«der arbeitsmarkt» 03/2015TEXT: Leila ChaabaneFOTO: Simone Gloor
Wiedereingliederung nach Burn-out

Der schwere Weg zurück in die Arbeit

Fragen und Ängste quälen einen Burn-out-Betroffenen vor seiner Rückkehr in die Arbeitswelt. Wie reagieren das Team, der Chef, und wird er dem Druck gewachsen sein? Nicht immer gelingt der Wiedereinstieg reibungslos.

Ein leerer Raum mit zwei Kisten Papier in der Ecke. Kein Tisch, kein Stuhl, kein Computer und kein Willkommenszeichen. Sein neuer Arbeitsplatz. Der alte, vorne beim Team, besetzt – von einem Mitarbeiter, den er nicht kennt.

Markus Keller (Name geändert) wusste bereits, was ihn erwartete. Ein Arbeitskollege hatte ihn vorab, vertraulich, informiert. Trotzdem war der Blick in diese Abstellkammer ein Schlag ins Gesicht. Dass der Weg zurück in die Arbeit für ihn nicht einfach sein würde, wusste sein Chef, aber er kam nicht aus seinem Büro, um ihn zu begrüssen. Dabei hätte der Distributionsleiter für Export einen herzlichen Empfang verdient. Neun Monate war er von der Arbeit ferngeblieben. Markus Keller war nicht im Urlaub, sondern brach eines Morgens zu Hause unter der Dusche zusammen. Die niederschmetternde Diagnose seines Hausarztes: Burn-out. Auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben.

«Wer nach einem Burn-out zurück in die Arbeit will, kämpft häufig mit Schamgefühlen und Ängsten», sagt Philippe Hasler, geschäftsführender Partner von «mensch&organisation». Seit 2006 unterstützt und begleitet er als Case Manager Menschen, die nach einem Unfall oder einer Krankheit wie Burn-out für längere Zeit arbeitsunfähig geworden sind. «Vor der Stigmatisierung ‹Burn-out gleich Weichei› oder dem Vorwurf, wer ein Burn-out erleide, sei nicht belastbar, fürchten sich gewisse Betroffene sehr.» 

Diese Angst ist nicht ungerechtfertigt, wie Daniela Kunz (Name geändert), eine Arbeitskollegin eines Betroffenen, bestätigt. Vor dem Vorfall hatte die Angestellte im öffentlichen Verkehr Mühe, ein Burn-out als eine ernsthafte Erkrankung zu sehen. «Ich glaubte, das sei mehr Show als Krankheit. Dank meinem Kollegen, der nach seiner Rückkehr offen über seine Erschöpfungsdepression sprach, habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt und meine Meinung radikal geändert.»

Anders als bei Markus Keller, der bei seinen Mitarbeitenden als der starke Kerl galt, konnte Daniela Kunz ihrem Kollegen im wahrsten Sinne des Wortes bei seinem Untergang zuschauen. «Innerhalb von zwei bis drei Monaten bekam er diesen verstörten Blick, konnte sich nichts mehr merken und wurde sehr langsam.» Auch der Chef habe die Veränderung wahrgenommen. Doch obwohl die Firma über eine interne psychologische Betreuung verfügt, unternahm er nichts, um den Zusammenbruch seines Stellvertreters zu verhindern.

Dabei gibt es durchaus Vorgesetzte, die aufmerksam sind und die Notbremse ziehen, wenn ein Angestellter an seine Grenzen kommt. «Ein Chef beauftragte seine Mitarbeiterin, sich für eine gewisse Zeit vom Arzt krankschreiben zu lassen», erzählt der Case Manager Philippe Hasler. «Da ging es noch nicht um ein Burn-out, doch genau diese Massnahme verhinderte eines, und der Arbeitsausfall konnte um etliches verkürzt werden.» Leider bilden solche Frühinterventionen die Ausnahme. Nicht nur, weil die Vorgesetzten selbst einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt sind, sondern auch, weil die Betroffenen alles daransetzen, ihre Krankheit zu verbergen.

Mit Vollgas ins Burn-out

Fast immer handelt es sich bei Burn-out-Betroffenen um Perfektionisten mit einer ausgeprägten Sensibilität. Sie stellen hohe Ansprüche an sich und ihr Umfeld. Für den Case Manager sind dies typische Charakterzüge, und er erkennt sie beinahe bei all seinen Klienten. Auch Markus Keller passt in diese Beschreibung; er sagt von sich: «Ich kannte nur Vollgas geben und wollte für all meine Mitarbeitenden gleichermassen da sein.» Brauchte jemand Hilfe, war er sofort zur Stelle. Doch sich selbst stellte er hintan, gestand sich keine Schwächen ein und setzte alles daran, die Fassade des starken Mannes aufrechtzuerhalten. «Ich hätte bemerken sollen, dass dies früher oder später in einem Burn-out endet», sagt der 49-Jährige. Auch der Arbeitskollege von Daniela Kunz war ein Perfektionist, der keine Aufgaben delegieren konnte und das Büro nicht eher verliess, bis alle Arbeiten erledigt waren: «Nie beklagte er sich oder sagte, dass es ihm nicht gut gehe. Er war schon immer eine introvertierte Person.»

