«der arbeitsmarkt» 05/2005

Denken als Inflationsbegriff

Think Tanks gelten als Stosstrupps der neoliberalen Kräfte. Doch mittlerweile gibt es Denkfabriken für alles und jedes. Der Begriff hat alle Chancen, zum (Un-)Wort des Jahres gewählt zu werden.

Wer im Internet nach Think Tanks Ausschau hält, hat bald die Qual der Wahl. 6080000 Eintragungen bietet der Suchdienst «Google» an. Der Terminus entstand während des Zweiten Weltkrieges in den USA. Er umschrieb einen abhörsicheren Ort («tank»), wo zivile und militärische Experten Invasionspläne schmiedeten und an militärischen Strategien feilten («think»). In den Sechziger- und Siebzigerjahren bürgerte sich der Begriff für Forschungsinstitutionen auch ausserhalb der Sicherheitspolitik ein. Diese «neuen» Think Tanks waren vor allem im wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bereich tätig. Ein gemeinsames Merkmal gilt für alle Think Tanks: sie wollen auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen Einfluss nehmen. Dafür erarbeiten sie Grundlagen und Ideen, die sie mittels Lobby- und Pressearbeit zu verbreiten suchen.
Populär waren und sind Think Tanks in neoliberalen Kreisen. Eine der grössten Denkfabriken dieser Art ist die Heritage Foundation in Washington. Ihre Mitarbeiter verstehen sich als Kreuzritter einer konservativen Revolution und werben unermüdlich für weniger Staat, niedrige Steuern, aber mehr Geld für die nationale
Sicherheit.
Ursprünglich ein rein angelsächsisches Phänomen, schwappte der Begriff Think Tank auch auf die Schweiz über. Der bedeutendste Think Tank der Schweizer Wirtschaft ist Avenir Suisse, der 1999 auf Anregung
des damaligen Nestlé-Finanzchefs Mario Corti von 14 Gründerfirmen ins Leben gerufen wurde. Avenir Suisse soll marktwirtschaftliche Positionen herausschälen
und visionär ein liberales Welt- und Gesellschaftsbild vordenken. Dafür steht in den ersten sieben Jahren das stattliche Budget von 50 Millionen Franken zur Verfügung. Das Gottlieb Duttweiler Institut dagegen ist als älteste Denkfabrik der Schweiz politisch und wirtschaftlich unabhängig.
Auch neutrale Institutionen gelten als klassische Denkfabriken. Einflussreich agierte zum Beispiel der Club of Rome. In seinem Anfang der Siebzigerjahre veröffentlichten Bericht «Die Grenzen des Wachstums» forderte er unter anderem eine verschärfte Kontrolle der Umweltverschmutzung – ein Thema, welches zu jenem Zeitpunkt das erste Mal schlagartig einer breiten Öffentlichkeit bewusst wurde.
Die Diskussion über Einfluss und Wirksamkeit begleitet die Think Tanks seit ihrem Bestehen. Tatsächlich ist ohne sie die Popularisierung neoliberaler Ideen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kaum vorstellbar. Ob sich die Denkanstösse auch konkretisieren lassen, ist jedoch eine andere Frage. Allgemein lässt sich über den Nutzen von Denkfabriken auch deshalb nichts Verbindliches sagen, weil sie mittlerweile wie die Pilze aus dem Boden schiessen. Es wimmelt heute von ökologischen, ökumenischen, touristischen oder universitären Think Tanks; der Begriff wird für die unterschiedlichsten Institute, Stiftungen und Projekte verwendet. So organisiert etwa eine PR-Agentur, die im «Event-Marketing & Lobbying für Tourismus und Wellness» tätig ist, demnächst in Wien einen «hochkarätig besetzten Gesprächskreis (Think Tank) für ganzheitlichen Gesundheitstourismus». Der Think Tank als blosse Gesprächsrunden? So hatten es sich die ersten Denker in ihren Bunkern wohl nicht vorgestellt.
Der inflationäre Gebrauch des Begriffes scheint eben noch einen anderen Grund zu haben: den wild wuchernden Gebrauch von Anglizismen in der Umgangssprache. Wo die spiessigste Bar zur «location» mutiert und der Arbeitnehmer «gebrieft» statt informiert wird, will eine Projektgruppe für einen Betriebsausflug oder das Komitee einer Trachtengruppe wohl bald Think Tank genannt werden. Klingt halt cooler.

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