«der arbeitsmarkt» 04/2014TEXT: Florian Schaffner
Liedermacher

Der Mann, der Bilder vertont

Manuel Stahlbergers Lieder zeichnen schöne Bilder: Momentaufnahmen, die sich im Text aneinanderreihen, untermalt durch eingängige Melodien. Seit Jahren bereichern sie die Schweizer Kulturlandschaft und begeistern nicht nur junge Menschen. 

Manuel Stahlberger wirkt unspektakulär und doch sympathisch, wie er mit Wollkappe, Windjacke und Jeans, der braunen Ledertasche und den dazu passenden Lederschuhen in einer Migros-Filiale an der Kasse steht, drei Liter Biopastmilch in den Händen. Er wohnt nicht weit vom Zentrum entfernt und ist darum meist zu Fuss in St. Gallen unterwegs. Die Stadt ist seine Heimat. Dort ist er schon fast sein ganzes Leben zuhause. «Ich sehe keinen Grund, von hier wegzuziehen», sagt er. Denn Manuel Stahlberger beschränkt sich bei den Themen für das Liedermachen auf die kleinen Dinge des Lebens, auf Alltagssituationen, «und diese unterscheiden sich in Zürich und St. Gallen kaum». Der Mundartmusiker tritt als Solokünstler oder zusammen mit einer Band auf, und er liebt, was er macht: «Ich denke keinen Moment darüber nach, etwas anderes zu tun.» 

Der Werdegang des Ostschweizers klingt unkonventionell und vermittelt den Eindruck, er sei stets auf der Suche. Nicht nach einem neuen Beruf, sondern nach seinen kreativen Grenzen. Als Untergymnasiast war er zwar nicht auf den Kopf gefallen, doch die schulische Laufbahn war nicht seine Berufung. Nach vier Jahren brach er das Gymnasium ab. «Ich wollte selbst bestimmen, was ich lerne», sagt er rückblickend. Schon während der Schulzeit entdeckte er sein Talent fürs Zeichnen, absolvierte den gestalterischen Vorkurs an der Kunstgewerbeschule und begann eine Ausbildung als wissenschaftlicher Illustrator in Zürich. Das wurde ihm schnell zu langweilig: «Wenn du Glück hast, kannst du nach dieser Ausbildung Abbildungen für ein Biologiebuch zeichnen.» Er brach auch diese Ausbildung ab. Das Zeichnen jedoch machte ihm Spass, und er konnte sich mit seinen eigenen Karikaturen und Comics sein erstes Geld verdienen. Das «Saiten», ein Ostschweizer Kulturmagazin, druckte jahrelang seinen Comic «Herr Mäder» ab. Ein Comic über einen seltsamen Mann mit Dackel aus St. Gallen, der neben seinem Hund auch seine alte, griesgrämige Nachbarin Gassi führt. Ein liebenswerter Kerl mit Schnauzbart und Brille, der die Geschehnisse der Stadt mit einer guten Portion Galgenhumor kommentiert.

Mit den Comics war Manuel Stahlbergers künstlerischer Tatendrang noch nicht ausgeschöpft, und mehr durch einen Zufall als durch einen Plan kam er auf die Musik. Er war 19 Jahre alt, als er aus Witz und zum Vergnügen mit einem Kumpel zusammen die musikalische Unterhaltung für ein Fest unter Freunden übernahm. «Wir hatten keine Ahnung, was wir genau machten, und hatten darum wohl keine Hemmungen und Erwartungen», sagt er. Dieser Auftritt sprach sich herum, und Manuel Stahlberger gab immer mehr Konzerte, bis er plötzlich davon leben konnte. 

Musik als Knochenarbeit

Zu Beginn jedes seiner Lieder steht eine Idee. Der Wortakrobat trägt stets ein kleines Buch mit sich, in dem er Sätze, Bilder und Momente festhält. Wenn ihm jemand eine Geschichte erzählt, wenn er einen Satz liest, der ihn begeistert, oder eine passende Situation miterlebt, schreibt er das in sein kleines Buch. Von Zeit zu Zeit schaut er hinein, und aus den gesammelten Zeilen entstehen Geschichten. Wie zum Beispiel das Lied über den Schnee, in dem ein junges Paar zum Schlitteln unterwegs ist und in Streit gerät.

Manche Texte lassen einen glauben, Manuel Stahlberger singe direkt über sich: «Die Leute interpretieren mehr in meine Texte, als ich mir beim Schreiben überlegt habe.» Er sieht sich selbst nicht im Zentrum seiner Geschichten.

«Manchmal passieren die Lieder einfach», sagt er. Das Spontane als genau das, was gut ist. Die Reime gut hinzubekommen, sei aber eine Fleissarbeit und ein langer Prozess. Zuhause in seinem Proberaum tüftelt Manuel Stahlberger an seinen Texten und Melodien. Mit dem Synthesizer und der Gitarre komponiert er die Musik dazu. Im Gegensatz zu seinem Soloprogramm entstehen die Songs für die Band im gemeinsamen Proberaum. Manuel Stahlberger hat eine Textidee und «jammt» mit seinen Bandkollegen. Die Band improvisiert, und mit den Texten zusammen kreieren die Musiker ihre Lieder. Diese Arbeitsweise hinterlässt grossen Spielraum für Interpretationen.

Geld nur fürs Nötigste

Im Gespräch rückt Manuel Stahlberger hin und her, wechselt oft seine Sitzposition, wirkt unruhig. Aber seine Antworten sind ruhig und durchdacht: «Stress kommt bei mir erst mit dem Proben vor den Konzerten auf», sagt er. Sein Blick ist verträumt, und doch scheint er seine Umwelt in sich aufzusaugen. «Es ist wichtig, sich seinen Ideen hinzugeben, sie zuzulassen und sich genügend Zeit dafür zu nehmen», ist der Liedermacher überzeugt.

Mit seinem aktuellen Soloprogramm «Innerorts» steht der Mundartkünstler auf den Bühnen verschiedener Kulturlokale der Deutschschweiz. Mit seiner Band «Stahlberger» spielt er jedes Jahr zahlreiche Konzerte. Finanziell gesehen findet er Musizieren in einer Mundartband nicht interessant. Mit seinem Soloprogramm und den Bandauftritten kann er dennoch bescheiden leben. Die Kulturlokale, in denen er auftritt, sind gut gefüllt, in seiner Heimatstadt sind die Konzerte ausverkauft. «In St. Gallen ist das Auftreten ein Heimspiel, was die Situation speziell macht.»

Manuel Stahlberger hätte sich auch vorstellen können, mit Holz zu arbeiten oder als Architekt tätig zu sein. So müsste er sich vielleicht weniger Gedanken ums Geld machen. Aber solange er davon leben kann und ihm seine Ideen nicht ausgehen, möchte er seinen Beruf als Liedermacher nicht an den Nagel hängen. Er geniesst seine berufliche Freiheit. Immer wieder versucht er, Neues zu entdecken, seine Möglichkeiten auszuloten. «Solange die Leute interessant finden, was ich mache, höre ich nicht auf.» Diesen Monat erscheint nun schon das dritte Album der Band «Stahlberger». Auch für sein nächstes Soloprogramm hat er einiges in der kreativen Vorratskammer.   

Der Gegensatz als Konstante

Manuel Stahlberger bezeichnet sich selbst als einen introvertierten Mann. An seinen Konzerten aber schmeisst er sich in einen Anzug, darunter ein schlichtes Hemd, und strahlt auf der Bühne eine solche Präsenz aus, dass nichts von der Introversion übrig bleibt. Kaum beginnt er von seiner Musik und seinen Texten zu erzählen, schimmert in seinen Augen ein Schalk, und ein spitzbübisches Lächeln springt ihm über die Lippen: «Vielleicht wäre es cooler gewesen, ich hätte mich in meiner Jugend mehr für Punkmusik interessiert als für Mani Matter. Ich wäre direkter und lauter», sagt er. Vielleicht aber gingen dabei die feinen Facetten seiner Lieder verloren.

Bevor der Musiker mit einem Soloprogramm die breite Masse begeistert, veranstaltet er kleinere Auftritte, sogenannte «Try-outs». Das Publikum, bestehend aus Freunden und Bekannten, wird zum Versuchskaninchen. Mehrere solcher Auftritte sind nötig, bis er sich von A bis Z sicher fühlt. Ständig auszuprobieren, sich immer wieder neu zu entdecken und über sich erstaunt zu sein, ist der Motor seiner Arbeit: «Sobald ich den Trick raushabe, wie Liederschreiben wirklich geht, und ich merke, dass ich nur noch dieselbe Musik mache, ist es an der Zeit, aufzuhören.» 

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