«der arbeitsmarkt» 01/2005

Dem einen Bauschutt – dem andern Baumaterial

Die Wiederverwertung von Baumaterialien und Bauteilen ist ein Anliegen der Bauteilbörse Thun. Der weit wichtigere Aspekt ist, ausgesteuerte Arbeitnehmer sinnvoll zu beschäftigen und in einen geregelten Tagesablauf einzubinden.

Bereits das Eingangstor ist ein wiederverwertetes Produkt. Es wurde aus den entsorgten Kletterstangen einer Schule gebaut und neu gespritzt. Die anwesenden Mitarbeiter sind emsig am Reinigen, Flicken, Einordnen von Bauteilen sowie am Bedienen der Kundschaft. Es herrscht ein reges Kommen und Gehen. Besucher fragen nach Produkten oder sehen sich einfach interessiert etwas um. Eigentlich ein ganz normaler Ladenbetrieb mit Fachmännern, die voll motiviert sind und an ihrer Arbeit Freude haben.
Etwas aber ist hier anders: Bei den Mitarbeitern handelt es sich um Ausgesteuerte, denen in der Bauteilbörse Thun insgesamt fünf Vollzeitstellen angeboten werden. Für die Leitung stehen eineinhalb Stellen zur Verfügung.
Die Mitarbeiter bewerben sich via Sozialamt und erhalten dann, befristet auf ein halbes Jahr, einen ganz normalen Arbeitsvertrag mit Monatslohn. Gegebenenfalls kann er um drei bis sechs Monate verlängert werden. Sie sollen, so Jakob Reiser, Programmleiter der Bauteilbörse, wieder in eine ordentliche Tagesstruktur finden. Er legt Wert auf eine gute, kollegiale Atmosphäre unter der Belegschaft. Im Bürotrakt steht allen ein Aufenthaltsraum mit Kochmöglichkeit zur Verfügung, wo sie die Mittagszeit und die Pausen gemeinsam verbringen und die Kameradschaft pflegen können.

Projektslogan: ökologisch–praktisch – sinnvoll

Die meisten Teilnehmer sind erfahrene Berufsleute, die gerne und gut arbeiten. Am Ende ihres Einsatzes erhalten sie ein entsprechendes Arbeitszeugnis, mit dem sie sich bei der weiteren Stellensuche wieder aktuell ausweisen können. Die Arbeitsplätze sind begehrt. Es wird eine Warteliste geführt. Nach einem einjährigen Einsatz in der Bauteilbörse können jene, die noch keine neue Arbeit gefunden haben, erneut Arbeitslosenentschädigung beziehen. So kommen sie weg von der Sozialhilfe. Andreas Maurer, Betriebsleiter Einsatzprogramme der Stadt Thun: «Die Mitarbeitenden sollen bei uns für den ersten Arbeitsmarkt wieder fit gemacht werden.» Einer von diesen fit zu machenden Mitarbeitern ist Christian von Gunten (32), der seinerzeit eine dreijährige Maurerlehre absolvierte, die er aber nicht mit dem Fähigkeitsausweis abschloss. Er hängte eine Lageristenlehre an und beendete diese erfolgreich mit der Abschlussprüfung. Ab Oktober 1999 war er für zwei Jahre beim Bundesbetrieb Thun als Lagerist beschäftigt. 2001 wurde er stellenlos. Bei den Thuner
Seespielen arbeitet er als Freiwilliger im Verkehrsdienst mit. Nach seiner Aussteuerung kam Christian von Gunten durch Vermittlung des Sozialamtes zur Börse Thun.
Im Januar 2000 wurde die Bauteilbörse, ein Einsatzprogramm der Stadt Thun, an der Alpenstrasse 2 A eröffnet und schon letztes Jahr konnte die Fläche auf 370 m2 verdoppelt werden. Entstanden ist dieses Werk, erzählen Andreas Maurer und Jakob Reiser, eigentlich mehr zufällig. Der Robinson-Spielplatz suchte seinerzeit dringend ein Spielhaus und die Stadt konnte für ein neues Projekt kein Geld locker machen. Realisiert wurde das Projekt dann mit gebrauchten Artikeln. Jakob Reiser und ein damals stellenloser Architekt verfolgten anschliessend die Idee weiter, mit noch gebrauchsfähigen Bauteilen zu handeln. Sie nahmen mit der ersten Schweizer Bauteilbörse in Basel Kontakt auf, um sich einen Überblick und das Rüstzeug zur Einrichtung einer Thuner Börse zu verschaffen.
Als Erstes wurden Schulen nach noch gebrauchsfähigen Materialien angefragt. Vorerst mit wenig Erfolg, das Angebot war anfänglich noch ziemlich beschränkt. Zusammen mit der Stadt Thun wurde dann dieses Einsatzprogramm für Ausgesteuerte geschaffen. Sein Slogan: ökologisch – praktisch – sinnvoll. Der Abfallberg soll verringert und ein ökologischeres Bewusstsein im Umgang mit Baumaterial gefördert werden. Den Kunden wird geholfen, passende und günstige Bauteile zu finden und dadurch die Baukosten zu senken, den Mitarbeitenden wird eine sinnvolle Arbeit geboten. Das Sortiment umfasst alles von Baumaterial für Haus und Garten über Sanitärprodukte, komplette Küchen oder Küchenapparate und Heizungen bis hin zu Lampen, Türen, Fenstern und Antikem.

Wasserhahn ohne Wasserdurchfluss

Jakob Reiser begutachtet die zur Wiederverwertung angekündigten Bauteile – vor allem komplette Küchen – selber und überprüft an Ort und Stelle, ob die Geräte noch funktionieren. Erst dann werden sie in die Bauteilbörse transportiert, sorgfältig gereinigt und für den Verkauf bereitgestellt. Heute steht der Crew ein eigenes Fahrzeug zur Verfügung, mit dem die Bauteile abgeholt und gegen Gebühr an die Käufer geliefert werden. Diese Dienstleistungen wurden ein voller Erfolg.
Im ersten Jahr erwirtschafteten die Mitarbeitenden bereits einen Umsatz von rund CHF 35000. Im zweiten Betriebsjahr waren es CHF 2000 mehr, 2002 stieg die Umsatzsumme rasant auf rund 60000 und im letzten Jahr sogar auf gut CHF 90000 an. Seit Bestehen der Börse wurden total 55 ganze Kücheneinrichtungen verkauft und insgesamt rund 60 Tonnen Material wiederverwertet, das sonst im Abfall gelandet wäre. Die Aktivitäten der Börse erstrecken sich von Münsingen bis Interlaken und von Riggisberg bis Konolfingen.
Doch auch im «Nahbereich» und mit kleinen Objekten verstehen die Leiter und Mitarbeiter, gute Geschäfte zu machen. In einem separaten Raum werden interessierten Kunden seltene Bauteile und Produkte gezeigt, die nicht nur antiquarisch aussehen, sondern auch echte Raritäten sind. So mutet ein Warm- und Kaltwasserhahn aus echtem Porzellan nicht nur wie ein Relikt aus der «guten alten Zeit» an, er stammt auch aus dieser! Jakob Reiser erzählt, dass einmal eine Kundin nach einem antiken Wasserhahn gesucht habe. Mit viel Mühe habe er ihr verständlich machen wollen, dass dieser wahrscheinlich nicht mehr an die heutigen Zuleitungen angeschlossen werden könne, also kaum mehr funktionsfähig sei. Das aber habe die Dame überhaupt nicht beunruhigt. Sie wollte ausgerechnet diesen Hahn einfach haben! Auf seine diesbezügliche Frage hin habe sie ihm verraten, dass er lediglich zur Dekoration in einem Partykeller montiert werde und es ihr absolut «wurscht» sei, ob da jemals Wasser fliesse oder nicht.
Mit Wasserhähnen will auch Christian von Gunten weiterhin zu tun haben. Die abwechslungsreiche Arbeit in der Bauteilbörse hat ihm nämlich so viel Spass gemacht, dass er im nächsten Sommer gerne noch eine Anlehre als Sanitärinstallateur beginnen möchte.

Weitere Informationen unter:
www.bauteilclick.ch

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