«der arbeitsmarkt» 04/2006

Der Genuss-Arbeiter

Arbeit ist für den neuen AWA-Chef ein Genuss. Dabei setzt Bruno Sauter auf Kontinuität und die Politik der kleinen Schritte – im Amt wie auch im Kampf gegen den Fluglärm.

Bruno Sauter gibt sich bescheiden. Am Ende des Gesprächs bedankt sich der Leiter des Zürcher Amtes für Wirtschaft und Arbeit, dass er «die Fragen beantworten durfte».

Seit November steht Sauter der Behörde an der Zürcher Walchestrasse vor. Durch das Bürofenster scheint die Nachmittagssonne auf weisse Tischflächen. Es herrscht eine strenge Ordnung im karg eingerichteten Raum. Sauter trägt einen dunklen Anzug, sein graues Haar ist kurz geschnitten. Durch die randlose Brille fixieren seine grün-braunen Augen fast pausenlos den Gesprächspartner. Er bewegt sich wenig, fährt kaum je aus der Haut. Der drahtige Mann scheint seine Energie für andere Aufgaben zu sparen.

Weniger Personal und Finanzen als der Vorgänger

Als Chef von rund 700 Mitarbeitern hat Sauter bisher im Amt weder «Berge versetzt» noch «grosse Würfe» verwirklicht. Das entspräche ihm nicht. Rundumschläge sind nicht seine Art. Sauter verweist lieber auf seine Mitarbeiter: In den knapp hundert Tagen seit seinem Eintritt in den Staatsdienst hätten «wenn schon» seine Mitarbeiter etwas bewirkt. Das ist nicht nur Bescheidenheit, sondern gehört auch zu Sauters Führungskonzept: «Schön, wenn ich Verbesserungen initiieren kann. Schöner ist, wenn meine Mitarbeiter Vorschläge machen und ich ihnen den Rücken stärken kann.» Dringenden Handlungsbedarf ortet Sauter derzeit nicht. Er redet aber von Akzenten, die seine Vorgesetzte, Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer (SVP), gesetzt habe. Die fünf Mitarbeiter der seinem Amt zugehörigen Arbeitskontrollstelle haben seit Anfang 2006 einen neuen Kollegen. Zu sechst machen sie nun Jagd auf fehlbare in- und ausländische Arbeitgeber. Sie gehen Meldungen über Lohndumping oder Schwarzarbeit in «Risikobranchen» wie Bau, Transport oder Landwirtschaft mit tausenden Beschäftigten nach. Allein im Januar 2006 kontrollierten sie 381 Arbeitgeber, 199 davon wurden getadelt. Die Stelle
könnte doppelt so viele Kontrolleure auslasten. Doch Sauter misst den Erfolg der Stelle nicht an der Anzahl Kontrolleure, sondern daran, wo und wie sie kontrollieren.
Ein weiterer Akzent, den Regierungsrätin Fuhrer gemäss Sauter gesetzt hat, betrifft die Standortförderung. Mit gekürzten Mitteln und neuem Auftritt lockt diese Firmen nach Zürich. Im Bereich Arbeitsmarkt soll Sauter die «Vermittlungs- und Akquisitionsstrategie» fortsetzen. Die Zürcher RAV intensivieren dabei ihre Kontakte zu Firmen und privaten Stellenvermittlern. «Berge versetzen» wird Sauter wohl auch deshalb nicht, weil Rita Fuhrer nach ihrem Wechsel von der Direktion für Soziales und Sicherheit im Jahr 2004 das AWA von einem externen Berater durchleuchten liess. Die darauf folgende Reorganisation bewirkte, dass neu der Amtsleiter gleichzeitig als Bereichsleiter Arbeitsmarkt fungiert. Sauter: «In der Aussenwirkung ist dieser Bereich sensibel. Wir sind mit arbeitslosen Menschen konfrontiert. Die stecken in einer schwierigen Lebensphase.» Da sei es logisch, wenn der Amtsleiter nahe am Geschehen sei.
Sauter muss mit weniger Personal und Finanzen auskommen als sein Vorgänger. Darüber klagt er nicht. Im Gegenteil. «Es muss nicht alles Wünschbare umgesetzt werden», sagt das FDP-Mitglied «aus tiefster liberaler Überzeugung». Er mag es auch nicht, wenn das Amt für Wirtschaft und Arbeit von den Medien als Krisenamt bezeichnet wird. Das sei ungerecht gegenüber den Mitarbeitern. Über Rita Fuhrer und deren Vorgehen nach dem Direktionstausch mit Ruedi Jeker sagt Sauter nur: «Frau Fuhrer hat eine Führungsfunktion und -verantwortung. Die hat sie wahrgenommen.» In der kurzen Zeit seit Fuhrers Wirken gab es «personelle Veränderungen auch in Kaderpositionen», wie sich Sauter diplomatisch ausdrückt. Sitzt er auf einem Schleudersitz? «Ich bin kein Kampfpilot», lacht er. Der Mann muss die Vorgaben seiner Vorgesetzten nicht verinnerlichen, er bringt sie von (bürgerlichem) Haus aus mit. Er weiss um seine delikate Stellung und hebt im Gespräch immer wieder die Leistung seiner Mitarbeiter hervor.