Als es Markus Keller, nach drei Monaten zu Hause, nicht besser ging, begab er sich in eine psychiatrische Klinik. Nicht ganz freiwillig, sondern auf Drängen seiner Schwester. Das grosse Angebot an sportlichen und kreativen Aktivitäten nutzte der Ruhelose und füllte seine Tage in der Klinik von morgens bis abends aus. Das Nichtstun ertrug er, wie viele Betroffene, nicht. Mit ein Grund, weshalb Case Manager Philippe Hasler nicht zwangsläufig erst in Kontakt mit einem Burn-out-Patienten kommt, der wieder arbeitsfähig ist. Die Zusammenarbeit kann bereits während eines Klinikaufenthaltes beginnen. «Die Betroffenen brauchen eine Perspektive und das Gefühl, etwas für ihre berufliche Zukunft tun zu können.» Philippe Hasler nennt dies einen «Attraktor» schaffen – eine Attraktivität für die Zukunft erarbeiten.

Markus Keller brach den Klinikaufenthalt nach zweieinhalb Monaten auf eigenen Wunsch ab und wollte wieder arbeiten gehen. Er wusste, dass einige seiner Arbeitskollegen ihm das Burn-out nicht abnahmen, weil es nicht in ihr Bild des starken Kerls passte. Von den sechs Mitarbeitenden meldeten sich drei gelegentlich bei ihm. Immerhin, denn ganz anders lautete die Anordnung des Chefs von Daniela Kunz. Das Team durfte während der Abwesenheit seines Kollegen keinen Kontakt zu ihm pflegen. Der Vorgesetzte informierte es sporadisch über den Stand seiner Genesung.

Für Case Manager Philippe Hasler eine nicht nachvollziehbare Vorschrift. «Natürlich soll sich der Betroffene erholen und Abstand gewinnen können. Doch wenn das Verhältnis unter den Kollegen gut ist, stärken dosierte Nachrichten seine Zuversicht und erleichtern ihm den Weg zurück.» Den Kontakt zu unterbinden, mache einzig Sinn, wenn das Team wegen der Abwesenheit an Arbeitsüberlastung leide. Dies könne beim Betroffenen Schuldgefühle auslösen und eine zu frühe Rückkehr in die Arbeit verursachen.

Nachdem Markus Keller am ersten Arbeitstag mit seinem Chef gesprochen hatte, stand fest, dass er seinen alten Job nicht mehr zurückbekommen würde. Sein Vorgesetzter traute ihm diese Position nicht mehr zu. Für seine neuen Aufgaben, hinten im leeren Büro, war noch nicht einmal ein Funktionsbeschrieb erstellt worden. Nicht nur für den Distributionsleiter, der keiner mehr sein durfte, ein unerträglicher Zustand. Auch seine Mitarbeitenden wussten nicht, wie mit der angespannten Situation umzugehen, und wichen ihm aus.

Daniela Kunz und das gesamte Team wurden hingegen an einem Meeting auf die Rückkehr ihres Arbeitskollegen vorbereitet. «Wir erhielten die Anweisung, ihn nicht zu sehr zu belasten, aber doch in die Arbeit zu integrieren.» Ihr Kollege kam schon nach vier Monaten wieder. Zu Beginn in einem 50-Prozent-Pensum, doch für die 53-Jährige ein viel zu voreiliger Wiedereinstieg. «Sein Blick war noch immer leer und abwesend», erinnert sich Daniela Kunz. Weshalb er so früh zurückkam, weiss sie nicht. Case Manager Philippe Hasler kennt eine mögliche Ursache: «Das Selbstwertgefühl von Burn-out-Betroffenen ist stark angeschlagen. Zu Hause langweilen sie sich und kommen sich nutzlos vor. Eine doppelte Belastung: Burn-out im Job und ein Beinahe-Bore-out zu Hause.» Drei Monate hielt Markus Keller das Nichtstun in seinem Büro und die angespannte Stimmung aus, dann kündigte er.

Die Gefahr eines Rückfalls

Einige Jahre später stand der starke Mann mit dem sanften Gemüt wieder in einer Führungsposition. Als Mitglied der Geschäftsleitung im Eventbereich arbeitete Markus Keller für mehrere Monate 16 Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Bei seinem Vorgesetzten beantragte er zwei Tage frei. Sie wurden ihm nicht genehmigt. Mit starken Herzschmerzen ging er zum Arzt und erhielt ein Attest mit der Diagnose: zweites Burn-out.  

«Ein Rückfall kann einen Betroffenen so schwer schädigen, dass ein Wiedererlangen der vollen Arbeitsfähigkeit kaum mehr möglich ist», weiss Philippe Hasler, der Klienten teils nach dem Wiedereinstieg über mehrere Monate begleitet. In Coaching-Gesprächen reflektiert er mit den Betroffenen ihr Stressmanagement und überprüft, ob allenfalls auch das Verhalten von Führung und Team angepasst werden muss.

Der Arbeitskollege von Daniela Kunz ist noch immer der Stellvertreter des Vorgesetzten. Auch ein Jahr nach dem Burn-out spricht er mit allen über seinen Zusammenbruch. Manchmal ist sich die aufmerksame Frau nicht sicher, ob hinter der offenen Kommunikation ein Selbstschutz steckt, um darauf hinzuweisen, dass er noch nicht vollumfänglich belastbar ist. Mittlerweile befürchtet Daniela Kunz, dass ihr Kollege geradewegs ins zweite Burn-out läuft. «Zurzeit geht es ihm sehr schlecht, und jeden Morgen ist ungewiss, in welchem Zustand er zur Arbeit kommt. Wie schon beim ersten Burn-out hat er wieder diesen verschleierten Blick und Schwierigkeiten, sich an Prozesse zu erinnern.» Sie denkt, dass für ihn ein Jobwechsel das Beste wäre. Denn der Chef unternehme auch diesmal nichts, um die Notbremse zu ziehen. «Menschlich ist er sehr wertvoll für unser Team, aber eine Arbeit mit weniger Druck wäre besser für ihn.»

Neue Perspektiven

Zu dieser Einsicht kam auch Markus Keller. Noch während er zum zweiten Mal wegen Burn-out krankgeschrieben war, kündigte er seine Stelle und entschied sich, keine Arbeit mit hohem Stresspotenzial mehr anzunehmen. «Ich bin sensibler geworden und höre auf meinen Körper. Werde ich unruhig oder nervös, nehme ich das ernst und gönne mir Ruhe und Erholung.» Für den Case Manager Philippe Hasler das A und O. «Das Wichtigste ist die Selbstwahrnehmung und die eigenen Grenzen zu kennen. Ein Burn-out-Betroffener muss seine Work-Life-Balance im Griff haben und seine Verhaltensmuster analysieren können.» Mehr als die Hälfte seiner Klienten ergriffen die Chance aus dem Tiefschlag des Burn-outs, das eigene Leben in die Hand zu nehmen und Veränderungen, die schon längst anstanden, anzupacken. «Die Bugwelle von Altlasten erschöpft irgendwann so sehr, dass ein Radikalschlag hilft», betont Philippe Hasler und erwähnt, dass dies sowohl den Job wie auch das Beziehungsumfeld betrifft.

Heute arbeitet Markus Keller Teilzeit an verschiedenen Erwachsenenschulen und unterrichtet Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, Prozess- und Projektmanagement. Er blickt zuversichtlich in die Zukunft. «Wenn ich beruflich auf diesem Stand bleibe und mir Auszeiten gönne, bin ich überzeugt, dass ich kein weiteres Burn-out erleiden werde.»

Case Manager
Definition Case Management ist ein strukturierter und systematisch geführter Prozess im Sozial-, Gesundheits- und Versicherungsbereich. Case Manager beraten und unterstützen Menschen in komplexen Problemsituationen. Mit ihrem Einsatz sollen lange Absenzen und Invaliditätsfälle verhindert werden.
Zusammenarbeit Der Case Manager definiert mit seinen Klienten die angestrebten Ziele und hilft ihnen, diese zu erreichen. Situationsbedingt oder wenn von Klienten gewünscht, bezieht ein Case Manager auch Therapeuten, Ärzte, Familienangehörige und Vorgesetzte mit ein. Ein Case Management dauert zwischen zehn Tagen und bis zu zwei Jahren.
Auftraggeber Grösstenteils arbeitet ein Case Manager im Auftrag von Versicherungsgesellschaften und gelegentlich auf Anfrage von Arbeitgebern. Ein Case Management wird in der Regel von der Krankentaggeld- und der BVG-Versicherung angeboten und bezahlt.

  

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