«der arbeitsmarkt» 02/2006

Besuch bei der «Chäslischmiedin»

Sie hat einen Beruf, der Spass macht, findet die Podologin Carmen Prestini. «der arbeitsmarkt» wollte wissen, was «spassig» ist am Umgang mit eingewachsenen Nägeln oder Hühneraugen, und hat sich einer professionellen Fusspflege unterzogen.

Ein nasskalter Spätnachmittag im Dezember. Das strahlende Lächeln der zwei jungen Frauen hinter dem Empfangstresen des Fachgeschäfts Scholl in Zürich wirkt einladend wie ein Sprüngli-Schaufenster in der Weihnachtszeit. Resolut führt mich die behandelnde Fachfrau für medizinische Fusspflege, die Podologin
Carmen Prestini, in eine der Kabinen. «Gibt es etwas Wunderbareres als einen Fuss?», fragt sie, während sie sich über meine nackten Zehen beugt. Sie legt ihr chirurgisches Besteck zurecht, ist nach der Inspizierung meiner Füsse aber ein wenig enttäuscht: «Abgesehen von der üblichen Fusspflege gibt es bei Ihnen wenig zu tun.»

Berufsbild und Kompetenzen sind klar abgegrenzt und definiert

Prestini beginnt ihre Behandlung mit Nägelschneiden und macht beim Hantieren mit der Schere auf den Unterschied zwischen einer Pedicure und einer Podologin aufmerksam: «Der Beruf der Pedi-
cure ist nicht geschützt, während derjenige der Podologin seit Mitte 2005 ein anerkannter Gesundheitsberuf ist.» Eine Pedicure ist im kosmetischen Bereich tätig und nicht dafür ausgebildet, mit einem Skalpell zu arbeiten oder Hühneraugen, eingewachsene Nägel und Leute mit Durchblutungsstörungen zu behandeln. Als Podologin kann sich Prestini solcher Fälle annehmen, darf aber ihrerseits keine Spritzen verabreichen, Medikamente verschreiben oder Diagnosen stellen. Weil es ihr auch nicht erlaubt ist, Operationen in
Verbindung mit Blut vorzunehmen, muss sie beispielsweise von Warzenbehandlungen absehen, die als Virusgeflecht in ärztliche Obhut gehören. In der Realität sei es so, dass es zu wenig Podologinnen gebe, weshalb beispielsweise auch in Altersheimen Pedicuren zum Einsatz kämen. «Viele von ihnen haben sicherlich gute medizinische Grundkenntnisse, und man kann sich ihnen für eine normale Fusspflege problemlos anvertrauen», ergänzt die Fachfrau. Bei Problemen sei jedoch eine Podologin die richtige Anlaufstelle.
Die Erklärungen der Siebenundzwanzigjährigen kommen ohne Zögern, man merkt, dass hier Kompetenz am Werk ist. Was gefällt ihr an ihrer auf den ersten Blick wenig reizvollen Arbeit? Sie liebe den Kontakt mit Leuten und das Arbeiten mit den Händen. Ausserdem: «In welchem Beruf kann man rund um die Uhr mit den Leuten plaudern und verdient erst noch Geld dabei?» Die Klienten seien dankbar für ihre Dienstleistung, und sie erhalte viele positive Rückmeldungen, weshalb sich ihr Beruf für jemanden eigne, dem Lob wichtig sei. Ungeeignet sei er hingegen für introvertierte Leute und für solche, die kein Interesse an Medizin hätten oder nicht am menschlichen Körper arbeiten könnten. Einen Nachteil sieht sie auch in der ständig gebückten Haltung, die zu Rückenbeschwerden führen kann. Prestini betreut pro Tag rund acht Personen, die eine normale Fusspflege wünschen. Hinzu kommen Spezialbehandlungen, bei denen ganz bestimmte Leistungen, wie etwa die Behandlung von Nagelpilzen, gewünscht werden. Lediglich 30 Prozent ihrer Patienten sind Männer. «Männer haben muskulösere Füsse als Frauen und tragen meist bessere Schuhe, weshalb sie weniger Probleme mit ihren Füssen haben», erklärt die Podologin dazu.

Wenn die «Chäslischmiedin» mit der «Mammutfräse» anrückt

Das Durchschnittsalter ihrer Klienten liegt bei rund 70 Jahren, da ältere Menschen häufig nicht mehr in der Lage sind, ihre Füsse selber zu pflegen. Sei es, dass sie unter Rheuma oder Arthrose leiden oder schlecht sehen, was die Gefahr von Verletzungen erhöht. Weil sie eine weisse Schürze trägt, wird Prestini vielfach mit einer Krankenschwester gleichgesetzt, weshalb während ihrer Behandlungen Krankheiten das Hauptgesprächsthema sind.
Darauf angesprochen, ob sie sich nicht vor unsauberen oder verschwitzten Füssen ekle, meint sie: «Ich habe erst zweimal mit Leuten zu tun gehabt, die ihre Füsse lange nicht gewaschen haben und regelrechte Krusten hatten.» Dabei habe es sich aber um Demenzkranke gehandelt, die überzeugt gewesen seien, sie würden ihre Füsse regelmässig pflegen. «Ich finde Leute, die unter Inkontinenz leiden, also ihren Harn nicht zurückhalten können und – weil sie sich nicht pflegen – schlecht riechen, viel schlimmer», fügt sie an. Auch eine Coiffeuse übe einen für ihre Begriffe unappetitlicheren Beruf aus, da sie sich nicht vorstellen könne, mit fettigen oder schmutzigen Haaren zu tun zu haben. Prestini macht ihre Arbeit Spass, Mühe hat sie lediglich mit frustrierten und unfreundlichen Kunden. In ihrem privaten Umfeld wird sie gerne als «Chäslischmiedin» tituliert, erste Reaktionen auf ihr «Geständnis», Füsse zu pflegen, sind meist ein «wäääh, gruuusig». Die Podologin nervt, dass sich einige Kolleginnen nur noch bei ihr melden, wenn sie ein Fussproblem haben. Aus diesem Grund hat sie sich auch von gewissen Bekannten zurückgezogen. Möglichst aus dem Weg geht sie ausserdem zwei Nachbarinnen, die sich, seit sie ihren Beruf kennen, nur noch über das «eine Thema» mit ihr unterhalten wollen.
Das Fachgeschäft verfügt über acht Behandlungskabinen, in denen sechs festangestellte Podologinnen und sechs Lehrtöchter arbeiten. Carmen Prestini feilt mit einem länglichen Gerät meine Nägel, wobei zuerst die Nagelkanten behandelt, dann die Oberfläche poliert und vorstehende Häutchen entfernt werden. Sie zeigt Aufsätze mit verschiedenen Schleifstärken. Ein spezifisches Fussproblem ist das verdickte Nagelwachstum, das nach einer Verletzung auftreten kann und bei dem die Nägel nicht mehr in die Länge, sondern in die Höhe wachsen. Die Podologin verwendet in solchen Fällen sogenannte «Mammut-» oder Metallfräsen, die die Nagelschicht abtragen.
Was sonstige Fussprobleme anbelangt, steht die Behandlung von Hühneraugen an erster Stelle, gefolgt von eingewachsenen Nägeln und blutigen Rissen in der Hornhaut. «Hühneraugen entstehen durch Druck und Reibung», doziert Podologin Prestini. Dadurch komme es zu einer schmerzhaften Hornhautvertiefung, die sie mit Hilfe eines Skalpells Schicht um Schicht herausschneide, bis sie auf das ursprüngliche, rosige Fleisch treffe. «Letzthin musste ich jemandem den Nagel aufschneiden, weil sich darunter ein Hühnerauge gebildet hat», erzählt sie. Das sei einer der schwersten Fälle ihrer bisherigen Laufbahn gewesen und für den Betroffenen ziemlich schmerzhaft.
Auch eingewachsene Nägel können zu ernsthaften Komplikationen führen. Meinen Einwand, ich hätte gedacht, man müsse Nägel ganz gerade schneiden, verneint sie: «Nein, Fussnägel müssen der Zehenform angepasst geschnitten werden.» Es bestehe sonst die Gefahr, dass der Nagel seitlich ins Fleisch wachse und eine Wunde entstehe. Eingewachsene Nägel werden aber auch durch einen angeborenen tiefen Nagelfalz, das heisst eine starke Wölbung des Nagels, durch Unfall oder zu enge Schuhe hervorgerufen. «Ich rate niemandem davon ab, spitze Schuhe zu kaufen, sie bringen uns Kunden», meint die Fachfrau lakonisch. Sie gibt in der Regel keine Schuhtipps, ertappt sich jedoch im Sommer, wenn die meisten Fussprobleme auftreten, oftmals dabei, auf Füsse und Schuhe von Passanten zu achten. Selber pflegt sie ihre Füsse kaum und trägt mit Vorliebe Turnschuhe.

Füsse sind gemessen an ihrer Leistung ein vernachlässigter Körperteil

Zu ihrem Beruf gekommen ist die Podologin über ihre Mutter, die bei der Pro Senectute arbeitete, alte Leute auf dem Land betreute und diesen bei der Fusspflege half. Sie begleitete sie einmal auf einer solchen Tour und war sich danach im Klaren darüber, dass dieser Beruf ihr gefallen könnte. Nach einer Schnupperlehre in Winterthur machte sie ihre Lehre bei Scholl in Zürich. Später führte sie eineinhalb Jahre ein Podologie-Fachgeschäft in Winterthur und arbeitete ein halbes Jahr als Serviertochter in Pontresina.
Danach wollte sie in ihren erlernten Beruf zurück. «Ich bin der Meinung, dass man seinen Beruf erst richtig schätzen lernt, wenn man einmal etwas anderes gemacht hat», meint sie zu ihrem Abstecher ins Gastgewerbe. Es sei «Abenteuerlust» gewesen, weshalb sie zwischenzeitlich ausgeschert sei. Aufgrund des Mangels an Podologinnen sei sie von ihrem ehemaligen Lehrbetrieb aber gerne wieder eingestellt worden.
Die Fussbehandlung geht ihrem Ende entgegen und Prestini wendet sich der «Problemzone» Hornhaut zu. Um diese aufzuweichen, legt sie Zellstofftupfer, die mit einer Öl-Wasser-Mischung getränkt sind, auf die betroffenen Stellen. «Sie haben einen Riss in der Hornhaut», konstatiert sie mit einer Spur von Befriedigung, doch noch «fündig» geworden zu sein. Das könne eine Alterserscheinung sei, da die Haut mit zunehmendem Alter austrockne, sei aber auch auf Veränderungen im Feld der körperlichen Betätigungen – beispielsweise vermehrtes Jogging – zurückzuführen. Sind bei mir altersschlaffes Gewebe, rissige Hornhaut und hervortretende Äderchen schon bald unabänderliche Tatsache? Prestini beruhigt mich, es handle sich nicht um etwas Gravierendes. Sie rät mir, die Füsse häufiger einzucremen, und nimmt das als Krönung ihrer fusspflegerischen Tätigkeit gleich selber in Angriff. «Füsse werden wie kaum ein Körperteil sonst vernachlässigt, wenn man bedenkt, was sie tagtäglich leisten müssen», stellt sie abschliessend fest. Dem muss ich zustimmen, als ich wenig später mit federndem Gang Richtung Bahnhof gehe. Das entspannende Paraffinbad wird für die nächste Fusspflegesitzung aufgehoben.

Zur PDF-Version: