«der arbeitsmarkt» 11/2005

Deutschland im Dauertief

Nicht allein die schwache Konjunktur, sondern vor allem Strukturprobleme belasten den deutschen Arbeitsmarkt. Ohne Berufsabschluss bestehen besonders im Osten wenig Chancen, einen Job zu finden. Dort sind die Hälfte der Beschäftigungslosen ungelernte Arbeiterinnen und Arbeiter.

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist und bleibt hartnäckig hoch. Zudem verfestigt sie sich mehr und mehr. Zum Teil ist die schwache Konjunktur schuld, aber nur zum Teil. Wesentliche Ursachen sind struktureller Natur. Durch konjunkturpolitische Massnahmen allein wird sich die Unterbeschäftigung in den nächsten Jahren nicht verringern lassen. Zu diesem Schluss kommt das Institut für Arbeit und Beschäftigung (IAB) in Nürnberg in seiner neusten Analyse.
Ein grosses Problem ist die Jugendarbeitslosigkeit. Offiziell lag sie im vergangenen Jahr bei 11,2 Prozent. Das sieht im Vergleich zu den EU-15-Staaten mit 15,9 Prozent zunächst nicht schlecht aus. Würde man jedoch auch diejenigen Jugendlichen dazu zählen, die mangels Lehrstelle berufsvorbereitende Massnahmen besuchen, wäre die Arbeitslosenquote doppelt so hoch. Im vergangenen Jahr besuchten 400000 Jugendliche solche Massnahmen. Diese Zeiten werden nicht auf eine spätere Lehre angerechnet. Mittlerweile hat nur noch die Hälfte der Bewerbenden auf eine Lehrstelle die Schule im gleichen Jahr beendet. Ein Viertel (25,6 Prozent) verliess die Schule bereits mindes-tens zwei Jahre zuvor. Das lässt vermuten, dass immer mehr Jugendliche mehrere Ergänzungsangebote hintereinander besuchen. Stets in der Hoffnung, doch noch eine Lehrstelle zu finden, während ihre Chancen stetig abnehmen.
Deutschland als rohstoffarmes Land müsse genügend hoch qualifizierte Arbeitskräfte ausbilden, um als Hochtechnologiestandort in Europa bestehen zu können, appellie-ren die IAB-Forscher einmal mehr. Bildungspolitik müsse gar als zentraler Bestandteil der Beschäftigungspolitik angesehen werden. Denn Bildungsarmut führe in vielen Fällen auch zu finanzieller Armut. Der Zusammenhang zwischen Herkunft und Höhe der Bildung ist in Deutschland sehr hoch und muss dringend verringert werden. Noch schaffen viel zu wenig Kinder aus Arbeiterhaushalten den Sprung ans Gymnasium. Von 100 Beamtenkindern absolvieren 73 die Oberstufe, 49 studieren. Von 100 Arbeiterkindern gehen nur 28 an die Oberstufe, ein Studium absolvieren
lediglich sechs. Mit schlechter Ausbildung ist die Gefahr, arbeitslos zu werden, erschreckend hoch. In Ostdeutschland haben 51,2 Prozent der Arbeitslosen keinen Berufsabschluss, in Westdeutschland 21,7 Prozent. Bei Akademikern liegen die Arbeitslosenquoten dagegen bei 3,5 Prozent im Westen und 6 Prozent im Osten. Die durchschnittliche Arbeitslosigkeitsdauer beträgt 35 Wochen. Für Ungelernte liegt sie deutlich höher, sie stellen den Grossteil der Langzeitarbeitslosen.
Ende 2005 werden 6,3 Millionen Menschen ohne Arbeit sein. Diese Zahl setzt sich zusammen aus gemeldeten Arbeitslosen und Menschen, die keine Arbeit haben, aber nicht gemeldet sind, weil sie keinen Taggeldanspruch haben («stille Reserve»). Das bedeutet: 14 Prozent des Erwerbspersonenpotenzials sind ohne Job. Diese
absolute Zahl hat sich auch durch Hartz IV nicht verändert, denn Hartz IV bewirkte lediglich, dass aus verdeckter eine offene Arbeitslosigkeit wurde.

Literatur:
Jutta Allmendinger, Werner Eichhorst,
Ulrich Walwei (Hrsg.): IAB-Handbuch Arbeitsmarkt – Analysen, Daten, Fakten
Band 1 der Reihe IAB-Bibliothek
Campus Verlag, Frankfurt und New York 2005
295 Seiten, CHF 59.90; ISBN 3-593-37936-8

Weitere Informationen: www.iab.de覊

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