«der arbeitsmarkt» 11/2004

Berufspraktische Erfahrungen für Theoretiker

Anstatt nach dem Diplom einen lukrativen Job anzutreten, bleibt vielen Uniabgängern der Gang zum Arbeitsamt nicht erspart. Spezielle Beschäftigungsprogramme helfen ihnen, Berufserfahrung zu sammeln und so ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Doch in vielen RAV sind die Angebote nicht genügend bekannt.

Die Zeiten, in denen Studienabgänger von Firmen umworben wurden und sich vor Jobangeboten kaum retten konnten, sind vorbei. Der Berufseinstieg für die frischgebackenen Diplomanden und Diplomandinnen verläuft oft harzig. Wie das Bundesamt für Statistik (BFS) diesen August bekannt gab, befanden sich im vergangenen Jahr rund 7 Prozent der Fachhochschul- und Uniabgänger ein Jahr nach dem Abschluss immer noch auf Stellensuche. Das sind mehr als drei Mal so viele wie vor drei Jahren.
Hochschulabsolventen aus dem Tessin und aus der Westschweiz haben dabei grössere Probleme als ihre Kollegen aus der Region Zürich oder der Zentral- und Ostschweiz. Auch der Fachbereich spielt eine Rolle: Absolventen der Medizin, der Pharmazie, der Rechtswissenschaften, des Bauwesens und der Sozialen Arbeit finden problemloser und schneller eine Stelle als Geistes- und Sozialwissenschaftler.

Psychologen im öffentlichen Dienst

Es ist die mangelnde Berufserfahrung, die vielen Hochschulabsolventen zum Verhängnis wird, wenn sie auf Jobsuche gehen. Vor allem, wenn sie ein Fach studiert haben, wo Stellen dünn gesät sind. Arbeitsmarktliche Massnahmen wie Beschäftigungsprogramme, die speziell auf junge Akademiker zugeschnitten sind, bieten die Möglichkeit, erste Erfahrungen auf dem entsprechenden Tätigkeitsgebiet zu sammeln. Eine Teilnahme ist in der Regel auf sechs Monate beschränkt. Während dieser Zeit erhält man weiterhin Taggelder.
Die meisten arbeitsmarktlichen Massnahmen, die sich für Hochschulabsolventen eignen, sind national ausgerichtet. Dieses Angebot ist zwar relativ überschaubar (siehe Kasten), doch nicht in allen RAV genügend bekannt. Deshalb lohnt es sich, als Erwerbsloser selbst aktiv zu werden und sich über die verschiedenen Möglichkeiten zu informieren. Das letzte Wort haben jedoch die RAV-Beratenden: Er oder sie muss der Teilnahme am Beschäftigungsprogramm zustimmen.
Ein interessantes Beispiel für ein solches Programm ist das Assistenzprojekt der Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP). Seit 1997 organisiert die FSP Programme zur vorübergehenden Beschäftigung von erwerbslosen Psychologen. Nicht ohne Grund: Psychologen haben es besonders schwer, wenn es um den Berufseinstieg geht. Es gibt viele Abgänger und wenig offene Stellen.
Das Projekt vermittelt Assistenzplätze in öffentlichen Einrichtungen oder Non-Profit-Organisationen wie zum Beispiel Kliniken, psychosozialen Beratungsstellen, Spitälern oder Personalabteilungen. Laut der Psychologin Daniela Berta vom Projektbüro in Zürich verrichten die Assistenzpsychologen zu 50 Prozent ungefähr die gleichen Aufgaben wie die anderen Angestellten. «In der übrigen Zeit widmen sie sich Dingen, für die sonst zu wenig Zeit bleibt. Das kann zum Beispiel ein Projekt für eine neue Beratungsstelle für Kinder sein.» In der Deutschschweiz, so Berta, würden etwa drei Viertel der Teilnehmenden frisch von der Universität kommen. In der Romandie hingegen seien auch viele erfahrene Berufsleute darunter. Das nationale Projekt bietet neben der Vermittlung einer Assistenzstelle eine individuelle Beratung an, wenn das gewünscht wird. Auch Weiterbildungsveranstaltungen werden durchgeführt.