Musterbeispiel einer Bildungskarriere

Dabei wäre der Zwist zwischen Sauter und Fuhrer vorprogrammiert. Bruno Sauter amtet «in der Freizeit» als Präsident von Maur. Rund 15 Stunden pro Woche beschäftigt er sich dabei mit Themen wie Fluglärm oder Steuern. Die wohlhabende Gemeinde am Greifensee wehrt sich mit 34 anderen Gemeinden im Fluglärmforum Süd gegen das Anflugregime auf den Flughafen Kloten. Sauter ist im Vorstand des Forums vertreten, Rita Fuhrer hat nach dem Direktionswechsel von Ruedi Jeker das Flughafendossier geerbt. Sie soll zwischen den Fluglärmgegnern und dem Bund vermitteln. Mit der Berufung Sauters zum Leiter Amt für Wirtschaft und Arbeit hat sie quasi den Bock zum Gärtner gemacht. Denn zu Sauters Aufgaben gehört auch die Standortförderung. Er wirbt also mit dem Flughafen für Zürich und bekämpft gleichzeitig das derzeitige provisorische Anflugregime.
Sauter wiegelt ab. Er sei «kein Schneiser», keiner der hart gesottenen Fluglärmgegner. Das Forum stelle den Flughafen nicht in Frage, gute internationale Anbindungen sind ihm wichtig. Doch: «Das Regime ist der Bevölkerung aufdiktiert worden, ohne dieser auch nur ein Rechtsmittel zu gewähren. Das ist staatspolitisch bedenklich.» Der Gemeindepräsident rechnet vor: «In Zürich kommen achtzig Prozent der Steuern von den natürlichen Personen, und diese wohnen tendenziell in der lärmgeplagten Gegend.» Es ist das erste Mal im Gespräch, dass er seine vornehme Zurückhaltung ablegt: «Der Lärm beginnt morgens um sechs mit 88 Dezibel. Das entspricht einer Autobahn. Stellen Sie sich vor, Ihnen wird von einem Tag auf den anderen eine Autobahn durch den Garten gebaut, ohne Sie zu fragen.» Schnell fasst er sich wieder und gesteht etwas traurig: «Man gewöhnt sich an den Lärm.»
Die Flugzeuge reissen Bruno Sauter selten aus dem Schlaf. Oft joggt der Marathonläufer nämlich schon um halb sechs Uhr morgens dem Greifensee entlang. Sauter nahm auch schon am Davoser Swiss Alpine Marathon teil. Das Rennen führt über 2000 Höhenmeter. Die 42 Kilometer scheinen
ihm nicht zu reichen. Sein Hobby sieht man dem 40-Jährigen an. Der sehnige Sauter füllt seinen Anzug bei weitem nicht aus. Das liegt aber auch an seiner bewussten Ernährung. Der Mann zeigt nicht nur im Sport Ehrgeiz. Ursprünglich lernte er Maschinenmechaniker. Dem Stadtzürcher war der Gang ans Gymnasium verwehrt. Mit 15 Jahren verlor er seine Mutter. Es galt, am Abend den Dreimänner-Haushalt zu führen, anstatt zu studieren. Das holte er später nach. Seine Karriere begann er als Verkaufssachbearbeiter im Investitionsbereich. Berufsbegleitend absolvierte er eine Handelsschule, mit 23 führte er bereits eine Verkaufsabteilung.
Das reichte ihm nicht. Er bildete sich an der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule weiter und erwarb ein Nachdiplom in Ökologie. Vor der Berufung ins Amt für Wirtschaft und Arbeit war er als Geschäftsführer zweier KMU aus dem Industriesektor tätig. Derzeit lernt er abends für sein MBA in Leadership und Ethics.
Der Vater von zwei Kleinkindern kann nicht herumsitzen und nichts tun. «Ich weiss, woher in unserem Land der Wohlstand kommt, und weiss, dass man dafür hart arbeiten muss.» Der Protestant aus Überzeugung rät denn auch jedem, sich weiterzubilden, statt fernzusehen. «Wenn ich mit meinem Beispiel nur einige wenige dazu motivieren kann,
habe ich in meinem Leben schon viel erreicht», sagt er und merkt im selben Moment, dass er ein wenig messianisch wirkt. So liefert er die volkswirtschaftliche Begründung hinterher: «Weiterbildung ist ein wichtiges Mittel gegen die Arbeitslosigkeit in der Schweiz.»

Tiefere Löhne und höhere Treibstoffzölle

Sauter beklagt, dass immer mehr Menschen in der Schweiz aufgrund der Lohnkosten oder ihrer Qualifikation keine Stelle mehr finden. Er prognostiziert deswegen eine Reduktion der Löhne in einzelnen Sektoren. So könnten Arbeitsplätze in der Schweiz erhalten werden. Mindestlohnforderungen der Gewerkschaften lehnt er ab. Längerfristig hofft er auf einen Arbeitskräftemangel in den Billiglohnländern, was dort die Löhne in die Höhe treibt. Ein weiteres Mittel gegen die Abwanderung von Produktionsbetrieben nach Ostasien sieht er in der Erhebung von Treibstoffzöllen auf Kerosin. Das ist für Sauter, der sich grundsätzlich gegen Staatseingriffe in die Wirtschaft wehrt, kein Widerspruch. Die Staaten würden damit endlich alle Verkehrsträger gleich belasten. Der internationale Handel würde teurer, die Globalisierung etwas abgebremst. «Mit dieser Aussage bin ich in guter Gesellschaft mit führenden Ökonomen wie Friedrich von Weizsäcker», untermauert er seine Argumentation. Auch staatliche Anreizprogramme wie etwa für erneuerbare Energien hält er für sinnvoll. Sein Haus in Binz-Ebmatingen wird von einer Wärmepumpe beheizt, das Warmwasser liefert eine Solaranlage.
Und wann geniesst Bruno Sauter? «Ich geniesse meine Arbeit», fällt ihm als Erstes ein. «Zudem geniesse ich, ein gutes Buch zu lesen oder schöne Musik zu hören.» Er nennt Romane von Noah Gordon, Jules Verne und Thomas Mann. Seine CDs, von Klassik über Jazz bis Pop, geniesst er beim Autofahren. Und: «Ich fahre Auto, und das lustvoll.»
Zur PDF-Version: