«der arbeitsmarkt» 03/2007

Damit die Drehtüre nicht endlos weiterdreht

Menschen mit komplexen Problemen rascher wieder in den Arbeitsmarkt integrieren – das ist das Ziel des Projekts IIZ-MAMAC, welches der Bund (SECO und Bundesamt für Sozialversicherung) und die Kantone (Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren und Konferenz kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren) gemeinsam tragen. Das vor einem Jahr gestartete Projekt tritt jetzt in eine neue Phase, wenn in den 14 beteiligten Kantonen konkrete MAMAC-Projekte starten oder bisherige Projekte entsprechend erweitert werden.

Bei Menschen mit einer komplexen Mehrfachproblematik ist oft unklar, ob in der
konkreten Situation die Arbeitslosenversicherung, die Invalidenversicherung oder die Sozialhilfe zuständig ist. Meist ist keine der drei Institutionen richtig zuständig und trotzdem involviert. Das führt oft dazu, dass die betroffenen Personen von Institution zu Institution weitergereicht werden und doch nirgends richtig ankommen. So erstaunt es nicht, wenn die Invalidenversicherung heute oft erst anderthalb Jahre nach Eintritt
eines Problems davon Kenntnis erhält. Während dieser Zeit hat sich die Problemlage meist verhärtet oder gar verschlimmert. Die Lösung wird immer schwieriger.

Paradigmenwechsel

Statt dass wie bisher zuerst über die Zuständigkeit entschieden und gestritten werden muss, soll neu zuerst festgestellt werden, wo eigentlich die Probleme liegen und mit welchen Massnahmen am raschesten eine Lösung erreicht werden kann. Das soll mit einem gemeinsamen Assessment von ALV, IV und Sozialhilfe und mit einem Integrationsplan erreicht werden, an denen alle drei IIZ-Partner mitwirken. Wenn die bestmögliche Lösung feststeht, wird die Fallführung beziehungsweise die Umsetzung des Integrationsplans einer Institution (beziehungsweise einer Fallführerin oder einem Fallführer) übertragen. Das ist ein Paradigmenwechsel. Bei komplexen Fällen soll künftig zuerst über die Problemlage und erst dann über die Finanzierung entschieden werden und nicht umgekehrt, wie das heute der Fall ist. (Siehe Grafik 1.)

Neuer Geschäftsprozess

Dieser Paradigmenwechsel führt zu einem neuen Geschäftsprozess: Die Erstkontaktstellen – das heisst die Mitarbeitenden des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums, der IV-Stelle oder des Sozialamtes – versuchen zu erkennen, ob eine komplexe Mehrfachproblematik vorliegt. Das ist dann der Fall, wenn mehrere von folgenden Schwierigkeiten gleichzeitig gegeben sind: gesundheitliche Einschränkungen, psychosoziale Probleme, Suchtprobleme, soziale Probleme (Familie, persönliches Umfeld, Integration), finanzielle Schwierigkeiten, Arbeitslosigkeit und schlechte arbeitsmarktliche Voraussetzungen wie fehlende Bildung, Sprachprobleme und so weiter. Wenn die Situation so komplex ist, dass sie nicht durch einfache Absprache mit einer IIZ-Partnerinstitution gelöst werden kann, sollen diese Personen neu einer «MAMAC-Geschäftsstelle» überwiesen werden können.
Die MAMAC-Geschäftsstelle organisiert nach einer Vorabklärung ein Assessment, mit welchem eine möglichst gesamtheitliche Problemanalyse erstellt wird. Aufgrund dieser Analyse wird festgelegt, welche Massnahmen für eine möglichst rasche Reintegration in den Arbeitsmarkt am erfolgversprechendsten sind. Die Umsetzung des Integrationsplanes erfolgt dann durch Fallführerinnen und Fallführer. Ihre Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die Massnahmen wie vorgesehen umgesetzt werden. Sie legen die erforderlichen Schritte mit der Klientin oder dem Klienten in einer Zielvereinbarung fest und überprüfen die Erreichung der Ziele und Teilziele. (Siehe Grafik 2.)

Assessment und Integrationsplan

Kernelemente von IIZ-MAMAC sind das Assessment und der Integrationsplan. Sie werden von einem Assessment-Team erarbeitet, dem je eine Vertretung der Arbeitslosenversicherung, der Invalidenversicherung und der Sozialhilfe sowie nach Bedarf zusätzliche Experten (zum Beispiel ein Arzt) angehören. Im Assessment werden die medizinische, die arbeitsmarktliche und die soziale Situation des Klienten oder der Klientin und ihre/seine Chancen, eine Stelle zu finden, gemeinsam beurteilt. Probleme werden festgestellt, die Ressourcen der Klientin oder des Klienten und ihre/seine eigenen Möglichkeiten zur Problemlösung beurteilt, die Qualität des sozialen Netzes und allfällige weitere Unterstützungsmöglichkeiten einbezogen und schliesslich der Unterstützungsbedarf ermittelt. Dieser Unterstützungsbedarf wird in einem Integrationsplan festgelegt. Der
Integrationsplan enthält Ziele und die für die Erreichung der Ziele notwendigen Massnahmen. Und er legt die Verantwortlichkeiten fest.

Mehr Verbindlichkeit

Entscheidend ist nun, dass das Ergebnis des Assessments und der Integrationsplan verbindlich sind – für die kantonalen Vollzugsstellen der Arbeitslosenversicherung (Amt für Wirtschaft und Arbeit/RAV) und der Invalidenversicherung (IV-Stelle) sowie für das (kommunale oder kantonale) Sozialamt. Damit ziehen alle drei Partner am gleichen Strick und streben das gleiche Ziel an.
Verbindlichkeit ist nicht nur ein Kernelement für die beteiligten Behörden (Behördenverbindlichkeit). Verbindlichkeit ist auch Thema in der Fallführung, also im Verhältnis zu den Klientinnen und Klienten (Klientenverbindlichkeit). Hier soll das Instrument der Zielvereinbarung, das heute schon in vielen Institutionen bekannt ist, konsequent eingesetzt werden. Und im Rahmen der Fallführung kommt mit der Methode des Case-Managements eine lenkende und überwachende Begleitung zum Tragen, welche die Verbindlichkeit immer wieder konkret werden lässt.

Umsetzung in den kantonalen Strukturen

Der neue Ablauf wird in den Kantonen entsprechend den jeweiligen Strukturen umgesetzt. Überall werden die heutigen Vollzugsstellen – das RAV, die IV-Stelle und das Sozialamt – erste Kontaktpersonen sein, die feststellen, ob eine komplexe Mehrfachproblematik vorliegt. In allen Kantonen werden die identifizierten Klienten einer MAMAC-Geschäftsstelle gemeldet, welche nach einer Vorabklärung das Assessment organisiert. Wie die Assessment-Teams zusammengesetzt sind und wie Assessments durchgeführt werden sowie wer die Fallführung wahrnimmt, legen die Kantone entsprechend ihren organisatorischen Besonderheiten fest. Im Rahmen des Projekts werden dazu Erfahrungen gesammelt und ausgetauscht.

Schulung

Verschiedene Funktionen sind neu: Mitglied eines Assessment-Teams, Geschäftsführerin oder Geschäftsführer IIZ-MAMAC und Fallführerin oder Fallführer. Auch die Erkennung von IIZ-MAMAC-Fällen in den Vollzugsstellen ist neu. Für diese neuen Aufgaben müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult werden. Das nationale Projekt erarbeitet die Grundlagen für folgende Schulungen:
•Ein Grundmodul, welches den Kantonen dazu dient, alle Mitarbeitenden der Vollzugsstellen über den neuen Prozess zu orientieren und sie gründlich einzuführen in die Kriterien, nach welchen bestimmt wird, wer der MAMAC-Geschäftsstelle zugewiesen werden soll oder kann. An diesen von den Kantonen durchzuführenden Schulungen wird auch über die kantonalen IIZ-MAMAC-Strukturen informiert. (Wer sind die Partnerinstitutionen? Wer und wo ist die Geschäftsstelle? Wie werden Assessments durchgeführt und von wem? Wer übernimmt die Fallführung?)
•Ein Modul für Spezialistinnen und Spezialisten, also für Mitglieder des Assessment-Teams, für Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, für Fallführerinnen und Fallführer. Ziel dieser regional durchgeführten Schulungen ist es, die Mitarbeitenden mit ihren neuen Aufgaben vertraut zu machen und sie zu befähigen, diese wahrzunehmen. Vorgesehen sind verschiedene Teilmodule, die entsprechend den vorgesehenen Aufgaben auch einzeln besucht werden können. Diese Schulungen sollen erstmals vor den Sommerferien 2007 starten. Sie werden im Frühling ausgeschrieben.

Nächste Schritte zum Ziel

Das neue Verfahren wurde von Bund und Kantonen gemeinsam erarbeitet. In einer nächsten Phase wird es in den 14 beteiligten Kantonen unter verschiedenen Voraussetzungen in der Praxis erprobt. In diesem Lernprozess wollen wir auf der einen Seite jene Elemente, die für alle Kantone verbindlich sind (Prozess, Triage, Assessment, Integrationsplan und Fallführung), aufgrund der Erfahrungen der Kantone gemeinsam weiterentwickeln. Und die Kantone können aus eigenen Erfahrungen und den Erfahrungen anderer Kantone lernen, wie sie ihren Besonderheiten entsprechend die IIZ-MAMAC-Strukturen so festlegen können, dass die Mitarbeitenden optimal arbeiten und die Ziele erreichen können.
Optimal arbeiten müssen wir, wenn wir die Ziele von IIZ-MAMAC erreichen wollen. Die folgenden Ziele sind ambitiös, aber durchaus erreichbar:
•Rasches Handeln soll eine Verschlimmerung bestehender Probleme verhindern.
•Klare Ansprechstellen sollen einen würdigeren Umgang mit
Betroffenen ermöglichen.
•Mehr und insbesondere eine institutionenübergreifende Verbindlichkeit in der Beurteilung und in den Massnahmen soll die Leistungsdauer verkürzen.
•Eine kürzere Dauer von Taggeld- oder Rentenzahlungen soll die
Kosten der sozialen Sicherungssysteme reduzieren.

Das Projekt ist gut gestartet und die beteiligten Projektteams sind hoch motiviert. Wenn die Arbeiten in den Kantonen auch politisch getragen und unterstützt werden, sind die Voraussetzungen gut, dass die Ziele auch erreicht werden.

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