«der arbeitsmarkt» 07/2005

Ausländische Firmen sind besonders willkommen

Urs Stuber leitet seit Anfang 2001 die Wirtschaftsförderung im Kanton Solothurn. Im Interview nimmt der 55-Jährige Stellung zum gegenseitigen Abwerben von Unternehmen, zum Fall Galmiz und zur Wirtschaftsentwicklung in ländlichen Gebieten.

der arbeitsmarkt: Herr Stuber, wann hat sich letztmals ein Unternehmen dank Ihrer Arbeit im Kanton Solothurn niedergelassen?
Urs Stuber: Die Post steht unmittelbar vor dem definitiven Standortentscheid für ihr Briefverteilzentrum «Mitte» in Härkingen, was rund 500 Arbeitsplätze und Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe schafft. Letztes Jahr haben als herausragendste Beispiele der deutsche Sportartikelhersteller Puma sowie die Metallbaufirma kehrer stebler ag und stebler glashaus ag beschlossen, ihre Geschäftsaktivitäten in Oensingen
anzusiedeln.

Wie sieht Ihre Arbeit bei einem Ansiedlungsprojekt konkret aus?
U.S.: Dieser Prozess läuft ganz unterschiedlich ab. Der erste Kontakt entsteht über einen Brief, ein Telefonat,
an einem Anlass – gerade das Networking wird immer wichtiger. An einem anschliessenden Treffen gleisen wir das Projekt auf. Manchmal hat sich ein Investor bereits entschieden, in den Kanton Solothurn zu kommen, sucht aber noch ein Gebäude oder will wissen, ob wir Finanzierungsbeihilfen oder Steuervorteile anbieten können. Nach drei Wochen ist alles geregelt. Andere Projekte sind komplex und können Jahre dauern. Beim Briefverteilzentrum gibt es lange und intensive Gespräche mit Post, SBB, Raumplanern, Gemeinden und vielen anderen Beteiligten.

Wozu braucht es überhaupt eine Stelle für Wirtschaftsförderung?
U.S.: Der gesetzliche Auftrag der Wirtschaftsförderung ist vielfältig. Wir beteiligen uns an der Debatte, wie
die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft optimiert werden können, wir betreiben internationales Standortmarketing, nehmen Ombudsfunktionen wahr und fördern vereinzelt konkret Betriebe. Sowohl die Behörden auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene als auch die Unternehmen wollen eine zentrale Ansprechstelle des Kantons. Wir koordinieren für den Unternehmer die Kontakte etwa zu den Raumplanern, zum Amt für Umwelt oder zum Baudepartement. Weltweit herrscht ein harter Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte. Hätte Solothurn keine Wirtschaftsförderung, würden wir dieses Spielfeld kampflos den anderen Kantonen und Ländern überlassen.

Sie sehen sich als Konkurrenten der anderen Wirtschaftsförderer?
U.S.: Eines unserer Ziele ist, dass Firmen und Arbeitsplätze in den Kanton kommen und die Volkswirtschaft stärken. Wir stehen somit immer im Wettbewerb mit anderen Kantonen und Ländern. Ich erlebe dies oft im Gespräch mit potenziellen Investoren. Sie sagen beispielsweise: «Der Kanton X hat uns eine zehnjährige
Steuerbefreiung zugesagt. Was bieten Sie an?» Umgekehrt arbeiten wir auch mit den anderen Kantonen zusammen und tauschen Informationen aus. Ich rufe dann etwa meinen Kollegen in X an und frage, ob denn die Behauptung des Unternehmers zutreffe.

Da wird doch aus verhandlungstaktischen Gründen geschummelt.
U.S.: Natürlich verraten wir nicht alles. Aber ich versuche, objektiv und fair zu sein. Es existiert ein Gentlemen’s Agreement unter den Wirtschaftsförderern, wonach wir nicht aktiv Firmen abwerben. Aber wenn uns ein Unternehmen bei seiner Evaluation von neuen Standorten anfragt, dann legen wir auch eine Offerte vor. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass der Zuzug einer Firma aus einem anderen Kanton zwar unser Image stärkt, gesamtschweizerisch gesehen aber keine neuen Arbeitsplätze schafft. Ich bin daher der Ansicht, dass wir uns stärker darauf konzentrieren sollten, ausländische Firmen anzusiedeln.

Die mögliche Ansiedlung des US-Biotechkonzerns Amgen im freiburgischen Galmiz oder in Yverdon macht seit einiger Zeit Schlagzeilen. Sollte hier der Bund eine stärkere Koordination übernehmen?
U.S.: Am Fall Galmiz lässt sich die Problematik gut verdeutlichen. Es handelt sich hier um ein Grossprojekt mit einem enormen Landbedarf und mit angestrebten 1200 Arbeitsplätzen. Ein Projekt dieser Dimension ist meiner Meinung nach Chefsache und sollte auf nationaler Ebene behandelt werden. Kantone, die eine solche Ansiedlung anstreben, sollten in Koordination mit Bund und Nachbarkantonen rechtzeitig einen Standort auswählen und vorbereiten. Nur so kann ein solcher Standort bei einer Anfrage sofort verfügbar gemacht werden – ein zusätzlicher Trumpf im schnelllebigen Standortwettbewerb!

Die Leute werden mobiler, die Verkehrsnetze besser, immer mehr Menschen pendeln nach Zürich, Basel oder Bern. Wird Solothurn zum Schlafkanton für Leute, die in den grösseren Städten arbeiten?
U.S.: Das glaube ich nicht. Mehrheitlich möchten die Schweizerinnen und Schweizer dort arbeiten, wo sie wohnen. Die Frage ist: Gibt es in der Nähe des Wohnortes attraktive Arbeitsplätze? Einzelne Branchen wie das Bankenwesen oder gewisse Dienstleistungen konzentrieren sich vielleicht auf die Grossagglomerationen. Doch unsere Lage und die gute verkehrstechnische Erschliessung sind kein Standortnachteil, sondern ganz klar ein Vorteil.

Welche gibt es noch?
U.S.: Wir haben eine kurze Reaktionszeit. Nehmen wir das Beispiel der Schwesterfirmen kehrer stebler ag und stebler glashaus ag, die offenbar vergeblich ein Grundstück in einem anderen Kanton suchten. Also kontaktierten sie mich. Drei Tage später hatten sie drei Offerten auf dem Tisch; am vierten Tag entschieden sie, nach Solothurn zu kommen. Solche Abläufe machen den Unternehmen Eindruck. Die zentrale Lage des Kantons und die Verkehrswege bedeuten auch Nähe zu den Bildungsstätten. Praktisch jede Universität und Fachhochschule ist binnen einer Stunde erreichbar. Wichtig für die Unternehmen ist auch, dass gut qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Dies ist in Solothurn der Fall. Wir glauben auch, eine sehr hohe Lebensqualität vorweisen zu können: Es gibt nahe Erholungsgebiete, den Jura, ein Angebot von Freizeitaktivitäten sowie ein reiches kulturelles Angebot mit Anlässen wie dem Classic Open Air, den Film- und Literaturtagen. Schliesslich möchte ich das vernünftige Steuerklima für juristische Personen erwähnen.

Was verstehen Sie darunter?
U.S.: Der Kanton Solothurn liegt diesbezüglich im guten schweizerischen Durchschnitt. Kürzlich haben wir auf einer «Tour des régions» mit Unternehmern gesprochen, um zu erkunden, wo der Schuh drückt. Wir haben gesehen, dass dabei die Steuern oft eine sekundäre Rolle spielen. Eine der besuchten Firmen hätte zum Beispiel lieber vorteilhaftere Tarife bei Strom, Wasser und Abwasser.

Wie sieht es mit den Steuern für natürliche Personen aus?
U.S.: Hier haben wir tatsächlich noch Verbesserungspotenzial. Wir haben eine starke Progression, was Personen mit hohen Einkommen davon abhält, Wohnsitz im Kanton Solothurn zu nehmen. Ich kenne jemanden, der täglich von Wollerau im steuergünstigen Kanton Schwyz ins Solothurner Wasseramt zur Arbeit pendelt.

Welchen Einfluss glauben Sie auf die kantonale Wirtschaftspolitik auszuüben?
U.S.: Unsere Aufgabe ist es, die Anliegen der Wirtschaft in Regierung und Parlament einzubringen, beispielsweise auch bei Vernehmlassungen. Wir zeigen auf, warum sich ein Unternehmen im Kanton Solothurn
niederlässt oder warum nicht. Ich denke, unsere Argumente haben einen recht hohen Stellenwert. Aber
wir machen nicht Politik! Wir liefern lediglich die Entscheidungsgrundlagen. Andere Stellen der Verwaltung, zum Beispiel das Amt für Umwelt, bringen ebenfalls ihre Argumente ein.

Angesichts der Wirtschaftslage haben Sie wohl die besseren Karten.
U.S.: Das mag sein. Ich schliesse nicht aus, dass je nach wirtschaftlicher Situation über das eine oder andere
Projekt anders entschieden würde.

Stellenabbau bei Von Roll, Bally, Attisholz – noch vor wenigen Jahren galt Solothurn als wirtschaftliches Sorgenkind. Ist der Strukturwandel vollzogen?
U.S.: Viele traditionelle Solothurner Firmen waren auf den Strukturwandel, der bereits mit der Uhrenkrise
in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts begann, nicht vorbereitet. Sie mussten dies mit den entsprechenden Abbaumassnahmen büssen. Heute sind wir auf gutem Weg. Noch sind nicht alle verloren gegangenen Arbeitsplätze kompensiert. Aber wir haben jetzt eine breit diversifizierte Struktur mit vielen innovativen KMU, die – besonders im Bereich Life Science – Wachstumsraten bis zu 20 Prozent vorweisen. Ganz abgeschlossen ist der Strukturwandel nicht und wir werden wohl noch die eine oder andere schmerzhafte Massnahme erleben.

Fühlen Sie sich in solchen Situationen nicht hilflos?
U.S.: Es ist natürlich, dass man eine gewisse Ohnmacht verspürt. Andererseits muss man akzeptieren, dass unternehmerische Entscheide nicht in erster Linie von einer kantonalen Wirtschaftsförderung abhängen. Schon gar nicht, wenn die Unternehmensleitung anderswo sitzt. Nehmen wir an, ein amerikanisches Mutterhaus beschliesst, sein defizitäres Werk an einem Ort bei uns zu schliessen. Da haben wir vielleicht die Möglichkeit,
mit der lokalen Betriebsleitung zu besprechen, ob ein Management-Buyout möglich ist oder ob ein profitabler Teilbereich ausgelagert werden kann. So können wir beispielsweise 20 von 50 Arbeitsplätzen retten. Auf den Schliessungsentscheid haben wir aber meist kaum Einfluss.

Ein ländlich geprägtes Gebiet im Kanton Solothurn ist das nach Basel orientierte Schwarzbubenland
im nördlichen Kantonsteil. Wie läuft die Wirtschaftsförderung in einer solchen Region ab?
U.S.: Zunächst als Vorbemerkung: Wir zwingen niemandem eine Entwicklung auf. Jede Region muss selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen will. Gerade in dieser Hinsicht ist die regionale Wirtschaftsförderung als unser Netzwerkpartner von grosser Bedeutung. Sie ist der primäre Ansprechpartner für die Wirtschaft in der Region und entfaltet eigene Aktivitäten. Wir können sie dabei ideell und materiell unterstützen.

Und das Schwarzbubenland hat sich entschieden?
U.S.: Ja, und zwar für eine Mischform. Es versucht einerseits, mit seinen Trümpfen Lebensqualität, Wohn- und Freizeitregion Gutverdienende aus der Region Basel anzulocken. Andererseits wird eine weiterhin eigenständige wirtschaftliche Entwicklung angestrebt. Ich finde diese Strategie gut.

Könnten Sie konkreter werden?
U.S.: In den grösseren Orten Dornach, Breitenbach und neuerdings Witterswil gibt es durchaus Potenzial für
industrielle und gewerbliche Unternehmen sowie Dienstleister. Traditionelle Firmen wie die Isola-Werke
in Breitenbach oder die Metallwerke Dornach werden auf absehbare Zukunft hier bleiben und sich weiterentwickeln. In Witterswil haben wir ein Technologiezentrum für Life-Science-Betriebe (Biotechnologie,
Medizinaltechnik, Pharmakologie) geschaffen. Hier sehe ich ein grosses Potenzial. Wir haben auch erwirkt, dass mehrere Standorte und Projekte in der Region durch Förderprogramme des Bundes unterstützt wurden.

Wie sieht Ihre Arbeit für das Schwarzbubenland aus?
U.S.: Angenommen, ein Investor kommt auf der Standortsuche im Raum Basel zu uns. Je nach Bedeutung des Vorhabens übernehmen wir selbst die Verhandlungsführung oder geben das Dossier an den regionalen
Wirtschaftsförderer weiter. Dieser kann aber keine Zusagen für Unterstützungen oder Steuererleichterungen abgeben. Er erarbeitet deshalb mit dem Investor ein Projekt und reicht es bei uns zur Beurteilung ein. Natürlich reise ich auch ab und zu selbst ins Schwarzbubenland, um mit dem Wirtschaftsförderer, den Unternehmern oder Gemeindepräsidenten vor Ort zu sprechen.

Welche staatlichen Leistungen sind in einer ländlichen Region aus Sicht der Wirtschaft und der
Wirtschaftsförderung unabdingbar?
U.S.: Zentral sind sicherlich die allgemeine Erschliessung mit Strom, Telekommunikation und vor allem
die Verkehrsinfrastruktur. Die Unternehmer wollen die Nähe zur Autobahn, allenfalls zu einem Bahnanschluss. Hier gibt es im Schwarzbubenland noch einiges zu tun. Die teils mangelhafte Verkehrserschliessung ist für
gewisse Ortschaften ein klarer Standortnachteil. Die Anforderungen der Unternehmen sind aber jedes Mal anders. Die Frage ist deshalb schwierig zu beantworten.

Wie sieht das Schwarzbubenland im Jahr 2020 aus?
U.S.: Ich hüte mich davor, Prognosen zu machen. Aber wir ordnen dem Schwarzbubenland ein Potenzial im
Life-Science-Bereich und als hochwertiges Wohngebiet zu. Die Nähe zu Basel mit seiner Universität, den Fachhochschulen, der Pharma- und der chemischen Industrie zwingt einen fast dazu, in diese Richtung zu
gehen. Ich kann mir auch vorstellen, dass der Bereich Tourismus ausgebaut wird. Die heute bereits existierenden Vorteile Lebensqualität, Freizeit, Sport und Kultur werden sicher auch in 15 Jahren Gültigkeit haben.

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