«der arbeitsmarkt» 01/2007

Die Arbeitsreisenden

Temporärarbeiter haben auf Schweizer Baustellen die Saisonniers abgelöst. 93000 Arbeitnehmende aus EU- und EFTA-Ländern leisteten im Jahr 2005
befristete Arbeitseinsätze in der Schweiz. Auch viele Deutsche schaffen so den Einstieg in den Schweizer Arbeitsmarkt.

Heinrich Alt, Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit in Bonn, lobte in einem NZZ-Interview im Oktober 2006 die Attraktivität der Schweiz als Arbeitsort und brach eine Lanze für die lange argwöhnisch beäugte Temporärarbeit. Deshalb unterstütze die Bundesagentur für Arbeit die vom SECO zugelassenen Vermittler aus der Schweiz.
Allerdings arbeiten viele Fachkräfte, die willig waren, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen, schon heute in der Schweiz, in Grossbritannien oder in den skandinavischen Ländern. Doch dass man in der Schweiz mit guter Arbeit gutes Geld verdienen kann, ist immer noch ein überzeugendes Argument.

Schweizer Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet

Martin Taxer ist Geschäftsführer Bereich Bauhauptgewerbe und Technik bei der FairTime AG in Zürich. 200 Temporäre aus Deutschland hat der ehemalige Polier letztes Jahr vermittelt. Auf die Erfahrung der Agentur für Arbeit möchte er dabei nicht verzichten: «Man kennt dort die Anforderungen in der Schweiz und weiss, wen zu vermitteln Sinn macht.» Offene Stellen schreibt er auch auf Schweizer Stellenportalen aus, es sei aber nicht einfach, hier Leute für die harte Arbeit auf dem Bau zu finden. «Dabei», so Sascha Lempart, Gründer der FairTime und seit acht Jahren im Geschäft, «kenne ich im Bausektor viele Firmen, die gerne bereit sind, für einen Schweizer etwas mehr zu bezahlen». Doch die Nachfrage nach Fachkräften übersteigt das Angebot. Ausserdem gelten deutsche Temporärarbeiter als sehr flexibel, und sie seien eher bereit, auch mal am Samstag zu arbeiten. Das mag daran liegen, dass viele von ihnen aus der Arbeitslosigkeit kommen und froh sind, endlich wieder Geld verdienen zu können.
Auch Marco Bonasso, der für Randstad Temporärarbeiter vor allem aus Ostdeutschland rekrutierte, hat mit diesen gute Erfahrungen gemacht: «Sie stellen weniger Ansprüche, sind flexibler und vor allem mobiler. Ein Schweizer mault schon, wenn er von Zürich nach Spreitenbach zur Arbeit fahren soll. Einem deutschen Temporärarbeiter ist es egal, eine Woche in der Ostschweiz und die nächste in Biel zu arbeiten.» Tatsächlich sei es bis vor drei oder vier Jahren einfach gewesen, gute Leute zu finden. «Man fuhr zu einem Infotag der Bundesagentur für Arbeit und nahm dort gleich die Dossiers auf. Heute findet man in gewissen Regionen Deutschlands gar keine Fachleute mehr.»

Bürokratische Schranken abgebaut

Das liegt auch daran, dass in Deutschland zu wenig in die Ausbildung investiert wird. Die Unternehmen zeigen wenig Interesse, Fachleute auszubilden, die sie dann aus Kostengründen nicht weiterbeschäftigen können. Aber auch Schweizer Unternehmen könnten mehr für die Weiterbildung deutscher Temporärarbeiter zu Fachkräften tun. Das wäre sinnvoll, da viele, die auf temporärer Basis in der Schweiz arbeiten, nach ein paar Monaten oder einem Jahr fest angestellt werden. Rund zwanzig Prozent der von Martin Taxer im Jahr 2006 Vermittelten traten im Laufe des Jahres in eine Festanstellung über. Trotzdem sieht er seine Felle nicht davonschwimmen: «Ich bin froh für jeden, der eine Festanstellung bekommt. Das zeigt, dass ich meine Arbeit gut gemacht habe.» Dazu gehört auch, die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten. Das beginnt bei der Meldepflicht und geht über die Einhaltung der Mindestlöhne und Sozialabgaben bis hin zu Fragen des Anstands, nämlich den Angestellten aus dem Ausland eine anständige Wohnmöglichkeit zu einem fairen Preis zu bieten.
Wer für einen Arbeitsaufenthalt von weniger als neunzig Tagen in die Schweiz kommt, untersteht seit Juni 2004 lediglich der Meldepflicht. «In den meisten Kantonen ist das ein Aufwand von zehn Sekunden am Computer», erklärt Sascha Lempart. Allgemein gilt, dass, wer eine Aufenthaltsbewilligung hat, auch arbeiten darf. Mussten früher beim Migrationsamt und beim Amt für Wirtschaft und Arbeit Bewilligungen eingeholt werden, so genügt heute ein Gang zur Gemeinde, wo der Temporäraufenthalter nach Ablauf der ersten drei Monate in der Regel umstandslos die L-Bewilligung für Kurzaufenthalte bis zwölf Monate bekommt. Wer Arbeit
findet, ist willkommen.

