch eine alte mit.

Schon ist die nächste Kundin da, Amaya Albers aus Zürich. Was sie alles bestellt habe, wisse sie gar nicht mehr so genau, so die gepflegte Frau mit den blonden Haaren. Sie reist einmal im Monat nach Waldshut-Tiengen und bringt meistens ihren Vater mit. Amaya Albers packt die Pakete gleich aus, um den Abfall zu entsorgen. Zwei Koffer, Eiskühler und Gläser kommen zum Vorschein. «Der Shop für Möbel und Wohnaccessoires liefert bis dato nicht in die Schweiz, deswegen liess ich die Ware hierher senden», erklärt sie. Amaya Albers faltet die Kartons zusammen und legt sie an den dafür vorgesehenen Platz links vom Eingang. Auch Plastik, Papier und Styropor lässt sie an der Auspackstation zurück. «Für einen kleinen Karton verlangen wir 60 Rappen, für einen grossen 1.20 Franken Abfallgebühren. Die Kartons müssen gefaltet werden», sagt Daniel Leuenberger.

Auf der kleinen Theke steht eine Kasse fürs Geld. Für Daniel Leuenberger selbst ist die Entsorgung unkompliziert: Karton und Altpapier räumt er in die blaue Tonne, die gratis entsorgt wird, Plastik versorgt er im gelben Sack, ebenfalls gratis. Europaletten tauscht der Lieferservice aus, und für die Minipaletten fand er eine eigene Lösung. Die holt jemand ab, der sie brauchen kann.

Mehrwertsteuer zurück

Amaya Albers möchte noch ein Holztischbein, das 30 Kilogramm wiegt, nach Mallorca schicken. Von der Schweiz aus würde sie zirka 400 Franken zahlen. Daniel Leuenberger wird in den nächsten Tagen abklären, was der Versand von seinem Paketshop aus kostet. Dass der Preis bedeutend günstiger sein wird, ist jetzt schon klar. Amaya Albers’ Einkauf übersteigt 300 Franken. Sie muss Schweizer Mehrwertsteuer zahlen. Dennoch hat sie Geld gespart. Der Preis der Waren war günstiger, sie zahlte keine hohen Posttaxen für einen Versand in die Schweiz, und die deutsche Mehrwertsteuer bekommt sie zurück. Schliesslich füllt die Kundin eine Ausfuhrbescheinigung aus. Diese lässt sie am Zoll abstempeln, um die deutsche Mehrwertsteuer zurückzuverlangen. Dafür muss sie die Rechnung vorlegen.

Den abgestempelten Beleg wird Amaya Albers an den Paketshop schicken. Daniel Leuenberger leitet das Formular weiter an den Onlineshop, bei dem Amaya Albers die Ware bestellt hat, erhält die Mehrwertsteuer und überweist diese an die Kundin. Für den Service berechnet Daniel Leuenberger eine Gebühr. Für 15 Euro Mehrwertsteuer sind das beispielsweise 4.80 Franken, für 70 Euro Mehrwertsteuer 18.30 Franken.

Wie alles begann

2006 eröffnete Daniel Leuenberger gemeinsam mit einem Partner seinen ersten Paketshop in Weil am Rhein. Der Basler arbeitete viele Jahre als Paketzusteller bei der Schweizer Post. «Die Leute beklagten sich immer bei mir, dass die Lieferungen aus Deutschland und dem restlichen EU-Raum viel zu teuer sind.» Daniel Leuenberger selbst liess seine Päckchen schon damals an eine Privatadresse im nahen Deutschland schicken. Als erste Dienstleistung bot er gegen Entgelt an, für Leute die Mehrwertsteuer in den deutschen Läden einzuziehen und ihnen zu überweisen. Hierfür benötigte er lediglich das abgestempelte Formular, das diese ihm zuschickten. So sparten die Leute den Weg.

Nachdem immer mehr Personen ihn nach einer Lösung für die Pakete fragten, hatte er die Idee mit dem Shop. In Weil am Rhein fand er einen Kioskbesitzer. Die beiden taten sich zusammen und starteten mit dem Kiosk als Paketannahmestelle. Als Daniel Leuenberger für seine neue Dienstleistung Flyer verteilte, erfuhr die Post von seinem findigen Geschäftsmodell und kündigte ihm.

Kunden aus der ganzen Schweiz

Auch René Burch nützt den Service von Euroretour. Er ist aus Wohlen im Kanton Aargau angereist, wo er mit seiner Frau ein Studio für Tanz, Fitness und Kampfkunst betreibt. Er holt vier Pakete ab. «Ich habe Dekoration bestellt, auch Kleidung und Requisiten. Für unsere Tanzschule.» Die Dekoration erhält René Burch nicht in der Schweiz, auch sind ihm die Versand- und Zollgebühren zu teuer. Vier- bis fünfmal im Jahr fährt er in den Paketshop nach Waldshut-Tiengen, anschliessend geht er eine Currywurst essen.

Georg Lachart aus Ehrendingen bei Baden arbeitet viel mit Autos. Der ältere Herr ist stolzer Besitzer eines alten BMW, den er selbst repariert. Um herauszufinden, woran sein Auto krankt, benötigt er das bestellte Diagnosegerät. «Nicht alle Shops liefern in die Schweiz», sagt er. Wie viele andere, denen Zoll und Porto zu teuer sind, verbindet er das Abholen seines Pakets mit einem Ausflug. Ein- bis zweimal im Monat fährt Patrick Stadelmann von Oberwil-Lieli in der Nähe von Bremgarten nach Waldshut-Tiengen. Der passionierte Modellbauer bestellt regelmässig in europäischen Onlineshops Bausätze für ferngesteuerte Fahrzeuge und Helikopter. Über die Hälfte habe er gespart oder sogar drei Viertel, weil er die Teile an den Paketshop habe liefern lassen, verrät er.

«Aus der ganzen Deutschschweiz kommen die Leute hierher, auch aus den Kantonen Schwyz und Zug, aus denen so manch einer mit einem grossen Auto vorfährt. Auch viele Deutsche, die in der Schweiz leben, sind meine Kunden.» Daniel Leuenberger hat nun Zeit, um zu erzählen. Einmal habe ein Kunde 1000 Franken gespart beim Onlinekauf eines speziellen Maschinenteils. Das war ein Bündner, und auch ein Tessiner habe einmal den Weg hierher gefunden. «Das ist allerdings eine Ausnahme.»

Ein neues wachsendes Kundensegment bei Euroretour sind kleine und mittlere Schweizer Unternehmer (KMU), beispielsweise Autogaragen, die Ersatzteile bestellen, oder das Hotel mit den Stühlen. «Auch viele Privatpersonen senden Päckchen an uns. Etwa die Mutter aus Deutschland, die ihrem Sohn, der in der Schweiz lebt, etwas schicken möchte.»

Ein Blick in die Zukunft

«Ich habe noch viele Ideen, die ich umsetzen möchte», sagt der 53-jährige Vater von Zwillingen, der inzwischen selbst in Weil am Rhein lebt, und fügt hinzu: «Momentan überlege ich, die Pakete auch in die Schweiz zu liefern. Ich muss zuerst durchkalkulieren, ob das Angebot rentiert.» Daniel Leuenberger denkt über Zusatzverkäufe nach und darüber, seinen Shop in Waldshut-Tiengen mit einem Café zu ergänzen. Und er beabsichtigt, das Netz der Paketshops auszubauen. Dazu plant er Spezialangebote für die Nutzer in Zusammenarbeit mit den Onlineshops. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass die Zeit im Paketshop einstweilen zu Ende ist. 13.30 Uhr, Mittagspause. Stefanie Zyska geht nach Hause. Daniel Leuenberger verschliesst hinter ihr die Tür. Zwischen all den Päckchen und Paketen kehrt für eine Weile Ruhe ein.

Zoll- und Mehrwertsteuerregelungen: Was Konsumenten wissen müssen
Wertfreigrenzen Gemäss der Eidgenössischen Zollverwaltung dürfen Private pro Tag Waren im Wert von 300 Franken gebühren- und zollfrei in die Schweiz einführen. Seit Juli 2014 sind alkoholische Getränke und Tabakwaren dieser «Wertfreigrenze» anzurechnen. Einkaufstouristen zahlen für sogenannte «sensible Waren» ab einer gewissen Menge Zollgebühren.
Sensible Waren Gebührenfrei sind pro Person und Tag:
1 kg Fleisch und Fleischzubereitungen, ausgenommen Wild
1 kg/l Butter, Rahm5 kg/l Öle, Fette, Margarine
5 l alkoholische Getränke bis 18 Vol.-%
1 l alkoholische Getränke über 18 Vol.-%
250 Stück/Gramm Zigaretten, Zigarren, andere Tabakfabrikate
Übersteigt der Einkauf den Wert von 300 Franken oder die erlaubten Mindestmengen, zahlt der Käufer am Zoll Mehrwertsteuer auf den Gesamtwert der Waren. Für alkoholfreie Getränke, Bücher, in der Schweiz registrierte Medikamente und Nahrungsmittel sind dies 2,5 Prozent, für die übrigen Produkte 8 Prozent.
Pakete Hier gilt die «Wertfreigrenze» von 300 Franken nicht. Jede Sendung aus dem Ausland in die Schweiz ist grundsätzlich Zoll- und MWST-pflichtig. Die MWST berechnet sich aus der Summe des Warenwerts, der Versandkosten und Zollgebühren, aber abzüglich der ausländischen MWST. Die Zollgebühren sind abhängig vom Gewicht. Für Sendungen aus Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien beispielsweise beträgt die Grundgebühr 11.50 Franken. Hinzu kommen 3 Prozent vom Warenwert inklusive Versandkosten, aber abzüglich der ausländischen MWST. Gebühren entfallen, wenn die MWST weniger als 5 Franken beträgt. Das heisst, bei einem MWST-Satz von 8 Prozent sind Waren bis 62 Franken frei, bei einem MWST-Satz von 2,5 Prozent Waren bis 200 Franken. Geschenkpakete, die Privatpersonen aus dem Ausland an Privatpersonen in der Schweiz schicken, sind bis zu einem Warenwert von 100 Franken abgabenfrei.
Quellen: www.ezv.admin.ch und www.post.ch

 

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