«der arbeitsmarkt» 04/2005

Der diskrete Charme der kleinen Läden und Buden

Traditionelles Gewerbe und vom Inhaber geführte kleine Läden scheinen in eine andere Zeit zu gehören. Denn in den Städten beherrschen die Filialen der immer gleichen Ketten das Bild der Geschäftsstrassen. Doch es gibt sie noch, die Geschäfte, die Handwerker, die seit Jahrzehnten oder gar Generationen ihr Unternehmen betreiben, die ihre Lücke gefunden haben und nicht nur von treuer Kundschaft leben, sondern durch neue Ideen auch immer neue Kunden dazugewinnen. Zäh behaupten sie sich in einem schwierigen Umfeld – oft schon seit Generationen.«der arbeitsmarkt» hat sechs Gewerbler in Zürich besucht.

«Ein Chlütteri hat heutzutage
keine Chancen mehr»

Als Fussgänger kann man die zahlreichen bunten Reklameschilder an der ockergelben Hausfassade nur schwer übersehen. Doch wer bringt schon seinen Wagen zu Fuss zur Manesse Garage, der Autowerkstatt von Dino Raselli, die er im unscheinbaren Wohnquartier in Zürich-Wiedikon betreibt. Man muss an der Austrasse 7 um das dreistöckige Haus herumgehen, vorbei an parkierten Autos, im Innenhof ein hellgraues Werkstatttor öffnen und steht vor drei Männern in dunkelblauen Übergwändli. Bei der Frage nach dem Chef breitet einer der Männer seine Arme aus und strahlt einladend: «Das bin ich!»
Dino Raselli ist ein charismatischer, kräftig gebauter Mann mit braunem Teint. Dass er fürs Leben gerne
Automechaniker sei, glaubt man dem einstigen Clubrennfahrer gerne. Auch, dass er in seinem Reich Wert auf Ordnung und Sauberkeit legt. An der Arbeitskleidung, am Werkplatz und auch dort, wo der Kunde kaum Einblick hat: in den Material-, Lager- und Nebenräumen.
Am 1. Juli werden es 23 Jahre sein, dass Dino Raselli an der Austrasse sein eigener Herr, kameradschaftlicher Chef und Lehrmeister ist. Obgleich auf Mercedes-Benz spezialisiert – bei der Nobelmarke hat Dino in den
Siebzigerjahren seine Lehre absolviert –, sind hier alle Automarken willkommen. Gegen die zahlenmässig nicht unerhebliche Konkurrenz im «Revier» habe er sich erfolgreich behaupten können. «Als Chlütteri hat man heute keine Chancen mehr», sagt der Meister, und man spürt, wie stolz er auf seine schmucke Garage ist. Eine Garage, deren Betriebsamkeit in Sachen Lärmpegel bedingt durch ihren Standort Rücksicht auf Nachbarn und Anwohner nimmt und an der das Zeitalter der Technik dennoch nicht vorbeigerauscht ist. Ein Besitzer, der im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten den technischen Fortschritt in seinen Kleinbetrieb integriert hat.
Doch der kleine, aber feine Unterschied liegt im Dienstleistungscredo des Chefs, das er eins zu eins an
seine Leute weitergibt. Bis hin zum Vierundzwanzig-Stunden-Pannendienst, wenn es denn beim Kunden brennt. Die Tatsache, dass Dino ein Bergungsfahrzeug, einen Abschleppwagen und einen Töffanhänger besitzt, machen sich auch Garagistenkollegen gerne mal zunutze. Und mit der «Mobility 45», dem Kleinstwagen
für Autofahrer (vorübergehend) ohne Führerausweis, hat Dino kürzlich einen weiteren Dienst am Kunden in
seinen Werkstattbetrieb integriert.
Ob er je an Vergrösserung und Wegzug gedacht habe? Ja, früher. Heute wäre es ihm lieber kleiner. Alles sei schwieriger geworden, sinniert der Mann, dem gute Arbeitsmoral und gute Stimmung wichtig sind. «Der Chef ist manchmal ein Bär, aber auch sehr gutmütig. Was nicht ausgenutzt werden sollte», meint eine Bürokraft, die stundenweise souverän für administrative Ordnung sorgt. Sie begleitet ihren Chef schon mal auf seinen Kundenbesuchen: Hartnäckig Zahlungsunwilligen kann es passieren, dass statt der Mahnung im Briefkasten
«Dino der Bär» mit seiner Buchhalterin auf der Matte steht – nötigenfalls mit Abschleppwagen. Eine Mission, die absolut nicht zu seinen Hobbys zählt. Dino, ein grosser Motorradfan, der seit einer Operation vor zwei Jahren körperlich etwas kürzer treten muss, baut in seiner Freizeit bedeutend lieber Harleys zusammen oder tunt Autos. (Anita Baechli)

Die vornehme Hutmacherin mit dem strengen Blick

Am Neumarkt 16 in Zürich treffen sich Menschen aller Gesellschaftsschichten und Altersklassen zur Hutanprobe. Seit 35 Jahren führt Edith Gasser, gelernte Modistin (Hutmacherin), ihren eigenen Hutladen in Zürich. Steigt man bei der Tramhaltestelle «Neumarkt» aus, überquert den Zebrastreifen und geht Richtung Niederdorf, entdeckt man in einer kopfsteingepflasterten Gasse, links zwischen Schmuck- und Bücherläden, den Schriftzug «Chapellerie am Neumarkt». Rote Federhüte, Kappen in allen Farben, Bérets, Hüte mit Schleier für Hochzeiten und sogar ein Zylinder schmücken das Schaufenster.
An der grün lackierten Holztüre mit Fensterglas hängt das Schild «offen». Sechs Tage die Woche, so entnimmt die Kundin einem handgeschriebenen Zettel, der an der Türe klebt. Beim Eintreten klingelt eine Glocke. Eine ältere Dame, etwa 160 gross, blond, mit einer Brille mit Goldrand, kommt aus einem Hinterzimmer in den Ladenraum. Es ist Edith Gasser, Besitzerin und Modistin des Hutladens. Auf den ersten Blick wirkt sie vornehm und etwas streng. Sie führt die Kundschaft nach hinten, ins kleine Atelier, setzt sich auf ihren einfachen Holzstuhl. Sie häkelt weiter an einer Wollmütze in Schwarz und fängt an zu erzählen. Seit fünf Jahren sei sie jetzt am Neumarkt, davor habe sie ihre Hüte am Stadelhofen modelliert und verkauft. Der neue Standort habe schon einiges verändert und es kämen nicht mehr so viele Passantinnen und Passanten spontan in die Chapellerie. Ob es denn schwierig sei, zu überleben? «Einfach ist es nicht. Ich habe Erspartes, daher kann ich gut leben. Doch wenn eine junge Frau heute eine Modistinnenlehre macht und einen eigenen Laden eröffnen möchte, ist es sehr schwierig», plaudert Edith Gasser. Vielleicht müsste man heute Zusatzartikel wie Taschen oder Ähnliches ins Sortiment nehmen.
Nach der Sekundarschule hat Edith Gasser zwei Jahre «herumgelümmelt» und zeitweise im Hutladen
ihrer Schwester ausgeholfen. «So bin ich dann in den Beruf der Hutmacherin hineingerutscht», erzählt sie mit plötzlich jugendlicher Frische im Gesicht. Heute helfe umgekehrt ihre Schwester in ihrem Laden mit. Edith Gasser erzählt, dass sie seit Jahren immer eine Sechstagewoche habe und kaum Ferien mache. «Irgendwie finde ich einfach den Rank nicht, um aufzuhören. Aber im vergangenen Jahr habe ich mir wieder einmal eine Woche Ferien gegönnt.» (Pascale Grundlehner)

300 Glühbirnen, dazu Neonröhren aus den Vierzigerjahren

An der Glockengasse, im Rennwegquartier, Nähe Bahnhofstrasse, hält sich Luciano Castellanellis kleiner Elektroladen seit der Vorkriegszeit um 1935. Der Verkaufstisch nimmt den grössten Platz im hellen, küchengrossen Laden ein. In Holzregalen an der Wand und in alten Schubladen im Hinterraum findet man rund 300 verschiedene Leuchtmittel. Neben Halogenleuchten gibt es Glühbirnen und Neonröhren aus den Vierzigerjahren, Tauchsieder, Velo-, Kühlschrank- und Taschenlampen. Pro Woche betreten im Schnitt 150 Kunden den kleinen Laden. Auch solche, die nur eine Glühbirne für 1.30 Franken kaufen.
Das Lädeli sei kein Familienbetrieb, erzählt Luciano Castellanelli. Den inzwischen siebzigjährigen Elektroladen hat er 1981, zusammen mit einem Freund, übernommen. Gründer war eine Familie Meister, auch der Ballonfahrer Erhard war einmal Besitzer des Ladens gewesen. Vor fünf Jahren verkaufte Luciano Castellanelli das Lädeli der Firma Baumann und Koelliker. Altershalber. Der Elektroladen werde aber mit einem neuen Geschäftsführer weiterhin bestehen bleiben.
Wie steht es denn um die Überlebenschance für dieses Lädeli? «Ziel ist es, selbsttragend zu wirtschaften», sagt Castellanelli. Der Laden ist jedoch defizitär und muss subventioniert werden. «Mit dem Lädeli allein könnten wir nicht überleben.» Der kleine Laden beanspruche nur 10 Prozent des Arbeitsaufwandes. 60 bis
70 Prozent der Tätigkeit sind Starkstrominstallationen und 20 Prozent die Telematik (Telefoninstallation). Der Laden dient inzwischen auch als Lager und Büroraum. «Es ist also keine Nostalgie, dass das Lädeli noch besteht, eher Zweckmässigkeit», sagt Castellanelli.
Im Laden wird die Telefonzentrale von Luciano Castellanelli persönlich bedient und eine einfache
Geschäftsbuchhaltung geführt. Braucht es eine Telefonzentrale in so einem kleinen Betrieb? «Wir haben 20 Mitarbeiter, Elektromonteure», sagt er. Am Telefon werden Kunden- und Serviceaufträge entgegengenommen. Während der zweistündigen Unterhaltung klingelt fünf Mal das Telefon, Luciano Castellanelli berät im Hinterzimmer seine Kunden und nimmt Bestellungen entgegen.
Durch den Laden gewinne er viele neue Kunden. «Leute, die bei uns etwas kaufen und eine gute Beratung erhalten, denken an uns, wenn sie eine Fachkraft nach Hause bestellen müssen», weiss er. Eine seltene Spezialität der Elektro M+C Telematik ist der «Leuchtenservice». Ein Lehrling geht je nach Kundenwunsch wöchentlich oder auf Bestellung zu den Kunden nach Hause, bepackt mit einem Koffer voller Glühbirnen. In der Wohnung werden dann sämtliche Leuchtmittel ersetzt. Ein Problem sei es, meint Castellanelli, dass sich heute viele in einem Fachgeschäft informierten, dann aber im Warenhaus einkauften. «Und derselbe Kunde ruft später wieder bei uns an, weil etwas dann doch nicht funktioniert.» (Pascale Grundlehner)