Geringe Margen verleiten zum Missbrauch

Es soll aber nicht sein, dass Arbeitnehmende aus dem Ausland die Schweizer Löhne unterlaufen. Die Schreckgespenster Lohn- und Sozialdumping gefährdeten die Zustimmung des Volkes zum freien Personenverkehr mit der EU. Deshalb wurde die Personenfreizügigkeit mit den flankierenden Massnahmen gekoppelt. Diese besagen unter anderem, dass auch für ausländische Arbeitnehmende die Bestimmungen der allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträge (GAV) zu gelten haben. Auch auf anständige Spesenvergütung haben ausländische Arbeitnehmende Anspruch.
Kontrolliert wird von den Sozialpartnern. «Wir erhalten von den Behörden Meldung über die entsandten und temporären Arbeitnehmenden», erklärt Franz Cahannes, der bei der Gewerkschaft Unia für das Baunebengewerbe zuständig ist. «Wenn sich bei der Befragung auf der Baustelle zeigt, dass sie zu wenig verdienen, verlangen wir bei den betroffenen Firmen Einsicht in die Lohnbuchhaltung.»
Dabei wird immer wieder zum Teil massiver Missbrauch festgestellt. Von den 147 im letzten Jahr auf der Baustelle des Grand Hotel Dolder in Zürich kontrollierten Gipsern zum Beispiel erhielten 125 weniger als den im GAV festgeschriebenen Mindestlohn. «In einem solchen Fall verlangen wir, dass den Arbeitnehmenden der ihnen zustehende Lohn nachgezahlt wird», sagt Franz Cahannes. Die fehlbare Firma wird mit einer Konventionalstrafe gebüsst, trägt die Verfahrenskosten und muss im Wiederholungsfall mit dem Verlust ihrer Bewilligung rechnen.
Die Arbeit für Fachleute ist vorhanden, doch der Schweizer Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet. Da haben auch die Gewerkschaften nichts am Einsatz deutscher Handwerker auszusetzen. «Die sind», so Franz Cahannes, «mobil, sehr tüchtig und bestens qualifiziert.» Das Problem sei der Preisdruck, die kleinen Gewinnmargen. So kommen gewisse Vermittler auf die Idee, ihren Angestellten etwas weniger zu zahlen, um den eigenen Gewinn aufzubessern. «Es gibt unter den Temporärfirmen einige, die in diesem Bereich sehr professionell tätig sind», sagt Cahannes. Er wolle aber nicht die ganze Branche schlechtmachen. Es seien immer mehr oder weniger dieselben, meist kleineren Firmen.

Die schwarzen Schafe sind bekannt

Dies bestätigt auch Sascha Lempart: «Der Schweizer Temporärmarkt ist nicht hundert Prozent seriös. Es ist mir aber nicht verständlich, warum immer wieder die gleichen drei oder vier Namen auftauchen.» Er wünscht sich strengere Kontrollen und härter Strafen, damit der Missbrauch aufhört, der die Branche und die Schweiz in Verruf bringt. Immer öfter höre man nämlich von deutschen Fachleuten, dass sie in der Schweiz diesbezüglich so schlechte Erfahrungen gemacht hätten, dass sie da nicht mehr hinkommen wollten.
Nicht immer ist jedoch die Temporärfirma der Übeltäter.
Es kommt auch vor, dass ein Bauunternehmen die Qualität eines Leiharbeiters herunterspielt, um den Lohn zu drücken. Wird dann derselbe Mann an einem anderen Ort eingesetzt, erhält er wieder beste Noten.  

Zur PDF-Version: