«der arbeitsmarkt» 02/2006

Blut, Organproben und DNA-Spuren

Irgendwann ist es in jedem TV-Krimi so weit. Dann steht ein skurriler Rechtsmediziner vor einer Leiche und erzählt makabre Witze. Die Wirklichkeit ist viel aufregender.

Das Basler Institut für Rechtsmedizin ist in einem unauffälligen Gebäude untergebracht. Der Direktor des Instituts, Professor Dr. med. Volker Dittmann, verfügt über ein geräumiges Büro im Parterre des Gebäudes. Der gebürtige Deutsche, Jahrgang 51, ist ein Mensch mit einem aussergewöhnlichen Beruf. «Es gibt nur wenige Menschen, die für den Beruf des Rechtsmediziners in Frage kommen», erklärt der verheiratete Vater zweier Kinder. Nach abgeschlossenem Medizinstudium folgten nochmals fünf Jahre Ausbildung zum Facharzt für Rechtsmedizin. Eine gute körperliche Konstitution ist wegen der unregelmässigen Arbeitszeiten und des längeren Stehens Voraussetzung. Äusserst wichtig ist psychische Stärke. Denn oftmals hat man es mit entstellten Opfern zu tun; ein sofortiges Abschalten nach der Arbeit ist da mehr als notwendig. Grosses Einfühlungsvermögen wird vorausgesetzt, wenn es um den Kontakt mit Hinterbliebenen geht. Sei es bei einer Identifikation oder bei einem Abschiednehmen vom Verstorbenen.
Dittmann sitzt an einem hölzernen Gesprächstisch, der neben einem riesigen Pult den Raum dominiert. Nach einer kurzen Denkpause, in der er mit einem Finger über den Schnauz streicht, setzt er mit den Anforderungen an Rechtsmediziner fort. Die enge Zusammenarbeit mit Staatsanwälten, Kriminaltechnikern und anderen Spezialisten setzt gute Kommunikationsfähigkeiten voraus. Für das Erstellen und Bearbeiten von Gutachten, die bei Gericht gebraucht werden, bedarf es guter schreiberischer Fähigkeiten.

Die Leichen werden so zugenäht, dass bei der Aufbahrung nichts mehr zu sehen ist

Das Wichtigste aber ist und bleibt das Handwerk. Nicht jeder Student, den Dittmann unterrichtet, wird nach Abschluss des Studiums als Rechtsmediziner tätig sein können. Denn wie bei einem Chirurgen ist präzises Arbeiten notwendig. «Die Obduktion oder Autopsie kann man sich als eine Mega-Operation vorstellen», sagt der Fachmann. Während bei gewöhnlichen Operationen in der Regel nur ein Organ behandelt wird, entnimmt man bei einem Leichnam sämtliche wichtigen Organe wie Herz, Leber, Niere, Lunge und Gehirn. Und dies nach genau festgelegten Richtlinien.
Um nun die Art, wie das Opfer gestorben ist, herauszufinden, wird der Leichnam nach äusseren Verletzungen und Hinweisen abgesucht. Das können blaue Flecken, Würgemale oder Blutreste unter Fingernägeln sein. Vielfach wird der Leichnam geröntgt, um Brüche oder die genaue Lage eines Projektils festzustellen. Die wichtigen Organe wie Herz, Lunge, Leber, Niere und Gehirn werden gewogen und genau begutachtet. An bestimmten Stellen schneidet der Rechtsmediziner winzige Stücke heraus, die in eine konservierende Flüssigkeit eingelegt werden. Grundsätzlich werden nach der Operation alle Organe wieder in den Körper zurückgelegt und der Leichnam zugenäht. Dabei werden die Nähte so platziert, dass sie nach dem Einkleiden der Leiche für die Bestattung nicht mehr zu sehen sind.

Nicht nur für Tote: Im Blutlabor werden auch Alkoholkontrollen durchgeführt

Auf dem riesigen Pult von Professor Dittmann steht ein Mikroskop. Einen grossen Teil seiner Arbeitszeit verbringt er damit, mit Hilfe des Vergrösserungsapparates die Organproben zu untersuchen. Was für Laien wie Gemälde aus Punkten, Kreisen und Linien aussieht, sind die eingefärbten Organpräparate. Dittmann sieht bei der Lunge, ob jemand geraucht hat, oder beim Herzen eine verdächtig grosse Anzahl weisser Blutkörperchen, was auf eine Abwehrreaktion des Körpers hinweist. Dem besagten Leichnam ebenfalls entnommen wurde eine Blutprobe, die in den hausinternen Labors auf Giftstoffe untersucht wird.
Während seines Rundgangs begrüsst Dittmann freundlich die Mitarbeiter des Blutlabors. Dann erklärt er: «Das chemisch-toxikologische Labor dient auch ganz alltäglichen Kontrollen. Auf Basler Strassen erwischte Blaufahrer müssen ihr Blut ebenfalls in diesem Labor untersuchen lassen.» Dies geschieht nach strengsten Richtlinien, um ein eindeutiges Resultat zu erzielen. Das Blut wird in vier Portionen aufgeteilt. Zwei Labormitarbeiter untersuchen jeweils zwei Proben auf getrennten Geräten. So ist das Risiko einer Verwechslung oder einer Fehlmessung auf ein Minimum reduziert. Im Institut gibt es unterschiedliche Messgeräte, mit denen Medikamente, Alkohol oder Drogen nachgewiesen werden können. Dittmann schätzt, dass gegen 1000 Blutproben jährlich im Labor auf Alkohol untersucht werden.
Drogen werden auch in handfester Form untersucht. Dies geschieht im dafür vorgesehenen Labor. Dittmann klopft zweimal an die Labortür, bevor er eintritt. In einem gesicherten Schrank warten nebst anderen Rauschmitteln Proben von Heroin und Cannabis auf eine Untersuchung. «Müsterchen werden aber keine verteilt!», scherzt ein Laborangestellter. Die Drogen werden nach Razzien und Durchsuchungen von der Drogenfahndung ans Labor übergeben. Bei Cannabis muss der THC-Gehalt, also der Anteil berauschender Stoffe, nachgewiesen werden. Bei anderen Drogen wird unter anderem der Reinheitsgehalt festgestellt. Nach der Untersuchung werden die Drogen kontrolliert vernichtet.

Um Hygiene- und Sicherheitsvorschriften zu erfüllen, bleibt selbst die Putzfrau draussen «Die Tätigkeit des Rechtsmediziners geht weit über das Sezieren von Leichen hinaus», erklärt Dittmann. «Neben dem Blutlabor und dem Drogenlabor steht uns auch ein DNA-Labor zur Verfügung, wo Täter anhand von Speichel-, Sperma- oder Haarspuren zweifelsfrei identifiziert werden können. Aber dort dürfen Sie nicht hinein!» Die Hygiene- und Sicherheitsvorschriften sind so streng, dass nicht einmal die Putzfrau Zugang hat. Im gesamten Haus mit 24 Mitarbeitern haben inklusive des Professors nur gerade vier Personen einen Schlüssel zum Labor.
Danach zeigt Volker Dittmann den Obduktionssaal. Im Raum befinden sich zwei Arbeitstische, an denen auch parallel obduziert werden kann. Auf einem Monitor ist das Röntgenbild eines Schädels zu erkennen. Im Schädel steckt ein Projektil. Assistenzarzt Marc Risch wird sich um den Fall kümmern, nachdem Chefpräparator Frank Azzalini die Autopsie vorbereitet hat. Dittmann kommt nicht mehr so häufig selbst zum Obduzieren. Seine Kernaufgabe als Professor ist die Ausbildung von Hausärzten und Studenten der Rechtsmedizin. Auf internationalen Kongressen und Tagungen tauscht er erworbenes Know-how mit Fachleuten aus.

Eine Obduktion geniesst Priorität, falls ein Verdächtiger in Untersuchungshaft sitzt

Sein Arbeitstag beginnt um acht Uhr mit der Morgenkonferenz. Die Rechtsmediziner besprechen dabei die Fälle der letzten 24 Stunden. Bilder von Opfern, die mit der Digitalkamera erfasst wurden, werden analysiert. Spätestens um 9 Uhr werden die Obduktionen festgelegt und Prioritäten gesetzt. Manchmal eilt ein Fall mehr als andere, weil ein Verdächtiger in Untersuchungshaft sitzt.
Entweder hilft Dittmann, der in Münster und Lübeck studierte, im Obduktionssaal bei einer schwierigen Autopsie, oder er liest und korrigiert in seinem Büro Gutachten und analysiert Organproben. In der Regel sind die Obduktionen bis Mittag fertig. Ein bis zwei Stunden dauern sie, in schwierigen Fällen auch mehr. Zwischen 250 und 300 Autopsien jährlich werden im baslerischen Institut ausgeführt, also im Schnitt eine pro Werktag. Der Obduktionssaal riecht nicht und ist sehr sauber. In diesem Raum im Kellergeschoss wird nicht geraucht, getrunken oder gegessen. «Und Witze reissen wir hier drin auch nicht», ergänzt Dittmann. Für die Vorbereitung der «Mega-Operation» ist Frank Azzalini, der Chefpräparator, zuständig. Nach dem Mittagessen treffen
sich die Rechtsmediziner zu einer Abschlussbesprechung. Aufgetretene Probleme oder neue Erkenntnisse werden diskutiert.
Danach kehrt Dittmann in sein Büro zurück und kontrolliert Gutachten der Mitarbeiter oder diktiert selber welche. Er rückt seine Brille zurecht und schildert den Ablauf eines Ausseneinsatzes. Bei einem Leichenfund alarmieren Bürger die Polizei. Diese nimmt mit der Rechtsmedizin Kontakt auf und ein Rechtsmediziner begibt sich zum Fundort. Dort treffen uniformierte Polizisten ein, die die Zone absperren. Der Rechtsmediziner untersucht die Leiche vor Ort, während der kriminaltechnische Dienst Spuren sichert. Die Fahndungspolizei ermittelt die Personalien der verstorbenen Person. Wenn der Fall vor Ort geklärt werden kann, das heisst, wenn Mord definitiv ausgeschlossen werden kann, wird ein Totenschein ausgestellt und der Verstorbene sofort zur Bestattung freigegeben. Bleibt der Fall auch nach der Untersuchung vor Ort weiter unklar, kommt der Leichnam ins Institut für Rechtsmedizin.
Auf die Frage, ob es den perfekten Mord gebe, sagt Dittmann: «Ja, den perfekten Mord gibt es. Der Schlüssel ist der Arzt, der als Erster zum Toten gerufen wird und den Totenschein ausstellt. Bescheinigt er leichtfertig einen natürlichen Tod, kommt es gar nicht erst zu einer Untersuchung.»
Das Mikroskop im Büro des Professors bietet auch Studenten die Möglichkeit, Organpräparate zu untersuchen. Der Deutsche, der ursprünglich Chirurg werden wollte, arbeitet gerne mit jungen Menschen zusammen. Die Studenten ihrerseits wählten ihn mehrfach zum besten Dozenten der Medizinischen Fakultät Basel. «Ich sehe meinen Unterricht als wichtige Weichenstellung für die spätere Spezialisierung der angehenden Ärzte. Schliesslich eignet sich nicht jedermann als Rechtsmediziner», sagt Dittmann und empfängt seine vielleicht zukünftigen Nachfolger zum Unterricht.

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