Vom Rosshaar zum Schaumstoff

Sattlerei Der adrette Korbstoren und die beiden Schneeball-Ziersträucher links und rechts der Eingangstüre zur Sattlerei-Polsterei von Ursula Hoher verleihen der heutigen Werkstatt die weibliche Note. Seit der Übernahme des väterlichen Betriebs vor zehn Jahren führt die gelernte Innendekorateurin an der Seefeldstrasse 96 das Zepter. Sie tut dies mit Nonchalance in der vierten Hoher-Generation im Seefeldquartier, Zürichs trendigem Stadtteil zwischen Opernhaus und Tiefenbrunnen. Dem war vor bald 120 Jahren bei Weitem nicht so, als Ursulas Urgrossvater Heinrich sich 1886 als Sattler- und Tapezierermeister an der Florastrasse eine eigene Werkstatt einrichtete.
Zuvor hatte er sich auf seiner Wanderschaft, aus dem Schwabenland in die Schweiz, in Frauenfeld eine Küfermeistertochter zur Frau genommen. Geld verdienen liess sich zu jener Zeit vorwiegend mit der Anfertigung von Sätteln für die Zugpferde des Rösslitrams entlang der Linie Tiefenbrunnen – Friedhof Sihlfeld und mit dem Auffrischen von Polstermöbeln. Dass Heinrich junior, der 1886 geborene Sohn, nach der Polsterer-Tapezierer-Lehre und Welschlandaufenthalt, in die väterliche Werkstatt eintrat, war beinahe eine logische Folge. Nachdem das reine Sattlergewerbe langsam ausstarb, lief bei den beiden Heinrichs die Anfertigung von Skistocktellern, Schlaufen, Rucksäcken und insbesondere von Fellen für Tourenskis «auf Hochtouren». Anfangs wurden echte Seehundfelle verarbeitet, später Fellimitationen. In der Hoher-Werkstatt wurde gar eine Befestigungsschnalle für die Bretterl erfunden, deren Name «Triumphschnalle» Vater und Sohn schützen liessen. Das war zur Kriegszeit in den Dreissigern. Bernhard, einer der beiden Söhne von Heinrich junior, war bereits auf der Welt. Jahre später sollte ihn seine Berufswahl «Portefeuillier», Hersteller von Taschen und anderen Behältnissen, in die väterliche Werkstatt führen. Arbeitsplätze in seinem angestammten Beruf waren dünn gesät, zumal sein Eintritt in die Berufswelt auf das Ende des Zweiten Weltkrieges fiel. Also
reiste der junge Bernhard nach Paris, lernte emsig Französisch und fand einen «tollen Meister» an der Rue Boulevard in der Innenstadt. «Einen Samstag muss-te ich dort arbeiten und mein Fachkönnen beweisen, dann war ich angestellt», erinnert sich der heute 78-jährige Bernhard Hoher. Zurück in der Heimat, gerade mal ein junger Bursche um die zwanzig und auf Stellensuche, wusste kurzerhand seine Mutter Rat: «So, jetzt gehst Du zum Vater!» Das war in den Fünfzigern. Die Sattler- und Polsterwerkstatt war inzwischen an die Kreuzstrasse verlegt worden. 1964 war die Reihe an ihm, die Werkstatt seines Vaters zu übernehmen.
Auch wenn sich seit den Sechzigern einiges verändert hat, von der Mund-zu-Mund-Propaganda lebt es sich in Kleinhandwerkerkreisen noch heute recht. Dass sich Tochter Ursula, die sich schon als kleines Mädchen oft in Vaters Werkstatt aufhielt und manchmal sogar unter der Werkbank einschlief, eines Tages für das Handwerk ihrer Vorväter interessieren könnte, war alles andere als gelenkt, bestätigt ihr Vater. Er werkelt ab und zu ganz gerne noch in der Werkstatt seiner Nachfolgerin. Für Ursula Hoher stand nach der Schule fest, einen handwerklichen Beruf zu erlernen. Dabei zog sie auch eine Kochlehre in Erwägung. 1987 schloss sie die Lehre ab. Der Frauenanteil betrug in ihrem Beruf vor 20 Jahren noch 25 Prozent, heute sind rund die Hälfte der Lernenden weiblich.
Nach einer Auslandreise und zwei Arbeitgebern in der Schweiz hat Ursula 1995 ihr Erbe angetreten. Auf dem hellgrauen Schild neben dem Werkstatteingang steht heute «Atelier für Polsterarbeiten, Neubezüge,
Spezialanfertigungen und Reparaturservice». Aufzufrischende Polstermöbel wird es immer geben. Doch was früher traditionell gepolstert respektive mit Federn und Rosshaar geschnürt wurde, wird heute oft durch Schaumstoff ersetzt. Eine Frage des Preises, «die Leute sind nicht mehr gewohnt, dass Möbelstücke etwas
kosten». Geschäfte wie Tip-Top, Ikea, Interio und Co. sind des Polstermeisters Leid. «Gefreute» Arbeiten wie das volle Auffrischungsprogramm einer stilechten Sitzkombination, bestehend aus Sofa, Fauteuils, Hocker
und Esstischstühlen, würden ein Polstererherz höher schlagen lassen. «Solche Aufträge bekommt man aber wohl nur einmal im Leben!», sinniert die Innendekorateurin mit Meisterprüfung.
Ursulas heute sechseinhalbjähriger Sohn Valentin verbringt schon gerne seine Freizeit in Mamas Polsteratelier. In der hinteren rechten Ecke an der Fensterfront hat er bereits seinen eigenen Mini-Nagelbock und etwas Werkzeug liegen. Einfache Figuren wie ein Gewehr aus Holz und Lederbändeln lassen den nächsten Werkstattinhaber immerhin ahnen. (Anita Baechli)

Wenn der Vater mit dem Sohn neue Böcke schreinert

«Chum hei oder ich verchauf!» Obwohl die Eberhards keine «Männer vieler Worte» seien, an diesen Satz seines Vaters Walter erinnert sich Hans-Peter Eberhard noch haargenau. Und er kam heim. Schweren Herzens zwar, doch immerhin gings um die familieneigene Schreinerwerkstatt an der Hornbachstrasse im Zürcher Seefeld.
Das war im Sommer 1975. Nach zwölf Jahren Leben und Arbeiten in Südafrika, wohin es ihn als abenteuerlustigen Zwanzigjährigen gezogen hatte. Und in dieser Werkstatt steht er nun, umgeben von Holzbrettern, Spanplatten, Utensilien und für den Laien undefinierbaren Gerätschaften. Über vielem liegt um neun Uhr morgens bereits ein feiner weisslicher Staub. Schliesslich wurde hier seit zwei Stunden zugesägt, geschliffen – und auch Holz in den Ofen gelegt. Gemütlich warm ist es in der Schreinerstube von der Grösse einer Dreizimmerwohnung, den angrenzenden Holzlagerverschlag im Hinterhof zur Baurstrasse nicht einberechnet.
Bereut hat Hans-Peter Eberhard (63) die Übernahme des Kleinbetriebes nicht. Seinen Verdienst erzielt hat er vorrangig mit Restaurations- und Innenausbauarbeiten, aber auch mit Grossaufträgen. Der künftige Werkstattmeister, Hans-Peters 37-jähriger Sohn Adrian, steht dem Vater seit seinem eigenen Lehrabschluss 1988 zur Seite. Entgegen der Tradition seiner Vorfahren, die ihre Väter als Schreinereibesitzer jeweils ablösten. Er sei eben «ein ganz Häuslicher», ist Adrians verschmitzte und gleichermassen diplomatische Antwort auf die Frage nach seinen Beweggründen.
Wenn es so weit sei, verrät mir der unverschämt jung aussehende Familienvater von zwei Buben von neuneinhalb und elf Jahren, wird etwas Moderne in die für seine Begriffe kleine Schreinerei Einzug halten. Adrian, der seine Lehre in einer Grossschreinerei in Männedorf absolviert hat, ist immer am Aufräumen. Kürzlich hat er neue, schmalere Böcke geschreinert: «Die nehmen weniger Platz weg.» Sagts und verweist auf die ausgedienten alten in der Ecke. Dem Multitalent, das mit Holz ebenso gut und gerne umgeht wie mit der Elektronik, fehlt zum Schreinerglück noch mindestens eine Maschine – die unabdingbare Kantenleimmaschine:
«Wo wir in Handarbeit zum Aufleimen vorbeschichteter Kanten eine Stunde benötigen, macht das die Maschine in vier Minuten», so der Sohn.
Der Blick des Vaters verrät eher wenig Begeisterung ob dieser Anschaffungsprojekte. Strikt dagegen ist Vater Hans-Peter auch, dass Sohn Adrian gerne Fertigböden aus Holz verlegen würde. «Bodenlegearbeit bringt
Abwechslung», findet Adrian, der gerade mit Schleifarbeit an der Abdeckung für eine Schiebetüre beschäftigt ist. Trotz gewisser Meinungsverschiedenheiten ist die Atmosphäre in der für heutige Begriffe kleinen
Bau- und Möbelschreinerei Eberhard herzlich und familiär.
Spürbare Veränderungen? Der Kampf ums Qualitätsbewusstsein und die leidige Konkurrenz der 24-Stunden-Service-Schlosser. Wie bitte? «Natürlich: Ein Schreiner ist auch ein Schlosser! Was denken Sie, wie wir Türen liefern? Natürlich fixfertig, inklusive Türfalle und Türschloss», klären Senior und Junior auf. Türen, wenn nur das Gewicht nicht wäre, sind Adrians bevorzugtes Möbelstück. Es präsentiere gut und habe in unserem «Einbruchzeitalter» eine viel versprechende Zukunft. (Anita Baechli)

Musikalisches Sammelsurium mit Seele als Geheimtipp

Ein Innenleben wie eine prallvolle Wundertüte bergen die etwa vierzig Quadratmeter Ladenfläche an der Franklinstrasse 5 in Zürich-Oerlikon. Doch für diese Entdeckung muss man die schmale,
verhängte und zurückversetzte Eingangstüre zur «Grammobar von Allmen» erst einmal betreten haben. Denn
jeder noch so konzentrierte Blick in die üppig und mit allerlei Sammelsurium bestückten Schaufenster verrät nur Eingeweihten, was sich dahinter offenbart: Madonna, AC/DC, Bruce Lee, The Beatles, Marilyn Manson, Eminem, die Kastelruter Spatzen, Harry Potter, Costa Cordalis, John Lennon, Black Sabbath oder exakter deren Musik: LPs, CDs, Kassetten und Merchandise-Artikel.
Coole Kalender, T-Shirts, Blechschilder, Tassen, Spiegel, Figuren, Mützen, Schals und vieles mehr ergänzt die
geordnete Unordnung. «Die bunten Elvis-Gitarren-Uhren haben wir schnell verkauft. Elvis-Fanartikel sind überhaupt immer beliebt», sagt die zierliche Besitzerin Verena von Allmen. Sie spricht vom King of Rock ’n’ Roll, Mötley Crüe, den Back Street Boys oder dem kürzlich verstorbenen Countrysänger Convay Twitty, als wäre sie von allen selbst ein eingeschworener Fan. Über US-Truckerfahnen und ein abstruses Countrysortiment an Gürteln, Schnallen oder «Bolo Ties» – dem salonfähigen Krawattenersatz der Cowboys – weiss sie ebenso viel. Und wie bei allen Wundertüten so üblich weiss nur der Verpacker – in diesem Falle die von Allmens – ganz genau, was sie alles enthalten. Was nicht irgendwo hängt, sich stapelt, aus Schubladen hervorgeholt, in Kisten abgelegt oder am Lager vorrätig ist, wird für den Kunden besorgt. Natürlich sei auch Herumstöbern erlaubt.
Verenas Ehemann Willi ist heute vermehrt für die Buchführung zuständig. Nicht mehr so oft wie früher sind die von Allmens mit Sohn und Verkaufswagen an der Olma, Chilben und Märkten oder Konzerten anzutreffen. Ende März sei im Albisgütli Zürich am Beatles-Revival-Konzert wieder Präsenz angezeigt.
Die gemeinsame Leidenschaft zur Musik gab auch den Auftakt zur Geschäftsidee. Noch ein junger Spund, sorgte Willi als Musiker und Bandgründer der «Züriseebuebe» an Unterhaltungsabenden in und um Zürich für Stimmung. Von den anno dazumal haufenweise gekauften Schallplatten hörte sich der Altsaxophonist und
Klarinettenpieler die Harmonien heraus und übte sie in kürzester Zeit mit seiner Band ein. Nebenbei verkaufte er anhand verschickter Listen seine nicht mehr benötigten Vinyl- und Heliodor-Scheiben weiter. Das zwar ausgeklügelte und akribisch geführte Listensystem genügte interessierten Käufern bald nicht mehr. Die Schnäppchenjäger wollten selbst vorbeikommen. Das war der Startschuss zur Eröffnung der «Grammo-Bar von Allmen – Marken-Schallplatten – Schlager, Jazz, Klassisch» am 6. Juli 1960. Zu jener Zeit in einem kleinen, an die Wohnung angrenzenden Verkaufsraum an der Schwamendingenstrasse untergebracht. Neunzehn Jahre später platzte dieser aus allen Nähten. Mit dem Umzug an den heutigen Standort ist die gelungene Verbindung zu den unterschiedlichen Musikwelten für einen engen Kundenkreis bis heute ein Geheimtipp geblieben.
Von Vertretern, die «ständig telefonieren», bekommt das Ehepaar schon längere Zeit zu hören, sie seien wohl bald «die Einzigen in der Schweiz», die nach so langer Zeit noch immer selbst jeden Tag im eigenen Geschäft stünden.
Wenn Musik und Arbeit jung erhalten, dann ist Verena ein gutes Beispiel dafür. Im Geschäfts- und Wohnquartier im «alten» Oerlikon, in Zürichs Vorstadt, hat sich um das ältere Backsteinhaus mit Giebeldachfenster in knapp drei Jahrzehnten einiges getan. «Schaurig», wie sich allein in ihrer unmittelbaren Nähe alles verändert habe. Wo einst die Apotheke, ein über die Quartiergrenzen hinaus bekannter Blumenhändler und ein Pfaff-Nähmaschinenladen das Bild prägten, seien in den vergangenen Jahren orientalische Boutiquen kurzfristig rein und wieder raus. Und schräg gegenüber befindet sich ein Bordell – Wandlungen, die nicht unbedingt die erhofften Kaufwilligen anziehen.
Sein oder Nichtsein? In 45 Jahren haben sich Verena und Willi diese Frage nie gestellt. Doch wäre da nicht
ihre grosse Freude an der Musik, würden sie mit mittlerweile 70 respektive 72 Jahren das geliebte Geschäft
wohl «schon längst an den Nagel gehängt» haben. (Anita Baechli

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