«der arbeitsmarkt» 10/2007

Ausbildung zur rechten Zeit

Teure mechanische Uhren sind wieder gefragt. Die Uhrenindustrie benötigt mehr hoch qualifizierte Kunsthandwerker sowie weitere gut qualifizierte Facharbeitskräfte. Für deren Rekrutierung wird auch der zweite Arbeitsmarkt bearbeitet.

660 neue Uhrmacherinnen und Uhrmacher braucht die Schweiz – fertig ausgebildet
bis ins Jahr 2010. Etwa ein Drittel wird in Ruhestand gehende Fachleute ersetzen, die übrigen werden zusätzlich benötigt. Zwar beträgt der Anteil der Uhrmacher am gesamten Personal der schweizerischen Uhrenindustrie nur fünf Prozent. Dennoch sorgte die Nachricht für Aufsehen. Denn bis vor kurzem galt das traditionelle Kunsthandwerk als brot- und zukunftslos.
Doch ein rasantes Wachstum im Produktsegment der hochwertigen mechanischen Uhren machte es möglich: Die Arbeitgeber reissen sich wieder um Uhrmacher und Uhrmacherinnen. Fragt sich nur, ob der Bedarf an hoch qualifiziertem Personal in so kurzer Zeit gedeckt werden kann. «Wir sind zuversichtlich», sagt Ralph Zürcher. Er ist beim Arbeitgeberverband der Schweizer Uhrenindustrie (Convention patronale de l’industrie horlogère suisse CPIH) für die Berufsbildung zuständig. Schätzungen zufolge werden künftig allein im dualen System
12 Prozent mehr Uhrmacher ausgebildet. Das ist die Folge der Anstrengungen in der Branche selbst. Gemäss Ralph Zürcher lautet die Politik des CPIH schon seit längerem: «Die Uhrmacherausbildung ist eine langfris-tige Investition. Sie soll nicht nur dem Staat überlassen werden, der sparen muss. Die Uhrenindustrie muss wieder mehr Uhrmacher selber ausbilden.» Und das wird in der Branche getan, allen voran von der in Biel ansässigen Swatch Group, die allein 17 weltberühmte Uhrenmarken herstellt. Doch auch andere Produzenten bilden heute wieder vermehrt in ihren Ateliers Uhrmacher aus oder führen unternehmenseigene Uhrmacherschulen. Einige arbeiten zudem mit den staatlichen Uhrmacherschulen eng zusammen, beispielsweise indem sie Praktikumsplätze anbieten, oder sie beteiligen sich finanziell an der von internationalen Uhrmacherverbänden mitgetragenen Aus- und Weiterbildungsinstitution WOSTEP.

Noch bremst der Personalmangel die Produktion nicht

Auch die vom Staat finanzierten Uhrmacherschulen sind allesamt voll besetzt, weiss Ralph Zürcher. Diejenigen in Genf, im Vallée de Joux und in Pruntrut führen je eine zusätzliche Klasse. «Die Rekrutierung von Uhrmacherlehrlingen ist in der französisch-sprachigen Schweiz kein Problem, weder bei den Jungen noch bei den Erwachsenen», so Zürcher. Er nennt die Uhrmacherschule in Le Locle als Beispiel: «Sie bietet 36 Ausbildungsplätze und erhielt 130 Bewerbungen.» Gerade entlang dem Jurabogen, wo 93 Prozent aller «Swiss made»-Uhrenfabrikanten ansässig sind, ist der Uhrmacherberuf wieder begehrt.
Mit dem aktuellen Bestand an Uhrmachernachwuchs sieht Ralph Zürcher eine Empfehlung der Studie der CPIH bereits heute erreicht. Die lautet: Das Uhrmacherpersonal soll über fünf Jahre hinweg – 2005 bis 2010 – um 18 Prozent aufgestockt werden, um das «langfristige Bedürfnis» der schweizerischen Uhrenindustrie zu decken. Zeit ist relativ. «Langfristig» bedeutet in der Zeit-messerbranche einen Horizont von «drei bis vier Jahren». Wie es in ferner Zukunft aussehen wird, etwa in zehn Jahren, weiss heute niemand.
Und wie ist es gegenwärtig? «Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist angespannt, aber nicht alarmierend», resümiert Ralph Zürcher und erläutert: «Die Anspannung ist kurzfristig. Unsere Mitglieder haben damit keine grossen Probleme, vorausgesetzt, die Lage verschlechtert sich nicht.»
Zürchers Situationsbericht deckt sich mit den jüngsten Erfolgsmeldungen der Uhrenexportwirtschaft: Nachdem bereits 2006 ein Rekordjahr war, vermeldeten die drei grossen Konzerne Swatch Group, LVMH und Richemond für das erste Halbjahr 2007 im Luxusuhrensegment wiederum Wachstumsraten von teilweise über 20 Prozent – «trotz grosser Kapazitätsengpässe». Die schweizerische Uhrenindustrie ist also in voller Fahrt und erneut auf Kurs, mit den teuersten ihrer Produkte zu verdienen wie noch nie – der Facharbeitskräftemangel bremst sie (noch) nicht.
Den «kurzfristigen Mehrbedarf an Uhrmachern» decken die schweizerischen Arbeitgeber vor allem mit Grenzgängern aus Frankreich, weiss man beim CPIH. So sei die Bretagne ein Rekrutierungsgebiet. Da, im äussersten Westen, sowie im Osten Frankreichs, nahe der Grenze zur Schweiz, habe die Grande Nation ihre Uhrmacherschulen, erläutert Zürcher. Dort gebe es aber keine Uhrenproduzenten mehr und somit auch keine Arbeit.

Umschulung in arbeitsmarktlichen Massnahmen

Ein «langfristiges Problem» sieht der Arbeitgeberverband der Schweizer Uhrenindustrie hingegen auf jene Produzenten zukommen, die der Nachfrage nach Qualitätsuhren nicht genügen können. «Die Einstellung von hoch qualifiziertem Personal ist unverzichtbar», verkündet der CPIH. «Gut ausgebildetes Personal ist für die Schweizer Uhrenindustrie, die in den letzten Jahren ihre Produkte auf die höchsten Ansprüche ausgerichtet und den Luxusmarkt im Visier hat, der Schlüssel zum Erfolg.»
Die Branche beschäftigt drei Viertel ihrer Angestellten in der Produktion. Einer Umfrage zufolge war Ende 2006 knapp die Hälfte des Produktionspersonals «halb oder gar nicht qualifiziert». Der CPIH ist bestrebt, dass das Ausbildungsniveau des Produktionspersonals kontinuierlich verbessert und die von der Erwachsenenbildung angebotene Diplomausbildung zum Uhrenarbeiter oder zur Uhrenarbeiterin intensiver kommuniziert wird. In modular aufgebauten Einstiegskursen erlangen Erwachsene innert zwei Jahren Qualifikationen, mit welchen sie in der Produktion von Qualitätsuhren mitarbeiten können. Sie kommen in drei Produktionsphasen des Arbeitsbereichs Uhrwerk/Uhr zum handwerklichen Einsatz: Sie bauen die vom Uhrmacher fabrizierten Komponenten zu einem Uhrwerk zusammen; sie setzen das Uhrwerk in die Uhrschale ein und montieren Zifferblatt und Zeiger; in der Fertigstellung bauen sie die Unruh-feder ein und regulieren diese.
Dieses Angebot läuft in der Uhrenindustrieregion überall gut. Lediglich in Genf ist es noch schwach verankert. Ralph Zürcher: «Der CPIH setzt nun alles daran, die Kurse systematisch einzuführen.» Für die Rekrutierung von Uhrenarbeitenden wird auch der zweite Arbeitsmarkt bearbeitet. Ralph Zürcher erwähnt, dass die Uhrenindustrie mit den Organen des Arbeitslosenvollzugs der Kantone Neuenburg und Bern aktiv zusammenarbeitet, um geeignete Stellensuchende zu Uhrenarbeitern und Uhrenarbeiterinnen umzuschulen.
In der RAV-Region Seeland und Berner Jura wird diese Umschulung seit 1995 als arbeitsmarktliche Massnahme angeboten. Bis 2001 wurde jährlich eine Kursserie mit je 12 arbeitslosen Personen durchgeführt, seit 2002 sind es zwei. Bis heute wurden so 228 Personen umgeschult. Die Bilanz lässt sich sehen: 98 Prozent bestanden die Prüfung und 95 Prozent fanden in der Uhrenindustrie eine Stelle.

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