Kontaktknüpfen und Projektarbeit

Besonders beliebt sind laut Daniela Berta die regelmässigen regionalen Treffen, an denen die Assistenzpsychologen ihre Erfahrungen austauschen können. Wer das Programm absolviert, hat anscheinend gute Chancen, danach eine Stelle zu finden: Die Vermittlungsquote liege etwa bei 75 Prozent, wobei nicht alle Teilnehmenden unbedingt eine Anstellung in ihrem Spezialgebiet finden würden, meint Berta. Den Leuten kämen jedenfalls die Kontakte zugute, die man knüpfen könne. Zudem würden sie lernen, sich optimal zu bewerben.
Für Studienabgänger diverser Fachrichtungen eignen sich die Programme, die der FAU Fachverein für Arbeit und Umwelt seit 1995 organisiert. Zur Zielgruppe gehören explizit gut qualifizierte Stellensuchende. Angeboten werden Projekte zu verschiedenen Themen, entweder in eigenen Projektwerkstätten (Bern, Luzern, St.Gallen, Zürich) oder bei einem externen Partner.
Dazu zählen öffentliche Institutionen wie zum Beispiel die ETH Zürich sowie Non-Profit-Organisationen wie Amnesty International oder Pro Natura. Das Themenspektrum der Projekte reicht von Umwelt, Natur und Nachhaltigkeit über Soziales, Gesundheit bis hin zur Ökonomie, Gesellschaft und Kultur. Ein Beispiel für ein externes Projekt ist dasjenige der Fachstelle Lärmschutz des Kantons Zürich. Hier können Teilnehmende durch die Mitarbeit bei Lärmkampagnen und Publikationen Praxis erwerben. Angesprochen sind Umweltnaturwissenschaftler, Geographen, Publizistikwissenschaftler und Absolventen der Pädagogik. In der internen Projektwerkstatt St.Gallen etwa befassen sich Teilnehmende unter anderem mit der Ökobilanzierung von Textilien und Nahrungsmitteln oder erarbeiten ein Stadtmarketingkonzept in Zusammenarbeit mit einer Gemeinde.
Laut FAU-Geschäftsleiter Roy Salveter stossen die Programme auf grosses Interesse. Dieses Jahr habe der FAU insgesamt 130 Einsatzplätze zu betreuen, über 52 Prozent der Leute kämen dabei von der Universität. Im Raum Zürich und Bern würden sich die Programmteilnehmenden sogar zu etwa drei Vierteln aus Hochschulabsolventen zusammensetzen. Diese könnten vor allem in einem externen Projekteinsatz profitieren: «So erhalten sie Referenzen und die Möglichkeit, wichtige Kontakte zu  knüpfen.» Auch die Weiterbildung wird beim FAU gross geschrieben. Angeboten werden verschiedene Kurse in den Bereichen Persönlichkeitsbildung, Arbeitstechniken, wirtschaftliche Weiterbildung und Sozialversicherung. «Jeder Teilnehmende wählt die Kurse aus, die ihm wichtig sind. Naturwissenschaftler frisch ab der Universität haben zum Beispiel oft wenig Ahnung von Wirtschaft oder Marketing. Bei uns können sie zu diesem Thema einen Kurs belegen.» Die Vermittlungsquote liegt laut Roy Salveter bei zwei Dritteln.

Krankheitserreger bei Fischen

Ein weiteres nationales Beschäftigungsprogramm ist die Biomedizinische und Naturwissenschaftliche Forschung (BNF) der Universitäten Bern und Freiburg. Es richtet sich an Akademiker, Kader- und Fachpersonen. In allen Regionen der Schweiz werden Einsatzplätze in diversen Institutionen angeboten. Darunter fallen Universitäten,
Fachhochschulen, eidgenössische Forschungs-anstalten, Ämter sowie Non-Profit-Organisationen. Bearbeitet werden die Projekte in verschiedenen Forschungs- und Arbeitsgruppen. Hier können die Universitätsabgänger ihr Wissen in die Praxis umsetzen. Ein Forschungsteam am Institut für Tierpathologie in Bern befasst sich beispielsweise mit der Entwicklung von molekularen Diagnostikmethoden in der Veterinärmedizin, um Krankheitserreger bei Fischen nachzuweisen.

Praktikumsabbruch bei Stellenantritt

Laut Veranstalter Beat Wyler ist die Nachfrage nach BNF-Programmen gross. Derzeit seien rund 186 Plätze belegt. Schätzungsweise ein Drittel komme frisch von der Universität. Die meisten seien Absolventen von naturwissenschaftlichen Fachrichtungen. Auch Geistes- oder Betriebswissenschaftler würden an ihrem Programm teilnehmen. Die Vermittlungsquote liege im Durchschnitt bei 55 Prozent. Bei den jüngeren
Leuten falle sie mit etwa 75 Prozent bedeutend höher aus.
Neben Beschäftigungsprogrammen kommen auch andere arbeitsmarktliche Massnahmen für erwerbslose Hochschulabsolventen und -absolventinnen in Frage. Ein Beispiel ist das national ausgerichtete Berufspraktikum in der allgemeinen Bundesverwaltung oder in den Institutionen des Bundes (beispielsweise Forschungsanstalten, Nationalpark, Landesmuseum). Durch dieses Praktikum können erste Berufserfahrungen im entsprechenden Berufsfeld gesammelt werden. Es richtet sich an Personen, die ihre Ausbildung frisch abgeschlossen haben, wie Hochschulabsolventen, die einen Einstieg in ihr zukünftiges Berufsfeld benötigen, aber auch an solche, die sich beruflich neu orientieren möchten.
Verantwortlich für die Koordination und Vermittlung der Praktikumsplätze ist das Büro Social-Management-Services (SOMS). Laut dem Leiter des Büros, Otto Götsch, absolvieren dieses Jahr etwa 200 Erwerbslose ein solches Praktikum in der Bundesverwaltung. Etwa 25 Prozent der Teilnehmenden seien Hochschulabsolventen. Der Inhalt der Praktika reicht von Übersetzungen für den Sprachendienst über das Erarbeiten von juristischen und politischen Stellungnahmen bis hin zur Projektmitarbeit im Bereich Ökologie. Die Vermittlungsquote beträgt laut Götsch 80 Prozent. Meist fänden die Praktikanten ausserhalb der Bundesverwaltung eine Stelle. Ein Viertel werde schon während des Praktikums fündig und breche es deshalb vorzeitig ab.

Kontraproduktive Blindbewerbungen
So attraktiv diese nationalen Programme auch klingen, bekannt sind sie längst nicht in allen RAV. Das kann Otto Götsch bestätigen. Doch wenn ein RAV einmal jemanden geschickt habe, dann werde es meist zu einem guten «Kunden»: «Sechs, sieben RAV schicken uns fast die Hälfte der Leute.» Ein RAV in Fribourg habe beispielsweise plötzlich gemerkt, dass SOMS auch juristische Praktika anbiete, erzählt Götsch. Von diesem RAV würden sie nun plötzlich mit Anfragen überrannt (Fribourg besitzt eine juristische Fakultät). Roy Salveter vom FAU berichtet, dass sie von den RAV unterschiedlich wahrgenommen würden: «Einige kennen uns sehr gut, andere kaum. Viele der Teilnehmenden gelangen über Mundpropaganda zum FAU.» Daniela Berta vom Assistenzpsychologenprojekt wiederum stellt fest: «Wir leben zu 80 Prozent von Mund-zu-Mund-Propaganda». Sie verstehe es, wenn RAV-Berater bei der grossen Programmvielfalt nicht alle Angebote kennen würden. Doch was sie nicht verstehe, sei, weshalb viele RAV-Berater zehn bis zwölf Bewerbungen pro Monat von den Psychologen verlangten: «Dabei gibt es doch so wenig Stellen, und Blindbewerbungen sind meist kontraproduktiv. Wenn sich jemand wahllos bewirbt, ist sein Name bald überall im Umlauf.»
Den unterschiedlichen Bekanntheitsgrad der nationalen arbeitsmarktlichen Massnahmen in den RAV erklärt Dora Schilliger-Makausz, Ressort Grundlagen und Analysen des seco, unter anderem mit der unterschiedlichen Vollzugsorganisation der Kantone: «In einigen Kantonen darf der Veranstalter die RAV direkt über sein Angebot informieren, in anderen ist das nicht der Fall. Dort informieren die LAM-Stellen die RAV.» Allen RAV würden aber verschiedene Informationssysteme zur Verfügung stehen, mit denen die Programme abgefragt werden können, wie zum Beispiel das AVAM oder das TCNet. Viele RAV-Mitarbeitende seien zudem mit einer Flut von Informationen konfrontiert. Oft hätten sie nicht genügend Zeit, sich umfassend zu informieren. Es sei verständlich, dass die RAV-Berater deshalb vielfach Programme vorschlagen würden, die sie bereits kennen. Schilliger-Makausz: «Und das sind halt die kantonalen.»

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